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OGH vom 20.12.2016, 10ObS117/16b

OGH vom 20.12.2016, 10ObS117/16b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Hofrat Dr. Schramm als Vorsitzenden, den Hofrat Univ. Prof. Dr. Neumayr und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und ADir. Angelika Neuhauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei R*****, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl Rechtsanwaltgesellschaft mbH in Graz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung von Schwerarbeitszeiten, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 6 Rs 37/16g 11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 58 Cgs 23/16m 7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden mit der Maßgabe bestätigt, dass sie insgesamt zu lauten haben:

„Die von der klagenden Partei im Zeitraum von bis erworbenen 111 Versicherungsmonate werden als Schwerarbeitszeiten festgestellt.

Das Mehrbegehren, auch die im Zeitraum von bis erworbenen Versicherungszeiten als Schwerarbeitszeiten festzustellen, wird abgewiesen.“

Die klagende Partei hat ihre Revisionskosten selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Strittig ist allein die Rechtsfrage, ob – neben den im Zeitraum von bis erworbenen Schwerarbeitszeiten – auch die von der Klägerin im Zeitraum von bis erworbenen Versicherungszeiten als Schwerarbeitszeiten festzustellen sind. Die am geborene Klägerin war im gesamten Zeitraum von bis als diplomierte Gesundheits- und Krankenschwester (DGKS) im Landespflegezentrum S***** in B***** beschäftigt; im Zeitraum von bis war sie freigestellte Zentralbetriebsratsvorsitzende.

Mit Bescheid vom hat die beklagte Pensionsversicherungsanstalt die im Zeitraum von bis erworbenen 111 Versicherungsmonate als Schwerarbeitszeiten anerkannt und die Anerkennung von Schwerarbeitszeiten im Zeitraum von bis abgelehnt.

Die Vorinstanzen haben – ohne im Urteilsspruch den Ausspruch über das Vorliegen von Schwerarbeitszeiten im Zeitraum von bis zu wiederholen – das auf Anerkennung von Schwerarbeitszeiten im Zeitraum von bis gerichtete Klagebegehren im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass die Feststellung von Schwerarbeitszeiten die tatsächliche Ausübung von Schwerarbeit voraussetze; das Beschränkungs- und Benachteiligungsverbot des § 115 Abs 3 ArbVG richte sich nur an den Arbeitgeber.

Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen; Gründe für eine Revisionszulassung iSd Abs 1 ZPO seien nicht zu erkennen.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen diesem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision zum Zweck der Klärung der Rechtslage zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

In ihrem Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof weist die Klägerin darauf hin, dass ein Betriebsratsmitglied nicht nur im Verhältnis zum Arbeitgeber, sondern auch in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht nicht wegen der Ausübung des Mandats benachteiligt werden dürfe (etwa in Bezug auf die Qualifikation eines Unfalls als Arbeitsunfall und die Erhaltung des Berufsschutzes). Während einer Freistellung des Betriebsratsmitglieds werde die Fortsetzung der früheren Tätigkeit fingiert, was sich auch aus einer analogen Anwendung des § 115 ArbVG ergebe.

Die beklagte Partei wiederum weist in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung darauf hin, dass zwar ein Berufs- oder Tätigkeitsschutz nach §§ 255, 273 ASVG trotz Freistellung aufrecht bleibe; für die Feststellung von Schwerarbeitszeiten sei dagegen die tatsächliche Verrichtung von Schwerarbeit notwendig.

Dazu ist auszuführen:

1. Mit dem Budgetbegleitgesetz 2003 (BGBl I 2003/71) wurde für weibliche Versicherte, die – wie die Klägerin – nach dem und vor dem geboren sind, in § 607 Abs 14 ASVG die so genannte Schwerarbeitspension eingeführt, die ab Vollendung des 55. Lebensjahres angetreten werden kann. Im Dauerrecht ist im neu geschaffenen Allgemeinen Pensionsgesetz (APG) in § 4 Abs 3 und 4 eine Schwerarbeitspension vorgesehen.

