VfGH vom 30.11.1988, B1309/87

VfGH vom 30.11.1988, B1309/87

Sammlungsnummer

11909

Leitsatz

EStG 1972; keine Bedenken gegen die aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung erlassene Regelung des § 41 Abs 1 idF BGBl. 320/1977; keine denkunmögliche und keine gleichheitswidrige Anwendung

Spruch

Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Bf. gab für das Jahr 1984 eine Einkommensteuererklärung ab, wobei die anderen Einkünfte im Sinne des § 41 Abs 1 Z 1 EStG 1972 mehr als S 10.000,--, nämlich S 20.685,--, ausmachten. Diesen stand ein (anteiliger) Verlust aus Vermietung und Verpachtung von S 8.997,-- gegenüber, sodaß sich (saldiert) andere Einkünfte in der Höhe von S 11.688,-ergaben. Einzelheiten betreffend die Einkünfte des Bf. aus nichtselbständiger Arbeit können in diesem verfassungsgerichtlichen Verfahren außer Betracht bleiben, weil deren Beurteilung durch die bel. Beh. wie auch durch die Vorinstanz unstrittig geblieben ist.

Der Gesamtbetrag der Einkünfte des Bf. wurde mit Bescheid des zuständigen Finanzamtes vom erklärungsgemäß festgesetzt. Als Ergebnis einer Verringerung der negativen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung einer Hausgemeinschaft (als Folge der einheitlichen Gewinnfeststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO) wurden die negativen Einkünfte des Bf. aus Vermietung und Verpachtung von ursprünglich S 8.997,-- auf S 2.463,-- herabgesetzt. Als Folge hievon wurde mit Bescheid vom diese Änderung gemäß § 295 BAO derart berücksichtigt, daß der Gesamtbetrag der Einkünfte durch die Verringerung der negativen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erhöht wurde. In weiterer Folge wurden für die gleiche Hausgemeinschaft die Anteile der negativen Einkünfte des Bf. aus Vermietung und Verpachtung gemäß § 188 BAO mit Bescheid vom nunmehr auf minus S 11.290,-- erhöht. Sodann wurde der Einkommensteuerbescheid vom gemäß § 295 BAO mit Bescheid vom aufgehoben und mit Bescheid vom gleichen Tage verfügt, daß die Einkommensteuer für das Jahr 1984 gemäß § 41 Abs 1 EStG 1972 nicht veranlagt wird. In der Begründung wurde ausgeführt, daß "die Veranlagungsgrenzen des § 41 Abs 1 EStG 1972 nicht erreicht sind und ein Antrag gemäß § 41 Abs 2 EStG 1972 nicht gestellt wurde, bzw. die Voraussetzungen hiefür nicht vorliegen."

2. Dagegen hat der Bf. rechtzeitig eine näher begründete Berufung eingebracht. Darin wurde u.a. ausgeführt, bei Prüfung der Frage, ob die Voraussetzungen des § 41 Abs 1 EStG 1972 gegeben seien, sei auch zu berücksichtigen, daß der Bf. in einer Beilage zur Einkommensteuererklärung 1984 auch angegeben habe, noch steuerfreie "Zinsen aus steuerbegünstigten Wertpapieren" bezogen zu haben. Nach dem damaligen Informationsstand sei deren Höhe ohne Bedeutung gewesen. Diese Zinsen gebe er, da sie von Bedeutung geworden seien, nunmehr ziffernmäßig mit S 41.069,-- an. Er habe somit im Streitjahr außer den nichtselbständigen Einkünften noch folgende Einkünfte gehabt:

selbständige Einkünfte S

15.971,-Kapitaleinkünfte laut Veranlagung S

4.714,-Kapitaleinkünfte aus Wertpapieren S

41.069,-Vermietung und Verpachtung - S

11.290,-

Summe S 50.464,-

Damit seien die Voraussetzungen für die Durchführung einer Veranlagung nach § 41 Abs 1 Z 1 EStG 1972 gegeben.

Nach erfolgter (abweislicher) Berufungsvorentscheidung und Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde 2. Instanz hat der Bf. sein Begehren überdies auf die Bestimmung des § 41 Abs 2 EStG 1972 gestützt.

Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang, daß in den Jahren 1982 und 1983 Veranlagungen gemäß § 41 Abs 2 Z 2 - nicht jedoch nach Z 4 - EStG 1972 durchgeführt worden waren.

Die bel. Beh. hat die Berufung als unbegründet abgewiesen und in der Begründung ausgeführt, die in der Berufung angeführten steuerfreien Wertpapierzinsen seien "bei Ermittlung der Veranlagungsgrenze des § 41 Abs 1 Z 1 EStG 1972 außer Ansatz zu lassen" gewesen.

