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VfGH vom 01.10.1988, B1068/88

VfGH vom 01.10.1988, B1068/88

Sammlungsnummer

11832

Leitsatz

VersammlungsG; rechtmäßige Untersagung einer Versammlung wegen der - zu Recht - befürchteten exzessiven Lärmerregung; iS des Art 11 Abs 2 MRK zutreffend vorgenommene Interessenabwägung; keine Verletzung im Recht auf Versammlungsfreiheit

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Bundespolizeidirektion (BPD) Wien untersagte mit Bescheid vom gemäß § 6 des Versammlungsgesetzes 1953 (VersG) die Abhaltung der vom Bf. der BPD Wien für in Wien 8., vor dem Strafbezirksgericht Wien am Hernalser Gürtel angezeigten Versammlung. Die dagegen vom Veranstalter erhobene Berufung wurde mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom abgewiesen. Der Bundesminister für Inneres (BMI) gab der gegen diesen Berufungsbescheid vom Bf. erhobenen Berufung mit dem (drittinstanzlichen) Bescheid vom keine Folge. (Näheres s.u. II. und III.1.).

2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art 144 (Abs1) B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Versammlungsfreiheit behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird (Näheres s.u. III.2.).

3. Der BMI als bel. Beh. erstattete eine Gegenschrift, in der er die Abweisung der Beschwerde begehrt.

II. 1. Aufgrund der vorgelegten Verwaltungsakten (BPD Wien:

Zlen. I-Pos 206/LXIII/85 und I-V/VS/-17/BVP/85; BMI, Abt.II/15:

Grundzahl 213.026) geht der VfGH von jener Vorgeschichte aus, wie sie im angefochtenen Bescheid wie folgt geschildert wird und die vom Bf. im wesentlichen unbestritten ist, allerdings worauf unten zu IV.2.a) näher eingegangen wird - zum Teil abschwächend dargestellt wird:

"Am waren in Wien mehrere Personen wegen des Verdachtes der Sachbeschädigung durch Anbringen von Parolen politischen Inhalts auf Hausfassaden mittels Farb-Spraydosen festgenommen worden, über sie war sodann die gerichtliche Untersuchungshaft verhängt worden.

Daraufhin wurde am eine der Bundespolizeidirektion Wien nach der Vorschrift des § 2 Versammlungsgesetz angezeigte Demonstration zum Thema 'Die Europäische Menschenrechtskonvention in Österreich' abgehalten. Sie sollte laut Anzeige beim Landesgericht für Strafsachen Wien ihren Ausgang nehmen und nach siebenstündiger Dauer beim Polizeigebäude im 9. Bezirk, Berggasse, mit einer Kundgebung enden. Wie sich schon zu Beginn herausstellte, war Zweck der Demonstration eine Solidaritätsbekundung gegenüber den Inhaftierten, verbunden mit der durch laufend wiederholte Sprechchöre erhobenen Forderung nach deren Freilassung. Während des Marsches der ca. 120 Demonstrationsteilnehmer schütteten einige von diesen Farbe auf abgestellt gewesene Kraftfahrzeuge sowie auf die Straße. Als Polizeibeamte gegen diese Sachbeschädigungen einschritten, kam es zu Auseinandersetzungen, zur Festnahme einiger Demonstranten und schließlich zur behördlichen Auflösung der Versammlung.

Eine Woche später, am , fand neuerlich ein mehrstündiger Demonstrationsmarsch von rund 300 Personen durch einige Wiener Bezirke statt, wobei beim Landesgericht für Strafsachen Wien und beim Strafbezirksgericht Wien bzw. Landesgerichtlichen Gefangenenhaus II Zwischenkundgebungen abgehalten wurden. Diese Demonstration war nach ihrem thematischen Schwerpunkt gegen 'Polizeigewalt' gerichtet. Während des Marsches und der Zwischenkundgebungen wurde in ständigen Sprechchören die Freilassung der damals noch immer in Gerichtshaft gewesenen 'Sprayer' gefordert. Im Bereich der Gerichtsgebäude wurden überdies Knallkörper geworfen.

Eine weitere derartige Demonstration, an der sich 84 Personen beteiligten, wurde am abgehalten, ihr Thema war 'Strafvollzug in Österreich'. Die Demonstranten marschierten innerhalb einer Stunde - laut Polizeibericht unter 'infernalischem Geheul und Gebrüll' - insgesamt sechsmal um das Gebäude des Landesgerichtlichen Gefangenenhauses II. Zur Anwendung kamen dabei auch ein Megaphon, Ratschen und Pfeifgeräte.

Die nächste Demonstration, diesmal 'Gegen die immer stärker und schlimmer werdenden staatlichen Repressionen gegen sozial und politisch engagierte Menschen', fand am statt. Die Versammlungsanzeige an die Bundespolizeidirektion Wien enthielt u.a. die Angabe, es würden Musik- und Rhythmusinstrumente sowie akustische Signalgeräte im Zug mitgeführt werden. Die 56 Demonstrationsteilnehmer umrundeten das Landesgerichtliche Gefangenenhaus II fünfmal hintereinander, wobei in Sprechchören und mittels eines Megaphons wie in den früheren Fällen die Freilassung der 'Leute' gefordert sowie zusätzlich durch Verwendung von Pfeifgeräten, Ratschen und Kochgeschirrdeckeln, aber auch durch schrilles Gekreische Lärm erzeugt wurde.

