VfGH vom 06.03.1996, B1266/95
Sammlungsnummer
14456
Leitsatz
Aufhebung eines Ersatzbescheides nach aufhebendem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes; Erstreckung der Bindungswirkung auf nicht ausdrücklich behandelte, jedoch eine notwendige Vorausetzung für den Inhalt des aufhebenden Erkenntnisses darstellende Fragen; Unzulässigkeit der neuerlichen Aufwerfung bereits behandelter Rechtsfragen durch Annahme der Festsetzungsverjährung
Spruch
Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit S 18.000,- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.1. Die beschwerdeführende Gesellschaft stellte am den Antrag, die Sonderabgabe von Erdöl für die Zeiträume von April 1987 bis Juli 1989 und September 1989 bis Oktober 1993 - abweichend von den eingereichten Anmeldungen gemäß § 201 BAO - entsprechend den berichtigten Anmeldungen festzusetzen. Gegen den diesen Antrag abweisenden, letztinstanzlichen Bescheid vom erhob die beschwerdeführende Gesellschaft Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof. Aus Anlaß dieser Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof ein amtswegiges Gesetzesprüfungsverfahren ein und hob mit Erkenntnis vom , G250/93 ua., eine bestimmte Wortfolge im § 4 des Bundesgesetzes vom , mit dem eine Sonderabgabe von Erdöl erhoben wird, BGBl. 554, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. 557/1985, 312/1987, 29/1991, (SEG), als verfassungswidrig auf. Auf Grund der Anlaßfallwirkung im Sinne des Art 140 Abs 7 B-VG wurde mit Erkenntnis vom , B325/94, auch der Bescheid aufgehoben, weil die beschwerdeführende Gesellschaft durch diesen wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes offenkundig in ihren Rechten verletzt worden war.
1.2. In der Folge erließ die belangte Behörde einen Ersatzbescheid, mit dem sie für die Monate April 1987 bis Dezember 1987 die Berufung der beschwerdeführenden Gesellschaft mit der Begründung neuerlich abwies, daß hinsichtlich dieser Monate "im Zeitpunkt der Antragstellung die Festsetzungsverjährung ... bereits eingetreten war". (Hinsichtlich der übrigen Monate wurde entsprechend dem verfassungsgerichtlichen Erkenntnis mit Berufungsvorentscheidung die Sonderabgabe von Erdöl auf Grund der bereinigten Rechtslage jeweils mit S 0,- festgesetzt.)
1.3. Gegen den die Berufung abweisenden (Ersatz-)Bescheid richtet sich nunmehr die vorliegende Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte sowie die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes gerügt wird. Eben jene Bestimmung, auf welche die Behörde den Bescheid stützte, sei als verfassungswidrig aufgehoben worden. Die belangte Behörde habe es verabsäumt, mit den ihr zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.
Die belangte Behörde habe auch die Verjährungsvorschriften unrichtig ausgelegt. Gemäß § 201 BAO bestehe einerseits das Recht der Abgabenbehörde, einen Abgabenbescheid zu erlassen, wenn der Abgabenpflichtige den Abgabenanspruch des Staates selbst zu niedrig berechnet hat, anderseits aber auch die Pflicht der Abgabenbehörde, einen Abgabenbescheid zu erlassen, wenn der Abgabenpflichtige seine Abgabenschuld selbst zu hoch berechnet hat. Gemäß § 207 Abs 1 BAO könne aber nur das Recht der Abgabenbehörde, einen Abgabenbescheid zu erlassen, verjähren. Eine Verjährung der Pflicht der Abgabenbehörde, zu hoch berechnete und bezahlte Beträge rückzuerstatten, kenne die BAO aber nicht. Daß keine Verjährung dieser Pflicht der Abgabenbehörde existiere, ergebe sich auch klar aus § 208 Abs 1 BAO, der den Beginn der Verjährungsfrist an die Entstehung des "Abgabenanspruches" knüpft.
2. Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift und beantragte die Abweisung der Beschwerde. Entgegen der Meinung der beschwerdeführenden Gesellschaft sei hinsichtlich des Zeitraumes April 1987 bis Dezember 1987 eine (Neu-)Festsetzung der Sonderabgabe von Erdöl nicht durchzuführen gewesen. Die beschwerdeführende Gesellschaft unterstelle, daß der Verfassungsgerichtshof nach Aufhebung der Wortfolge in § 4 Z 2 SEG verpflichtet gewesen wäre, den angefochtenen Bescheid selbst auch im Hinblick auf seine einfachgesetzliche Rechtmäßigkeit in jede Richtung und somit auch im Hinblick auf eine allfällige Festsetzungsverjährung für alle antragsgegenständlichen Besteuerungszeiträume zu prüfen. Eine derartige Verpflichtung bestehe aber seit der B-VG-Novelle 1984 nicht mehr.
Die belangte Behörde sei vielmehr im fortgesetzten Verfahren verpflichtet gewesen, die als verfassungswidrig befundene Vorschrift nicht mehr anzuwenden und gemäß § 87 Abs 2 VerfGG mit den ihr zu Gebote stehenden Mitteln den der Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen. Da der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , B325/94, keine bindende Aussage bezüglich der Frage der Verjährung getroffen habe, sei die belangte Behörde verpflichtet gewesen, im Rahmen der neuerlichen Entscheidung über die gegenständliche Berufung die eingetretene Festsetzungsverjährung wahrzunehmen.