Nach den Materialien zum Budgetbegleitgesetz 2003 sollen Personen mit langer Versicherungsdauer, die den Großteil der Beitragsmonate unter besonders belastenden Arbeitsbedingungen erworben haben, weiterhin die Möglichkeit haben, eine vorzeitige Alterspension anzutreten (ErläutRV 59 BlgNR 22. GP 333). Die Materialien zum Pensionsharmonisierungsgesetz führen aus, dass es Absicht des Gesetzgebers war, nur die Formen von besonders belastender Schwerarbeit und nicht jede Art der Schwerarbeit schlechthin zu erfassen (ErläutRV 653 BlgNR 22. GP 9).

2. Der Anspruch auf Schwerarbeitspension setzt gemäß § 607 Abs 14 ASVG und § 4 Abs 3 APG voraus, dass der (die) Versicherte innerhalb der letzten 240 Kalendermonate vor dem Stichtag mindestens 120 Beitragsmonate „auf Grund von Tätigkeiten, die unter körperlich oder psychisch besonders belastenden Bedingungen erbracht wurden“, erworben hat.

2.1. Auf der Grundlage der genannten Gesetzesbestimmungen wurde die Verordnung der Bundesministerin für Soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz über besonders belastende Berufstätigkeiten (im Folgenden: SchwerarbeitsV, BGBl II 2006/104) erlassen, die mit in Kraft trat. Diese Verordnung legt in ihrem § 1 fest, was unter „besonders belastenden Berufstätigkeiten“ zu verstehen ist und definiert in ihrem § 4, wodurch der Begriff „Schwerarbeitsmonat“ qualifiziert ist.

2.2. Eine besonders belastende Berufstätigkeit liegt gemäß § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV vor, wenn eine schwere körperliche Arbeit verrichtet wird. Schwere körperliche Arbeit ist dadurch definiert, dass bei einer achtstündigen Arbeitszeit von Frauen mindestens 1400 Arbeitskalorien verbraucht werden.

Nach § 3 SchwerarbeitsV ist nach den in der Anlage zur SchwerarbeitsV festgeschriebenen Grundsätzen festzustellen, ob eine bestimmte Tätigkeit als schwere körperliche Tätigkeit iSd § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV gilt. Schwere körperliche Tätigkeit setzt eine in Bezug auf Intensität oder die Dauer der Belastung über das normale Kräftepotential hinausgehende Verausgabung von Arbeitskraft voraus. Kriterien für die Einstufung sind neben der energetischen Belastung die Herz-Kreislaufbelastung sowie Belastungen des Stütz- und Bewegungsapparates ( Milisits , Schwerarbeitsverordnung [2008] 25).

2.3. Außerdem ist eine besonders belastende Berufstätigkeit nach § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV bei Tätigkeiten gegeben, die zur berufsbedingten Pflege von erkrankten oder behinderten Menschen mit besonderem Behandlungs- oder Pflegebedarf, wie beispielsweise in der Hospiz- oder Palliativmedizin, geleistet werden. Bei den in § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV beschriebenen Tätigkeiten ist nicht die physische, sondern gerade die psychische Belastung für die Qualifikation als Schwerarbeit maßgeblich (10 ObS 149/12b, SSV NF 26/86).

In dem von den Sozialversicherungsträgern in Zusammenarbeit mit dem Bundesminister für Soziales und Konsumentenschutz erarbeiteten Fragen-Antworten-Katalog zur SchwerarbeitsV wird in Teil 3 zu § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV ausgeführt, dass berufsbedingte Pflege nur dann vorliegt, wenn die Pflege im Rahmen einer Berufstätigkeit von einer hiezu ausgebildeten Person unmittelbar durchgeführt wird (ARD 5813/7/2007).

