OGH vom 22.01.2019, 10Ob109/18d
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. N*****, geboren ***** 2003 und 2. F*****, geboren ***** 2006, beide vertreten durch das Land Wien als Kinder- und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien, Wiener Kinder- und Jugendhilfe, Rechtsvertretung Bezirke 13, 14, 15, 1150 Wien, Gasgasse 8-10), wegen Erhöhung von Unterhaltsvorschüssen, über den Revisionsrekurs der Kinder gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 43 R 408/18w-137, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Fünfhaus vom , GZ 46 Pu 134/11f-122, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben.
Die Pflegschaftssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Text
Begründung:
Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist die Erhöhung der Unterhaltsvorschüsse für den Zeitraum vom bis auf monatlich 285 EUR je Kind sowie für den Zeitraum vom bis auf monatlich 435 EUR je Kind.
Der Vater der Kinder ist derzeit aufgrund des Beschlusses des Bezirksgerichts Fünfhaus vom (ON 13) zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 185 EUR für N***** und von 165 EUR für F***** verpflichtet. Mit Beschlüssen jeweils vom gewährte das Erstgericht die auf die Geldunterhaltspflicht des Vaters gewährten Titelvorschüsse (§§ 3, 4 Z 1 UVG) in der angeführten Höhe weiter (ON 83 und 84).
Am beantragten die Kinder die Unterhaltsverpflichtung des Vaters für seine beiden Kinder rückwirkend ab dem auf jeweils monatlich 285 EUR zu erhöhen. Der Vater gehe derzeit keiner Beschäftigung nach, sei aber in der Lage, monatlich 1.600 EUR als Personenschützer zu verdienen.
Mit Beschluss vom eröffnete das Bezirksgericht Innere Stadt Wien zu ***** über das Vermögen des Vaters das Schuldenregulierungsverfahren. Die Kinder meldeten folgende vollstreckbare und nicht titulierte Unterhaltsforderungen im Insolvenzverfahren des Vaters an (siehe ON 120):
Für N*****:
Aufgrund des Beschlusses vom , 46 Pu 134/11f-13, rückständige Unterhaltsforderungen in Höhe von 13.842,97 EUR;
aufgrund des Erhöhungsantrags eine nicht titulierte Forderung in Höhe von 2.100 EUR für die Zeit vom bis (Mehrbegehren laut Antrag 100 EUR x 21 Monate);
zusätzlich eine nicht titulierte Forderung in Höhe von 450 EUR für die Zeit vom bis ; insgesamt somit 15.942,97 EUR.
Für F***** wurden folgende Forderungen angemeldet:
Aufgrund des Beschlusses vom , 46 Pu 134/11-13, rückständige Unterhaltsforderungen in Höhe von 12.366,45 EUR;
aufgrund des Erhöhungsantrags eine nicht titulierte Forderung in Höhe von 2.520 EUR für die Zeit vom bis (Mehrbegehren 120 EUR x 21 Monate);
zusätzlich eine nicht titulierte Forderung in Höhe von 450 EUR für die Zeit vom bis ; insgesamt somit 14.886,45 EUR.
In der Prüfungstagsatzung anerkannte der Vater diese Forderungen. Er erklärte, den von ihm angebotenen Zahlungsplan nicht einhalten zu können, weil er zukünftig nur noch einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen werde und die Höhe seines zukünftigen Einkommens noch nicht kenne. Es wurde ihm daraufhin aufgetragen einen – an sein neues Einkommen angepassten – Zahlungsplan vorzulegen (ON 121).
Mit Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom wurde auf Antrag des Vaters das Abschöpfungsverfahren eingeleitet.
Am beantragten die Kinder im Hinblick auf das in der Prüfungstagsatzung abgegebene Anerkenntnis aller Forderungen die Erhöhung der Unterhaltsvorschüsse auch ab bis auf jeweils 435 EUR monatlich.
