OGH vom 09.10.2007, 10Ob15/07i
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Verlassenschaftssache des mit für tot erklärten Hugo M*****, geboren am *****, zuletzt wohnhaft in *****, Deutschland, infolge Revisionsrekurses der erblasserischen Schwester Ariana K*****, vertreten durch Hopmeier & Wagner Rechtsanwälte OG in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 42 R 509/06y-18, womit aus Anlass des Rekurses der erblasserischen Schwester der Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom , GZ 6 A 362/05a-11, als nichtig aufgehoben und die Erbsantrittserklärung zurückgewiesen wurden, den Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Verlassenschaftssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Text
Begründung:
Hugo M***** wurde mit Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom für tot erklärt. Der Tag seines vermuteten Todes wurde mit festgestellt. Er war nicht österreichischer Staatsbürger und hatte - bevor er verschollen war - in Deutschland gelebt. Sein einziges bekanntes Vermögen besteht aus einem Bankguthaben in Österreich.
Das Erstgericht wies die von der Revisionsrekurswerberin als Schwester des Erblassers aufgrund des Gesetzes abgegebene bedingte Erbantrittserklärung zum gesamten in Österreich befindlichen Nachlass ab, weil mangels Kenntnis des letzten Personalstatuts des Erblassers nicht beurteilt werden könne, ob nach dessen Heimatrecht überhaupt ein Erbrecht eines Geschwisterteiles gegeben sei.
Aus Anlass des dagegen von der erblasserischen Schwester erhobenen Rekurses hob das Rekursgericht den angefochtenen Beschluss als nichtig auf und wies die Erbantrittserklärung wegen fehlender inländischer Gerichtsbarkeit zurück. Die inländische Gerichtsbarkeit für die Abhandlung einer Verlassenschaft sei gemäß § 106 Abs 1 Z 2 lit a und b JN für das in Inland gelegene bewegliche Vermögen dann gegeben, wenn der Verstorbene zuletzt österreichischer Staatsbürger gewesen sei oder seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Inland gehabt habe. Diese Voraussetzungen seien hier nicht gegeben. Auch für das Vorliegen der Voraussetzung des § 106 Abs 1 Z 2 JN lit c, dass die Durchsetzung aus dem Erbrecht im Ausland unmöglich wäre, bestünden keine Anhaltspunkte.
Rechtliche Beurteilung
Der vom Rekursgericht nachträglich (§ 63 AußStrG) zugelassene Revisionsrekurs der erblasserischen Schwester ist zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.
Auch in Verlassenschaftssachen richtet sich die inländische Gerichtsbarkeit im Sinn der internationalen Zuständigkeit primär nach entsprechenden Staatsverträgen. Nur wenn solche nicht bestehen, kommen die innerstaatlichen Regeln über die internationale Zuständigkeit (inländische Gerichtsbarkeit) zur Anwendung (10 Ob 17/06g; eingehend Potyka in Burgstaller/Neumayr, IZVR, Verlassenschaftsverfahren Rz 2 ff).
Österreich hat mit Deutschland, wo der Erblasser nach den Feststellungen vor seiner nachrichtenlosen Abwesenheit seinen Aufenthalt hatte, keine staatsvertragliche Regelung betreffend die internationale Zuständigkeit zur Verlassenschaftsabhandlung (siehe Potyka aaO Rz 21, 39 ff).
Die Revisionsrekurswerberin behauptete in ihrem Schriftsatz vom (ON 17), der Erblasser sei seit seiner Geburt rumänischer Staatsbürger gewesen. Der Konsularvertrag Österreichs mit Rumänien, BGBl 1972/317, sieht zwar in Art 21 bestimmte Vorgangsweisen hinsichtlich des in einem Vertragsstaat befindlichen Nachlasses eines Angehörigen des anderen Vertragsstaates vor, enthält aber keine Regelung betreffend die internationale Zuständigkeit zur Verlassenschaftsabhandlung (vgl Potyka aaO Rz 21).
Die innerstaatlichen Regelungen über die internationale Zuständigkeit in Verlassenschaftssachen wurden durch das Außerstreit-Begleitgesetz, BGBl I 2003/112, grundliegend reformiert, wobei das Gesetz in den §§ 106, 107 JN entsprechend der auch sonst im Gesetz verwendeten Terminologie für die internationale Zuständigkeit österreichischer Gerichte den Ausdruck inländische Gerichtsbarkeit verwendet. Ausgehend von der erstmaligen Anhängigmachung des Verlassenschaftsverfahrens bei Gericht nach dem ist im vorliegenden Fall die neue Rechtslage anzuwenden (Art XXXII § 3 Abs 2 AußStrG-Begleitgesetz).