Selbstbemessungsabgaben unterlägen nach herrschender Auffassung der Festsetzungsverjährung. Der Eintritt der Verjährung sei im Abgabenverfahren von Amts wegen zu beachten.
§201 BAO verpflichte die Abgabenbehörde in Verbindung mit § 114 und § 115 BAO immer zur Erlassung eines Abgabenbescheides, wenn sich die Selbstberechnung nicht als richtig erweist, unabhängig davon, ob diese zu hoch oder zu niedrig war. Dem Wortlaut des § 201 BAO sei keine Differenzierung zwischen dem Recht der Abgabenbehörde zur Festsetzung bei zu niedriger Selbstberechnung und einer Pflicht zur Festsetzung bei zu hoher Selbstberechnung zu entnehmen. Es sei unzulässig, auf Grund einer solchen Unterscheidung die Verjährungsbestimmung des § 207 Abs 1 BAO einseitig auf zu niedrig selbstberechnete Abgaben zu beschränken.
Zwar knüpfe § 208 Abs 1 lita BAO den Beginn der Verjährungsfristen an den Zeitpunkt der Entstehung des Abgabenanspruches, doch habe dies mit dem Umfang der Verjährung nach § 207 Abs 1 BAO nichts zu tun. Damit werde nämlich lediglich ein objektiv feststellbarer Zeitpunkt für den Beginn der Verjährungsfristen festgelegt. Der Wortlaut der Verjährungsbestimmungen zwinge jedenfalls nicht zu den von der beschwerdeführenden Gesellschaft vertretenen Auslegung. Sinn und Zweck der Verjährungsbestimmungen sei vor allem, daß infolge Zeitablaufes Rechtsfriede eintrete und Beweisschwierigkeiten vorgebeugt werde. Diese Normzwecke würden es verbieten, in der Verjährung lediglich einen Schutz vor höheren Abgabenfestsetzungen zu erblicken.
II. 1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B325/94, wurde der Beschwerde gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , mit dem die Berufung der beschwerdeführenden Gesellschaft wegen Festsetzung der Sonderabgabe von Erdöl abgewiesen wurde, wegen Rechtsverletzung durch Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes stattgegeben. Eine Änderung der Sach- und Rechtslage ist im relevanten Zeitraum nicht eingetreten.
Die Wirkung dieses Spruches des Verfassungsgerichtshofes ist in § 87 Abs 2 VerfGG geregelt: Die Verwaltungsbehörden sind verpflichtet, in dem betreffenden Fall mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen. Wie der Verfassungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, trifft diese Verpflichtung nicht nur die Verwaltungsbehörde, deren Bescheid aufgehoben wurde, sondern die Verwaltungsbehörden ganz allgemein (VfSlg. 3802/1960). Ein Verstoß gegen dieses Gebot verletzt den Beschwerdeführer im selben Recht wie der aufgehobene Bescheid (VfSlg. 6043/1969, 6869/1972, 8397/1978, 8571/1979, 10220/1984).
Die Bindung an die vom Verfassungsgerichtshof im ersten Rechtsgang geäußerte Rechtsansicht erstreckt sich auch auf solche Fragen, die der Verfassungsgerichtshof zwar nicht ausdrücklich behandelt hat, die aber eine notwendige Voraussetzung für den Inhalt seines aufhebenden Erkenntnisses darstellen. Demgemäß setzt etwa die Aufhebung eines Bescheides wegen Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften die Bejahung der Zuständigkeit der belangten Behörde voraus, und gleiches muß für die Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gelten (vgl. zB. VfSlg. 4250/1962, 8536/1979, 8571/1979, 10220/1984).
Der mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B325/94, aufgehobene Bescheid wies eine Berufung gegen den einen Berichtigungsantrag abweisenden, auch die Monate April 1987 bis Dezember 1987 betreffenden Bescheid in Anwendung der dann vom Verfassungsgerichtshof aufgehobenen Wortfolge des § 4 Z 2 SEG ab. Die (- nunmehr von der belangten Behörde mit negativem Ergebnis angestellten -) Erwägungen zur Festsetzungsverjährung bilden eine Voraussetzung für die seinerzeitige Entscheidung. Ihrer Heranziehung im angefochtenen (Ersatz-)Bescheid läuft die Bindungswirkung des aufhebenden Erkenntnisses zu B325/94 zuwider, weil es nicht der Sinn eines verfassungsgerichtlichen Verfahrens sein kann, der Behörde mit der Verpflichtung zur Erlassung eines Ersatzbescheides die Möglichkeit zu verschaffen, eine bereits im ersten Rechtsgang wahrzunehmende Rechtsfrage ohne Berücksichtigung der im aufhebenden Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes niedergelegten Rechtsanschauung neu aufzuwerfen.
Die Behörde hat die beschwerdeführende Gesellschaft demnach so zu stellen, als hätte die bereinigte Rechtslage bereits zum Zeitpunkt der Erlassung des seinerzeit angefochtenen Bescheides gegolten.
Der Bescheid ist somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes aufzuheben.
3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VerfGG. Im zugesprochenen Betrag sind S 3.000,- an Umsatzsteuer enthalten.
4. Da von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung des Sachverhaltes zu erwarten war, hat der Verfassungsgerichtshof von einer mündlichen Verhandlung abgesehen (§19 Abs 4 VerfGG).