OGH vom 30.09.2014, 10Ob23/14a
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen L*****, geboren am , in Pflege und Erziehung der Mutter S*****, vertreten durch das Land Oberösterreich als Kinder und Jugendhilfeträger (Bezirkshauptmannschaft Gmunden, 4810 Gmunden, Esplanade 10), wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Linz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom , GZ 21 R 298/13t 38, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Gmunden vom , GZ 1 Pu 223/09k 33, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Dem Minderjährigen wurden mit rechtskräftigem Beschluss des Erstgerichts vom (ON 25) Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Höhe von 137 EUR monatlich für die Zeit vom bis weitergewährt. Im Oktober 2013 teilte der Kinder- und Jugendhilfeträger dem Erstgericht mit, dass der Minderjährige seit eine Doppellehre als Schalungsbauer und Maurer absolviert. Aus der angeschlossenen Verdienstabrechnung für September 2013 geht hervor, dass der Minderjährige für diesen Monat eine Lehrlingsentschädigung von 836,59 EUR netto bezog. Aus der Verdienstabrechnung geht weiters hervor, dass der Minderjährige die ausgewiesene Lehrlingsentschädigung mit Ausnahme eines geringen Vorschusses von 10 EUR erst am Monatsende ausbezahlt erhält.
Das Erstgericht stellte mit Beschluss vom die Unterhaltsvorschüsse gemäß § 20 UVG mit Ablauf des Monats September 2013 ein. Der Minderjährige beziehe seit ein monatlich anrechenbares Eigeneinkommen von 978 EUR inklusive anteiliger Sonderzahlungen und sei damit als selbsterhaltungsfähig anzusehen.
Das Rekursgericht gab dem auf die Einstellung der Unterhaltsvorschüsse bereits mit Ablauf des Monats August 2013 gerichteten Rekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Linz, nicht Folge. Bei der Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit komme es sehr wesentlich auf die tatsächliche Verfügbarkeit von Geldmitteln zur Bestreitung der mit dem Lebensunterhalt verbundenen notwendigen Auslagen an. Daher sei die Selbsterhaltungsfähigkeit erst mit Ablauf des Monats anzunehmen, in welchem die erste Lohnauszahlung erfolge. Hier habe der Minderjährige seine Lehrlingsentschädigung mit Ausnahme des geringfügigen Vorschusses von 10 EUR erst am Ende des Monats September 2013 erhalten. Daher seien die Unterhaltsvorschüsse erst mit Ablauf dieses Monats einzustellen.
Das Rekursgericht sprach aus, der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil keine jüngere Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage des Einstellungszeitpunkts der Unterhaltsvorschüsse bei Bezug einer Lehrlingsentschädigung vorliege und die Entscheidung 5 Ob 523/94 einen nicht völlig vergleichbaren Sachverhalt betroffen habe.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Linz, wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass die Unterhaltsvorschüsse bereits mit Ablauf des Monats August 2013 eingestellt werden.
Der Kinder und Jugendhilfeträger beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.
Die Revisionsrekurswerberin beruft sich darauf, gemäß § 20 Abs 2 UVG sei die Einstellung gegebenenfalls rückwirkend mit Ablauf des Monats anzuordnen, in dem der Einstellungsgrund eingetreten sei. Trete der Grund im Lauf eines Monats ein, gebühre der bisherige Vorschuss noch für den gesamten Monat. Bei Eintritt des Einstellungsgrundes spätestens mit 0:00 Uhr des Monatsersten sei die Einstellung bereits zu diesem Monatsersten zu verfügen. Wenn an einem Monatsersten eine Arbeitsstelle angetreten werde, seien die Unterhaltsvorschüsse bereits für diesen Monat einzustellen. Der Minderjährige habe seit ein monatliches Eigeneinkommen von 978 EUR inklusive der anteiligen Sonderzahlungen bezogen und sei damit als selbsterhaltungsfähig anzusehen. Auch wenn er erst am Monatsende über sein Arbeitseinkommen habe verfügen können, stehe der vom Rekursgericht vertretenen Rechtsansicht der Umstand entgegen, dass es bei dieser Auslegung gerade im häufigen Fall der Aufnahme eines Arbeits oder Lehrverhältnisses mit dem Ersten des Monats durchwegs zu einer Doppelversorgung des Kindes für den jeweils ersten Monat der verminderten oder entfallenen Unterhaltspflicht käme.
Diesen Ausführungen vermag sich der Oberste Gerichtshof nicht anzuschließen.
