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OGH vom 21.07.2009, 10ObS116/09w

OGH vom 21.07.2009, 10ObS116/09w

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Hon.-Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Lukas Stärker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Andrea Eisler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johann S*****, vertreten durch Mag. Michaela Trapl, Rechtsanwältin in Enns, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, wegen Ausgleichszulage, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Rs 22/09y-19, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Steyr als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 9 Cgs 210/08f-10, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat ihre Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger bezieht von der beklagten Pensionsversicherungsanstalt seit eine (derzeit ruhende) Invaliditätspension in Höhe von 525,16 EUR monatlich (2007). Zusätzlich wurde ihm ab eine Ausgleichszulage in monatlicher Höhe von 200,84 EUR zugesprochen.

Der Kläger befand sich vom bis , vom bis und vom bis in Untersuchungshaft. Zwischen diesen Untersuchungshaftzeiten verbüßte er jeweils Verwaltungs(-freiheits-)strafen Am trat er eine dreijährige gerichtliche Freiheitsstrafe an. Im Jänner 2008 bezog der Kläger ein Hausgeld in Höhe von 33,60 EUR monatlich.

Mit Bescheid vom hat die beklagte Partei den Anspruch auf Ausgleichszulage zur Invaliditätspension im Hinblick auf die Untersuchungshaft (ab ) mit für beendet erklärt. Das Gesamteinkommen des Klägers im Sinne des § 292 Abs 3 ASVG übersteige die Höhe des in Betracht kommenden Richtsatzes.

Mit späterem, auf § 101 ASVG gestützten Bescheid vom wurde dem Kläger ab eine Ausgleichszulage von monatlich 12,72 EUR und ab in Höhe von monatlich 21,59 EUR zuerkannt; weiters wurde darin festgestellt, dass der Anspruch auf die Ausgleichszulage mit ende.

Mit Urteil vom (ON 10) wies das vom Kläger mit Klage vom angerufene Erstgericht das auf Zuerkennung der Ausgleichszulage im gesetzlichen Ausmaß über den hinaus gerichtete Klagebegehren ab. Da der Kläger während der (Untersuchungs-)Haft keine Aufwendungen für Unterbringung und Verpflegung gehabt habe, seien ihm die erbrachten Leistungen anzurechnen gewesen. Nach Abzug des zweiten Frühstücks und der zweiten Jause würden diese 80 % der vollen freien Station (iSd § 1 der Verordnung über die bundeseinheitliche Bewertung bestimmter Sachbezüge) und daher im Jahr 2007 einem Betrag von 188,12 EUR und im Jahr 2008 einem Betrag von 191,32 EUR entsprechen. Zuzüglich der vor Antritt der Strafhaft geleisteten Pension seien dem Kläger daher ab Beginn der Untersuchungshaft 2007 anrechenbare Leistungen von monatlich 713,28 EUR und im Jänner 2008 aufgrund des erhaltenen Hausgeldes 750,08 EUR zur Verfügung gestanden. Da der jeweilige Ausgleichszulagenrichtsatz durch die nachträgliche Gewährung der Ausgleichszulage mit Bescheid vom somit erreicht bzw für Jänner 2008 überschritten worden sei, bestehe kein weiterer Anspruch auf Gewährung der Ausgleichszulage mehr. Ab Beginn der Strafhaft folge der Verlust der Ausgleichszulage aus § 89 Abs 1 Z 1 ASVG.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge, indem es der Klage im Sinne des Inhalts des späteren Bescheids vom stattgab und das Mehrbegehren auf Zahlung einer höheren Ausgleichszulage und einer Ausgleichszulage über den hinaus abwies.

Grundsätzlich wäre zwar die rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustands durch den Versicherungsträger wegen eines offenkundigen Versehens gemäß § 101 ASVG nach Erhebung einer Klage nicht mehr möglich. Ein dennoch erlassener Bescheid sei aber nicht unbeachtlich. Da der Kläger im anhängigen Gerichtsverfahren das Klagebegehren auch im Hinblick auf den neuen Bescheid aufrecht erhalten habe, sei durch die Klagserhebung nicht nur der ursprüngliche Bescheid vom , sondern auch der spätere Bescheid vom außer Kraft getreten.