Schließlich fanden sich am zur Durchführung einer weiteren Demonstration 'Gegen die erschreckenden Auswüchse der staatlichen Repression gegen friedliche Bürger Österreichs' 68 Personen beim Landesgerichtlichen Gefangenenhaus II ein. Sie marschierten wieder in geschlossenem Zug durch die angrenzenden Straßenzüge um das Gerichtsgebäude, riefen dabei in Sprechchören Parolen und verstärkten den schon dadurch erzeugten Lärm noch durch Verwendung eines Megaphons sowie von Pfeifgeräten und Kochgeschirrdeckeln. Diese Demonstration wurde nach ca. einstündiger Dauer von einem Vertreter der Bundespolizeidirektion Wien aufgelöst."

2. Am richtete der Bf. an die BPD Wien folgende Versammlungsanzeige:

"S.g. Herrn,

ich gebe hiermit die Abhaltung einer Demonstration zum Thema 'Repression in Österreich' am Samstag, den um 12.00 Uhr vor dem Strafbezirksgericht Wien am Hernalser Gürtel bekannt. Es werden Fahrzeuge, Transparente und Musik- bzw. Rhythmusinstrumente mitgeführt. Route:

Laudong.-Blindeng.Breitenfelderg.-Hernalser Gürtel in Richtung Hernalser Gürtel. Voraussichtliches Ende der Veranstaltung ist 23.00 Uhr. Ab 22.00 Uhr wird keinerlei Lärm mehr aufkommen."

3. Die BPD Wien untersagte mit dem an den Bf. adressierten Bescheid vom gemäß § 6 VersG die Abhaltung dieser Versammlung. Die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Berufung wurde gemäß § 64 Abs 2 AVG 1950 ausgeschlossen.

Die Sicherheitsdirektion für Wien gab der dagegen vom Bf. erhobenen Berufung keine Folge. Der BMI wies mit dem - nun beim VfGH bekämpften - Bescheid (s.o. I.1.) die gegen den Berufungsbescheid eingebrachte Berufung des Bf. in dritter und letzter Instanz ab.

III. 1. Dieser angefochtene Bescheid des BMI wird - nach einer Schilderung des angenommenen Sachverhaltes (s.o. II.) und des Verwaltungsgeschehens - wie folgt begründet:

"Gemäß Art 12 des in Verfassungsrang stehenden Staatsgrundgesetzes vom 21. 12. 1867 über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger haben die österreichischen Staatsbürger das Recht, sich zu versammeln. In dieser Norm ist aber auch festgelegt, daß die Ausübung des Versammlungsrechtes durch ein besonderes Gesetz geregelt wird. Das entsprechende besondere Gesetz ist das Versammlungsgesetz 1953, BGBl. Nr. 98, idgF.

Artikel 11 der einen Bestandteil des österreichischen Bundesverfassungsrechtes bildenden Europäischen Menschenrechtskonvention (BGBl. Nr. 210/1958 und BGBl. Nr. 59/1964) gewährleistet darüber hinaus allen Menschen das Recht, sich friedlich zu versammeln. Nach Absatz 2 dieser Bestimmung darf die Ausübung des Versammlungsrechtes keinen anderen Einschränkungen unterworfen werden als den vom Gesetz vorgesehenen, die in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen und öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung ... oder des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.

Nach § 6 Versammlungsgesetz 1953 sind Versammlungen, deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft oder deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährden würde, von der Behörde zu untersagen.

Die Bundespolizeidirektion Wien begründete die auf § 6 Versammlungsgesetz gestützte Untersagung der Abhaltung der für den geplant gewesenen Demonstration damit, daß diese von R S angemeldete Versammlung die Fortsetzung einer Reihe vorangegangener gleichartiger Demonstrationen sein sollte, deren Hauptzweck nach dem Eindruck der Behörde darin bestanden habe, möglichst großen Lärm zu verursachen und die aus Anlaß dieser Veranstaltung eingesetzten Polizeibeamten sowie die Bevölkerung durch das Ausrufen beleidigender und aufrührerischer Parolen zu provozieren. Nach Meinung der Bundespolizeidirektion sei mit Sicherheit zu erwarten gewesen, daß es am im Zuge der Demonstration neuerlich zur Erregung ungebührlicherweise störenden Lärmes und zum Ausrufen derartiger Parolen gekommen wäre. Die Fortsetzung einer solchen Demonstrationsserie habe unter den gegeben gewesenen Umständen weitere massive Proteste aus der Bevölkerung gegen das provokante Verhalten der Demonstranten erwarten lassen. Es sei daher aus den dargelegten Gründen die Abhaltung der Versammlung im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und des öffentlichen Wohles zu untersagen gewesen.

