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OGH vom 29.09.2009, 10ObS128/09k

OGH vom 29.09.2009, 10ObS128/09k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Kainz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Franz Boindl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei O***** S*****, vertreten durch Dr. Gerhard Hiebler und Dr. Gerd Grebenjak, Rechtsanwälte in Leoben, gegen die Pensionsversicherungsanstalt, 1020 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Schwerarbeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Rs 14/09d-17, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Leoben als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 25 Cgs 56/08f-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit 186,66 EUR (davon 30,96 EUR USt) bestimmte Hälfte der Revisionskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom hat die beklagte Partei den Antrag vom des am geborenen Klägers auf Gewährung einer Schwerarbeitspension mit der Begründung abgelehnt, dass die Voraussetzungen nicht erfüllt seien.

Der Kläger begehrt mit seiner gegen diesen Bescheid gerichteten Klage die Gewährung einer Schwerarbeitspension ab . Er sei von 1987 bis August 2001 mit kurzen Unterbrechungen immer als Zustellfahrer mit Tiefkühl-LKWs beschäftigt gewesen und habe dabei Schwerarbeiten im Sinn der Schwerarbeitsverordnung verrichtet.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Bei der vom Kläger ausgeübten Tätigkeit als Zusteller von Tiefkühlprodukten habe sich dieser nicht überwiegend in begehbaren Kühlräumen bei einer Raumtemperatur von niedriger als -21° Celsius aufgehalten. Er sei auch nicht einem ständigen Wechsel zwischen solchen Kühlräumen und sonstigen Arbeitsräumen ausgesetzt gewesen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf folgende Feststellungen:

Der Kläger arbeitete vom bis bei der T***** GmbH als Zusteller von Tiefkühlprodukten. Bei der Firma P***** war er vom bis , vom bis , vom bis und vom bis als Zusteller von Tiefkühlwaren beschäftigt.

In den letzten 240 Kalendermonaten vor dem Stichtag () hat er zumindest 120 Kalendermonate als Zusteller von Tiefkühlwaren gearbeitet. Diese Tätigkeit stellt sich grundsätzlich wie folgt dar:

Es handelt sich in der Regel um ungelernte Arbeitskräfte, die einen gültigen Führerschein der entsprechenden Kategorie (Gruppe C) besitzen, kontaktfreudig und verlässlich sein müssen. Sie sind in der Regel mit Lastkraftwagen über 3,5 Tonnen unterwegs.

Ihre Aufgabe besteht darin, mit den Kraftfahrzeugen die verschiedenen Tiefkühlprodukte (entweder haben sie die Lastkraftwagen - heutzutage begehbare LKW - selbst an bestimmten Standorten mittels Container zu beladen oder schon im beladenen Zustand zu übernehmen) entsprechend ihrer Fahrtroute den Handelsunternehmen oder Gastronomiebetrieben zuzustellen. Sie übernehmen vom Arbeitgeber die Aufträge und Lieferscheine, kontrollieren das Kraftfahrzeug auf Fahrbereitschaft und Verkehrssicherheit, be- und entladen, wobei sie für die ordnungsgemäße Verladung der zu transportierenden Güter verantwortlich sind. Unter Beachtung der Straßenverkehrsordnung fahren sie zu den Bestimmungsorten. Dort angekommen haben sie zum Teil noch Kommissionierungsarbeiten durchzuführen. In weiterer Folge entladen sie die Tiefkühlprodukte, transportieren diese mit einem Hubwagen oder einer Transportrodel an den vom Empfänger gewünschten Ort, schlichten die Waren in die Tiefkühlschränke oder -truhen und erledigen noch die administrativen Arbeiten.

