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OGH vom 23.10.2018, 10ObS104/18v

OGH vom 23.10.2018, 10ObS104/18v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andrea Schultz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Josef Putz (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Mag. Gerhard Eigner, Rechtsanwalt in Wels, gegen die beklagte Partei Kranken- und Unfallfürsorge für oö Landesbedienstete, 4021 Linz, Promenade 28, vertreten durch die Jäger Loidl Welzl Schuster Schenk Rechtsanwälte OG in Linz, wegen 1. Versehrtenrente und 2. Feststellung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Berufskrankheit, über die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Rs 51/18h-42, womit das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 14 Cgs 118/16h-38, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin ist seit 1987 Diplomkrankenschwester, seit 2000 arbeitet sie an einer Anästhesiologischen Abteilung. Seit diesem Jahr hat sich ihre Tätigkeit nicht mehr geändert. 2013 zeigte sich bei ihr ein
– mit arbeitskongruentem Verlauf berufskausal
aufgetretenes – Handekzem toxisch-irritativer Genese. Auslöser für dieses chronisch rezidivierende Ekzem waren das häufige Waschen und Desinfizieren der Hände auf der Station und die okklusiven Bedingungen unter den Handschuhen. Seit der Arbeitgeber auf der Station andere Handschuhe und eine andere Hautcreme zum Einsatz bringt, hat sich das Ekzem jedoch soweit zurückgebildet, dass die Klägerin ihre Tätigkeit weiterhin ausüben kann. Zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in rentenberechtigendem Ausmaß hat das Ekzem zu keinem Zeitpunkt geführt. Eine Feststellung zum derzeitigen Gesundheitszustand der Klägerin, insbesondere dazu, ob bei ihr momentan eine Gesundheitsschädigung infolge des Handekzems vorliegt, wurde nicht getroffen.

Mit Bescheid vom erkannte die beklagte Partei die Erkrankung der Klägerin nicht als Berufskrankheit an und lehnte die Gewährung einer Versehrtenrente ab.

Das Erstgericht wies auch im zweiten Rechtsgang das Klagebegehren auf Gewährung einer Versehrtenrente und das (Eventual-)Feststellungsbegehren, das chronisch rezidivierende Handekzem mit Kontaktallergie sei Folge einer Berufskrankheit, ab. Rechtlich ging das Erstgericht
– entsprechend der ihm vom Berufungsgericht überbundenen Rechtsansicht – davon aus, dass nicht nur der Anspruch auf Versehrtenrente, sondern auch die Feststellung einer Hautkrankheit als Folge einer Berufskrankheit voraussetze, dass bei Nichtaufgabe der schädigenden Tätigkeit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 vH im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der arbeitstechnischen oder organisatorischen Schutzmaßnahmen bestanden habe.