1. Die elterliche Unterhaltspflicht entfällt mit Erreichung der Selbsterhaltungsfähigkeit. Sie tritt unabhängig vom Kindesalter dann ein, wenn das Kind die bei selbständiger Haushaltsführung für eine Deckung des angemessenen Lebensbedarfs erforderlichen Mittel entweder aus Vermögenserträgnissen besitzt, selbst erwirbt oder aufgrund zumutbarer Beschäftigung zu erwerben im Stande ist. Bei wie vorliegend einfachen und durchschnittlichen Verhältnissen orientiert sich die Rechtsprechung an der sozialversicherungsrechtlichen Mindestpension; das ist der Richtsatz für die Ausgleichszulage nach § 293 Abs 1 lit a bb und b ASVG, die im Jahr 2013 rund 927 EUR monatlich betrug (vgl Neuhauser in Schwimann/Kodek , ABGB 4 Ia [KindNamRÄG 2013] § 231 Rz 393 und 400 mwN).
2. Nach § 1418 Satz 2 ABGB sind Alimente wenigstens auf einen Monat im Voraus zu bezahlen. Diese Vorausleistung soll rechtzeitig die Mittel gewähren, sodass der Unterhaltsberechtigte keinen Mangel leidet ( Reischauer in Rummel , ABGB³ § 1418 Rz 2 mwN). Die Rechtsprechung leitet aus § 1418 Satz 2 ABGB ab, dass einerseits der Zeitraum eines Monats und hier gemeint eines Kalendermonats als regelhafte Unterhaltszahlungsperiode bestimmt ist und andererseits Unterhaltsleistungen in Geld bereits am Monatsersten im Vorhinein fällig sind ( Stabentheiner in Kletečka/Schauer , ABGB ON 1.02 § 1418 Rz 3; Heidinger in Schwimann , ABGB³ § 1418 Rz 2 mwN). Aus dieser vereinfachend auf Kalendermonate abstellenden Judikatur zur Vorauszahlungspflicht ergibt sich weiters, dass sich die Änderung der für die Unterhaltspflicht maßgebenden Verhältnisse erst mit dem darauf folgenden Monatsersten auswirkt, also erst mit dieser geringfügigen zeitlichen Verzögerung eine Erhöhung oder Herabsetzung der Unterhaltspflicht auslösen kann. Nach der Regelung des § 1418 zweiter Satz ABGB entfalten daher geänderte Umstände, also auch Gründe, die eine Herabsetzung oder Einstellung des Unterhalts rechtfertigen, ihre Wirksamkeit immer erst mit dem darauf folgenden Monatsersten ( Stabentheiner in Kletečka/Schauer , ABGB ON 1.02 § 1418 Rz 5 und 13; Reischauer in Rummel , ABGB³ § 1418 Rz 2 jeweils mwN).
2.1. Wenn der Unterhaltsberechtigte während der gesetzlichen Alimentationsperiode, also während des (Kalender )Monats stirbt, so haben seine Erben nach § 1418 dritter Satz ABGB den aufgrund des Todes nicht mehr verbrauchten Anteil der Unterhaltsleistung nicht an den Unterhaltsschuldner zurückzuzahlen. Nach Lehre und Rechtsprechung wird diese Regelung über den Ausschluss einer anteiligen Rückzahlungspflicht auch auf den Eintritt sonstiger Endigungsgründe während des Monats wie zB den Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit analog angewendet (vgl Stabentheiner in Kletečka/Schauer , ABGB ON 1.02 § 1418 Rz 14; Reischauer in Rummel , ABGB³ § 1418 Rz 3 jeweils mwN). Dieser Ansicht hat sich der Oberste Gerichtshof zumindest für den Fall angeschlossen, in dem nicht dargetan wird, dass der gemäß § 1418 zweiter Satz ABGB am Ersten des Monats schon fällig gewesene Unterhaltsbetrag wegen der neu eingetretenen Umstände die Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten erheblich übersteigt (vgl RIS Justiz RS0033385). Darüber hinaus wurde in der Entscheidung 1 Ob 109/99g (= RIS Justiz RS0111944) ganz allgemein die Ansicht vertreten, dass der im Lauf des Monats eintretende Herabsetzungsgrund die Verringerung der Unterhaltspflicht erst mit dem nächsten Monatsersten rechtfertigt (vgl in diesem Sinne auch Stabentheiner in Kletečka/Schauer , ABGB ON 1.02 § 1418 Rz 5).