Die Sicherheitsdirektion für Wien als Berufungsbehörde schloß sich insgesamt dieser Rechtsauffassung der Behörde erster Instanz an. Dem Vorbringen des Berufungswerbers hielt sie u.a. entgegen, es sei zwar richtig, daß Demonstrationen an öffentlichen Orten in der Regel gewisse Beeinträchtigungen des öffentlichen Wohles nach sich ziehen, die in gewissem Umfang in Kauf genommen werden müssen. Nicht jedes Ausmaß einer solchen Beeinträchtigung des öffentlichen Wohles durch eine Versammlung und die damit bewirkte Verletzung von Interessen der Allgemeinheit sei aber zumutbar. Unter Berücksichtigung des Interesses des Veranstalters sowie der Demonstrationsteilnehmer, Solidarität mit einer in Haft befindlichen Person zu bekunden, mögen wohl Sprechchöre bzw. das Rufen von Parolen eine noch zumutbare Lärmbelästigung darstellen, nicht mehr aber die Verwendung von Rhythmusinstrumenten, Kochgeschirr, Pfeifen etc. und dies auch noch während eines Zeitraumes von zehn Stunden. Eine angesichts des Anlaßfalles unzumutbare Verletzung von Interessen der Allgemeinheit liege auch im Inhalt der gegen den Staat und staatliche Einrichtungen gerichtet gewesenen (während der früheren Demonstrationen gerufenen und auch für die untersagte Demonstration zu erwarten gewesenen) Parolen, auch wenn sie nicht wirklich ernst gemeint gewesen sein mögen und einen gerichtlich strafbaren Tatbestand noch nicht verwirklichten, schon wegen der Form, in der eine Änderung der Verhältnisse gefordert worden sei.

Das Bundesministerium für Inneres hält diese Rechtsansicht der Sicherheitsdirektion im grundsätzlichen für richtig. Es ist auch ihrer im bekämpften Bescheid geäußerten Auffassung zuzustimmen, daß Demonstrationen an öffentlichen Orten im Regelfall gewisse Beeinträchtigungen des öffentlichen Wohles nach sich ziehen, die (zur Wahrung des Wesens der Versammlungsfreiheit) in Kauf genommen werden müssen, daß aber dennoch nicht jedes Ausmaß einer derartigen Beeinträchtigung und einer damit bewirkten Verletzung von Interessen der Allgemeinheit als Auswirkung der Ausübung des Versammlungsrechtes den Betroffenen zumutbar ist. Es würde nämlich den Sinn des von einer liberal-demokratischen Rechtsordnung eingeräumten Persönlichkeitsrechtes der Versammlungsfreiheit geradezu konterkarieren, wenn davon schrankenlos und ohne jede Rücksichtnahme auf legitime persönliche Rechte anderer Gebrauch gemacht werden dürfte. Die Verhaltensweisen der Teilnehmer an den im März und April 1985 in Verfolgung an und für sich rechtlich zu akzeptierender individueller Interessen durchgeführten Demonstrationen erfüllten infolge ihrer exzessiven Form objektiv den Tatbestand der Erregung ungebührlicherweise störenden Lärmes gemäß der Bestimmung des Artikel IX Absatz 1 Z. 1" (richtig: Artikel VIII) "Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen-EGVG 1950".

In der mutwilligen und für die Durchsetzung des eigentlichen, mit der Demonstration verfolgten Anliegens sicherlich nicht erforderlich gewesenen übermäßigen Lärmentwicklung dokumentierte sich überdies ein hohes Maß an unzumutbarer Rücksichtslosigkeit gegenüber einem größeren unbeteiligten, aber vom Lärm betroffenen Personenkreis. Daß demgegenüber die vom Berufungswerber vertretene Meinung, es stehe jedem Demonstranten frei, bei einer Kundgebung Lärm zu erzeugen, und die Erregung von Lärm sei keineswegs gegen das öffentliche Wohl gerichtet, nicht vertretbar ist, ergibt sich aus der Judikatur des VwGH (vgl. Erk. vom , Zahl 671, 672/78, zitiert in Fessler 'Österreichisches Versammlungsrecht',

2. Auflage, S. 80), laut der die Rechte auf Versammlungsfreiheit und auf Meinungsäußerung nach Artikel 12 und 13 Staatsgrundgesetz sowie nach Artikel 10 Absatz 2 und 11 Absatz 2 Europäische Menschenrechtskonvention u.a. an den Schranken der strafrechtlichen (verwaltungsstrafrechtlichen) Normen ihre Grenzen finden. Bei der Ausübung dieser verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte seien daher die gesetzlichen Schranken zu beachten, die der Sicherheit der staatlichen Ordnung vor entarteter Meinungsäußerung dienen. Die Rechtsmeinung, es könne die Gebrauchnahme von Freiheitsrechten den Tatbestand des Artikel IX EGVG 1950 nicht erfüllen, sei unzutreffend.