Das gab im zweiten Rechtsgang der – nur gegen die Abweisung des Feststellungsbegehrens gerichteten – Berufung nicht Folge und ließ die Revision mit der Begründung zu, es liege keine oberstgerichtliche Rechtsprechung dazu vor, ob die Anerkennung einer Hautkrankheit als Berufskrankheit, ohne dass die schädigende Tätigkeit jemals aufgegeben worden wäre, eine zumindest vorübergehend bestandene Minderung der Erwerbsfähigkeit im rentenbegründenden Ausmaß von 20 vH voraussetze. Die Gewährung einer Versehrtenrente wegen einer Hautkrankheit erfordere nach der Entstehungsgeschichte und dem dokumentierten Willen des Gesetzgebers die Aufgabe der schädigenden Tätigkeit. Auch die deutsche Rechtsprechung erachte den objektiven Zwang zur Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit als notwendige Voraussetzung für die Anerkennung der Berufskrankheit. Dieser Zwang fehle, wenn die Gefahr mit einfachen Mitteln – etwa durch Schutzkleidung oder Ersetzung gefährdender Arbeitsstoffe durch andere – zu umgehen sei. Eine Ausnahme vom Zwang zur Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit sei daher dann zu machen, wenn eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in rentenberechtigendem Ausmaß bereits vor dem Wirksamwerden der organisatorischen oder arbeitstechnischen Schutzmaßnahme eingetreten war. In diesen Fällen sei die Aufgabe der Tätigkeit zur Erfüllung der Ziele des Unterlassungszwangs – nämlich den Ausschluss von Bagatellerkrankungen einerseits und der Verhütung einer Verschlimmerung andererseits – nicht erforderlich. Der Oberste Gerichtshof habe in der Entscheidung 10 ObS 102/02a unter Verweis auf die Kommentare zum deutschen Recht betont, die Möglichkeit, den Ausbruch der Erkrankung durch Schutzmaßnahmen zu begegnen, schließe die Entschädigungspflicht nicht aus, wenn diese erst wirksam geworden seien, nachdem die Erwerbsfähigkeit der Klägerin bereits gemindert gewesen sei. Die Anerkennung einer Hautkrankheit als Berufskrankheit in Fällen ohne Aufgabe der schädigenden Tätigkeit setze aber jedenfalls eine (rentenbegründende und dauerhafte) Minderung der Erwerbsfähigkeit, also zumindest eine solche im Ausmaß von 20 vH voraus. Ein rechtlicher Feststellungsmangel, weil Festellungen dazu fehlen, ob eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von weniger als 20 vH vorgelegen habe, sei zu verneinen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die der Klägerin mit dem Antrag festzustellen, dass das chronisch rezidivierende Handekzem mit Kontaktallergie Folge einer Berufskrankheit sei; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1.1 Im Revisionsverfahren ist nicht strittig, dass zum Begriff der Berufskrankheit in § 22 des Oö Kranken- und Unfallfürsorgegesetz für Landesbedienstete (Oö KFLG), LGBl 2000/57 iVm § 109 der Satzung der Beklagten im Wege des § 92 B-KUVG auf die Rechtsprechung und Lehre zu § 177 ASVG idF der 55. Novelle (dazu ErlRV 1234 BlgNR 20. GP 34 f) zurückgegriffen werden kann.

Gemäß § 65 Abs 6 Oö KFLG ist der Rechtsweg für die vorliegende Streitigkeit zulässig (§ 100 ASGG).

1.2 Hauterkrankungen (Anl 1 Nr 19) gelten nur dann als Berufskrankheiten, wenn und solange sie zur Aufgabe der schädigenden Erwerbstätigkeit zwingen. Nach der Entstehungsgeschichte und dem Willen des historischen Gesetzgebers ist die Aufgabe der schädigenden Erwerbstätigkeit unabdingbare Voraussetzung für die Anerkennung einer Hautkrankheit als Berufskrankheit. Sie ist nicht nur ein anspruchsbegründendes, sondern auch ein anspruchserhaltendes Tatbestandsmerkmal der Berufskrankheit und zugleich Voraussetzung für den Eintritt des Versicherungsfalls (RIS-Justiz RS0084346).

1.3 Der Sinn und Zweck des Zwangs zur Aufgabe der schädigenden Erwerbstätigkeit liegt darin, ein Verweilen des Versicherten auf dem gefährdenden Arbeitsplatz zu verhindern und dadurch eine Verschlechterung der Krankheit oder deren Wiederausbruch zu verhüten (RIS-Justiz RS0084372). Erforderlich ist somit die medizinisch begründete (objektive) Notwendigkeit zur Aufgabe der zuletzt geleisteten schädigenden Tätigkeiten in Verbindung mit der tatsächlichen Einstellung dieser Tätigkeiten (RIS-Justiz RS0084372 [T3]). Die Einstellung der schädigenden Tätigkeit zwingt aber nicht zur gänzlichen Aufgabe des Arbeitsplatzes. Es genügt, wenn beim bisherigen Dienstgeber durch eine Änderung der Tätigkeit die schädigende Tätigkeit aufgegeben werden konnte (RIS-Justiz RS0084371).