2.4. Ein Schwerarbeitsmonat iSd § 4 SchwerarbeitsV ist ein Kalendermonat, in dem eine oder mehrere Tätigkeiten nach § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV zumindest in jenem Ausmaß ausgeübt wurden, das einen Versicherungsmonat iSd § 231 Z 1 lit a ASVG begründet. Arbeitsunterbrechungen bleiben dabei außer Betracht, solange die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung weiter besteht.

3. Die bisherige höchstgerichtliche Rechtsprechung nahm zur Frage, ob und inwieweit Schwerarbeit tatsächlich ausgeübt werden muss, damit Schwerarbeitszeiten begründet werden können, folgendermaßen Stellung:

3.1. Die Entscheidungen 10 ObS 103/10k(SSV NF 24/58) und 10 ObS 23/16d betrafen einen geschäftsführenden Gesellschafter einer Diskothek, der in der Nacht und am Tag bei variierenden Öffnungszeiten arbeitete, bzw eine Diplomkrankenschwester auf einer Intensivstation, die 12–13-stündige Dienste leistete und die Umrechnung auf (fiktive) 8-Stunden-Tage begehrte.

In beiden Fällen sprach der Oberste Gerichtshof aus, dass die konkrete Ausgestaltung der vom Versicherten im maßgebenden Zeitraum verrichteten Tätigkeit für die Beurteilung als Schwerarbeitszeiten entscheidend sei. In der Entscheidung 10 ObS 23/16d wies der Oberste Gerichtshof zusätzlich darauf hin, dass maßgeblich sei, ob eine Schwerarbeit darstellende Tätigkeit tatsächlich im Mindestmaß von 15 Tagen im Kalendermonat ausgeübt worden sei.

3.2. Nach der zu einer Diplomkrankenschwester auf einer onkologischen Station ergangenen Entscheidung 10 ObS 30/16h gelten nur jene Tage als Schwerarbeitstage, an denen die besonders belastende Tätigkeit auch tatsächlich geleistet wurde, zumal das Gesetz auf tageweise Belastung abstelle.

3.3. In der Entscheidung 10 ObS 96/10f(SSV NF 24/54) qualifizierte der Oberste Gerichtshof Zeiten des Urlaubs eines LKW-Fahrers als Schwerarbeitszeiten (der LKW-Fahrer hätte während des Urlaubs, hätte er gearbeitet, Schwerarbeit verrichtet).

4. Die von der Klägerin im Zeitraum von bis tatsächlich ausgeübte Tätigkeit als diplomierte Gesundheits- und Krankenschwester (DGKS) ist unstrittig als Schwerarbeit im Sinne der Schwerarbeitsverordnung zu qualifizieren. Zu beurteilen ist allein die Frage, ob auch die unmittelbar anschließenden Zeiten der Freistellung für die Betriebsratsmandatsausübung als Schwerarbeitszeiten qualifiziert werden können.

4.1. Die in § 607 Abs 14 ASVG („Tätigkeiten … erbracht wurden“), § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV („Tätigkeiten, die geleistet werden“) und § 4 SchwerarbeitsV („Tätigkeiten … ausgeübt wurden“) verwendeten Formulierungen stellen auf die tatsächliche Erbringung von Tätigkeiten unter körperlich oder psychisch besonders belastenden Bedingungen ab.

4.2. Darauf deutet auch der – wenn auch nicht eindeutig – aus den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 653 BlgNR 22. GP 9) hervorleuchtende Zweck der Regelung hin, wonach die Anerkennung von Schwerarbeitszeiten jenen Versicherten offen stehen soll, die im Rahmen ihrer Berufstätigkeit tatsächlich besonders belastenden Formen von Schwerarbeit ausgesetzt waren.