Zu dem für die Bemessung der Ausgleichszulage maßgeblichen Nettoeinkommen zählten nach § 292 Abs 3 ASVG sämtliche Einkünfte in Geld oder Geldeswert. Für die Bewertung der Sachbezüge gelte, dass gemäß § 292 Abs 3 ASVG als Wert der vollen freien Station für 2007 ein Betrag von 235,15 EUR und für 2008 ein Betrag von 239,15 EUR heranzuziehen sei. Nach § 1 der Verordnung über die bundeseinheitliche Bewertung bestimmter Sachbezüge (idF BGBl II 2003/582, 2004/467, 2008/371, 2008/468) sei im Wert der vollen freien Station die Wohnung (ohne Beheizung und Beleuchtung) mit einem Zehntel, die Beheizung und Beleuchtung mit einem Zehntel, das erste und zweite Frühstück mit je einem Zehntel, das Mittagessen mit drei Zehntel, die Jause mit einem Zehntel und das Abendessen mit zwei Zehntel enthalten.

Die während der Untersuchungshaft erbrachten Sachbezüge seien bei der Berechnung des Nettoeinkommens als geldwerte Leistungen zu berücksichtigen, weil während der Haftzeiten für Kost und Logis gesorgt gewesen sei; dadurch habe sich der Kläger entsprechende Ausgaben erspart. Abzüglich des (nicht thematisierten) zweiten Frühstücks und der zweiten Jause lägen daher Einkünfte in Geldeswert im Umfang von 80 % der vollen freien Station vor, somit in Höhe von 188,12 EUR monatlich im Jahr 2007 und 191,32 EUR monatlich im Jahr 2008. Zuzüglich der vor Antritt der Strafhaft geleisteten Pension von monatlich 525,16 EUR seien dem Kläger daher ab Beginn der Untersuchungshaft im Jahr 2007 anrechenbare Leistungen von monatlich 713,28 EUR zur Verfügung gestanden und im Jänner 2008 (aufgrund der gesetzlichen Pensionserhöhung, aber ohne Hausgeld) 725,54 EUR. Der Ausgleichszulagenrichtsatz für Pensionsberechtigte aus eigener Pensionsversicherung habe im Jahr 2007 726 EUR und im Jahr 2008 747 EUR betragen. Die Differenz zum Richtsatz (von 726 EUR) betrage daher ab 12,72 EUR monatlich. Ob durch Anrechnung des Hausgeldes ab Jänner 2008 allenfalls die Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes überschritten wäre, könne im Hinblick auf die Anerkenntnisfiktion nach § 71 Abs 2 ASGG dahingestellt bleiben; trotz Erwähnung des Hausgeldes habe die beklagte Partei die Ausgleichszulage in der Höhe von 21,59 EUR gewährt.

Auf eine höhere Ausgleichszulage habe der Kläger hingegen keinen Anspruch: Es existiere auch keine rechtliche Grundlage, die die Anrechnung von Kost und Logis während längerer Krankenhausaufenthalte ausschließen würde. Insgesamt sei der Bescheid, soweit er dem Kläger eine Ausgleichszulage bis gewährt habe, zu wiederholen.

Nicht berechtigt sei die Berufung, soweit sie die Abweisung des Klagebegehrens ab , also für die Zeit während der Strafhaft bekämpfe: Die Ruhensbestimmung des § 89 Abs 1 Z 1 ASVG, wonach die Leistungsansprüche in der Pensionsversicherung ruhen, solange der Anspruchsberechtigte eine Freiheitsstrafe verbüße, gelte im Sinne des § 295 Abs 1 ASVG auch für die Ausgleichszulage. Da für den Kläger während seiner Strafhaft aus öffentlichen Mitteln in anderer Weise (als durch die Pensionsleistung samt Ausgleichszulage) vorgesorgt werde, trete ein Ruhen des Anspruchs auf Ausgleichszulage ein.