Das Erstgericht wies jeweils beide Anträge auf Erhöhung der Unterhaltsvorschüsse ab. Es führte aus, dass der Antrag auf Eröffnung des Schuldenregulierungsverfahrens am beim zuständigen Gericht eingelangt sei, sodass das Insolvenzrechtsänderungsgesetz 2017 (IRÄG 2017, BGBl I 2017/122) zur Anwendung komme. Nach dieser Rechtslage sei eine Restschuldbefreiung nunmehr an keine konkrete Quote mehr gebunden, sondern habe das Insolvenzgericht ein nicht eingestelltes Abschöpfungsverfahren nach Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung für beendet zu erklären und auszusprechen, dass der Schuldner von den im Verfahren nicht erfüllten Verbindlichkeiten gegenüber den Gläubigern befreit sei. Es erscheine daher weder eine quotenmäßige noch eine gänzliche Erhöhung auf die vom Schuldner anerkannten Unterhaltsbeträge für angemessen.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Kinder nicht Folge. Wenngleich nach dem IRÄG 2017 für die Beendigung des Abschöpfungsverfahrens keine Quote mehr festgelegt sei, sei das Gericht gehalten, dennoch die Bestimmung des § 7 UVG zu berücksichtigen und die Leistungsfähigkeit des Schuldners unter diesem Gesichtspunkt zu beurteilen. Wie sich aus den im Akt erliegenden Kopien aus dem Insolvenzakt ergebe, habe der Vater die angemeldeten Forderungen in Höhe von rund 175.000 EUR bei fehlendem Vermögen und einem Guthabensstand auf dem Massekonto von gerundet 460 EUR anerkannt. Die von ihm im Zahlungsplan angebotene Quote sei bei gerundet 8,6 % gelegen. In diesem Licht stoße die Abweisung des Vorschusserhöhungsbegehrens nicht auf Bedenken.
Über Zulassungsantrag ließ das Rekursgericht den Revisionsrekurs nachträglich mit der Begründung zu, dass keine Rechtsprechung dazu bestehe, ob auch nach den Änderungen durch das IRÄG 2017 bei Einleitung eines Abschöpfungsverfahrens unter Entfall der Mindestquote bei Beurteilung der Anhaltspunkte iSd § 7 Abs 1 Z 1 UVG dieselben Kriterien heranzuziehen seien, wie bei rechtskräftiger Annahme des Zahlungsplans.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Kinder ist zulässig und im Hinblick auf die mittlerweile ergangene Entscheidung 10 Ob 70/18v vom im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.
1.1 Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Unterhaltspflichtigen zerfallen die gesetzlichen Unterhaltsforderungen in zwei Teile, und zwar in jene, die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig werden (es handelt sich dabei um keine Insolvenzforderungen) und in jene, die bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits fällig sind (diese stellen Insolvenzforderungen dar – RIS-Justiz RS0037149).
1.2. Die zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bereits fälligen Unterhaltsforderungen sind auf die Quote beschränkt; sie unterliegen einer möglichen Restschuldbefreiung (Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht9 68).
1.3. Ausschließlich letztere – zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung am bereits fälligen – Forderungen liegen den im Revisionsrekursverfahren noch strittigen Erhöhungsanträgen für die Zeit vom bis zu Grunde. Infolge Eröffnung des Insolvenzverfahrens am sind nicht nur die Unterhaltserhöhungsbeträge für den Zeitraum vom bis , sondern – wie sich aus § 1418 ABGB ergibt – auch die für Jänner 2018 geltend gemachten Unterhaltsansprüche zur Gänze dem Zeitraum vor Insolvenzeröffnung zuzurechnen und damit Insolvenzforderungen (RIS-Justiz RS0119129).
2. Gemäß § 1 Z 7 EO sind amtliche Eintragungen in das im Insolvenzverfahren angelegte Anmeldungsverzeichnis Exekutionstitel, soweit sie nach § 61 IO vollstreckbar sind. Der rechtskräftige und vollstreckbare Auszug aus dem Anmeldungsverzeichnis – auch über das vom Vater abgegebene Anerkenntnis über 450 EUR pro Kind betreffend den Zeitraum bis – stellt somit einen Exekutionstitel dar (auf den sich der am gestellte „zweite“ Antrag der Kinder auf Erhöhung der Unterhaltsvorschüsse stützt).
