VfGH vom 06.06.2005, B1136/04
Sammlungsnummer
17525
Leitsatz
Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal durch die Entscheidung der - als Kollegialorgan mit richterlichem Einschlag eingerichteten - Umlegungsoberbehörde in einem - zivilrechtliche Ansprüche betreffenden - Baulandumlegungsverfahren nach dem Tiroler Raumordnungsgesetz 2001; Erweckung von Zweifeln an der Unbefangenheit und Unparteilichkeit dieser Mitglieder in Folge Erstattung von Gutachten durch zwei sachkundige stimmführende Mitglieder als Amtssachverständige
Spruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem durch Art 6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Tirol ist verpflichtet, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.340,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1. Das Amt der Tiroler Landesregierung leitete als Umlegungsbehörde mit Verordnung vom , kundgemacht im Amtsblatt "Bote für Tirol" am , das Baulandumlegungsverfahren "Stoanach" in der Gemeinde Thaur ein, in das auch die Grundstücke Nr. 1161, 1162, 1169 und 1170, in EZ 90040, einbezogen wurden. Die Umlegungsbehörde stellte gemäß § 75 TROG 2001 mit rechtskräftigem Bescheid vom die Grenzen der umzulegenden Grundstücke (ua. Grundstücke Nr. 1161, 1162, 1169 und 1170) fest. Mit dem auf § 84 TROG 2001 gestützten Umlegungsbescheid vom , kundgemacht durch Auflegung zur allgemeinen Einsicht im Gemeindeamt der Gemeinde Thaur vom 10. September bis , wurde die Neuregelung der Grundstücksordnung vorgenommen: Hinsichtlich der im Zuge des Baulandumlegungsverfahrens aufzubringenden Wegfläche zur Erschließung des Umlegungsgebietes ist eine Fläche von 3.220,80 m² aufzubringen. Der Beschwerdeführer hat neben anderen Grundstückseigentümern gemäß § 77 Abs 1 TROG 2001 eine Fläche von 317,60 m² entschädigungslos an die Gemeinde abzutreten. Als Geldabfindung zum Ausgleich für Abweichungen zwischen eingebrachten und zugewiesenen Grundstücken wurden dem Beschwerdeführer gemäß § 78 iVm § 84 Abs 1 lite TROG 2001 2.107,49 €
zugesprochen. Es wurden mit dem Umlegungsbescheid gemäß § 84 ua. folgende, den Beschwerdeführer betreffende Grundbuchshandlungen im GB 81015 Thaur gesetzt: in EZ 90040 die Löschung der Grundstücke Nr. 1161, 1162, 1169 und 1170 und die Ersichtlichmachung des neu gebildeten Grundstücks Nr. 4171.
Die Umlegungsoberbehörde beim Amt der Tiroler Landesregierung wies die dagegen erhobene Berufung mit bekämpftem Bescheid vom als unbegründet ab. Im Berufungsverfahren wurde das Ermittlungsverfahren durch eine örtliche mündliche Verhandlung am ergänzt. An dieser Verhandlung nahmen die beiden Mitglieder der Umlegungsoberbehörde teil, die über besondere Kenntnisse und Erfahrungen auf den Gebieten der Raumordnung und Baulandumlegung verfügen (vgl. § 89 Abs 1 litd TROG 2001). Von diesen wurde nach einer weiteren örtlichen Erhebung am die gemeinsame "fachtechnische Stellungnahme" vom erstattet.
2. In der auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerde wird die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG), auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG), auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal (Art6 EMRK) und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs 2 B-VG) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt.
In ihrem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal erachten sich die Beschwerdeführer verletzt, da der belangten Behörde zwei Mitglieder angehört hätten, die jedenfalls teilweise eine Sachverständigenfunktion im Verfahren innegehabt hätten. So sei von zwei Mitgliedern der Umlegungsoberbehörde am eine fachliche Stellungnahme abgegeben worden, auf die sich der angefochtene Bescheid auch stütze.
3. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Die "fachtechnische Stellungnahme" vom sei für die Entscheidung der belangten Behörde keineswegs ausschlaggebend gewesen und bilde keine tragende Begründung des angefochtenen Bescheides. Die Qualifizierung der Verkehrsflächen im Umlegungsgebiet als nur der inneren Erschließung dienende Gemeindestraßen im Sinne des § 77 Abs 1 TROG 2001 und nicht als Gemeindestraßen im Sinne des § 77 Abs 2 TROG 2001 ergebe sich bereits aus dem Bebauungsplan.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Gemäß § 88 Abs 2 Tiroler Raumordnungsgesetz 2001, LGBl. Nr. 93/2001 (in der Folge: TROG 2001) entscheidet über Berufungen gegen Bescheide der Umlegungsbehörde (gemäß Abs 1 das Amt der Tiroler Landesregierung) die Umlegungsoberbehörde. Gegen die Entscheidungen der Umlegungsoberbehörde ist ein ordentliches Rechtsmittel nicht zulässig. Die Entscheidungen unterliegen auch nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg. Der beim Amt der Tiroler Landesregierung eingerichteten Umlegungsoberbehörde - einer Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag - gehören gemäß § 89 Abs 1 TROG 2001 an:
"a) ein rechtskundiger Bediensteter des Amtes der Tiroler Landesregierung als Vorsitzender;
b) ein weiterer rechtskundiger Bediensteter des Amtes der Tiroler Landesregierung als Berichterstatter;
c) ein Mitglied aus dem Richterstand;
d) zwei weitere Bedienstete des Amtes der Tiroler Landesregierung, von denen jeweils einer über besondere Kenntnisse und Erfahrungen auf den Gebieten der Raumordnung und der Baulandumlegung verfügt."
Die Mitglieder der Umlegungsoberbehörde sind gemäß § 89 Abs 2 TROG 2001 von der Landesregierung auf die Dauer von fünf Jahren zu bestellen. Sie sind bei der Ausübung ihres Amtes an keine Weisungen gebunden (Abs4).
§ 89 Abs 1 TROG 2001 sieht ausdrücklich die Mitwirkung von zwei Bediensteten des Amtes der Tiroler Landesregierung vor, von denen jeweils einer über besondere Kenntnisse und Erfahrungen auf den Gebieten der Raumordnung und der Baulandumlegung verfügt. Dieser besondere Sachverstand bewirkt jedoch nicht, dass sie dadurch im Kollegialorgan als Sachverständige im Sinne des § 52 AVG tätig werden. Der Sachverstand bildet zwar eine Voraussetzung für die Mitgliedschaft zur Umlegungsoberbehörde; damit ist aber nicht die Stellung als Amtssachverständiger verbunden, sodass sich die Annahme einer "Doppelfunktion" verbietet (zum verfassungsrechtlichen Gebot des Art 12 Abs 2 B-VG, "Sachverständige" als stimmberechtigte Mitglieder der Agrarsenate heranzuziehen vgl. VfSlg. 8544/1979, 8796/1980, 9120/1981).
2. Gemäß § 77 Abs 4 TROG 2001 ist ein Eigentümer eines Grundstückes oder Grundstücksteiles, für den sich durch das Umlegungsverfahren kein Vorteil oder nur ein geringer Vorteil im Hinblick auf die bauliche Nutzbarkeit oder die verkehrsmäßige Erschließung des betreffenden Grundstückes bzw. Grundstücksteiles ergibt, von der Verpflichtung zur Grundaufbringung nach den Abs 1 und 2 ganz oder zu einem entsprechenden Teil zu befreien. Wenn Grundflächen für den Neubau, Ausbau oder die Verlegung von Gemeindestraßen, die nicht nur der inneren Erschließung des Umlegungsgebietes dienen, benötigt werden, hat der Eigentümer gemäß Abs 2 einen Anspruch auf Vergütung gegenüber der Gemeinde für die Aufbringung jener Grundflächen, die im Hinblick auf die höhere Verkehrsbedeutung der Straße zusätzlich benötigt werden.
Der Beschwerdeführer rügt, dass zwei sachkundige Mitglieder der Umlegungsoberbehörde im Verfahren einerseits als Stimmführer und andererseits als Gutachter aufgetreten sind.
