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OGH vom 30.05.1985, 7Ob568/84

OGH vom 30.05.1985, 7Ob568/84

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl, Dr. Wurz und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Irmgard A, Hausfrau in Salzburg, Herrenau 30, vertreten durch Dr. Reinhold Möbius, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei Helmut EBERL, Angestellter, Hallein, Schöndorferplatz 13, vertreten durch Dr. Walter Nimführ, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Feststellung des besseren Erbrechtes und der Ungültigkeit eines Testaments, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom , GZ 4 R 220/83-73, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom , GZ 10 Cg 76/78-66, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird mit der Maßgabe bestätigt, daß der Todestag der Erblasserin Franziska B statt richtig zu lauten hat.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 4.889,40

bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 1.200,-- Barauslagen und S 335,40 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin, zu deren Gunsten die am im 83. Lebensjahr verstorbene Franziska B am ein notarielles Testament errichtet hat, begehrt die Feststellung, daß eine weitere, von Franziska B am zu Gunsten des Beklagten errichtete letztwillige Anordnung ungültig sei und daß ihr auf Grund des späteren Testamentes das Erbrecht zustehe.

Der Erstrichter gab diesem Klagebegehren statt. Er kam nach Darstellung aller widersprüchlichen Verfahrensergebnisse zur Ansicht, es sei dem für den Ausnahmszustand beweispflichtigen Beklagten trotz der für seinen Standpunkt sprechenden medizinischen Sachverständigengutachten der Beweis nicht gelungen, daß die Klägerin am testierunfähig gewesen sei. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab. Es gelangte auf Grund der im Einvernehmen mit den Parteien durchgeführten Verlesung der gesamten im erstinstanzlichen Verfahren aufgenommenen Beweise zu der zusammenfassenden neuen Feststellung, daß Ende Juni/Anfang Juli 1977 bereits die volle Entmündigung der Erblasserin angezeigt gewesen wäre. Sie war jedenfalls schon vor dem in ihrer freien Willensbildung sehr weitgehend verhindert. Die Errichtung des Testamentes zu Gunsten der Klägerin erfolgte unter dem Einfluß einer depressiven psychotischen Verstimmung und wäre ohne diesen Einfluß mit großer Wahrscheinlichkeit nicht erfolgt. Am Tag der Testamentserrichtung war die Erblasserin so verwirrt, daß sich ihr Hausarzt Dr. C veranlaßt sah, eine Begleitperson für den Weg nach Hause herbeizurufen. Mit dieser Begleitperson (Elisabeth D) ging die Erblasserin zum Notar Dr. E, mit dem sie bereits eine Woche vorher einen Termin für die Testamentserrichtung vereinbart hatte. Obgleich diesem Zeugen während der etwa halbstündigen Unterredung und Abfassung des Testamentes keinerlei geistige Beeinträchtigung der Erblasserin auffiel und diese noch am selben Tag und auch die Tage darauf in der Lage war, Einkäufe zu erledigen, zur Schneiderin zu gehen, Geldabhebungen bei der Sparkasse vorzunehmen und längere Gespräche mit Bekannten zu führen, wobei sie auf zahlreiche Personen ihres Bekannten- und Freundeskreises einen völlig normalen Eindruck machte, konnte das Berufungsgericht dennoch nicht als erwiesen annehmen, daß die Erblasserin im Zeitpunkte der Testamentserrichtung am in einem lichten Augenblick gehandelt habe, der ihr eine völlig freie Willensentschließung erlaubt hätte. Nach der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes trifft wohl den Beklagten die Beweislast für die Testierunfähigkeit der Erblasserin im Zeitpunkte der Verfassung des zweiten, zu Gunsten der Klägerin errichteten Testamentes. Die volle Besonnenheit und damit Testierfähigkeit im Sinne der §§ 565 ff ABGB fehle aber nicht nur dann, wenn beim Erblasser nicht einmal das Bewußtsein vorhanden sei, ein Testament zu errichten, und er den Inhalt seiner Verfügung gar nicht verstehen könne. Vielmehr gehöre zum Wesen der Testierfähigkeit die Freiheit von Wahnvorstellungen, sodaß eine letztwillige Erklärung nur dann Gültigkeit beanspruchen könne, wenn sie auf einer freien Willensentschließung beruhe. Sei die normale Freiheit zur Willensbildung aufgehoben, dann fehle die Testierfähigkeit. Die volle Besonnenheit des Erblassers im Sinne des § 565

ABGB setze die Fähigkeit zur Willensbildung voraus. Der Beklagte, der die Gültigkeit des zweiten Testamentes bestreite, habe seiner Beweispflicht durch den Nachweis genügt, daß im Zeitpunkte der Testamentserrichtung eine die Testierfähigkeit ausschließende geistige Erkrankung der Erblasserin vorlag.