Diese Arbeiten werden während der Fahrt mit dem Kraftfahrzeug mindestens zu einem Drittel der Arbeitszeit im Sitzen, bei der Übernahme oder Auslieferung bzw Übergabe der Waren an die Empfänger in wechselnder Körperhaltung im Stehen und Gehen ausgeführt. Diese Tätigkeit wird zum Teil in Kühlräumen (Be- und Entladen des LKWs) sowie teilweise im Wechsel zwischen dem Tiefkühlraum des LKWs und anderen Arbeitsbedingungen ausgeführt.

Konkret stellte sich die Tätigkeit des Klägers bei der Firma T***** wie folgt dar:

Er hatte um 5:30 Uhr Dienstbeginn am Bahnhof B*****. Dort lud er von Tiefkühlwaggons (Temperatur ca - 28° Celsius) die Waren entsprechend den Ladelisten in den Tiefkühl-LKW um. Dies dauerte ca 45 Minuten. Danach fuhr er ca 25 bis 30 Kunden (Geschäfte oder Gasthäuser) an. Bei 50 % der Kunden musste er die bereits vorkommissionierte Ware nur noch mit einem Rollwagen zum Kunden bringen. Dementsprechend befand er sich nur kurz im Kühlladeraum. Bei den übrigen Kunden musste er im LKW erst die Waren zusammenstellen. Bei der Zusammenstellung der Ware erst vor Ort hielt er sich entsprechend länger im Tiefkühlwagen auf. Die exakte Länge konnte nicht festgestellt werden. Bezogen auf die tägliche Arbeitszeit verbrachte der Kläger ein Drittel der Arbeitszeit im Kühlraum.

Auch bei der Firma P***** lieferte der Kläger Tiefkühlwaren aus dem Nahrungsmittelbereich aus, hauptsächlich an Gastronomiekunden. Es gab hier keine vorkommissionierten Waren. Er hatte etwa 25 bis 35 Kunden pro Arbeitstag anzufahren und vor Ort die Bestellungen zusammenzustellen. Wie lange er für die einzelne Zusammenstellung benötigte, steht nicht fest. Er verbrachte auch hier insgesamt nur ein Drittel der täglichen Arbeitszeit im Kühlraum. Die Übernahme der Ladung in der Früh ging schneller vor sich und benötigte nur noch 20 Minuten.

Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung stellte das Erstgericht noch fest, dass der Kläger an einem Arbeitstag 20 bis 35 mal zwischen Kühlraum und normaler Arbeitstemperatur wechselte.

