OGH vom 18.07.2017, 10Ob24/17b
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Schramm, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der Pflegschaftssache der am ***** 2007 geborenen T*****, vertreten durch das Land Wien als Kinder und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, Rechtsvertretung für die Bezirke 14, 15 und 16, 1150 Wien, Gasgasse 8–10/1/3), über den Revisionsrekurs des Kindes gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 44 R 511/16x24, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Fünfhaus vom , GZ 33 Pu 38/16z19, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Der Vater, der sonst keine Sorgepflichten hat(te), verpflichtete sich am mit Unterhaltsvereinbarung nach § 210 Abs 2 ABGB zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 230 EUR ab . Bemessungsgrundlage war sein damaliges Arbeitseinkommen von 1.602 EUR monatlich.
Am beantragte das Kind Titelvorschüsse nach §§ 3, 4 Z 1 UVG. Der Vater habe den laufenden Unterhalt nach Eintritt der Vollstreckbarkeit des Unterhaltstitels nicht zur Gänze bezahlt. Die Exekutionsführung scheine aussichtslos, weil sich der Vater in Serbien aufhalte, um seinen Vater zu pflegen. Dem Antrag angeschlossen war ein mit der Mutter aufgenommenes Protokoll. Danach hat der Vater Ende August 2016 angekündigt, nach Serbien zu fahren, um seinen kranken Vater zu pflegen. Zum Geburtstag des Kindes im Oktober 2016 wollte er wieder zurück sein. Beigefügt war zudem (unter anderem) ein Auszug aus dem AJWeb vom , wonach der Vater bis Notstandshilfe bzw Überbrückungshilfe bezogen hat.
Mit Beschluss vom wies das Erstgericht den Antrag auf Gewährung von Titelvorschüssen ab. Es hielt die Exekutionsführung deshalb für nicht aussichtslos, weil der Vater seit beim AMS arbeitssuchend gemeldet sei und Arbeitslosengeld beziehe. Sein Aufenthalt in Serbien sei nur vorübergehend.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Kindes nicht Folge. In der rechtlichen Beurteilung verneinte es aufgrund des temporären Auslandsaufenthalts des Vaters, der zum Zeitpunkt der Antragstellung keine Notstandshilfe bezogen habe, einen Anwendungsfall des § 3 Z 2 zweiter Halbsatz UVG. Es forderte den Versuch des Kindes, den laufenden Unterhalt im Weg einer Fahrnisexekution, kombiniert mit einer Exekution nach § 372 EO hereinzubringen. Aufgrund des nur vorübergehenden Aufenthalts des Vaters in Serbien und seiner aufrechten Meldung in Österreich könne nicht per se von der Aussichtslosigkeit einer Fahrnisexekution ausgegangen werden.
Über Antrag des Kindes ließ das Rekursgericht nachträglich den Revisionsrekurs zu.
Rechtliche Beurteilung
Der – nicht beantwortete – Revisionsrekurs des Kindes ist zur Klarstellung zulässig, er ist aber nicht berechtigt.
1. Die Gewährung eines Vorschusses im Sinn des § 3 Z 2 zweiter Halbsatz UVG (Auslandsaufenthalt des Unterhaltsschuldners) ist kein Thema des Verfahrens.
2. Der Unterschied zwischen den Vorschussgründen nach § 3 Z 2 UVG und dem nach § 4 Z 1 UVG liegt nur darin, dass bei letzterem das Erfordernis des erfolglosen Versuchs einer Exekution wegfällt. Dem Antragsteller soll nach der als Sonderfall zu § 3 UVG geregelten Bestimmung des § 4 Z 1 UVG die Exekutionsführung als Voraussetzung einer Vorschussgewährung dann erspart bleiben, wenn bereits aufgrund der objektiven Lage zur Zeit der Beschlussfassung erster Instanz eine Exekutionsführung für jedermann aussichtslos erscheinen muss (RISJustiz RS0108900 [T2], 2 Ob 241/01g). Aussichtslosigkeit einer Exekution im Sinne des § 4 Z 1 UVG bedeutet Aussichtslosigkeit einer Exekutionsführung nach § 3 Z 2 UVG (RISJustiz RS0076048).