Dem Testamentserben obliege dann gemäß § 567 ABGB der Gegenbeweis, daß die Erblasserin zur Zeit der letzten Anordnung bei voller Besonnenheit gewesen sei, also in einem lichten Augenblick gehandelt habe. Zur Beweislastverschiebung auf den (späteren) Testamentserben genüge es, daß sich der Erblasser zur Zeit der letzten Anordnung nachgewiesenermaßen in einem Dauerzustand befunden habe, der die volle Besonnenheit (hier die normale Freiheit zur Willensbildung) in der Regel ausgeschlossen habe. Im vorliegenden Fall habe der Erblasserin die normale Freiheit zur Willensentschließung gefehlt, weshalb das Testament vom zu Gunsten der Klägerin ungültig sei.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Berufungsgericht für zulässig erklärte Revision der Klägerin ist nicht berechtigt.

Im hier gegebenen Streitwertbereich kann die sogenannte Zulassungsrevision gemäß § 503 Abs. 2 ZPO idF der ZV-Novelle 1983 aus den Gründen des § 503

Abs.1 überdies nur begehrt werden, weil das Urteil des Berufungsgerichtes auf der unrichtigen Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts beruht, der erhebliche Bedeutung im Sinn des § 502 Abs. 4

Z 1 zukommt. Eine solche erhebliche Rechtsfrage hat das Berufungsgericht im materiellrechtlichen Bereich darin erblickt, daß die Lehre einen Widerspruch zwischen der höchstgerichtlichen Judikatur und der vom Berufungsgericht vertretenen Auffassung vom Wesen der Testierfähigkeit zu erkennen glaube. Die Anführung dieses Zulassunggrundes durch das Berufungsgericht hindert allerdings den Rechtsmittelwerber nicht daran, auch andere Rechtsfragen des materiellen oder des Verfahrensrechtes geltend zu machen, soferne diesen ebenfalls erhebliche Bedeutung im Sinn des § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO zukommt (4 Ob 395/83 ua).

Der von der Revisionswerberin in diesem Sinn geltend gemachte Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des (Berufungs-)Verfahrens erreicht jedoch nicht dieses Gewicht. Ein Verstoß des Berufungsgerichtes gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz wäre allerdings geeignet, die Rechtseinheit und Rechtssicherheit in erheblichem Maße zu gefährden (1 Ob 660/84 ua). Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin liegt aber ein solcher Verstoß ungeachtet der neuen Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichtes ohne neuerliche Anhörung der Hauptzeugen nicht vor. Die Klägerin übersieht, daß § 281a ZPO iVm § 463 Abs. 1 ZPO die mittelbare Beweisaufnahme und damit auch die Umwürdigung der in erster Instanz aufgenommenen Beweise durch das Berufungsgericht erlaubt, wenn nicht eine der Parteien ausdrücklich das Gegenteil beantragt. Im vorliegenden Fall wurden vom Berufungsgericht die Beweisergebnisse erster Instanz im Einverständnis mit beiden Parteien verlesen. Dieser Vorgang begegnet hier umso weniger Bedenken (vgl. Petrasch, Die ZVN 1983, ÖJZ 1985, 263), als der Erstrichter in einer der Prozeßordnung widersprechenden Weise bloß alle Beweisergebnisse in ihrer Widersprüchlichkeit dargestellt und die einzige zusammenfassende Feststellung infolge einer vom Berufungsgericht mit Recht mißbilligten Beweislastverteilung getroffen hat, auf die noch einzugehen sein wird.

Die Behauptung der Revisionswerberin, daß das Berufungsgericht Tatumstände, die nach den Denkgesetzen auf die Bildung der richterlichen überzeugung von Einfluß sein müßten, vollständig übergangen habe, stellt in Wahrheit eine von der Klägerin selbst als unzulässig erkannte Bekämpfung der vorinstanzlichen Beweiswürdigung dar. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 510 Abs. 3 ZPO abgesehen.