Rechtlich führte es aus, es liege kein ständiger Wechsel des Klägers zwischen Kühlraum und sonstigen Arbeitsräumen vor. Er habe daher keine Schwerarbeiten verrichtet.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers gegen dieses Urteil nicht Folge. Der Kläger habe zu einem Drittel der Tagesarbeitszeit Tätigkeiten in Kühlräumen verrichtet. Deshalb sei ein überwiegender Aufenthalt in begehbaren Kühlräumen nicht gegeben. Es liege auch kein ständiger Wechsel zwischen den Kühl- und sonstigen Arbeitsräumen vor. Zumindest zu einem Drittel der täglichen Arbeitszeit habe er reine Fahrtätigkeit im Sitzen verrichtet. Das Erstgericht habe im angefochtenen Urteil aufgrund der Eigenangaben des Klägers festgehalten, dass dieser zu einem Drittel der Arbeitszeit im Kühlraum, zu einem Drittel mit Fahren und zu einem Drittel mit der Übergabe der Waren an die Kunden beschäftigt gewesen sei. Da die Regelung der Schwerarbeitsverordnung im Zusammenhang mit dem Nachtschwerarbeitsgesetz nicht jede Art der Schwerarbeit schlechthin, sondern nur solche in besonders belastender Form schützen wolle, müsse davon ausgegangen werden, dass der ständige Wechsel zwischen Kühlraum und sonstigen Arbeitsräumen sich über den gesamten Arbeitstag erstrecken müsse. Das heiße, dass die Belastungsintensität auch an die des ersten Falls der Arbeiten in Kälte, die nur einen überwiegenden Aufenthalt in Kühlräumen schütze, herankommen müsse. Selbst wenn man für die erste dreiviertel Stunde der Tätigkeit des Klägers je Arbeitstag bei der Firma T*****, die insgesamt noch nicht exakt 120 Beitragsmonate ausmache, einen häufigen Wechsel, wie vom Kläger begehrt, annehme, käme man auch bei Heranziehung des weiteren Tagesablaufs nicht zur Erfüllung der Voraussetzungen für eine Schwerarbeitspension. Im Übrigen sei davon auszugehen, dass der Kläger naturgemäß im weiteren Tagesverlauf anlässlich des Abladens bei den Kunden den Kühlraum seines LKWs betreten und wieder verlassen habe, was das Erstgericht offensichtlich mit seinen Ausführungen in Wahrheit meine. Ein ständiger Wechsel zwischen Kühl- und anderen Arbeitsräumen könne daraus nicht abgeleitet werden. Zur Frage der Intensität des Wechsels zwischen Kühl- und anderen Arbeitsräumen sei auch zu berücksichtigen, dass bei 50 % der 25 bis 30 Kunden, also bei etwa 12 bis 15 Kunden, der Aufenthalt des Klägers im Kühl-LKW nur sehr kurz gewesen sei, weil die Ware vorkommissioniert worden sei. In seinem Rechtsmittel gehe der Kläger selbst nicht davon aus, dass er bei den Kunden Kühlräume betreten habe müssen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Auslegung der Bestimmungen über die Voraussetzungen einer Schwerarbeitspension nach der Schwerarbeitsverordnung nicht bestehe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, jene im klagestattgebenden Sinn abzuändern.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel des Klägers zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshof zur Auslegung des entscheidungswesentlichen Art VII Abs 2 Z 3 des Nachtschwerarbeitsgesetzes (NSchG) fehlt. Sie ist jedoch nicht berechtigt.

Der Revisionswerber macht geltend, was die festgestellte Beladung des Tiefkühl-LKWs aus dem Tiefkühlwaggon anlange, sei zumindest von vier Wechseln zwischen den extremen Klimazonen auszugehen (1. normale Arbeitsumgebung - Tiefkühlwaggon, 2. Tiefkühlwaggon - normale Umgebung, 3. normale Umgebung - Tiefkühl-LKW, 4. Tiefkühl-LKW, normale Arbeitsumgebung). Die Belieferung von Kunden habe pro Kunden zwei Wechsel zwischen zwei unterschiedlichen Klimazonen mit sich gebracht, die sich auf den gesamten Arbeitstag verteilten. Bei einer so hohen Anzahl über einen Arbeitstag verteilter Wechsel zwischen unterschiedlichen Klimazonen sei von einem ständigen Wechsel im Sinn der Schwerarbeitsverordnung auszugehen.

Hierzu wurde erwogen:

1. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf die mit Wirksamkeit ab (§ 16 Abs 2 APG) eingeführte Schwerarbeitspension (§ 4 Abs 3 APG;§ 607 Abs 14 ASVG) setzt unter anderem voraus, dass Schwerarbeitszeiten vorliegen.

1.1. Der Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz hat mit Verordnung festzulegen, unter welchen psychisch oder physisch besonders belastenden Arbeitsbedingungen Schwerarbeit in einem Kalendermonat im Sinn des Gesetzes vorliegt (§ 4 Abs 4 Satz 1 APG;§ 607 Abs 14 Satz 2 ASVG). Durch die Formulierung „psychisch oder physisch besonders belastende Arbeitsbedingungen" soll die Absicht des Gesetzgebers zum Ausdruck gebracht werden, dass nur die Formen von besonders belastender Schwerarbeit und nicht jede Schwerarbeit schlechthin in diesem Bereich berücksichtigt werden (RV 635 BlgNR 22. GP 9).