3. Maßgeblicher Stichtag für das Vorliegen der Voraussetzungen für die Vorschussgewährung ist im Unterhaltsvorschussverfahren stets das Datum der Entscheidung erster Instanz (RISJustiz RS0076052 [T5]). Auch für die Beurteilung, ob der Anschein der Aussichtslosigkeit der Exekutionsführung gegeben ist, ist die objektive Lage zu diesem Zeitpunkt entscheidend (RISJustiz RS0076052 [T1]).
4. § 3 Z 2 UVG setzt bei Geldunterhaltspflichtigen mit laufenden Entgeltansprüchen (Lohn, Gehalt, sonstige fortlaufende Bezüge) einen Exekutionsantrag nach § 294a (oder auch nach § 294 EO) und bei Geldunterhaltspflichtigen ohne laufende Bezüge im Sinne des § 290a EO einen Antrag auf Fahrnisexekution, kombiniert mit einer Exekution nach § 372 EO voraus.
5. Der geldunterhaltspflichtige Vater war nach der Aktenlage zum Zeitpunkt des Abschlusses der Unterhaltsvereinbarung (Unterhaltstitel) am unselbständig tätig und ging einer Vollzeitbeschäftigung nach. Nach Verlust seines Arbeitsplatzes war er seit als arbeitssuchend beim zuständigen AMS gemeldet. Vom bis war er geringfügig beschäftigter Arbeiter. Arbeitslosengeld bezog er bis Mai 2016. Er hielt sich nur vorübergehend zur Pflege seines Vaters in Serbien auf. Einnahmequellen in Serbien sind nicht bekannt. Der Bezug der Notstandshilfe war (als Folge des Auslandsaufenthalts) nach der Aktenlage vom bis unterbrochen. Ab bezog er wieder laufend Notstandshilfe von täglich 28,94 EUR (AS 75). Auf Basis dieses Notstandshilfebezugs wurde seine Unterhaltspflicht mit rechtskräftigem Beschluss des Erstgerichts vom (ON 26) ab auf 107 EUR monatlich herabgesetzt.
6. Die Tatsache des Arbeitsplatzverlusts ändert nichts an der grundsätzlichen Einordnung des Vaters in die Gruppe der unselbständig Erwerbstätigen (vgl Neumayr in Schwimann/Kodek I4§ 3 UVG Rz 23 mwN). Entscheidend für die Beurteilung, ob ein Unterhaltsschuldner in die von § 3 Z 2 erster Fall UVG erfassten Schuldner mit verpflichtender Exekutionsführung nach § 294a EO einzustufen ist, oder zu jener Gruppe gehört, gegen die erfolglose Fahrnisexekution kombiniert mit Exekution nach § 372 EO geführt werden muss, ist nämlich seine sozialwirtschaftliche Einordnung (2 Ob 241/01g; Neumayr in Schwimann/Kodek I4§ 3 UVG Rz 23, § 4 UVG Rz 2 mwN). Da es für die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen im Sinne des § 3 genügt, einen der beiden in § 3 Z 2 UVG angeführten exekutiven Wege zu starten, reicht es auch im Fall des § 4 Z 1 UVG aus, dass bei einem Unterhaltsschuldner mit fortlaufenden Bezügen eine Lohnexekution aussichtslos erscheint. Eine weitere Bescheinigung, dass auch eine Fahrnisexekution mit Exekution zur Sicherstellung nach § 372 EO aussichtslos erscheint, ist nicht erforderlich, selbst wenn sich der Unterhaltsschuldner zwischen Exekutionsantrag und Vorschussantrag selbständig gemacht hätte (Neumayr in Schwimann/Kodek I4§ 4 UVG Rz 2 mwN). Für eine selbständige Erwerbstätigkeit des Vaters gibt es hier ohnehin keinen Anhaltspunkt.