1.4 Sinn und Zweck des Grundsatzes des Zwangs zur Aufgabe der schädigenden Erwerbstätigkeit gebieten eine Einschränkung bzw eine Ausnahme jedoch dann, wenn Schutzmaßnahmen arbeitstechnischer oder organisatorischer Natur gegen den Ausbruch der Hauterkrankung, die eine weitere Schädigung ausschließen, erst wirksam geworden sind, nachdem die Erwerbsfähigkeit des Versicherten durch diese Erkrankung bereits gemindert war. Der Zweck, den Verbleib eines Versicherten auf dem ihn gefährdenden Arbeitsplatz zu verhindern, wird nämlich nicht nur durch die Aufgabe der schädigenden Tätigkeit, sondern auch dann erreicht, wenn die schädigenden Einwirkungen am Arbeitsplatz durch geeignete Schutzmaßnahmen beseitigt werden und deshalb die Gefahr der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens der Hautkrankheit durch Fortsetzung der Berufstätigkeit nicht mehr droht. Steht in einem Verfahren auf Gewährung einer Versehrtenrente fest, dass eine zumindest 20%ige Minderung der Erwerbsfähigkeit vor Greifen der Schutzmaßnahmen bestanden hat, ist demnach trotz Nichtaufgabe der schädigenden Tätigkeit der Leistungsanspruch zu bejahen (10 ObS 102/02a, SSV-NF 16/35 [dazu kritisch Binder, DRdA 2003/9, 139]; RIS-Justiz RS0084346 [T1, T 2]).

2. Gegenstand des vorliegenden Revisionsverfahrens ist aber nicht die auf Gewährung der Versehrtenrente gerichtete Leistungsklage, sondern die eventualiter – für den Fall der rechtskräftigen Abweisung der entsprechenden Leistungsklage – erhobene Klage auf Feststellung, dass die Hautkrankheit eine Folge einer Berufskrankheit ist (§ 65 Abs 2 Satz 2, § 82 Abs 5 ASGG).

3.1 Der Ansicht des Berufungsgerichts bei Nichtaufgabe der Tätigkeit im Hinblick auf Schutzmaßnahmen des Arbeitgebers sei nicht nur im Verfahren über die Leistungsklage auf Gewährung der Versehrtenrente, sondern auch im vorliegenden Feststellungsverfahren eine – vor Greifen der Schutzmaßnahmen gegebene – 20%ige Minderung der Erwerbsfähigkeit zwingende Voraussetzung für eine Klagestattgebung kann nicht gefolgt werden:

3.2 Voraussetzung für eine Entscheidung über das (in der Regel gesetzlich fingierte, hier nach § 65 ASGG ausdrücklich erhobene) Eventualbegehren des § 82 Abs 5 ASGG in Sozialrechtssachen ist die Abweisung des Hauptbegehrens (Leistungsbegehrens) mangels ausreichender Gesundheitsstörung, etwa wenn – wie hier – keine zumindest 20%ige Minderung der Erwerbsfähigkeit vorliegt. Aus Gründen der Prozessökonomie soll dennoch sichergestellt werden, dass der aufgrund eines Leistungsbegehrens vorgenommene Verfahrensaufwand zumindest in der Feststellung im Urteilsspruch Niederschlag findet, dass die Hautkrankheit eine Folge einer Berufskrankheit ist (RIS-Justiz RS0114852 [T5]). Mit Rechtskraft der Feststellung ist der Kausalzusammenhang für ein späteres Verfahren auf Zuerkennung von Leistungen aus der Unfallversicherung bindend festgestellt (RIS-Justiz RS0084077 [T1]). Dem Eventualfeststellungsbegehren ist somit immanent, dass im Zeitpunkt der Feststellung der Hauterkrankung als Folge einer Berufskrankheit noch nicht gesagt werden kann, ob die Klägerin daraus je einen Anspruch auf Versehrtenrente ableiten können wird. Wäre hingegen dem auf Leistung gerichteten Hauptbegehren im Hinblick auf das Vorliegen einer zumindest 20%igen Minderung der Erwerbsfähigkeit vor Wirksamwerden der Schutzmaßnahmen (ohne Aufgabe der schädigenden Tätigkeit) stattzugeben, würde sich eine Entscheidung über das inkludierte Feststellungsbegehren erübrigen, weil dann mit dem Leistungsbegehren das strittige Rechtsverhältnis endgültig bereinigt ist (10 ObS 154/94, SSV-NF 8/81).

