OGH vom 23.09.2019, 9Ob32/19z
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stefula in der Rechtssache der klagenden Partei ***** M*****, vertreten durch Mag. Gabriele Buchegger, Rechtsanwältin in St. Florian, gegen die beklagte Partei ***** H*****, vertreten durch Dr. Hans-Jörg Luhamer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Beseitigung und Unterlassung (Interesse: je 3.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Steyr als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 168/18a-22, mit der der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Steyr vom , GZ 13 C 732/17s-17, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 833,88 EUR (darin 138,98 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Das Berufungsgericht ließ nachträglich die ordentliche Revision zur Frage zu, ob die Rechtsprechung, wonach eine ordentliche Kündigung eines Baurechtsvertrags gar nicht oder eine außerordentliche Kündigung nur unter strengen Voraussetzungen möglich ist, auch auf unentgeltlich begründete Baurechtsverträge anzuwenden sei oder dafür geringere Anforderungen gelten würden.
Die Revision des Beklagten ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Zulassungsausspruch unzulässig; die Zurückweisung der Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).
Im vorliegenden Fall hatte der Beklagte dem Kläger für die Dauer von 99 Jahren unentgeltlich ein Baurecht eingeräumt. Im Baurechtsvertrag wurde vereinbart, dass der Bauberechtigte bei Vorliegen wichtiger, dem Baurechtsbesteller zurechenbarer Gründe zur vorzeitigen Auflösung des Baurechtsvertrags und Löschung des Baurechts berechtigt sein sollte. Für diesen Fall sollte der Baurechtsbesteller zur Leistung einer wertgesicherten Entschädigung für die Investitionen in Höhe der Herstellungskosten verpflichtet sein. Dem Kläger wurde auch eine Dienstbarkeit (Geh- und Fahrtrecht, Parken von Fahrzeugen und/oder Abstellen von Gegenständen, Stromleitung) eingeräumt, die mit der Existenz des aufrechten Baurechtsvertrags „zeitlich gekoppelt“ war. Bei Erlöschen des Baurechts sollte auch die Dienstbarkeit erlöschen.
Die Vorinstanzen sahen in dem Umstand, dass der Sohn des Beklagten durch das Abstellen von Fahrzeugen und Gegenständen die mit dem Baurechtsvertrag verknüpfte Dienstbarkeit des Geh- und Fahrtrechts und des Parkens des Klägers verletzt hatte, keinen ausreichend gewichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung des Baurechtsvertrags durch den Kläger. Nach der Beurteilung des Berufungsgerichts lag darin auch kein Verzicht des Klägers auf die Ausübung des Baurechts, sodass es seiner auf Beseitigung und Unterlassung gerichteten Servitutenklage Folge gab.
1. Der Beklagte sieht zunächst einen Verfahrensmangel darin, dass das Berufungsgericht seinen Einwand der schikanösen Rechtsausübung nicht geprüft habe. Es sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass es „ohne Belang“ sei, ob der Kläger die Halle derzeit (zu gewerblichen Zwecken) nutze oder nicht. Der Kläger benötige das Geh- und Fahrtrecht aufgrund des festgestellten Sachverhalts, dass er die Halle nicht mehr zu gewerblichen Zwecken nutze, gar nicht.
Das Erlöschen der Dienstbarkeit war vertraglich allerdings nicht mit der Nichtbenutzung der Halle, sondern mit dem Erlöschen des Baurechts verknüpft. Die Feststellung, dass der Kläger seinen Betrieb nicht mehr in dem streitgegenständlichen Objekt führt, erlaubt auch noch nicht den Schluss, dass er dauerhaft keine Betriebsführung mehr beabsichtigt, weil die Nichtnutzung der Halle ebenso nur in der aktuellen Auseinandersetzung der Streitteile über die beeinträchtigte Ausübung des Geh-, Fahrt- und Parkrechts begründet sein kann.
2. Mit den Ausführungen des Beklagten zum Streitgegenstand und seiner Bewertung, bekämpft er im Ergebnis die Kostenentscheidung des Berufungsgerichts. Diese ist jedoch keiner Revision zugänglich (s § 528 Abs 2 Z 3 ZPO). Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor.