2. Die Verordnung der Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz über besonders belastende Berufstätigkeiten (Schwerarbeitsverordnung), BGBl II 2006/104, bestimmt unter anderem, dass alle Tätigkeiten, die regelmäßig unter Kälte im Sinn des Art VII Abs 2 Z 3 NSchG geleistet werden, als Tätigkeiten gelten, die unter körperlich oder psychisch besonders belastenden Bedingungen erbracht werden.

2.1. Gemäß Art VII Abs 2 Z 3 NSchG leistet Schwerarbeit, wer „bei überwiegendem Aufenthalt in begehbaren Kühlräumen, wenn die Raumtemperatur niedriger als -21 Grad Celsius ist, oder wenn der Arbeitsablauf einen ständigen Wechsel zwischen solchen Kühlräumen und sonstigen Arbeitsräumen erfordert" arbeitet.

2.2. Als Schwerarbeit im Sinn des § 4 Abs 3 APG,§ 607 Abs 14 ASVG gilt - mit Bezug auf den Anlassfall - demnach eine Tätigkeit, die regelmäßig in einem Arbeitsablauf, der einen ständigen Wechsel zwischen begehbaren Kühlräumen mit einer niedrigeren Raumtemparatur als -21° Celsius und sonstigen Arbeitsräumen erfordert, oder bei überwiegendem Aufenthalt in solchen Kühlräumen geleistet wird.

2.3. Der Rechtsmittelwerber selbst geht - im Hinblick auf die festgestellte Verweildauer in Kühlräumen zutreffend - davon aus, dass er als Fahrverkäufer (Zusteller) von Tiefkühlprodukten nicht bei überwiegendem Aufenthalt in Kühlräumen gearbeitet hat.

2.4. Das in zeitlichem Sinn verwendete Wort „ständig" ist nach allgemeinem Sprachgebrauch gleichbedeutend mit „dauernd, stets, laufend, sehr häufig".

2.4.1. Im Hinblick darauf, dass der „Arbeitsablauf" einen „ständigen" Wechsel erfordern muss, drückt das Wort „ständig" zunächst aus, dass die Wechsel zwischen begehbaren Tiefkühlräumen und sonstigen Arbeitsräumen während des gesamten Arbeitstages vorkommen. Davon geht auch der Revisionswerber aus.

2.4.2. Wenn der „Arbeitsablauf" den „ständigen Wechsel" erfordern muss, damit Schwerarbeit gegeben ist, bedeutet dies weiters, dass der Wechsel zwischen Tiefkühlräumen und sonstigen Arbeitsräumen bestimmend für den Arbeitsablauf ist, also zumindest sehr häufig vorkommt.

2.4.3. Selbst wenn man von der vom Revisionswerber behaupteten Zählung der Wechsel pro Arbeitstag ausginge, so genügte diese Anzahl nicht, um die unter 2.4.2. genannte Voraussetzung zu erfüllen, erforderte doch der Ablauf der Tätigkeit des Klägers wesentlich und zeitlich bei weitem überwiegend das Fahren mit dem LKW und die Übergabe der Waren beim Kunden, sodass der Wechsel vom Tiefkühlraum zu sonstigen Arbeitsräumen die Gesamttätigkeit nicht bestimmte.

2.4.4. Der Kläger hat demnach als Zusteller von Tiefkühlprodukten nicht regelmäßig unter Kälte im Sinn des Art VII Abs 2 Z 3 NSchG eine Tätigkeit geleistet (§ 1 Abs 1 Z 2 Schwerarbeitsverordnung). Andere Tätigkeiten im Sinn der Schwerarbeitsverordnung hat der Kläger nicht behauptet.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Eine rechtliche Schwierigkeit des Verfahrens ist zu bejahen, weil die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO abhing (vgl RIS-Justiz RS0085871). Im Hinblick darauf, dass der Kläger nach der Aktenlage Notstandshilfe bezieht, entspricht es deshalb der Billigkeit, dass ihm die Hälfte der Kosten der Revision ersetzt werden (vgl RIS-Justiz RS0085871).