3.1. Wird der Unterhalt erhöht, sind auch die Unterhaltsvorschüsse zu erhöhen, um den Gleichlauf zwischen den Unterhaltsvorschüssen und dem Unterhaltstitel herzustellen (Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB4§ 19 UVG Rz 22).
3.2. Daraus folgt aber nicht, dass die Vorschüsse unabhängig davon zu erhöhen wären, ob die Unterhaltspflicht noch besteht. Gemäß § 7 Abs 1 Z 1 UVG hat das Gericht die Vorschüsse vielmehr dann ganz oder teilweise zu versagen, soweit sich in den Fällen der § 3 und 4 Z 1 UVG aus der Aktenlage ergibt, dass die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht (mehr) besteht oder, der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend, zu hoch festgesetzt ist (RIS-Justiz RS0076391).
3.3. Diese Bestimmung ist im Verfahren nach § 19 UVG entsprechend anzuwenden (RIS-Justiz RS0117325; RS0105311 [T1]).
3.4. Auch die Anerkennung einer überhöhten Unterhaltsforderung durch den Unterhaltspflichtigen in der Prüfungstagsatzung kann somit nicht zur Bevorschussungsfähigkeit des Unterhaltserhöhungsbetrags führen (RIS-Justiz RS0127735; insofern zustimmend Neuhauser in seiner Entscheidungsanmerkung zu 10 Ob 13/12b, iFamZ 2012/125, 175 f).
3.5. Zweck der Bestimmung des § 7 Abs 1 Z 1 UVG ist, dass der Staat vor der Gewährung zu hoher Unterhaltsvorschüsse geschützt werden soll, die offensichtlich nicht der gesetzlichen Unterhaltspflicht entsprechen, sei es, weil die Inanspruchnahme missbräuchlich wäre oder, weil sich die Verhältnisse seit der Titelschaffung wesentlich geändert haben (10 Ob 46/09a; 10 Ob 91/08t mwN). Eine Erhöhung hat demnach dann zu unterbleiben, wenn nach der Aktenlage im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Beschlussfassung starke Anhaltspunkte gegen den materiellen Bestand des zu bevorschussenden gesetzlichen Unterhaltsanspruchs im titelmäßigen Ausmaß bestehen (RIS-Justiz RS0076391 [T16]).
4.1. Zu beurteilen ist daher, ob die am – somit (knapp) vor Beschlussfassung erster Instanz – erfolgte Einleitung des Abschöpfungsverfahrens einen Anhaltspunkt dafür abgibt, dass die vom Unterhaltsschuldner anerkannte Höhe seiner Unterhaltspflicht für den vor Eröffnung des Schuldenregulierungsverfahrens liegenden Zeitraum von der materiellen Rechtslage abweicht.
4.2. Zu 10 Ob 13/12b wurde diese Frage nach der Rechtslage vor dem IRÄG 2017 beurteilt. Nach dieser Entscheidung können trotz Feststellung einer Forderung, die aus einem Rückstand aus einer bisher nicht titulierten Unterhaltserhöhung (für die Vergangenheit) resultiert, bei Einleitung eines Abschöpfungsverfahrens gegen den Unterhaltsschuldner begründete Bedenken iSd § 7 Abs 1 Z 1 UVG entstehen, die einer Anpassung des bisher gewährten Unterhaltsvorschusses an die Erhöhung des Unterhaltstitels entgegenstehen (RIS-Justiz RS0127735). Wenngleich nach Einleitung des Abschöpfungsverfahrens die Höhe der erreichbaren Quote und die Erteilung der Restschuldbefreiung ungewiss bzw zweifelhaft ist, bildet das Verhältnis des monatlich an den Treuhänder abzuführenden Betrags zu den Gesamtverbindlichkeiten des Unterhaltsschuldners einen Anhaltspunkt dafür, in welchem Ausmaß eine allfällige Vorschusserhöhung in der Vergangenheit (in Bezug auf Insolvenzforderungen) möglich ist, obwohl die titelmäßige Unterhaltspflicht höher ist (siehe auch 10 Ob 107/15f).
