OGH vom 20.09.1990, 7Ob631/90
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Egermann, Dr.Niederreiter, Dr.Redl und Dr.Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Dr.Christine S***, Rechtsanwältin, Wien 3., Weißgerberlände 50, vertreten durch Dr.Friedrich Flendrovsky und Dr.Thomas Pittner, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte und widerklagende Partei Josef O***, Pensionist, Wien 14., Penzingerstraße 110, vertreten durch Dr.Ruth Mirecki, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung und S 364.518,94 s.A. (Gesamtstreitwert S 734.518,94) infolge Revision der klagenden und widerbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom , GZ 16 R 245/89-24, womit infolge Berufung der klagenden und widerbeklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 9 Cg 116/89-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 17.965,80 (darin enthalten S 2.994,30 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Beklagte (und Widerkläger) ist der Sohn aus erster Ehe der am verstorbenen Christine Karoline D***. Die Klägerin (und Widerbeklagte) und ihr - am Verfahren nicht
beteiligter - Bruder Erwin H*** sind die Kinder ihrer vorverstorbenen Tochter aus zweiter Ehe Christine H***. Mit Notariatsakt vom erklärte der Beklagte gegenüber der Erblasserin ohne Entgelt, sich aller Erbund Pflichtteilsansprüche gegenüber dem künftigen Nachlaß zugunsten seiner Halbschwester Christine H*** zu entschlagen. Dabei wurde von den Vertragsparteien (mündlich) vereinbart, daß dieser Verzicht nur dann wirksam sein soll, wenn Christine H*** die Erbschaft erlangt. Mit Testament vom setzte Christine Karoline D*** die Klägerin zur Alleinerbin ein. Deren Bruder Erwin H*** wurde auf den Pflichtteil gesetzt. Der Beklagte ist im Testament nicht erwähnt. Mit Einantwortungsurkunde vom wurde der Klägerin auf Grund ihrer unbedingten Erbserklärung der gesamte Nachlaß der Christine Karoline D*** eingeantwortet. Der reine Nachlaß beträgt S 1,458.075,75.
Die Klägerin beantragt gegenüber dem Beklagten die Feststellung, daß ihm nach Christine Karoline D*** kein Pflichtteilsanspruch zustehe. Der Beklagte habe für den Erbverzicht ein Entgelt erhalten. Er vertrete nunmehr den Standpunkt, daß er auf die Erbschaft nur zugunsten seiner Halbschwester, nicht aber auch zugunsten deren Kinder verzichtet habe. Das entspreche aber nicht der wahren Absicht beider Vertragsteile des Erbverzichtsvertrages. Im übrigen würden die Klägerin und ihr Bruder ihre Mutter im Sinne des § 733 ABGB repräsentieren.
Der Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Er habe den Erb- und Pflichtteilsverzicht gegenüber Christine Karoline D*** nur für den Fall abgegeben, daß seine Halbschwester auch Erbin werde. Mit dem Tod seiner Halbschwester im Jahre 1968 sei der Verzicht hinfällig geworden. Mit seiner Widerklage begehrt der Beklagte von der Klägerin die Zahlung seines Pflichtteils von S 364.518,94 s.A.
Die Klägerin beantragt die Abweisung der Widerklage aus den Gründen ihrer Klage.
Das Erstgericht wies die Klage ab und gab der Widerklage statt. Ein zugunsten einer bestimmten Person abgegebener Verzicht sei dahin zu verstehen, daß der Erbverzichtsvertrag nur wirksam sein soll, wenn diese Person die Erbschaft auch erlangt. Da Christine H*** vor der Erblasserin gestorben sei, habe der Erbverzichtsvertrag seine Wirkung verloren. Dem Beklagten stehe daher der mit der Widerklage geltend gemachte Pflichtteilsanspruch zu.
Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes der Hauptforderung S 300.000,-- übersteigt. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und führte aus, daß nach dem erklärten Willen der den Erbverzichtsvertrag schließenden Parteien der Verzicht des Beklagten nur wirksam sein sollte, wenn Christine H*** die Erbschaft auch erlangt. Würden zur Auslegung der einer Urkunde zugrunde liegenden Absicht der Parteien andere Beweismittel, insbesondere Zeugen- und Parteiaussagen, herangezogen, würden damit nur im Tatsachenbereich anfechtbare Feststellungen getroffen. Aber auch die Auslegung der Urkunde führe zu keinem anderen Ergebnis. In der Rechtslehre werde in zutreffender Weise die Auslegungsregel aufgestellt, daß in der Verzichtserklärung zugunsten eines Dritten eine Bedingung zu erblicken sei, wonach der Verzicht nur dann wirksam sein soll, wenn der begünstigte Dritte die Erbschaft auch erwirbt. Der Verzicht werde somit unwirksam, wenn der Dritte nicht Erbe bzw. Vermächtnisnehmer sein will oder kann, beispielsweise vor dem Erblasser stirbt.
Durch einen Erbverzichtsvertrag könne nur ein Berufungsgrund beseitigt, nicht aber ein solcher geschaffen werden. Daher könne die Klägerin daraus nicht ein Eintrittsrecht nach ihrer Mutter ableiten. Gegen dieses Urteil richtet sich die wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision der Klägerin mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen im Sinne der Stattgebung der Klage und der Abweisung der Widerklage abzuändern. Hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt. Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die gerügte Mangelhaftigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Wie bereits das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, gehört die Auslegung einer nach Inhalt und Form unbestrittenen Urkunde aus ihrem Text zur rechtlichen Beurteilung. Werden aber zur Auslegung der einer Urkunde zugrunde liegenden Absicht der Parteien andere Beweismittel herangezogen, so werden damit im Revisionsverfahren nicht mehr bekämpfbare Tatsachenfeststellungen getroffen (SZ 58/199 uva; Rummel in Rummel, ABGB2, Rz 24 zu § 914). Die für die Gültigkeit des Erbverzichtsvertrages durch § 551 ABGB wegen der Wichtigkeit dieses Geschäftes und im Hinblick auf den Umstand, daß er erst seine Wirksamkeit erlangt, wenn der Empfänger der Verzichtserklärung gestorben ist (Weiß in Klang2 III 188) vorgesehene Form (Notariatsakt oder Beurkundung durch gerichtliches Protokoll) dient nicht dem Schutz Dritter. Daher ist nicht nur der objektive Erklärungswert des schriftlich Beurkundeten maßgebend, sondern auch die etwa mündlich erklärte Absicht der Parteien. Zu deren Ermittlung sind daher auch beim Erbverzicht außerhalb der schriftlichen Erklärung gemachte Willensäußerungen heranzuziehen (vgl. JBl 1988, 257). Steht demnach fest, daß die Parteien des Erbverzichtsvertrages den Verzicht des Beklagten zugunsten seiner Schwester Christine H*** als Bedingung verstanden haben, wonach dieser nur wirksam sein soll, wenn Christine H*** die Erbschaft auch erlangt, dann bleibt für eine (andere) Auslegung der Urkunde im Wege der rechtlichen Beurteilung kein Raum. Im übrigen könnte aber die ausdrückliche Verzichtsleistung zugunsten eines Dritten rein objektiv keinen anderen Inhalt haben (Zemen, Zu den Wirkungen des Erbverzichts auf die Nachkommen, JBl 1990, 500 ff Ä501Ü mit weiteren, bereits vom Berufungsgericht angeführten Literaturhinweisen).
Repräsentation beim Erbverzicht ist nach dem Wortlaut des Schlußsatzes des § 551 ABGB nur durch den Deszendenten des Verzichtenden möglich, wenn dieser unabhängig von seinem Eintrittsrecht nach dem Verzichtenden zu Erben berufen ist (Welser in Rummel aaO Rz 10 zu § 551). Wurde aber ein Erbverzicht zugunsten einer bestimmten Person unter der Bedingung erklärt, daß diese Person die Erbschaft auch erlangt, dann wird der Erbverzicht unwirksam, wenn der Dritte vor dem Erblasser stirbt. In einem solchen Fall können seine Nachkommen nicht in die Stellung als Begünstigte nach den Regeln des § 733 ABGB nachfolgen. Der Beklagte geht daher - entgegen den Ausführungen in der Revision - nicht bloß einseitig von dem von ihm erklärten Erbverzicht ab. Der Revision war somit ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.