Wenn laut den vorliegenden Berichten von Beamten der Bundespolizeidirektion Wien als feststehend angesehen werden kann, daß während mehrerer hintereinander folgender Demonstrationen eines weitgehend gleichen Personenkreises aus im Grunde stets gleicher Motivation von den Teilnehmern nicht nur fortwährend Parolen in Sprechchören sowie über Lautsprecheranlagen bzw. Megaphone gerufen wurden, sondern zusätzlich durch Gekreische und Geheul sowie durch Verwendung von eigens zum Zwecke der Lärmerzeugung mitgebrachten Geräten zum Teil im jeweils selben Wohngebiet und über längere Zeit beträchtlicher Lärm entwickelt wurde - was auch vom Berufungswerber nicht bestritten wird -, so konnte die Behörde erster Instanz mit voller Berechtigung annehmen, daß die für den angemeldet gewesene, nach dem Anzeigeninhalt den vorherigen weitgehend gleichartige Demonstration (bei der nach ausdrücklicher Angabe in der Versammlungsanzeige auch Musik- bzw. Rhythmusinstrumente mitgeführt werden sollten) ebenfalls wieder unter übermäßiger Lärmentwicklung abgelaufen wäre. Daß eine solche Prognose bei Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte rechtlich nicht unzulässig ist, läßt sich auch aus dem Erkenntnis des VfGH VfSlg. 2301/52 ableiten.

Nach Auffassung des Bundesministeriums für Inneres stellt somit die Untersagung der Versammlung in Anwendung der Vorschrift des § 6 Versammlungsgesetzes 1953 keinen gesetzwidrigen Eingriff in das Recht des Berufungswerbers auf Versammlungsfreiheit dar. Sie findet ihre gesetzliche Deckung auch in der Bestimmung des Artikel 11 Absatz 2 Europäische Menschenrechtskonvention, weil durch die zu erwarten gewesene mißbräuchliche Inanspruchnahme des Versammlungsrechtes die Schutzgüter der Aufrechterhaltung der Ordnung sowie der Rechte anderer gefährdet bzw. beeinträchtigt worden wären.

Die Untersagung wäre jedoch bei richtiger rechtlicher Würdigung der zu beurteilenden Umstände von der Behörde nur auf den Tatbestand der Gefährdung des öffentlichen Wohles durch zu erwartende unzumutbare Lärmbelästigung einer größeren Anzahl von Personen abzustellen gewesen. Es wurde daher der Spruch des erstinstanzlichen, von der Sicherheitsdirektion für Wien bestätigten Bescheides entsprechend abgeändert.

Die durch das von der Behörde auch für die Demonstration am erwartete bloße Ausrufen von gegen den Staat und seine Einrichtungen gerichteten Parolen - die von der Sicherheitsdirektion in nach den Umständen richtiger Bewertung als noch keinen gerichtlich strafbaren Tatbestand verwirklichend angesehen wurden - befürchtete Gefährdung der öffentlichen Sicherheit war nach Meinung des Bundesministeriums für Inneres nicht begründet.

Bei der dargelegten Beurteilung des verfahrensgegenständlichen Sachverhaltes war es weder von rechtlicher Relevanz, ob die vor dem abgehaltenen Demonstrationen nach Einschätzung des Berufungswerbers 'friedlich' verlaufen sind bzw. vermeintlich ohne polizeiliches Einschreiten verlaufen wären noch hätte es zur Beweisführung durch die Behörde, daß unter unbestrittenermaßen übermäßiger Lärmentwicklung durchgeführte Demonstrationen geeignet sind, das öffentliche Wohl zu gefährden, nicht der Gewährung von Einsichtnahme in alle Akten über Vorgänge vor dem bedurft, die aber vom Bundesministerium für Inneres dem gestellten Antrag entsprechend dennoch gewährt wurde. Es wurde überdies auch dem Begehren des Rechtsvertreters des Berufungswerbers auf Ausfolgung von Ablichtungen bestimmter Aktenteile entsprochen.

Die von Behördenorganen selbst wahrgenommene Tatsache übermäßiger Lärmerregung durch Teilnehmer an früheren Demonstrationen bedurfte im gegenständlichen Zusammenhang schon mangels einer entsprechenden gesetzlichen Vorschrift keines zusätzlichen Beweises durch Namhaftmachung solcher Personen, die sich durch den Lärm gestört fühlten, weshalb dem diesbezüglichen Antrag des Berufungswerbers ohne Schmälerung seiner Parteienrechte nicht nachzukommen werden brauchte."

2. Dagegen wird in der vorliegenden Beschwerde folgendes vorgebracht:

"I. § 6 VersG 1953

§ 6 VersG 1953 lautet: 'Versammlungen, deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft oder deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet, sind von der Behörde zu untersagen.'

Da sich die bel. Beh. im angefochtenen Bescheid (S. 10 unten) lediglich auf den Tatbestand der 'Gefährdung des öffentlichen Wohles durch zu erwartende und unzumutbare Lärmbelästigung einer größeren Anzahl von Personen' stützt, ist in dieser Beschwerde auf die anders lautenden, zusätzlichen Begründungen der unterinstanzlichen Bescheide nicht weiter einzugehen.

