VfGH vom 03.12.2009, B1008/07

VfGH vom 03.12.2009, B1008/07

Sammlungsnummer

18927

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Beamten wegen Dienstpflichtverletzung durch Urkundenfälschung und Verwendung des verfälschten Beweismittels in einem anderen Disziplinarverfahren; Disziplinarverfahren gegen Beamte keine Strafverfahren im Sinne des Systems der EMRK; jedoch Anwendbarkeit der zivilrechtlichen Garantien der EMRK auf das Disziplinarrecht der Beamten; keine Anwendung des Doppelbestrafungsverbotes

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Der Beschwerdeführer steht als Exekutivbeamter der

Polizei in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund.

Mit Erkenntnis der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres (im Folgenden: Disziplinarkommission) wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt, am in zivil und außer Dienst in einer Filiale der Firma M M eine Fotobatterie im Wert von € 10,99 an sich genommen und, ohne diese zu bezahlen, in seine Hosentasche gesteckt zu haben; er habe dadurch Dienstpflichtverletzungen gemäß § 43 Abs 2 iVm § 91 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 - BDG 1979 BGBl. 333 idgF begangen. Es wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 92 Abs 1 Z 3 BDG 1979 die Disziplinarstrafe der Geldstrafe in der Höhe eines Monatsbezuges verhängt. Dieses Disziplinarerkenntnis wurde von der Disziplinarkommission in der mündlichen Disziplinarverhandlung am verkündet und am schriftlich ausgefertigt.

1.2.1. Mit Schreiben vom teilte die Disziplinarkommission dem Landespolizeikommando für Wien mit, dass der Beschwerdeführer im Zuge der (unter Pkt. 1.1. genannten) mündlichen Disziplinarverhandlung am eine Kopie eines Kassenbeleges der Firma M M mit dem Hinweis vorgelegt habe, die Originalrechnung der Disziplinarkommission per Dienstpost übermittelt zu haben; da diese Rechnung bei der Disziplinarkommission niemals eingelangt sei und laut Auskunft eines von der Disziplinarkommission nach Durchführung der mündlichen Disziplinarverhandlung kontaktierten Detektivs der Firma M M nicht mit der vom Beschwerdeführer vorgelegten Kopie übereinstimmen dürfte, werde das Landespolizeikommando um diesbezügliche Erhebungen ersucht. Nach Vornahme der entsprechenden Ermittlungen erstattete das Landespolizeikommando für Wien gegen den Beschwerdeführer wegen des Verdachts, dass dieser durch die Verfälschung des Kassenbeleges und dessen Vorlage in der Disziplinarverhandlung am seine Dienstpflichten verletzt habe, mit Schreiben vom und vom Disziplinaranzeige. Mit Bescheid vom leitete die Disziplinarkommission gegen den Beschwerdeführer gemäß § 123 Abs 1 BDG 1979 ein Disziplinarverfahren ein und stellte fest, dass dieses gemäß § 114 Abs 2 leg.cit. ex lege unterbrochen sei, weil das Büro für besondere Ermittlungen bei der Bundespolizeidirektion Wien am gegen den Beschwerdeführer Strafanzeige an die Staatsanwaltschaft wegen Urkundenfälschung gemäß § 223 StGB erstattet habe.

Mit Schreiben der Staatsanwaltschaft Wien vom wurde das Büro für besondere Ermittlungen bei der Bundespolizeidirektion Wien vom Rücktritt von der strafrechtlichen Verfolgung des Beschwerdeführers nach Zahlung eines Geldbetrages gemäß § 90c Abs 5 StPO in der Fassung vor dem Strafprozessreformgesetz BGBl. I 19/2004 verständigt.

Daraufhin entschied die Disziplinarkommission mit Beschluss vom , eine mündliche Disziplinarverhandlung anzuberaumen, und führte diese in Anwesenheit des Beschwerdeführers am durch. Mit in dieser Disziplinarverhandlung mündlich verkündetem und am selben Tag schriftlich ausgefertigtem Disziplinarerkenntnis der Disziplinarkommission wurde u.a. Folgendes ausgesprochen:

"[Der Beschwerdeführer] ist schuldig, er habe

1.)[im] Jänner 2006, kurz vor der Disziplinarverhandlung am [,] zur Verwendung im Disziplinarverfahren vorsätzlich eine Rechnung - und damit eine Urkunde - der Fa M M vom mit der Belegnummer 47052 A008 104 5491 verfälscht,

2.) am im Zuge seiner Disziplinarverhandlung vor der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres ...

dieses von ihm verfälschte... Beweismittel bzw. Urkunde vorgelegt, um

damit das ihm vorgeworfene strafbare Verhalten zu widerlegen[,] und dabei in seinem gesamten Verhalten nicht darauf Bedacht genommen, dass das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben erhalten bleibe,

er habe dadurch eine Dienstpflichtverletzung gemäß § 43 Abs 2 BDG 1979 i. d. g. F. i. V. m. § 91 BDG 1979 i. d. g. F. begangen.