4.3. Diese Ansicht wird auch durch die bisherige höchstgerichtliche Rechtsprechung gestützt: Der Oberste Gerichtshof hat bei der Beurteilung von Schwerarbeitszeiten auf die konkrete Ausgestaltung der vom Versicherten im maßgebenden Zeitraum verrichteten Tätigkeit abgestellt (10 ObS 103/10k, SSV NF 24/58, und 10 ObS 23/16d). Hinsichtlich der Beurteilung, ob in einem Monat ausreichend Schwerarbeitstage für eine Beurteilung als Schwerarbeitsmonat erbracht wurden, sprach der Oberste Gerichtshof aus, dass nur jene Tage als Schwerarbeitstage gelten sollen, an dem die besonders belastende Tätigkeit auch tatsächlich geleistet wurde (10 ObS 30/16h).

4.4. Als Ergebnis ist festzuhalten, dass zur Beurteilung, ob ein Schwerarbeitsmonat vorliegt, auf die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit abzustellen ist. Die Klägerin übte während des fraglichen Zeitraums ihre eigentliche Tätigkeit als DGKS nicht aus, sondern war als freigestellte Zentralbetriebsratsvorsitzende tätig. Bei dieser Tätigkeit werden nicht – wie für das Vorliegen von § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV gefordert – 1400 Arbeitskalorien pro Tag verbraucht. Ebenso wenig kommt es, mangels ausgeübter Pflegetätigkeit, zur Anwendung von § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV.

4.5. Gegen dieses Ergebnis spricht auch nicht die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Anerkennung von Zeiten des Urlaubsverbrauchs als Schwerarbeitszeiten (10 ObS 96/10f, SSV NF 24/54).

Beim Urlaubsanspruch handelt es sich um einen verpflichtenden gesetzlichen Freistellungsanspruch, der nach der Intention des Gesetzgebers vor allem der Erholung und Wiederherstellung der Arbeitskraft des Arbeitnehmers dienen soll ( Reissner in ZellKomm 2 § 2 UrlG Rz 6). Demgegenüber entscheiden Arbeitnehmer freiwillig, ob sie durch eine Mandatsausübung die Interessen der Belegschaft vertreten möchten.

Ein weiterer Wertungsunterschied in Bezug auf die mögliche fiktive Annahme von Schwerarbeitszeiten besteht im zeitlichen Ausmaß der Freistellung: Im Fall des Urlaubs geht es um ein Ausmaß von in der Regel fünf Wochen pro Urlaubsjahr, die als Schwerarbeitszeiten gewertet werden, obwohl in diesem Zeitraum tatsächlich keine Schwerarbeit geleistet wurde. Demgegenüber würde die Anerkennung von Schwerarbeitszeiten im Bereich von Freistellungen zur Mandatsausübung möglicherweise ein jahrelanges Erwerben von Schwerarbeitszeiten bedeuten, obgleich tatsächlich über mehrere Jahre hinweg keine Schwerarbeit geleistet wurde.

4.6. Aus diesen Gründen ist der Ansicht des Berufungsgerichts zuzustimmen, dass eine Anerkennung von Schwerarbeitszeiten im Zeitraum einer Freistellung zur Mandatsausübung zu verneinen ist.

5. In der Revision beruft sich die Klägerin in erster Linie auf eine Verletzung des Benachteiligungsverbots nach § 115 Abs 3 ArbVG.

5.1. Ebenso wie das Beschränkungsverbot ist das Benachteiligungsverbot in § 115 Abs 3 ArbVG geregelt. Damit wird dem Betriebsinhaber untersagt, jene Arbeitnehmer, die ein Betriebsratsmandat haben, hinsichtlich ihrer Arbeitsbedingungen zu benachteiligen ( Schneller in Gahleitner/Mosler , ArbVG III 5 [2015] § 115 Rz 29). Als Beispiele für verbotene Benachteiligungen nennt das Gesetz in einer demonstrativen Aufzählung solche hinsichtlich des Entgelts, der Aufstiegsmöglichkeiten oder Versetzungen ( Schneller in Gahleitner/Mosler , ArbVG III 5 § 115 Rz 40).

Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Benachteiligungsverbots ist, dass die Maßnahme des Betriebsinhabers (Arbeitgebers) objektiv einen Nachteil bedeutet und dass beim Arbeitgeber auch subjektiv das Motiv vorliegen muss, dem Betriebsratsmitglied wegen der Mandatsausübung diesen Nachteil zuzufügen. Nach herrschender Ansicht muss die Mandatsausübung für die Verletzung des Benachteiligungsverbots ursächlich sein ( Resch in Strasser/Jabornegg/Resch , ArbVG [19. Lfg 2007] § 115 Rz 65 mwN; Klug , Die Grundsätze der Mandatsausübung des Betriebsrates [2001] 85).

5.2. Nach der Rechtsprechung darf das Betriebsratsmitglied vom Betriebsinhaber nicht schlechter gestellt werden, als es gestellt wäre, wenn es Dienst gemacht hätte. Das Betriebsratsmitglied darf aber aus dem Mandat auch keinen Vorteil ziehen (RIS Justiz RS0051346 [T1]).

5.3. Das Oberlandesgericht Wien als seinerzeitiges Höchstgericht in Sozialversicherungssachen dehnte die Pflicht zur Gleichbehandlung von (freigestellten) Betriebsratsmitgliedern insofern auf das Leistungsrecht der Sozialversicherung aus, als es aussprach, dass die Zeit, in der ein Versicherter, der in einem erlernten oder angelernten Beruf tätig war und von dieser Arbeitsleistung als Betriebsrat freigestellt wurde, für die Beurteilung des Berufsschutzes mitzuzählen sind (OLG Wien 16 R 3/62, SSV 2/17). Die weitere Aussage, dass das freigestellte Betriebsratsmitglied weiterhin Dienstnehmer sei und wegen seiner Betriebsratstätigkeit weder eine dienstrechtliche noch eine sozialversicherungsrechtliche Benachteiligung erleiden dürfe, wurde in einer weiteren Entscheidung obiter wiederholt (OLG Wien 31 R 298/81, SSV 21/112).

6. Daraus kann jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass sich das Diskriminierungsverbot auch auf Schwerarbeitszeiten in der Form auswirkt, dass einem freigestellten Betriebsratsmitglied, das vor seiner Freistellung Schwerarbeit verrichtet hat, auch die Zeiten der Freistellung als Schwerarbeitszeiten zuzurechnen sind.

6.1. Betrachtet man die Bestimmung des § 115 Abs 3 ArbVG in ihrem Zusammenhang (systematische Auslegung), handelt es sich um eine Regelung des Betriebsverfassungsrechts, die die Beziehungen zwischen Belegschaft und Betriebsinhaber regelt. Dies spricht dafür, dass Adressat des Beschränkungs- und Benachteiligungsverbots der Betriebsinhaber bzw Arbeitgeber ist.

Auch ein Blick auf § 16 Abs 1 Betriebsrätegesetz 1947, der Vorgängerbestimmung des § 115 Abs 3 ArbVG kann für diese Ansicht ins Treffen geführt werden. § 16 Abs 1 BRG spricht davon, dass der Betriebsinhaber die Mitglieder des Betriebsrats in der Ausübung ihrer Tätigkeit nicht beschränken oder aus diesem Grund nicht benachteiligen darf.

Obwohl § 115 Abs 3 ArbVG allgemeiner formuliert ist als die Vorgängerbestimmung und den Betriebsinhaber nicht mehr erwähnt, sollten nach den Gesetzesmaterialien zum ArbVG (ErläutRV 840 BlgNR 13. GP 90) die Bestimmungen über die Grundsätze der Mandatsausübung weitgehend dem geltenden Recht entsprechen. Insofern ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber – trotz Änderung der Formulierung in § 115 Abs 3 ArbVG – die Zielrichtung (gegenüber dem Betriebsinhaber und nicht gegenüber Dritten) nicht ausweiten wollte.