Die bel. Beh. hat den angefochtenen Bescheid im einzelnen begründet wie folgt: 'Unter Berücksichtigung des Interesses des Veranstalters sowie der Demonstrationsteilnehmer, Solidarität mit einer in Haft befindlichen Person zu bekunden, mögen wohl Sprechchöre bzw. das Rufen von Parolen eine noch zumutbare Lärmbelästigung darstellen, nicht mehr aber die Verwendung von Rhythmusinstrumenten, Kochgeschirr, Pfeifen etc. und dies auch noch während eines Zeitraumes von 10 Stunden'.

Dazu wird Folgendes bemerkt: Wesentlicher Zweck war es, Solidarität mit der gefangenen Frau zu bekunden. Das Gefangenenhaus im Strafbezirksgericht Wien ist ein großer Gebäudekomplex und, wie dies bei Gefangenenhäusern so üblich ist, von der Außenwelt relativ hermetisch abgeriegelt. Den Demonstrationsteilnehmern ist auch bekannt, daß bei solchen Demonstrationen schon mehrmals die zuständigen Justizwachebeamten den gefangenen Personen den Befehl erteilt hatten, alle Fenster zu schließen.

In diesem Zusammenhang ist auch die restriktive und strafprozeßordnungs- und MRK-widrige Praxis in den Gefangenenhäusern zu erwähnen. Auch das Justizministerium ist schon zu dieser Erkenntnis gelangt und hat die Gefangenenhäuser aufgefordert, die derzeit geltende restriktive Regelung der Besuchsmöglichkeit gesetzes- und grundrechtskonform auszuweiten.

Im Gesetz ist eindeutig festgelegt: 'Die Untersuchungshäftlinge dürfen Besuche innerhalb der Amtszeit so oft und in dem zeitlichen Ausmaß empfangen, als die erforderliche Überwachung ohne Beeinträchtigung des Dienstes und der Ordnung in der Anstalt möglich ist. Es darf den Untersuchungshäftlingen doch in keinem Fall verwehrt werden, mindestens zweimal in jeder Woche einen Besuch in der Dauer von einer 1/4 Stunde zu empfangen' (§187 Abs 3 StPO). Die Praxis ist jedoch derart, daß Untersuchungshäftlinge maximal zweimal wöchentlich einen Besuch in der Dauer von 1/4 Stunde empfangen können.

Wenn die Praxis gesetzwidrig ist und das vor allem auch in Hinblick auf die Unschuldsvermutung relevante Recht des Untersuchungshäftlings, Besuche zu empfangen, derart eingeschränkt wird, ist es umsomehr notwendig, mit der gefangenen Person auf andere Weise Kontakt und Kommunikation aufrecht zu erhalten.

Unter diesen Gesichtspunkten erscheint es daher zulässig und vertretbar, und mit dem Versammlungszweck untrennbar verbunden, in einem solchen Maß akustische Signale auszusenden, daß sie von der betroffenen Person im Gefangenenhaus auch wahrgenommen werden können.

Die bel. Beh. bezieht sich in ihrem Bescheid insbesondere auf die Berichte über die früheren Versammlungen. Daraus ist aber abzuleiten, daß keine dieser Versammlungen 10 Stunden gedauert hat, geschweige denn, daß 10 Stunden lang andauernd größerer Lärm erzeugt worden ist.

Wenn nun tatsächlich gerade bei dieser Demonstration 10 Stunden lang ununterbrochen 'infernalischer Lärm' erzeugt worden wäre, dann hätte die Behörde jederzeit die Möglichkeit gehabt, die Versammlung gem. § 6 VersG 1953 aufzulösen.

Daß diese Möglichkeit ohne weiteres gegeben gewesen wäre, ergibt sich schon aus dem Bericht der Staatspolizei vom . Diese Demonstration wurde von Dr. N um 16 Uhr 40 aufgelöst. In diesem Bericht wird weiters ausgeführt, daß sich die Demonstranten nach der Auflösung in verschiedene Richtungen offensichtlich den Anordnungen anstandslos Folge leistend entfernt hätten.

Nur in völliger Unkenntnis des österreichischen Verfassungsrechtes kann die bel. Beh. behaupten, 'eine ... unzumutbare Verletzung von Interessen der Allgemeinheit liegt auch im Inhalt der gegen den Staat und staatliche Einrichtungen gerichtet gewesenen Parolen, auch wenn sie nicht wirklich ernst gemeint gewesen sein mögen und einen gerichtlich strafbaren Tatbestand noch nicht verwirklichten ...'.

Jedermann hat in Österreich das Recht, auch eine Totaländerung der österreichischen Bundesverfassung und sohin des gesamten politischen Systems zu fordern. Die freiheitlichdemokratische Grundordnung ist nicht, wie etwa in der Bundesrepublik Deutschland, ad aeternam festgeschrieben. Parolen gegen die Polizei, ihre Organe und Übergriffe können - solange sie nicht gerichtlich strafbare Tatbestände verwirklichen niemals Grund dafür sein, daß eine Versammlung untersagt wird.