Ob Österreich die internationale Zuständigkeit zur Verlassenschaftsabhandlung in Anspruch nimmt, richtet sich gemäß § 106 Abs 1 JN primär danach, ob das Vermögen der verstorbenen Person im Inland oder im Ausland gelegen ist und ob es sich um bewegliches oder unbewegliches Vermögen handelt. Beim beweglichen Vermögen können die Staatsangehörigkeit und der letzte gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers sowie die Durchsetzbarkeit des Erbrechts im Ausland relevant sein. Besteht demnach keine inländische Abhandlungsgerichtsbarkeit, ist ein Ausfolgungsverfahren nach § 150 AußStrG durchzuführen.
Über im Inland gelegenes bewegliches Vermögen ist gemäß § 106 Abs 1 Z 2 JN im Inland abzuhandeln, wenn der Verstorbene zuletzt entweder österreichischer Staatsbürger war (lit a) oder seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte (lit b) oder wenn die Durchsetzung aus dem Erbrecht, Pflichtteilsrecht oder einer letztwilligen Erklärung abgeleiteter Rechte im - für die Durchsetzung sonst in Frage kommenden - Ausland unmöglich ist (lit c). Der Erblasser war weder österreichischer Staatsbürger noch hatte er seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Inland. Ob die internationale Zuständigkeit gemäß § 106 Abs 1 Z 2 lit c JN für das im Inland gelegene bewegliche Vermögen des Erblassers gegeben ist, kann noch nicht entschieden werden. Die Gesetzesmaterialien (RV 225 BlgNR 22. GP 9) geben keine Auskunft, was unter dem Tatbestand der lit c zu subsumieren ist. Allerdings wird in Bezug auf das im Ausland gelegene bewegliche Vermögen (§ 106 Abs 1 Z 3 lit b JN) ausgeführt, dass die Abhandlungsgerichtsbarkeit Österreichs möglichst eingeschränkt sein sollte, weil eine Abhandlung über ausländische Fahrnisse und Forderungen große praktische Probleme bereite und in aller Regel nicht so gut geeignet sei, die Interessen der Erben und sonstigen Beteiligten wahrzunehmen wie eine Abhandlung im Lagestaat (RV 225 BlgNR 22. GP 9). Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass es nur in besonderen Ausnahmefällen zu einer Abhandlung in Österreich kommen soll, was dafür spricht, bei der Beurteilung, ob die Durchsetzung des Erbrechts im Ausland unmöglich ist, einen strengen Maßstab anzulegen. Wegen des identischen Wortlauts von § 106 Abs 1 Z 2 lit c JN muss für die dort geregelte Konstellation eines inländischen beweglichen Vermögens eines Ausländers ohne letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Inland dasselbe gelten (10 Ob 17/06g; Potyka, Die inländische Gerichtsbarkeit und die Zuständigkeit in Verlassenschaftssachen nach dem AußStrG-Begleitgesetz unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses zu Deutschland, RZ 2005, 6 [7]).
Grundsätzlich kann eine solche Unmöglichkeit der Rechtsdurchsetzung entweder auf rechtliche (vor allem auf eine mangelnde internationale Zuständigkeit) oder auf faktische Umstände (zB auf die Untätigkeit der zuständigen Behörde) zurückzuführen sein (10 Ob 17/06g). Die Frage, ob im vorliegenden Fall Unmöglichkeit der Rechtsdurchsetzung im Ausland gegeben ist, kann noch nicht beantwortet werden, weil nicht einmal geklärt ist, welcher ausländische Staat für die Rechtsdurchsetzung überhaupt in Frage kommt. Dies muss zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen führen. Das Erstgericht wird das Verfahren durch Ermittlungen zu ergänzen haben, die die Beantwortung der Frage erlauben, ob die inländische Gerichtsbarkeit für die Einleitung eines Verlassenschaftsverfahrens über das in Österreich befindliche bewegliche Vermögen des Erblassers gegeben ist. Entsprechend der zu gebenden Antwort wird sich die weitere Vorgangsweise des Erstgerichts richten.