4.3. In der jüngst – erst nach dem Beschluss auf Zulassung des Revisionsrekurses – am ergangenen Entscheidung 10 Ob 70/18v wurde ausgesprochen, es seien keine Gründe dafür ersichtlich, dass diese Erwägungen in Fällen von dem IRÄG 2017 unterliegenden Abschöpfungsverfahren nicht mehr zuträfen. Die Verkürzung des Abtretungszeitraums und der Wegfall der Mindestquote des § 213 Abs 1 IO aF aufgrund des IRÄG 2017 erleichtere die Erlangung der Restschuldbefreiung im Abschöpfungsverfahren. Das IRÄG 2017 ändere aber nichts daran, dass aus der Höhe des im Beurteilungszeitpunkt geleisteten Abschöpfungsbetrags im Verhältnis zu den Gesamtverbindlichkeiten Anhaltspunkte für eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür zu entnehmen seien, dass die titelmäßige Unterhaltspflicht im Hinblick auf die zu erwartende Restschuldbefreiung materiell zu hoch sei. Der Wegfall der für die Restschuldbefreiung gemäß § 213 Abs 1 IO erforderlichen Mindestquote führe lediglich dazu, dass die zu erwartende Höhe der nach Erteilung der Restschuldbefreiung materiell-rechtlich bestehenden Unterhaltspflicht des Schuldners im Ergebnis auch unter der (nach alter Rechtslage erforderlichen) Mindestquote von 10 % liegen könne.
5.1. Diese Erwägungen treffen auch auf den vorliegenden Fall zu, in dem – infolge Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach dem – die Änderungen durch das IRÄG 2017 (unstrittig) bereits anzuwenden sind.
5.2. Ob und allenfalls in welcher konkreten Höhe eine Erhöhung der Unterhaltsvorschüsse vorzunehmen ist bzw ob eine solche (doch) abzulehnen sein sollte, lässt sich auf Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen sowie der Aktenlage aber noch nicht abschließend beurteilen:
Das Erstgericht hat ausgehend von seiner Rechtsansicht, eine Erhöhung komme nach dem IRÄG 2017 generell nicht mehr in Betracht, weder Feststellungen zur Höhe der vom Vater zur Abdeckung der angemeldeten Forderungen an den Treuhänder abgeführten Beträge, noch zur Höhe der Gesamtverbindlichkeiten getroffen. Das Rekursgericht hat zwar in seiner rechtlichen Beurteilung auf die im Akt erliegende Kopie des Antrags auf Annahme eines Zahlungsplans (ON 121) hingewiesen. Dieser Zahlungsplanvorschlag wurde aber – wie sich aus der ebenfalls im Akt erliegenden Kopie des Protokolls über die Prüfungstagsatzung (ON 120) ergibt – nicht bestätigt. Zum Inhalt eines vor Entscheidung über den Antrag auf Durchführung des Abschöpfungsverfahrens zu erstellenden weiteren (zulässigen) Zahlungsplanvorschlags (§ 200 Abs 1 IO) lässt sich aus dem Akteninhalt nichts ableiten. Aus der
– allgemein zugänglichen – Ediktsdatei ist als wesentlicher Inhalt dieses weiteren Zahlungsplanvorschlags nur ersichtlich, dass die Gläubiger 3,84 % in 84 Raten erhalten, auch dieser Zahlungsplanvorschlag nicht angenommen und am das Abschöpfungsverfahren eingeleitet wurde.
5.3. Das Erstgericht wird daher im fortzusetzenden Verfahren die erforderlichen Feststellungen zu ergänzen und auf Grundlage dieser Feststellungen neuerlich über den Erhöhungsantrag zu entscheiden haben. Nach Gegenüberstellung der Höhe der gesamten im Abschöpfungsverfahren zu bedienenden Verbindlichkeiten und der voraussichtlich im Abschöpfungsverfahren erreichbaren Quote wird eine Anhebung der Vorschüsse höchstens im Umfang der erreichbaren Quote in Frage kommen (10 Ob 70/18v).
Dies führt zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:0100OB00109.18D.0122.000 |
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