3.3 Wurde das Leistungsbegehren abgewiesen, weil die Minderung der Erwerbsfähigkeit das rentenbegründende Ausmaß von 20 vH nicht erreicht, könnte das Eventualfeststellungsbegehren (§§ 65 Abs 2, 82 Abs 5 ASGG) unter der Voraussetzung berechtigt sein, dass bei der Klägerin auch noch zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz die Hauterkrankung als Folge der Berufskrankheit fortbestehen sollte, die vor Ergreifen der Schutzmaßnahmen zu einer unter 20%igen (aber messbaren) Minderung der Erwerbsfähigkeit geführt hat. Ein bloß aktuelles Fehlen von Beschwerden im Sinn einer latent vorhandenen Krankheit, mit deren Ausbruch bei Wiederaufnahme der schädigenden Tätigkeit zu rechnen ist, beseitigt den Anspruch auf Feststellung aber nicht (RIS-Justiz RS0114852 [T6, T 7, T 8]).

3.4 Daraus folgt, dass im Verfahren über das Eventualbegehren auf Feststellung ein Erfordernis der Feststellung einer auf eine Berufskrankheit zurückzuführenden Gesundheitsstörung, die zu einer mehr als 20%igen Minderung der Erwerbsfähigkeit führt, keine Grundlage findet, wäre doch in diesem Fall schon dem Hauptbegehren (auf Zuspruch der Versehrtenrente) stattzugeben gewesen. Die vom Berufungsgericht im Zulassungsausspruch als erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO angesehene Frage ist somit dahin zu beantworten, dass ein Eventualbegehren auf Festellung (§ 65 Abs 2, § 82 Abs 5 ASGG), eine Hautkrankheit sei Folge einer Berufskrankheit (ohne dass die schädigende Tätigkeit aufgegeben wurde) nicht voraussetzt, dass im Zeitpunkt des Wirksamwerdens von arbeitsmedizinischen oder sonstigen organisatorischen Schutzmaßnahmen, die eine weitere Schädigung ausschließen, bereits eine Minderung der Erwerbsfähigkeit aufgrund der Hautkrankheit von zumindest 20 vH vorgelegen haben muss.

4.1 Ausgehend von dieser Rechtsansicht reichen die von den Vorinstanzen bisher getroffenen Feststellungen für eine abschließende Beurteilung des geltend gemachten Feststellungsbegehrens nicht aus:

4.2 Voraussetzung für eine Feststellung im Sinne des § 65 Abs 2 und des § 82 Abs 5 ASGG ist, dass beim Versicherten – zumindest bei Schluss der Verhandlung erster Instanz – eine bestimmte Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit besteht. Fehlt es zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz überhaupt an einer auf einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit zurückgehenden Gesundheitsstörung, kann eine Feststellung im Sinn des § 82 Abs 5 ASGG nicht getroffen werden.

4.3 Der Feststellungsanspruch könnte somit begründet sein, wenn zwar die schädigende Tätigkeit nicht aufgegeben wurde, aber zur Zeit des Wirksamwerdens der Schutzmaßnahmen bereits eine auf eine Berufskrankheit zurückzuführende Hauterkrankung gegeben war, die zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit im Ausmaß von unter 20 vH geführt hat und diese Hauterkrankung zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung (allenfalls auch nur latent) vorliegt. Wie die Revisionswerberin geltend macht, wurden bisher dazu aber keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Dies wird im fortzusetzenden Verfahren nachzuholen sein.

4.4 Aus diesen Gründen erweist sich die Aufhebung des Urteils der Vorinstanzen als unumgänglich.

5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2018:010OBS00104.18V.1023.000

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