3. Auch im Unterhaltsvorschussverfahren werden alle für die Gewährung und Einstellung maßgeblichen Ereignisse bei allen Vorschussformen monatsbezogen erfasst. Ist das die Bevorschussung auslösende Ereignis (etwa Haft) erst am letzten Tag des Monats eingetreten und langt an diesem Tag der Vorschussantrag noch bei Gericht ein, so gebühren die Vorschüsse ab dem Monatsersten und nicht erst für den Folgemonat. Ereignet sich andererseits während des Laufs von Vorschüssen ein Umstand, der eine Herabsetzung oder Einstellung rechtfertigt, so kann diese nicht mit dem Ereignis eintreten, sondern erst mit dem Ablauf des Monats erfolgen. Eine Aliquotierung für Bruchteile von Monaten ist dem UVG fremd ( Neumayr in Schwimann/Kodek , ABGB 4 § 8 UVG Rz 3 mwN).
3.1. Das materielle Erlöschen der Unterhaltspflicht führt sowohl bei Titelvorschüssen als auch bei Richtsatzvorschüssen zur Einstellung der Unterhaltsvorschüsse. Es sind daher gemäß § 20 Abs 1 Z 4 lit b UVG die Vorschüsse auf Antrag oder von Amts wegen einzustellen, wenn nach § 7 Abs 1 die Vorschüsse zur Gänze zu versagen sind. Ist daher der Unterhaltsberechtigte aufgrund eines entsprechenden Eigeneinkommens als selbsterhaltungsfähig anzusehen und fällt damit die im Titel festgesetzte Unterhaltspflicht materiell weg, sind Vorschüsse im Sinn des § 20 Abs 1 Z 4 lit b UVG einzustellen. Diese Einstellung ist, gegebenenfalls rückwirkend mit Ablauf des Monats anzuordnen, in dem der Einstellungsgrund eingetreten ist (vgl § 20 Abs 2 UVG).
3.2. Diese Formulierung in § 20 Abs 2 UVG, wonach die Einstellung mit Ablauf des Monats anzuordnen ist, in dem der Einstellungsgrund eingetreten ist, wird so interpretiert, dass bei Eintritt des Einstellungsgrundes sozusagen spätestens mit 0:00 Uhr des Monatsersten bereits zu diesem Monatsersten die Einstellung verfügt werden kann. Lagen daher etwa die Voraussetzungen für eine Vorschussgewährung (materiell) von vornherein nicht vor, ist die Einstellung bereits ab dem ersten Tag der Vorschussgewährung anzuordnen. In der Entscheidung 5 Ob 523/94 wurde als obiter dictum die Ansicht vertreten, dass bei Antritt des Präsenzdienstes durch den unterhaltspflichtigen Vater an einem Monatsersten bereits mit diesem Monatsersten eine Minderung seiner Unterhaltspflicht auf den nach dem Heeresgebührengesetz für die Kinder gebührenden Familienunterhalt eingetreten ist.
4. Im vorliegenden Fall ist jedoch die Frage zu beurteilen, mit welchem Zeitpunkt die dem Minderjährigen gewährten Unterhaltsvorschüsse im Hinblick auf die bei ihm aufgrund seines mit angetretenen Lehrverhältnisses geleistete Lehrlingsentschädigung eingetretene Selbsterhaltungsfähigkeit gemäß § 20 UVG einzustellen sind. Da eine Selbsterhaltungsfähigkeit in der Regel erst dann eingetreten ist, wenn der Minderjährige über die für eine Deckung des angemessenen Lebensbedarfs erforderlichen Mittel verfügt , ist nach zutreffender Rechtsansicht des Rekursgerichts der Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit erst mit Ablauf des Monats anzunehmen, in welchem die erste Lohnauszahlung erfolgte.
5. Auch eine Einstellung der Vorschüsse wegen Eigeneinkommens hat daher erst mit Ablauf desjenigen Monats zu erfolgen, in dem die erste Lohnauszahlung erfolgt (vgl Neumayr in Schwimann/Kodek , ABGB 4 § 20 UVG Rz 16 mwN; Gitschthaler in seiner Entscheidungsbesprechung in EF Z 2014/51, 82). Da die somit maßgebende Auszahlung der Lehrlingsentschädigung an den Minderjährigen mit Ausnahme des geringfügigen Vorschusses von 10 EUR unstrittig erst am Ende des Monats September 2013 erfolgte, waren auch die Unterhaltsvorschüsse nach zutreffender Rechtsansicht der Vorinstanzen erst mit Ablauf dieses Monats einzustellen. Eine ungerechtfertigte Doppelversorgung des Minderjährigen für diesen Monat lag daher nicht vor.
5.1. Der Revisionsrekurs muss somit erfolglos bleiben.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2014:0100OB00023.14A.0930.000