Aufgrund des Entgeltschutzes dürfen freigestellte Mitglieder des Betriebsrats in Bezug auf ihr Entgelt nicht benachteiligt werden. Das bedeutet für den Fall, dass eine vor der Freistellung ausgeübte Schwerarbeit mit einem höheren Entgelt verbunden war, dass dieses höhere Entgelt auch während der Freistellung gebührt. Eine darüber hinausgehende Qualifikation der Monate der Freistellung als Schwerarbeitsmonate ist jedoch vom Entgeltschutz nicht umfasst.

6.2. Das Oberlandesgericht Wien hat in der schon genannten Entscheidung 16 R 3/62 (SSV 2/17) ausgesprochen, dass ein Mitglied des Betriebsrats wegen einer Freistellung auch keine sozialversicherungsrechtliche Benachteiligung erleiden dürfe. In dieser Entscheidung wurde die Frage bejaht, ob die Zeit der Freistellung als Ausübung des Berufs, der einen Berufsschutz vermittelte, gerechnet werden könne.

Dieser Standpunkt wurde damit begründet, dass der Gesetzgeber weder angeordnet habe, dass die Tätigkeit eines freigestellten Betriebsrats derjenigen Tätigkeit, von der er freigestellt worden sei, iSd § 255 Abs 1 und 2 ASVG gleichzusetzen sei, noch das Gegenteil angeordnet habe. Daher liege eine Gesetzeslücke vor, die – ausgehend vom erkennbaren Willen des Gesetzgebers – dadurch zu schließen sei, dass die Zeit der Freistellung als Ausübung des Berufs, der einen Berufsschutz vermittelt, zu rechnen sei.

6.3. Darin liegt ein maßgeblicher Unterschied vom hier zu entscheidenden Fall, in dem keine planwidrige Gesetzeslücke vorliegt. Wie unter 4.4. zusammenfassend dargestellt wurde, will der Gesetzgeber bei der Beurteilung, ob ein Schwerarbeitsmonat vorliegt, erkennbar auf die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit abzustellen. Wird tatsächlich keine Schwerarbeit geleistet, können auch keine Schwerarbeitszeiten erworben werden.

6.4. Der Klägerin geht es um den Erwerb von Schwerarbeitszeiten durch fiktive Ausübung von Schwerarbeit. Sie wird nicht benachteiligt, wenn der nach dem Gesetz ausschlaggebende Umstand, dass sie die belastende Tätigkeit tatsächlich nicht ausgeübt hat, zur Nichtanrechnung von Schwerarbeitszeiten führt. Im Gegenteil würde sie – wenn sie die belastende Tätigkeit tatsächlich nicht ausüben musste, aber trotzdem die Zeiten der Freistellung als Schwerarbeitszeiten qualifiziert würden – einen nicht zu rechtfertigenden Vorteil aus der Betriebsratsmitgliedschaft ziehen.

7. Der Revision ist daher nicht Folge zu geben.

7.1. Der mit Klage bekämpfte Bescheid vom hat ausschließlich die Feststellung von Schwerarbeitszeiten zum Gegenstand und bildet daher inhaltlich eine Einheit. Dies bedeutet, dass der Bescheid durch die Klageerhebung zur Gänze außer Kraft getreten ist ( Neumayr in ZellKomm 2 § 71 ASGG Rz 2 mwN). Aus diesem Grund hätte das Erstgericht auch über diejenigen Versicherungszeiten entscheiden müssen, die im Bescheid der beklagten Partei schon festgestellt sind. Diese unterlassene Entscheidung ist im Rahmen einer Maßgabebestätigung nachzuholen.

7.2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Berücksichtigungswürdige Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin, welche einen ausnahmsweisen Kostenzuspruch nach Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus dem Akteninhalt.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00117.16B.1220.000