3. Auch die geltend gemachten Aktenwidrigkeiten liegen nicht vor. Dass das Berufungsgericht (Berufungsurteil S 11) die rechtlichen Erwägungen des Erstgerichts zu einem Verzicht des Klägers „umfassend das Baurecht, die Dienstbarkeiten und eine allfällige Ablösezahlung“ verkürzt wiedergab, ist nicht entscheidungsrelevant, weil es die Frage eines – allenfalls unentgeltlichen – Verzichts des Klägers auf das Baurecht eigenständig beurteilte. Ob das Berufungsgericht dabei das Antwortschreiben des Beklagtenvertreters (Beil ./2) ausreichend gewürdigt hat, begründet per se keine Aktenwidrigkeit.
4. In rechtlicher Hinsicht vermisst der Beklagte Feststellungen dazu, dass die Dienstbarkeit vertragsgemäß schonend auszuüben sei, der Dienstbarkeitsverpflichtete allerdings zur Kenntnis nehme, dass beim laufenden Betrieb Lkw-Anlieferungen bzw Stapelverkehr zu bestimmten (näher präzisierten) Zeiten hinzunehmen seien. Es ist allerdings nicht ersichtlich, warum deshalb die Servitut bei Nichtbetrieb des Unternehmens des Klägers zumindest ruhe bzw nicht auszuüben sei.
5. Darauf sowie auf die Ausführungen zu Pkt 1. ist der Beklagte auch mit dem Einwand des Rechtsmissbrauchs – das Geh- und Fahrrecht sei nur für den Betrieb des Klägers in der Halle eingeräumt worden, diese sei nicht bauordnungskonform fertiggestellt, der Betrieb werde nicht mehr geführt – zu verweisen. Dem Dienstbarkeitsvertrag lässt sich keine Einschränkung der Dienstbarkeit auf einen nach § 44 OÖ BauO fertiggestellten Betrieb des Unternehmens entnehmen. Danach trifft es auch nicht zu, dass eine Feststellungs- anstelle einer Leistungsklage ausgereicht hätte.
6. Der Beklagte ist weiter der Ansicht, dass der Kläger, mag er sich auch im Rechtsirrtum befunden haben, eine eindeutige Auflösungserklärung abgegeben habe. Es sei nicht nachvollziehbar, dass das Berufungsgericht dies als „nicht unentgeltlichen Verzicht“ umgedeutet habe. Das Umgehungsverbot des § 4 BauRG habe bei einem unentgeltlich eingeräumten Baurecht nicht zu gelten.
Nach der bereits vom Erstgericht zitierten Rechtsprechung ist die Zulässigkeit vorzeitiger Kündigungs- und Auflösungsvereinbarungen zugunsten des Baurechtsnehmers mit dem Baurecht nur insoweit vereinbar, als die vereinbarten Gründe an Gewicht den in § 4 Abs 2 BauRG normierten Erlöschungsgrund erreichen (RS0118461; 5 Ob 152/03v; 5 Ob 122/12w). Auch Dauerrechtsverhältnisse sind bei Unzumutbarkeit ihrer Fortsetzung für den Rechtsgeber – auch ohne diesbezügliche Vereinbarung – aus wichtigem Grund auflösbar, wobei die für das Auflösen eines dinglichen Rechts in Betracht kommenden Gründe ein höheres Gewicht haben müssen als jene, die für die Auflösbarkeit von Dauerschuldverhältnissen genügen. Um die geforderte Schwere zu erreichen, müsste die Auflösung des Baurechtsvertrags die einzige Möglichkeit sein, um den Missstand beseitigen zu können, da eine Unterlassungsklage nicht ausreichen würde (5 Ob 122/12w mwN).
Bereits in der Entscheidung 5 Ob 152/03v wurde weiter festgehalten, „dass grundsätzlich eine unterschiedliche Betrachtung der Kündigungsmöglichkeit des Baurechtsgebers und des Baurechtsnehmers nicht angebracht ist. Dagegen spricht auch die interessenneutrale Formulierung der in § 4 BauRG festgeschriebenen Bestandsicherung des Baurechts durch das Verbot einer auflösenden Bedingung (zu wessen Gunsten auch immer).