3.a) Gegen diesen Berufungsbescheid wendet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde an den VfGH, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums sowie in eventu eine Rechtsverletzung wegen Anwendung des teilweise als verfassungswidrig erachteten § 41 Abs 1 EStG 1972 behauptet und beantragt wird, den angefochtenen Bescheid kostenpflichtig aufzuheben.

b) Die bel. Beh. hat die Akten vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

c) Der Bf. hat zur Gegenschrift der bel. Beh. eine Äußerung erstattet.

II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.a) Der Bf. wirft der bel. Beh. vor, sie vertrete zu Unrecht die Ansicht, bei Beurteilung der Frage, ob die Einkünfte gemäß § 41 Abs 1 Z 1 EStG 1972 die dort festgesetzte Veranlagungsgrenze von S 10.000,-- überschreiten, hätten steuerfreie Einkünfte außer Betracht zu bleiben. Diese Auffassung widerspreche dem klaren Wortlaut des Gesetzes, der nur von "anderen Einkünften" schlechthin spreche und nicht zwischen steuerpflichtigen und steuerfreien Einkünften unterscheide. Einkünfte aus Kapitalvermögen seien im Sinne des § 2 Abs 4 Z 2 EStG 1972 "der Überschuß der Einnahmen über die Werbungskosten"; ob solche Einkünfte steuerpflichtig oder steuerfrei seien, sei für den Begriff der Einkünfte ohne Belang.

Die demgegenüber seitens der bel. Beh. vorgenommene berichtigende Auslegung stütze sich letztlich nur auf den letzten Satz des § 41 Abs 1 EStG 1972, der aber mit dem vorliegenden Beschwerdefall in keinerlei Zusammenhang stehe.

Diese Auslegung seitens der bel. Beh. wäre nur dann unbedenklich, wenn sie nicht zu anderen Resultaten führen würde als eine dem Wortlaut des Gesetzes entsprechende Auslegung. Dies treffe aber hier nicht zu, da im Falle der Veranlagung die geltend gemachten Sonderausgaben steuermindernd zu berücksichtigen wären, im Falle der Nichtveranlagung aber nicht berücksichtigt werden könnten. Für den Bf. habe kein Anlaß bestanden, die Sonderausgaben vorsichtshalber in die Lohnsteuerkarte eintragen zu lassen.

Die damit bewirkte Nichtberücksichtigung der Sonderausgaben benachteilige den Bf. gegenüber anderen Steuerpflichtigen, ohne daß dafür eine Rechtfertigung zu finden sei. Vielmehr beruhe diese Benachteiligung ausschließlich auf einer unvertretbaren und damit willkürlichen, den Wortlaut des Gesetzes berichtigenden Auslegung und führe zu einem gleichheitswidrigen Ergebnis.

b) Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz durch die bel. Beh. läge dann vor, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hätte. Beides ist hier nicht der Fall.

§ 41 Abs 1 EStG 1972 in der für den vorliegenden Fall maßgeblichen Fassung BGBl. 320/1977 (die durch die weitere Nov. BGBl. 550/1979 bewirkte Ergänzung dieser Bestimmung ist hier nicht präjudiziell) schließt die amtswegige Veranlagung zur Einkommensteuer in jenen Fällen aus, in denen neben lohnsteuerpflichtigen Einkünften die anderen Einkünfte die dort angegebenen Beträge nicht übersteigen. Diese Regelung ist aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung erlassen worden. Bei Bedachtnahme darauf kann es keineswegs als unsachlich bezeichnet werden, wenn die bel. Beh. bei Prüfung der Frage, ob die Veranlagungsgrenze des § 41 Abs 1 EStG 1972 überschritten wurde, steuerfreie Einkünfte von vorneherein außer Ansatz ließ. Diese von der bel. Beh. vertretene Auffassung wird auch durchwegs im Schrifttum vertreten (vgl. Schubert - Pokorny - Schuch Quantschnig, Einkommensteuer - Handbuch, 2. Aufl. (1985), Tz 11 zu § 41 EStG 1972; Hofstätter - Reichel, Die Einkommensteuer, Kommentar, S. 3 zu § 41 EStG 1972; Doralt - Ruppe, Grundriß des österreichischen Steuerrechts Bd I, 3. Aufl. (1986), S. 187).

Zu beachten ist auch, daß § 41 Abs 1 Z 2 EStG 1972 auf steuerabzugspflichtige Einkünfte aus Kapitalvermögen abstellt, nicht hingegen auf solche Einkünfte schlechthin, wie dies in der Beschwerde dargestellt wird. Hinzu tritt, daß die Z 1 der genannten Gesetzesstelle ausdrücklich anordnet, daß eben diese steuerabzugspflichtigen Einkünfte aus Kapitalvermögen von der Berechnung der Veranlagungsgrenze nach dieser Bestimmung ausgenommen sind.