7. Im Fall eines Antrags auf echte Titelvorschüsse nach §§ 3, 4 Z 1 UVG sind Vorschüsse nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG idF des FamRÄG 2009 ausnahmsweise ganz oder teilweise zu versagen, wenn sich die materielle Unrichtigkeit des Titels aus der Aktenlage ergibt (10 Ob 37/16p, RISJustiz RS0076391 [T16]). Der aufgrund des Exekutionstitels gewährte Vorschuss soll der jeweiligen materiellen gesetzlichen Unterhaltspflicht entsprechen (10 Ob 43/13s; RISJustiz RS0076391 [T15]; Neumayr in Schwimann/Kodek I4§ 7 UVG Rz 1), um eine Belastung des Staats mit zu hohen, offensichtlich nicht der gesetzlichen Unterhaltspflicht entsprechenden Unterhaltsvorschüssen zu verhindern (vgl Neumayr in Schwimann/Kodek I4, § 7 UVG Rz 1).
8. Ungeachtet des strengen Maßstabs, den die Rechtsprechung an die von Amts wegen vorzunehmende Prüfung der Voraussetzungen für die Versagung der Unterhaltsvorschüsse im Sinne des § 7 Abs 1 Z 1 UVG anlegt (RISJustiz RS0108443), ist aufgrund der zwischenzeitlichen Änderung der Einkommensverhältnisse des Vaters von der materiellen Unrichtigkeit des Unterhaltstitels auszugehen. Zwar sollen im Vorschussverfahren weder ein Unterhaltsherabsetzungsverfahren noch eine vollständige Nachprüfung des Titels erfolgen (10 Ob 37/16p, RISJustiz RS0076391 [T17]; Neumayr in Schwimann/Kodek I4§ 7 UVG Rz 7). Der Vater bezog jedoch nach Verlust seines Arbeitsplatzes zunächst Arbeitslosengeld und ab August 2016 – mit Unterbrechung durch den Auslandsaufenthalt – Notstandshilfe. Die Reduktion seines Einkommens – im Vergleich zum Arbeitseinkommen um nahezu die Hälfte – führte – rückwirkend mit Beschluss vom – ab zur rechtskräftigen Herabsetzung seiner monatlichen Unterhaltspflicht von 230 EUR auf 107 EUR. Damit ist klar, dass sowohl zum Zeitpunkt der Einbringung des Antrags auf Gewährung von Titelvorschüssen am als auch zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz neun Tage später, der Unterhaltstitel über 230 EUR nicht mehr der materiellrechtlichen gesetzlichen Unterhaltspflicht entsprach.
9. Bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Gewährung des Titelvorschusses nach § 4 Z 1 UVG, also der Aussichtslosigkeit einer Exekution ist somit von einem Unterhaltstitel über 107 EUR monatlich auszugehen. Grundsätzlich muss das Kind konkrete Umstände, die für die Aussichtslosigkeit sprechen, bereits im Antrag darlegen (10 Ob 47/10z: RISJustiz RS0088823). Dass in jenen Zeiträumen, in denen der Vater Notstandshilfe bezog, eine Exekution auf die laufenden Bezüge zur Hereinbringung dieses Unterhaltsbetrags aussichtslos gewesen sei, hat das Kind nicht behauptet. Es begründete die Aussichtslosigkeit einer Exekution mit einem Auslandsaufenthalt des Unterhaltsschuldners, der jedoch nach der Aktenlage zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits beendet war.
10. Im Ergebnis zutreffend hat das Rekursgericht die Voraussetzungen für die Gewährung von Titelvorschüssen im Sinne des § 4 Z 1 UVG verneint.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2017:0100OB00024.17B.0718.000 |
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