Über den Beschuldigten wird gemäß § 92 Abs 1 Zi. 3 BDG 1979 i. d. g. F. die Disziplinarstrafe der Geldstrafe in der Höhe von 5 Monatsbezügen verhängt."

Begründend wurde dazu u.a. ausgeführt, dass die Anwendung der Diversionsbestimmung durch die Organe der Strafrechtspflege keine Bindung der Disziplinarbehörden begründe und diese den dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Sachverhalt (Urkundenfälschung und Verwendung der gefälschten Urkunde) daher eigenständig zu prüfen hätten; der Beschuldigte im BDG 1979 unterliege bei seinen Aussagen in einem Disziplinarverfahren zwar nicht dem Wahrheitszwang, doch könne dies nicht dazu führen, dass er, um sein Vorbringen während der Disziplinarverhandlung zu untermauern, ein strafrechtlich zu ahndendes Delikt begehe und damit gerade jene Rechtsgüter verletze, zu deren Schutz er dienstlich verpflichtet sei; da die Disziplinarkommission nur auf Grund einer Disziplinaranzeige tätig werden dürfe und die Disziplinaranzeige im damaligen, wegen des Vorwurfes des Ladendiebstahles geführten Verfahren (s. Pkt. 1.1.) nur den Ladendiebstahl beinhaltet habe, sei wegen der Urkundenfälschung neuerlich eine Disziplinaranzeige zu erstatten und ein weiteres, eigenes Verfahren abzuführen gewesen; die wegen des Ladendiebstahles erfolgte disziplinarrechtliche Verurteilung könne nicht als erschwerend gewertet werden, doch könne dem Beschwerdeführer auch nicht die disziplinarrechtliche Unbescholtenheit zugute kommen; es sei keine Entlassung auszusprechen gewesen, weil eine solche bei Urkundenfälschungen nur bei Hinzutreten weiterer Verfehlungen gerechtfertigt sei.

1.2.2. Die gegen diesen Bescheid sowohl vom Beschwerdeführer als auch von der Disziplinaranwältin (von Letzterer ausschließlich gegen die Strafbemessung) erhobenen Berufungen wurden mit Bescheid der Disziplinaroberkommission beim Bundeskanzleramt (in der Folge: Disziplinaroberkommission) vom abgewiesen. Die Abweisung der Berufung des Beschwerdeführers wird u.a. wie folgt begründet:

"Dass ein Beschuldigter im Disziplinarverfahren nicht zur Aussage gezwungen werden darf und nicht der Wahrheitspflicht unterliegt (so auch Kucsko-Stadlmayer, Das Disziplinarrecht der

Beamten3, 375), bedeutet ... nicht, dass es dem Beamten auch frei

steht, sich jedes denkbaren Mittels für seine Verteidigung zu bedienen und mit diesem Verhalten gegen strafgesetzliche Normen zu verstoßen. Auch handelt es sich beim Verhalten des Beschuldigten nicht um eine straflose Nachtat (Deckungshandlung) bzw. steht dieses Verhalten nicht in zeitlicher und/oder inhaltlicher Tateinheit mit der der Disziplinarverhandlung vom zugrunde liegenden Tat, sondern es richten sich beide Taten nicht gegen das selbe Rechtsgut, da im ersteren Fall das Rechtsgut des Schutzes von fremdem Eigentum, im jetzt anhängigen Fall das geschützte Rechtsgut der Zuverlässigkeit von Urkunden und Beweismitteln verletzt worden ist. Die behauptete 'Nachtat' geht daher über die anlässlich der ersten Tat erfolgte Rechtsgutverletzung hinaus, weshalb es sich mangels identer Rechtsgutverletzung nicht um den Fall einer straflosen Nachtat handelt (vgl. dazu auch Kucsko-Stadlmayer, Das Disziplinarrecht der Beamten3, 92).

Soweit der Beschuldigte vorbringt, die Disziplinarkommission hätte berücksichtigen müssen, dass sowohl die versuchte Entwendung vom als auch die Verfälschung der Urkunde im Zusammenhang mit der Disziplinarverhandlung vom gemeinsam entschieden werden hätten müssen und im Disziplinarverfahren die Grundsätze des Strafverfahrens anzuwenden seien[,] um solchermaßen das Recht des Beschuldigten im Sinne des Art 6 EMRK auf ein faires Verfahren zu gewährleisten, sodass für beide Disziplinarvergehen eine einheitliche Bestrafung erfolgen hätte müssen, ist dem im Prinzip Recht zu geben (siehe Kucsko-Stadlmayer, Das Disziplinarrecht der Beamten3, 90f sowie 438ff), doch ist dies nur unter der auch von Kucsko-Stadlmayer genannten Voraussetzung (aaO, 91 sowie 439) möglich, dass eine solche Verbindung nicht auf verfahrensrechtliche Hindernisse stößt[,] und jedenfalls dann nicht mehr möglich, wenn bereits ein Disziplinarerkenntnis erster Instanz vorliegt.