Danach hat die bel. Beh. ihre Entscheidung auf eine zumindest vertretbare Rechtsanschauung gestützt, und es kann ihr Willkür nicht vorgeworfen werden. Dies zumal unter Berücksichtigung des weiteren Umstandes, daß § 41 Abs 2 EStG 1972 eine Veranlagung zur Einkommensteuer über Antrag vorsieht. So war auch der Bf. die beiden vorangegangenen Jahre nach § 41 Abs 2 Z 2 EStG 1972 veranlagt worden. In Fällen wie dem vorliegenden, in welchen die amtswegige Veranlagung von der ungewissen - Höhe der einheitlichen Gewinnfeststellung abhängt, kann dem Steuerpflichtigen entsprechende Vorsicht zugemutet werden, sodaß es seine Sache ist, die Berücksichtigung von Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen im Lohnsteuerabsetzungsverfahren geltend zu machen (vgl. mutatis mutandis das Erk. des ).

Der Bf. wurde deshalb nicht durch einen in die Verfassungssphäre reichenden Vollzugsfehler in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

2.a) Der Bf. vertritt des weiteren die Auffassung, der angefochtene Bescheid stelle einen Eigentumseingriff dar, beruhe auf einer denkunmöglichen Auslegung des § 41 Abs 1 Z 1 EStG 1972 und verletze ihn deshalb in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums.

b) Auch diese Behauptung ist nicht begründet; vielmehr beruht der angefochtene Bescheid, wie oben unter 1.b) dargetan wurde, auf einer vertretbaren und damit auch denkmöglichen Auslegung der zitierten Gesetzesbestimmung.

Der Bf. wurde deshalb nicht durch einen Vollzugsfehler in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt.

Im Verfahren vor dem VfGH ist auch nicht hervorgekommen, daß der Bf. in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden wäre.

3.a) Hilfsweise trägt die Beschwerde schließlich auch noch vor, daß für den Fall, daß der VfGH zur Meinung gelangen sollte, daß die von der bel. Beh. vorgenommene Auslegung gesetzeskonform sei, mit Rücksicht auf das dargestellte gleichheitswidrige Ergebnis das Gesetz als gleichheitswidrig anzusehen wäre; diesfalls möge der VfGH von Amts wegen ein Gesetzesprüfungsverfahren einleiten.

b) Der VfGH sieht sich durch das Beschwerdevorbringen nicht veranlaßt, in eine Prüfung des präjudiziellen Teiles des § 41 Abs 1 EStG 1972 einzutreten. Denn eine Regelung dieser Art ist an sich unbedenklich (so schon die Erkenntnisse des VfGH VfSlg. 4537/1963, 5484/1967, 6516/1971, 7206/1973, ergangen zu § 93 Abs 1 EStG 1953 bzw. 1967, denen im Grunde § 41 Abs 1 EStG 1972 entspricht). Auch der Bf. bringt gegen die Regelungen als solche nichts vor, sondern behauptet ihre allfällige Verfassungswidrigkeit aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles.

Dem ist entgegenzuhalten, daß ein Gesetz nicht schon dann gleichheitswidrig ist, wenn sein Ergebnis nicht in allen Fällen als befriedigend angesehen wird. Es kann nicht jede allfällige Unbilligkeit, die eine einheitliche Regelung mit sich bringt, bereits als unsachlich gewertet werden (vgl. zB VfSlg. 10455/1985). Auch wenn Härtefälle entstehen sollten, wird dadurch das Gesetz nicht gleichheitswidrig (vgl. zB VfSlg. 3568/1959, 9908/1983, 10276/1984 uva.).

Vor allem aber darf § 41 Abs 1 EStG 1972, wie dargetan, nicht isoliert betrachtet werden. Einerseits ist nämlich auf die Möglichkeit der Veranlagung über Antrag nach Abs 2 dieser Gesetzesstelle - welche im vorliegenden Fall allerdings nicht zum Tragen kam - Bedacht zu nehmen. Andererseits ist auch die Möglichkeit der rechtzeitigen Eintragung von Freibeträgen in die Lohnsteuerkarte mitzubedenken; unterläßt der Steuerpflichtige eine solche - zumutbare - rechtzeitige Eintragung von Freibeträgen in die Lohnsteuerkarte, muß er allfällige Nachteile in Kauf nehmen, die mit dieser Unterlassung verbunden sein können (vgl. zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit von - nicht abwendbaren - Nachteilen, die mit einem bestimmten Regelungssystem verbunden sein können, das Erk. des VfGH VfSlg. 11260/1987).

Der VfGH sieht sich deshalb nicht veranlaßt, aus den in der Beschwerde vorgetragenen Gründen in eine Prüfung der präjudiziellen gesetzlichen Regelung einzutreten. Auch sonst sind beim VfGH im Hinblick auf den gegenständlichen Beschwerdefall keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eben diese gesetzliche Regelung entstanden.

4. Daraus ergibt sich, daß der Bf. durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden ist.

Die Beschwerde ist somit abzuweisen.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.