Wie sich aus den Verwaltungsakten ergibt, haben die auf den Gebieten der Raumordnung und der Baulandumlegung erfahrenen Mitglieder der Umlegungsoberbehörde am eine schriftliche "fachtechnische Stellungnahme zur Berufung" erstattet. Hiebei handelt es sich nicht nur um eine fachkundige, schriftlich niedergelegte Meinung, sondern um die Aufnahme eines Beweises durch Sachverständige iSd § 52 Abs 1 AVG, also um ein Gutachten zweier Sachverständiger. Denn in dieser von der Behörde mit Schreiben vom in Auftrag gegebenen "Stellungnahme (im Wesentlichen Befund)" werden auf Basis der Aktenlage, einer mündlichen Verhandlung mit Lokalaugenschein, des Örtlichen Raumordnungskonzeptes, des Flächenwidmungsplans und des Bebauungsplans, von Lageplänen, der Darlegungen des "Operationsleiters" und des rechtsfreundlich vertretenen Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung unter anderem die Fragen geklärt, ob das neu geformte Grundstück Nr. 4171 gegenüber den Flächen des alten Standes eine wesentlich bessere bauliche Nutzung und verkehrsmäßige Erschließung aufweise und ob die neu geformte Wegparzelle 4161 nicht nur der inneren Erschließung, sondern darüber hinaus auch der Haupterschließung der Gemeinde diene (vgl. § 77 Abs 2 und 4 TROG 2001). Die Behauptung der Behörde, bei den Fragen, ob die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Verpflichtung zur Grundaufbringung gemäß § 77 Abs 4 TROG 2001 erfüllt sind und ob die in Rede stehende Verkehrsfläche ausschließlich der inneren Erschließung diene, sei die technische Stellungnahme nicht von Bedeutung gewesen, ist unzutreffend, weil sich die Behörde in wesentlichen Punkten auch auf die im Gutachten getroffenen Feststellungen gestützt hat.
3. Das Verfahren über die Baulandumlegung betrifft civil rights im Sinne des Art 6 EMRK. Diese Bestimmung verlangt, dass in Angelegenheiten, die als civil rights zu qualifizieren sind, ein unabhängiges und unparteiisches Tribunal tätig wird. Der Verfassungsgerichtshof hat dazu in Kongruenz mit der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte mehrfach ausgesprochen, dass ein Tribunal derart zusammengesetzt sein muss, dass keine berechtigten Zweifel an der Unabhängigkeit seiner Mitglieder entstehen; bei dieser Beurteilung ist auch der äußere Anschein von Bedeutung (vgl. etwa VfSlg. 15.507/1999, 15.668/1999, beide mwH).
Der Umstand, dass zwei sachkundige stimmführende Mitglieder der Umlegungsoberbehörde im Verfahren ein Gutachten in ihrer Eigenschaft als Sachverständige (im Sinne des § 52 AVG) erstattet haben, ist jedenfalls geeignet, einerseits an der Neutralität dieser Mitglieder als Sachverständige (vgl. VfSlg. 10.701/1985, 16.029/2000), andererseits an ihrer Unbefangenheit als Entscheidungsträger - zu deren Aufgaben es unter anderem gehört, die Schlüssigkeit der eingeholten Sachverständigengutachten zu beurteilen - Zweifel aufkommen zu lassen, aber auch an der Unbefangenheit der übrigen Mitglieder der Umlegungsoberbehörde, die ihre Entscheidung auf das Gutachten zweier Mitglieder gestützt haben (s. VfSlg. 16.827/2003, ).
Angesichts dessen konnten zumindest dem äußeren Anschein nach Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Umlegungsoberbehörde als Tribunal im Sinne des Art 6 EMRK entstehen. Bereits der äußere Anschein reicht aus, um eine Verletzung des Art 6 EMRK zu bewirken.
Der Beschwerdeführer wurde somit durch den angefochtenen Bescheid in seinem aus Art 6 EMRK abzuleitenden Recht auf ein faires Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal verletzt. Der Bescheid war daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten sind Umsatzsteuer in der Höhe von € 360,- sowie die Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 180,- enthalten.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 Z 2 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.