OGH vom 08.06.1994, 7Ob528/94
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Sigfried K*****, vertreten durch das Amt für Jugend und Familie für den 21. Wiener Gemeindebezirk, Wien 21, Am Spitz 1, als besonderer Unterhaltssachwalter, infolge Rekurses des Vaters Wilfried K*****, Arbeiter, derzeit unbekannten Aufenthaltes, zuletzt wohnhaft in *****, vertreten durch den Abwesenheitskurator Dr.Adalbert L*****, dieser vertreten durch Dr.Otto Ackerl, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 44 R 708/93-110, womit infolge Rekurses des Unterhaltssachwalters der Beschluß des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom , GZ 2 P 331/81-98, teilweise abgeändert wurde, den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben und der Beschluß des Erstgerichtes zur Gänze wiederhergestellt.
Text
Begründung:
Wilfried K***** war zuletzt aufgrund des Beschlusses des Erstgerichtes vom zu monatlichen Unterhaltsbeiträgen von S 1.800,-- für seinen bei der Mutter aufwachsenden Sohn Sigfried verpflichtet. Am stellte der Unterhaltssachwalter den Antrag, die Unterhaltsbeiträge ab auf S 2.600,-- monatlich zu erhöhen. Der für Wilfried K***** bestellte Abwesenheitskurator sprach sich gegen diesen Antrag aus.
Das Erstgericht erhöhte die Unterhaltsbeiträge für die Zeit vom bis und ab auf S 2.200,-- monatlich und wies das Mehrbegehren von S 400,-- für diese Zeit sowie das gesamte Erhöhungsbegehren für die Zeit vom bis ab, weil der Vater vom bis in Haft gewesen sei.
Das Gericht zweiter Instanz gab dem gegen den abweisenden Teil der Entscheidung erhobenen Rekurs des Unterhaltssachwalters teilweise Folge. Es bestätigte die Abweisung des Mehrbegehrens von S 400,-- monatlich für den gesamten Zeitraum, erhöhte aber die Unterhaltsbeiträge auch für die Zeit vom bis auf S 2.200,-- monatlich. Es vertrat die Ansicht, daß die Verbüßung einer Haftstrafe aufgrund einer Unterhaltsverletzung nicht von der Unterhaltspflicht befreie, weil der Unterhaltsschuldner bei Begehung dieses Deliktes - im Gegensatz zu anderen strafbaren Handlungen - bewußt gegen die sich aus dem Anspannungsgrundsatz ergebende Verpflichtung verstoßen habe. Der Revisionsrekurs sei hinsichtlich dieses abänderndes Teiles der Entscheidung zulässig, weil zur Frage der Anwendung des Anspannungsgrundsatzes bei Verbüßung einer Haft wegen Verletzung der Unterhaltspflicht keine oberstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen die Unterhaltserhöhung im Zeitraum vom bis gerichtete Revisionsrekurs des für Wilfried Kral bestellten Abwesenheitskurators ist berechtigt.
Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes darf die Anspannung nicht zu einer bloßen Fiktion führen, sondern muß immer auf der hypothetischen Feststellung beruhen, welches reale Einkommen der Unterhaltspflichtige in den Zeiträumen, für die die Unterhaltsbemessung erfolgt, unter Berücksichtigung seiner konkreten Fähigkeiten und Möglichkeiten bei der gegebenen Arbeitsmarktlage zu erzielen in der Lage wäre (1 Ob 552/93; 6 Ob 530/92). Daher kann ebensowenig wie beim verschuldeten Arbeitsplatzwechsel bei der - jeweils Verschulden voraussetzenden - Haftverbüßung in Anwendung des Anspannungsgrundsatzes automatisch davon ausgegangen werden, daß dem Unterhaltspflichtigen weiterhin das verlorene Einkommen zur Verfügung stünde (Purtscheller - Salzmann, Unterhaltsbemessung, Rz 257/2, mwH). Dabei kann es keinen Unterschied machen, ob der Unterhaltsschuldner wegen des Deliktes der Verletzung der Unterhaltspflicht oder aus anderen Gründen in Haft ist, weil die Art des jeweils begangenen Deliktes nichts daran ändert, daß ihm die Teilnahme am Arbeitsmarkt und die Erzielung eines entsprechenden Einkommens während dieser Zeit (außer er hätte ausnahmsweise weiterlaufende Einkünfte oder entsprechendes Vermögen) jedenfalls unmöglich ist. Daß sich ein Unterhaltspflichtiger deshalb der Unterhaltsverletzung schuldig macht, um in Haft genommen und dadurch eine Zeit lang von seiner Unterhaltspflicht befreit zu werden, kann ebensowenig wie bei jedem anderen Delikt als Motiv für die Tat unterstellt werden. Für die Haftzeiten kommt daher die Anwendung der Anspannungstheorie nicht in Betracht.
Nach den Feststellungen der zweiten Instanz wurde Wilfried K***** am festgenommen und verbüßte ab diesem Zeitpunkt bis die über ihn wegen Verletzung der Unterhaltsverpflichtung verhängte Freiheitsstrafe von fünf Monaten. Daran schloß eine Polizeihaft im Ausmaß von 106 Stunden und 20 Minuten an. Die Abweisung des Unterhaltserhöhungsbegehren vom bis ist daher jedenfalls gerechtfertigt. Selbst bei der Unterstellung, daß Wilfried K***** bereits vom aus der Haft entlassen worden sein sollte - wovon offenbar das Erstgericht ausgeht -, wäre ihm für die Arbeitsplatzsuche zumindest die Zeit bis Monatsende zuzugestehen. Es war daher der erstgerichtliche Beschluß wiederherzustellen.
Fundstelle(n):
AAAAD-77980