Des weiteren wird der angefochtene Bescheid damit begründet, daß 'die Verhaltensweisen der Teilnehmer an den im März und April 1985 ... durchgeführten Demonstration infolge ihrer exzessiven Form objektiv den Tatbestand der Erregung ungebührlicherweise störenden Lärmes ...' erfüllt hätten.

Wie schon in der Stellungnahme des Bf. vom hervorgehoben, ist aufgrund der vorliegenden Berichte logisch nicht ableitbar, daß es bei der untersagten Versammlung zwangsläufig zu einer derart exzessiven Lärmentwicklung gekommen wäre, daß eine präventive Untersagung gerechtfertigt wäre.

Im Bericht vom wird von einer übermäßigen Lärmentwicklung überhaupt nicht gesprochen. Ebensolches gilt für die Versammlung, die am stattgefunden hatte.

Im Bericht vom wird von 'infernalischem Geheul und Gebrüll' gesprochen. Die Versammlung hat jedoch nur 52 Minuten dauert. Auch in diesem Bericht wird nicht festgestellt, daß diese Lärmentwicklung ununterbrochen erfolgt wäre.

Auch in den Berichten vom und ist keine Rede davon, daß im übertriebenen Maße Lärm erzeugt worden wäre. Außerdem haben beide Versammlungen nur sehr kurz gedauert, nämlich 40 bzw. 45 Minuten.

In keinem einzigen dieser Berichte wird auch nur die Behauptung aufgestellt, daß sich eine einzige Person über den Lärm, der durch diese Demonstrationen verursacht wurde, beschwert hätte. Üblicherweise ist es Usus der bel. Beh., Anrainer und Passantenbeschwerden ausführlich anzuführen, um anschließendes Einschreiten zu rechtfertigen. Es ist bezeichnend, daß keine Aktenvermerke über persönliche oder telefonische Beschwerden zur Verfügung stehen. Dies läßt jedoch den Schluß zu, daß die Angaben in den Berichten zumindest übertrieben sind.

Es fanden in den letzten Jahren dutzende Demonstrationen statt, bei denen sich wesentlich mehr Personen beteiligt haben und bei denen weit mehr und über einen längeren Zeitraum Lärm erzeugt wurde. Man denke an alle Demonstrationen, bei denen Rockoder Blasmusikkapellen aufgespielt haben. Diese Musikdarbietungen sind aufgrund der elektronischen Verstärker und Lautsprecheranlagen in einem weit größeren Ausmaß lärmerregend. Beim jährlichen Stadtfest der ÖVP Wien, welches begrüßenswerterweise eine allgemeine Belebung des kulturellen und öffentlichen Lebens in dieser Stadt bewirkt hat, wird einen ganzen Tag lang in der ganzen Innenstadt teilweise ohrenbetäubender Lärm erzeugt. Kein Mensch kommt Gott sei Dank auf die Idee, deshalb Strafverfügungen wegen ArtIX Abs 1 Zif. 1 EGVG 1950 auszuteilen.

Die bel. Beh. verkennt die gesetzliche Lage, wenn sie vermeint, daß aus Abs 2 des Art 11 MRK abzuleiten wäre, jede objektive Verletzung einer verwaltungsstrafrechtlichen Norm mache eine Versammlung rechtswidrig.

Nicht allein die objektive Verwirklichung des Tatbestandes der ungebührlichen Lärmerregung ist geeignet, eine Versammlung rechtswidrig zu machen, sondern wäre weiters erforderlich, daß 'die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet' wäre.

Der Gesetzesvorbehalt des Art 11 MRK kann vernünftigerweise nur so interpretiert werden, daß eine Einschränkung des VersG nur aufgrund eines Gesetzes und bei Vorliegen einer der in Abs 2 des Art 11 MRK angeführten Gründe eingeschränkt werden kann.

Zusammenfassend ist festzuhalten, daß es sich in Wahrheit um einen Akt der politischen Repression gegenüber linksradikalen Demonstranten gehandelt hat. Untersagungsgrund war die Gesinnung der Demonstranten, ihre 'staatsfeindlichen Parolen' und ihre polizeikritischen Äußerungen.

Auch wenn die bel. Beh. im angefochtenen Bescheid diese Begründung ausdrücklich nicht aufrechterhält, pflichtet sie unterschwellig der Behörde erster und zweiter Instanz bei, wenn '... seien daher die gesetzlichen Schranken zu beachten, die der Sicherheit der staatlichen Ordnung vor entarteter Meinungsäußerung dienen'. Was den Nationalsozialisten die entartete Kunst war, ist heute offensichtlich die entartete Meinungsäußerung.

Der BF erachtet sich durch diesen Bescheid in seinem verfassungsgesetzliche gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit gem. Art 12 StGG und Art 11 MRK verletzt.