Dass in der bisherigen Rechtsprechung bei Auslegung des
§ 4 BauRG aus Anlass der Prüfung von Auflösungs- oder Kündigungsvereinbarungen zugunsten des Baurechtsgebers mit den diesfalls im Vordergrund stehenden Interessen des Bauberechtigten argumentiert wurde, ergab sich aus den entsprechenden Fallkonstellationen. Nichts spricht dagegen, auch Interessen des Rechtsgebers ins Kalkül zu ziehen, wenn eine Auslegung des
§ 4 BauRG infolge einer dem Baurechtsnehmer im Vertrag eingeräumten vorzeitigen Auflösungsmöglichkeit vorzunehmen ist. Unberechtigt ist die Annahme, der Bauberechtigte sei in der Regel der wirtschaftlich Schwächere, dem der Baurechtsbesteller vertragliche Auflösungsgründe diktieren könne. … Dazu kommt, dass im Fall der vorzeitigen Auflösung eines Baurechtsverhältnisses dem Liegenschaftseigentümer ein Eigentümerbaurecht aufgedrängt würde, das keineswegs in seinem Sinne liegen muss. …
Als Ergebnis dieser Überlegungen gilt, dass auch die Zulässigkeit vorzeitiger Kündigungs- oder Auflösungsvereinbarungen zugunsten des Baurechtsnehmers mit dem Baurecht nur so weit vereinbar sind, als die vereinbarten Gründe an Gewicht den in
§ 4 Abs 2 BaurG normierten Erlöschungsgrund erreichen“. Diesem Gesetzeszweck entsprechend darf die Dauer des Baurechts auch nicht durch den Vorbehalt von Kündigungs- oder Auflösungsvereinbarungen im Ungewissen bleiben (RS0052052). Dementsprechend ist auch die Vereinbarung einer ordentlichen Kündigung in Baurechtsverträgen unzulässig (1 Ob 35/89).
Nach der Rechtsprechung ist daher nicht fraglich, dass die Bestandsgarantie des § 4 Abs 2 BauRG nicht nur dem Schutz der Gläubiger und des Bauberechtigten dient, sondern auch dem Baurechtsgeber zugute kommt.
7. Es mag zutreffen, dass eine Baurechtseinräumung anders als hier in der Regel entgeltlich erfolgt. Der Beklagte führt aber nicht aus, warum der genannte Gesetzeszweck bei unentgeltlichen Baurechtsverträgen nicht gelten sollte. Er legt auch nicht dar, dass die geschützten Interessenlagen der Parteien des Baurechtsvertrags – Bestandinteresse des Bauberechtigten einerseits; Interesse des Baurechtsgebers, kein Eigentümerbaurecht aufgedrängt zu bekommen, andererseits – nur im Fall einer Entgeltlichkeit des Baurechts gegeben wären. Das Gesetz unterscheidet auch nicht zwischen entgeltlichen und unentgeltlichen Baurechtsverträgen. Insbesondere ist auch die gesetzliche Entschädigungspflicht gegenüber dem Bauberechtigten bei Erlöschen des Baurechts nicht von einer Entgeltlichkeit der Baurechtseinräumung abhängig (§ 9 Abs 2 BauRG). Das zentrale Argument des Beklagten ist in diesem Zusammenhang lediglich, dass sich der Kläger freiwillig seines Rechts begeben habe. Dies betrifft aber nicht die Frage der Entgeltlichkeit oder Unentgeltlichkeit des Baurechtsvertrags.
8. Ob demgegenüber nach den Umständen des Einzelfalls ein
Verzicht anzunehmen ist oder nicht, stellt in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dar (RS0107199). Das ist auch hier nicht der Fall. Bedenkt man, dass ein unentgeltlicher Verzicht auf eine Rechtsausübung nur anzunehmen ist, wenn sich der Verzicht aus der Erklärung unzweifelhaft ergibt (RS0014205) oder nach völlig eindeutiger Sachlage nicht anders verstanden werden kann (RS0014190 [T5]), so ist die Ansicht des Berufungsgerichts, dass der Kläger nicht unabhängig vom Vorliegen eines wichtigen Grundes – der den Beklagten allein zum Investersatz verpflichtet hätte – auf sein Baurecht verzichten wollte, vertretbar.
9. Andere Gründe, die gegen die Berechtigung des Klagebegehrens sprechen, hat der Beklagte in seiner Revision nicht geltend gemacht. Seine Äußerung zur Revisionsbeantwortung des Klägers ist unbeachtlich. Die Revision ist daher mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den § 41, 50 ZPO.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:0090OB00032.19Z.0923.000 |
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