Die Revision sei zulässig, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Anrechnung von Kost und Logis auf die Ausgleichszulage während der Untersuchungshaft vorhanden sei.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der klagenden Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im gänzlich klagsstattgebenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

Der Kläger gesteht in seiner Revision zu, dass er sich während der Untersuchungshaft Ausgaben für Kost und Logis erspart habe; allerdings sei nicht nachvollziehbar, warum ihm diese Ausgabenersparnis mit genau 80 % des Werts der vollen freien Station angerechnet werde. Zutreffenderweise wäre konkret zu erheben gewesen, wie viel er sich - ausgehend von „der von ihm tatsächlich zu zahlenden Miete, Heizung, der Aufwendungen für Lebensmittel, etc" - tatsächlich während der Untersuchungshaft erspart habe. Im Übrigen habe er bei einem längeren Krankenhausaufenthalt bislang überhaupt keine Kürzung der Ausgleichszulage erfahren müssen, weshalb die Anrechnung der in der Untersuchungshaft erbrachten Leistungen eine sachlich nicht begründbare Ungleichbehandlung zu einem Krankenhausaufenthalt darstelle. Der Wegfall der Ausgleichszulage mit im Hinblick auf den Antritt der Strafhaft sei ungerechtfertigt, weil der Kläger dadurch nicht in der Lage sei, Vorsorge für die Zeit nach seiner Entlassung zu treffen und eine Resozialisierung in die Gesellschaft zu erreichen. Letztlich verstoße § 89 Abs 1 Z 1 ASVG gegen Gemeinschaftsrecht, weil nach dem Informationsstand des Klägers insbesondere in Deutschland die Ausgleichszulage auch während der Strafhaft weitergewährt werde; im Vergleich zu einem deutschen Bezieher einer Ausgleichszulage werde er unsachlich benachteiligt.

Dazu wurde erwogen:

1. Zum Zweck der Ausgleichszulage:

Erreichen Pension und sonstiges Nettoeinkommen nicht den anzuwendenden Ausgleichszulagenrichtsatz, hat der Pensionsberechtigte Anspruch auf Ausgleichszulage (§ 292 Abs 1 ASVG). Bei dieser Leistung handelt es sich nicht um eine Versicherungsleistung im engeren Sinn, sondern um eine Leistung mit Fürsorgecharakter (Sozialhilfecharakter), die das Existenzminimum des Pensionisten sichern soll (RIS-Justiz RS0085127). In das Nettoeinkommen sind sämtliche Einkünfte in Geld und Geldeswert einzubeziehen (siehe § 292 Abs 3 ASVG). Dem Fürsorgeprinzip entsprechend wird individuell geprüft, inwieweit der Versicherte ausreichend versorgt ist (Brodil/Windisch-Graetz, Sozialrecht in Grundzügen5 [2005] 152). Bestimmte Geldleistungen, die der Versicherte bezieht, werden allerdings ausdrücklich von der Anrechnung ausgenommen (§ 292 Abs 4 ASVG). Verschiedene Anrechnungen erfolgen aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung und der Gleichbehandlung pauschal, etwa diejenigen nach § 292 Abs 3 und 8 sowie § 294 Abs 1 lit c ASVG (siehe VfGH G 60/92 ua = VfSlg 13.634).

Dass auch Sachbezüge anzurechnen sind, ergibt sich aus § 292 Abs 3 Satz 2 ASVG. Demnach gilt für die Bewertung der Sachbezüge die Bewertung für Zwecke der Lohnsteuer mit der Maßgabe, dass als Wert der vollen freien Station ein jährlich aufzuwertender Betrag heranzuziehen ist (2007: 235,15 EUR; 2008: 239,15 EUR).