II. Verfahrensmängel

Der Bf. erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid auch durch folgende, in die Verfassungssphäre reichende Verfahrensmängel verletzt:

Dem Bf. bzw. dessen Vertreter wurde im gesamten Verfahren trotz ausdrücklichen Verlangens kein einziges Mal Akteneinsicht gewährt. Der Vertreter des Bf. wurde zwar zur Akteneinsicht in das Bundesministerium für Inneres geladen, bei Verrichtung dieses Termins wurden ihm jedoch lediglich unvollständige und anonyme Berichte der Staatspolizei zur Verfügung gestellt.

Teilweise sind Teile der Berichte abgedeckt oder enden mitten im Satz. Lediglich der Bericht vom scheint vollständig zu sein.

Diese Geheimniskrämerei ist sicherlich nicht in Hinblick auf das Datenschutzgesetz zur Wahrung berechtigter Interessen Dritter erfolgt, da in den Berichten, die dem Bf. überlassen wurden, zahlreiche Personen namentlich angeführt sind.

Das Parteiengehör ist eine zentrale Verfahrensgarantie. Die Möglichkeit, dieses Recht auszuüben und sich am Verfahren zu beteiligen, wird jedoch ad absurdum geführt, wenn die Akteneinsicht zur Gänze verweigert wird und lediglich unvollständige und ganz offensichtlich zensurierte Aktenteile ausgefolgt werden.

Der Bf. hat sowohl in seiner Berufung vom , als auch vom bestritten, daß es zu Lärmentwicklungen gekommen ist, die das öffentliche Wohl gefährdet haben. Insbesondere wurde bestritten, daß es zu massiven Anrainerprotesten gekommen wäre.

Die bel. Beh. hat keine hinreichende Ermittlungstätigkeit vorgenommen, bzw. wurde diese dem Bf. nicht zur Kenntnis gebracht.

Die Schmälerung des Parteiengehörs durch die Verweigerung der Akteneinsicht sowie die unterbliebene Ermittlungstätigkeit sind derart gravierend, daß von in die Verfassungssphäre reichenden Verfahrensmängel gesprochen werden muß."

IV. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde in rechtlicher Hinsicht erwogen:

1. a) Nach der ständigen Judikatur des VfGH (zB VfSlg. 9103/1981, 9303/1981, 9646/1983, 9783/1983, 10443/1985) ist jede Verletzung des VersG, die unmittelbar die Ausübung des Versammlungsrechtes betrifft und damit in die Versammlungsfreiheit eingreift, als Verletzung des durch Art 12 StGG und Art 11 MRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes zu werten. So verletzt etwa jeder Bescheid, mit dem die Abhaltung einer Versammlung untersagt wird, das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Versammlungsfreiheit schon dann, wenn das Gesetz unrichtig angewendet wurde.

b) Gemäß § 6 VersG sind Versammlungen, deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft oder deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet, von der Behörde (§16 VersG) zu untersagen.

2. a) Der angefochtene Bescheid wird damit begründet, daß die Abhaltung der angezeigten Versammlung das öffentliche Wohl gefährden würde.

Die BPD Wien konnte aufgrund der konkreten, von ihr zum Zeitpunkt der Versammlungsuntersagung festgestellten Umstände nämlich der Vorgänge bei früher stattgefundenen Versammlungen (s.o. II.) - mit gutem Grund prognostizieren, daß bei Durchführung der vorgesehenen Versammlung langdauernder, exzessiver Lärm entwickelt werden würde, der von einem großen, völlig unbeteiligten Personenkreis äußerst störend empfunden werden und über das bei Versammlungen sonst zu tolerierende Maß (nach Art, Stärke und Dauer) weit hinausgehen würde.

Es war daher prognostizierbar, daß sich bei der beabsichtigten Versammlung ähnliche Vorgänge wie bei den vorangegangenen Veranstaltungen erreignen würden. Nach der Vorgeschichte (s.o. II.) wurde bei den früheren Veranstaltungen exzessiver und objektiv störender Lärm erregt. Unerheblich für die von der BPD Wien zu treffende Prognoseentscheidung war, ob sich über den Lärm jemand ausdrücklich beschwert hatte und ob der Lärm bei den früheren Versammlungen stundenlang und ununterbrochen angehalten oder etwa "nur" 40 bzw. 52 Minuten gedauert hatte und fallweise unterbrochen worden war.

In ihrer Annahme, daß mit der Versammlung nicht tolerierbarer Lärm verbunden sein werde, wurde die Behörde durch die Versammlungsanzeige vom (s.o. II.) bestärkt. Darin wurde nämlich das Mitführen von Musik- und Rhythmusinstrumenten angekündigt und versichert, daß ab 22.00 Uhr keinerlei Lärm mehr entwickelt werden würde. Die Behörde konnte aus diesen Formulierungen sinnvoll erschließen, daß beabsichtigt war, vor dem genannten Zeitpunkt mit den erwähnten Instrumenten Lärm zu erzeugen.

b) Die Versammlung wurde - entgegen der Behauptung des Bf.