Eine Aktenwidrigkeit, wie sie die Revisionswerberin weiters behauptet, kann grundsätzlich keine unrichtige Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechtes oder des Verfahrensrechtes darstellen. Nur am Rande mag deshalb bemerkt werden, daß die Feststellung des Berufungsgerichtes über die Notwendigkeit einer Begleitung der Erblasserin am beim Weggehen von ihrem Hausarzt Dr. C in dessen Zeugenaussage (wonach die Erblasserin im maßgebenden Zeitraum häufig zeitlich und örtlich nicht orientiert war, sodaß er Bedenken hatte, sie von seiner Ordination alleine nach Haus gehen zu lassen; S. 26, 269 ff) ebenso wie in der Aussage der Zeugin Elisabeth D (wonach diese Zeugin am von der Assistentin des Dr. C angerufen wurde, daß sie die Erblasserin dort abholen solle;

S.41, 287) ohnehin Deckung findet.

In ihrer Rechtsrüge weicht die Revisionswerberin zum Teil in unzulässiger Weise von den maßgebenden Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichtes ab.

Wohl ist die Frage, ob im Testierzeitpunkt die im § 566 ABGB erwähnten geistigen Gebrechen vorliegen, eine Rechtsfrage, deren Beantwortung dem Richter obliegt. Die hier getroffenen Feststellungen aber, daß im Zeitpunkte der Testamentserrichtung bereits die volle Entmündigung der Erblasserin angezeigt gewesen wäre (die Umschreibung des Zeitraumes Ende Juni/Anfang Juli 1977 trifft durchaus auch den Tag der Testamentserrichtung), daß sie weiters schon vor dem in ihrer freien Willensbildung sehr weitgehend verhindert war und daß die Testamentserrichtung zu Gunsten der Klägerin ohne den Einfluß einer depressiven psychotischen Verstimmung mit großer Wahrscheinlichkeit nicht erfolgt wäre, sodaß auch nicht erwiesen ist, daß Franziska B im Zustande eines lichten Zwischenraumes testiert hat, betreffen durchwegs Tatfragen, deren Beurteilung durch die letzte Tatsacheninstanz im Revisionsverfahren nicht mehr angefochten werden kann.

Dabei kommt auch dem Umstand keine entscheidende Bedeutung zu, daß eine volle Entmündigung noch nicht tatsächlich vorlag. Es genügt die Feststellung, daß sie bereits angezeigt gewesen wäre. Als erhebliche Rechtsfrage des materiellen Rechtes, deren unrichtige Beurteilung die Revisionswerberin behauptet, bleibt demnach nur die Frage übrig, ob Testierunfähigkeit im Sinn der §§ 565 f ABGB den vollkommenen Mangel an Besonnenheit und die völlig aufgehobene Freiheit der Willensentschließung voraussetzt oder ob im Sinne der Beurteilung des Berufungsgerichtes bereits eine solche Beeinträchtigung genügt, die einer freien Willensbildung entgegenstand. Die vom Berufungsgericht vertretene zweite Auffassung entspricht aber der ständigen neuen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, wonach die für die Gültigkeit eines Testamentes erforderliche volle Besonnenheit fehlt, wenn der Erblasser zwar den Willen hat, ein Testament zu errichten, und auch in der Lage ist, zu erkennen, daß er ein Testament errichtet, die normale Freiheit seiner Willensbildung aber aufgehoben ist (EvBl.1968/191, SZ 51/8, SZ 52/111 u.v.a.). Gerade auch die von der Revisionswerberin bezogene Entscheidung SZ 52/173 = JBl.1980, 534 = NZ 1980, 153 hat im gleichen Sinn zwar nicht die Erfassung der Tragweite der letztwilligen Anordnung in ihrem vollen Umfang und in ihrer vollen Konsequenz als maßgeblich bezeichnet, wohl aber die normale Freiheit der Willensentschließung des Erblassers gefordert. Der wahre Wille zur Errichtung einer letztwilligen Erklärung fehlt demnach immer dann, wenn Verstandesgebrauch und freie Willkür fehlen, also auch bei anderen als den in § 566 ABGB angeführten dauernden oder vorübergehenden Störungen, die die normale Freiheit der Willensentschließung aufheben. Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin handelt es sich im vorliegenden Fall auch nicht darum, daß ein erklärter Wille nicht voll überlegt war, sondern um eine Äußerung innerhalb eines Dauerzustandes schwer beeinträchtigter Willensbildung.

Die zutreffende Rechtsansicht des Berufungsgerichtes über die Beweislastverteilung (Kralik, Erbrecht 96; SZ 51/8) wird in der Revision nicht mehr bekämpft. Das gleiche gilt für die Frage, ob die zu Gunsten des Beklagten getroffene letztwillige Verfügung ein Testament enthält; darauf kommt es schon deshalb nicht an, weil die Klägerin ihr Erbrecht nicht beweisen konnte und demnach schon ihre aktive Klagslegitimation fehlt (vgl. SZ 55/143).

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.