In den Gesetzesmaterialien zur 41. ASVG-Novelle (774 BlgNR 16. GP 43) hat der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der teilweisen Neufassung des zweiten Satzes des § 292 Abs 3 ASVG mit besonderer Deutlichkeit darauf hingewiesen, dass „im Übrigen" allen weiteren Regelungen der Finanzverwaltung in diesen Belangen, insbesondere hinsichtlich der teilweisen Gewährung der freien Station weiterhin ungeschmälerte Geltung zukomme (10 ObS 83/89 = SSV-NF 3/36). Nach § 1 Abs 1 der Sachbezugswerteverordnung BGBl II 2001/416 idgF sind im Wert der vollen freien Station die Wohnung (ohne Beheizung und Beleuchtung) mit einem Zehntel, die Beheizung und Beleuchtung mit einem Zehntel, das erste und zweite Frühstück mit je einem Zehntel, das Mittagessen mit drei Zehntel, die Jause mit einem Zehntel und das Abendessen mit zwei Zehntel enthalten.

2. Zum Anspruch auf Ausgleichszulage während der Untersuchungshaft (bis ):

Den Vorinstanzen ist zuzustimmen, dass die in der Untersuchungshaft erbrachten Leistungen für Unterkunft und Verpflegung grundsätzlich als geldwerte Einkünfte anrechenbar sind und dass - ausgehend von dem in § 292 Abs 3 Satz 2 ASVG normierten Wert - für die Bewertung einzelner Leistungen die Sachbezugswerteverordnung heranzuziehen ist. Dieser Grundsatz gilt uneingeschränkt für die Verpflegung, für die ein Untersuchungsgefangener - anders als ein Strafgefangener (§ 32 StVG) - keine Kosten zu tragen hat.

Von einem Untersuchungsgefangenen kann allerdings nicht verlangt werden, dass er eine bestehende entgeltliche Wohnmöglichkeit im Hinblick auf die Haft sofort aufgibt. Darauf, dass auch beim Kläger, der in der Revision selbst zugesteht, sich während der Untersuchungshaft „Ausgaben für Kost und Logis erspart" zu haben, weiterlaufende Kosten in welcher Höhe immer entstanden wären, gibt es jedoch im Verfahren keine Hinweise. Auch in seinen Rechtsmitteln, in denen er ohne nähere Konkretisierung lediglich eine genaue Berechnung der genauen Ersparnis verlangt, findet sich dazu kein Vorbringen zur konkreten Höhe allenfalls weiterlaufender Kosten.

Somit ist der die höchstgerichtliche Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0085224) berücksichtigenden Berechnung der Vorinstanzen zu folgen, die eine Anrechnung im Ausmaß von 80 % des Werts der vollen Station vorgenommen haben.

Nicht unerwähnt soll bleiben, dass auch ein in stationäre Krankenhausbehandlung der allgemeinen Gebührenklasse aufgenommener Patient einen bestimmten Kostenbeitrag pro Verpflegstag zu leisten hat (§ 27a Abs 1 KAKuG; § 447f ASVG).

In Bezug auf die Unterbrechungen der Untersuchungshaft gibt es keine Hinweise, dass auch die Verköstigung des Klägers unterbrochen worden wäre.

3. Zum Anspruch auf Ausgleichszulage während der Strafhaft (ab ):

Von gewissen, hier nicht relevanten Ausnahmen abgesehen sind nach § 295 Abs 1 ASVG auf die Ausgleichszulage die Bestimmungen über Pensionen anzuwenden. In diesem Sinne ist auch § 89 Abs 1 Z 1 ASVG über das Ruhen der Leistungsansprüche aus der Pensionsversicherung im Fall einer Strafhaft anzuwenden. Im Übrigen liegt der Zweck der Ausgleichszulage nicht darin, dem Strafgefangenen das Ansparen von Mitteln für die spätere Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu ermöglichen.

Dass es in einem anderen EU-Mitgliedstaat möglicherweise eine andere Regelung gibt, macht die österreichische Regelung nicht per se „EU-widrig".

4. Damit muss die Revision des Klägers erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.