- nicht wegen des Inhaltes der erwarteten (gegen den Staat und seine Behörden gerichteten) Parolen untersagt, sondern (wie sich aus der Änderung des Spruches und der Begründung des angefochtenen Bescheides auf Seite 10 f. ergibt) ausschließlich wegen der - zu Recht - befürchteten exzessiven Lärmerregung.

c) Sicherlich wirken sich Versammlungen in der Regel auch für Unbeteiligte störend aus (so etwa durch Sperre des Straßenverkehrs, aber auch durch Lärmentwicklung). Die Behörde hat - wie aus Art 11 Abs 2 MRK hervorgeht (vgl. die Judikatur des VfGH zur Ermächtigung der Behörde, einen Verein aufzulösen, zB VfSlg. 8090/1977, und zur Auflösung einer Versammlung, zB VfSlg. 10443/1985) - abzuwägen, ob derartige Beeinträchtigungen im Interesse der Versammlungsfreiheit von der Öffentlichkeit hinzunehmen sind oder nicht.

Ein zu tolerierender Lärm ist nicht "ungebührlich" iS des ArtVIII EGVG oder der vergleichbaren anderen Bestimmungen der Länder über die Abwehr ungebührlicherweise hervorgerufenen störenden Lärmes (vgl. das zur Kunstfreiheit ergangene Erkenntnis des VfGH VfSlg. 11567/1987).

Nach der ständigen Judikatur des VfGH (zB

VfSlg. 4586/1963, 5193/1966, 5195/1966, 8685/1979, 9783/1983, 10443/1985 und 10608/1985) ist eine Zusammenkunft mehrerer Menschen dann als Versammlung iS des VersG zu werten, wenn sie in der Absicht veranstaltet wird, die Anwesenden zu einem gemeinsamen Wirken (Debatte, Diskussion, Manifestation usw.) zu bringen, sodaß eine gewisse Assoziation der Zusammengekommenen entsteht. Eine Versammlung ist - maW ausgedrückt - das Zusammenkommen von Menschen (auch auf Straßen) zum gemeinsamen Zweck der Erörterung von Meinungen oder der Kundgabe von Meinungen an andere.

Der Hauptzweck der Veranstaltung bestand - wie in der Beschwerde ausdrücklich angeführt wird - darin, mit einer im Strafbezirksgericht Wien inhaftierten Gesinnungsgenossin "Kontakt und Kommunikation aufrecht zu erhalten" und "in einem solchen Maß akustische Signale auszusenden, daß sie von der betroffenen Person im Gefangenenhaus auch wahrgenommen werden können". Lärm, der solches bezweckt, braucht nicht aus dem Grundsatz der Versammlungsfreiheit geduldet werden, weil derartige Verhaltensweisen grundsätzlich überhaupt nicht dem soeben geschilderten Versammlungsbegriff unterstellt werden können.

Sicherlich wollten die Versammlungsteilnehmer auch ihren Unmut über das Verhalten von (Gerichts-)Behörden ausdrücken. Das hiefür vorgesehene zentrale Mittel war, Lärm um des Lärmes wegen zu erzeugen. Es war aber der unbeteiligten Bevölkerung unzumutbar, die Meinung der Zusammengekommenen auf eine geradezu als akustischen Terror zu bezeichnende Weise vermittelt zu erhalten.

Die Behörde hat also die vorzunehmende Interessensabwägung zutreffend vorgenommen und die Versammlung wegen Gefährdung des öffentlichen Wohles dem § 6 VersG entsprechend untersagt.

3. Der Bf. rügt schließlich die Verzögerung des Berufungsverfahrens und macht Verfahrensmängel geltend; es sei seinem Vertreter eine ausreichende Akteneinsicht verweigert worden.

Die überlange Verfahrensdauer ist für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit des angefochtenen Bescheides nicht maßgebend.

Die Ausgangsposition des Bf. ist zwar insofern richtig, als auch Verfahrensmängel eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Versammlungsrechtes bewirken können (vgl. zB VfSlg. 4816/1964). Ein solcher Mangel ist hier aber nicht festzustellen; vielmehr ergibt sich aus dem vorgelegten Akt des BMI, Zl. 213026/8-II/15/88, daß der Beschwerdevertreter am jedenfalls in alle jene Unterlagen, auf die der angefochtene Bescheid gestützt wird, Einsicht erhielt.

4. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß der Bf. durch den angefochtenen Bescheid nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit verletzt wurde.

5. Im Hinblick darauf, daß die bei Erlassung des angefochtenen Bescheides angewendeten Rechtsvorschriften verfassungsrechtlich unbedenklich sind und daß der bekämpfte Bescheid dem Gesetz entspricht, ist die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes ausgeschlossen (vgl. zB VfSlg. 9103/1981).

Die Beschwerde war daher, weil Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der den Bescheid tragenden Rechtsvorschriften nicht bestehen, abzuweisen.

6. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung beschlossen werden.