Im vorliegenden Fall wurde der Beschuldigte während der Verhandlung am anlässlich der Vorlage der Rechnungskopie darauf hingewiesen, dass derartige Rechnungen manipuliert werden können (Frage des Disziplinaranwaltes an den Beschuldigten ...: 'Sie wissen, dass derartige Rechnungen auch manipuliert werden können?'), worauf der Beschuldigte antwortete:

'Ja, das weiß ich, ich habe aber an diesen Schriftstücken nicht herummanipuliert'.

Der erkennende erstinstanzliche Senat konnte daher zum Zeitpunkt des Ausspruches seines Disziplinarerkenntnisses am zu Recht vom Zutreffen dieser Aussage des Beschuldigten ausgehen und war nicht gehalten, dieses laufende Verfahren zur Prüfung des Verdachtes betreffend Urkundenverfälschung zu unterbrechen[,] um diesem Verdacht nachzugehen. Dass die Vorsitzende des erstinstanzlichen Senates es nach dieser Aussage des Beschuldigten auf später verschoben hat, dem aufgekommenen Verdacht mittels Aktenvermerk vom und weiteren Nachforschungen nachzugehen, ist nicht geeignet, das Disziplinarverfahren betreffend Urkundenverfälschung aus dem Grunde der nicht erfolgten Verbindung beider Verfahren, welche auf die oben aufgezeigten prozessrechtlichen Hindernisse gestoßen wäre, mit Rechtswidrigkeit zu belasten. Es handelt sich bei dem vorliegenden zweiten Disziplinarverfahren daher um ein vom vorhergehenden Disziplinarverfahren unabhängiges Verfahren, sodass nicht lediglich eine Zusatzstrafe zu verhängen gewesen wäre.

Soweit der Beschuldigte vorbringt, die erste Instanz habe weiters nicht berücksichtigt, dass er für das ihm zur Last gelegte Verhalten, d.h. die Verfälschung der Urkunde, strafgerichtlich verfolgt worden sei[,] und eine Bestrafung im Disziplinarverfahren würde ebenso wie eine gleichzeitige Bestrafung im gerichtlichen Verfahren und im Verwaltungsstrafverfahren gegen den Grundsatz der Doppelbestrafung und damit gegen Art 6 EMRK verstoßen, ist dem entgegenzuhalten, dass das Disziplinarrecht des Beamten nicht unter den Strafrechtsbegriff der EMRK zu subsumieren ist, weshalb die disziplinarrechtliche Verfolgung eines bereits strafgerichtlich geahndeten Verhaltens (§95 BDG) auch nicht gegen das Doppelbestrafungsverbot des 'ne bis in idem' des Art 4 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK verstößt. Weiters ist auf den unterschiedlichen Schutzzweck der Normen des Strafrechtes und des Disziplinarrechtes zu verweisen, weshalb ein disziplinarrechtliches Vorgehen gegenüber bereits strafrechtlich abgesprochenem Fehlverhalten unter Zugrundelegung des Schutzzwecks des Disziplinarrechts in vielen Fällen erforderlich ist, welchem Erfordernis § 95 Abs 3 BDG [Anm.: in der Fassung vor der Dienstrechts-Novelle 2008, BGBl. I 147/2008] Rechnung trägt.

Soweit der Beschuldigte vorbringt, dass eine Geldstrafe in Höhe von fünf Monatsbezügen, dies entspreche etwa einem Betrag von € 15.000, drakonisch sei und nicht dem Schuld- und Unrechtsgehalt entspreche, denn er sei ein Beamter mit einer außerordentlich hohen Anzahl an Belobigungen, der bei gemeinsamer Aburteilung der beiden ihm zur Last gelegten Disziplinarvergehen als unbescholten gegolten hätte und er jedenfalls im Zeitpunkt der Begehung des nunmehrigen Disziplinarvergehens noch unbescholten gewesen sei bzw. zum damaligen Zeitpunkt noch kein gegen ihn ergangenes disziplinarrechtliches Erkenntnis vorgelegen sei und bei richtiger rechtlicher Beurteilung die Erstinstanz daher jedenfalls auch die disziplinarrechtliche Unbescholtenheit als weiteren Milderungsgrund ansehen hätte müssen, ist zu erwidern, dass es dem Beschuldigten durchaus möglich gewesen wäre, auf die ihm in der Verhandlung gestellte Frage wahrheitsgemäß zu antworten, in welchem Fall das Disziplinarverfahren betreffend §§15, 127 StGB jedenfalls hätte unterbrochen werden müssen und es zu einer Verbindung beider Verfahren und zum Ausspruch einer Strafe für alle Fehlverhalten kommen hätte müssen.

Der erstinstanzliche Disziplinarsenat hat als mildernd ohnehin das Geständnis des Beschuldigten sowie seine zahlreichen Belobigungen gewertet und darauf hingewiesen, dass der Beschuldigte disziplinarrechtlich nicht mehr unbescholten ist. Diesen Erwägungen zur Strafbemessung schließt sich die Disziplinaroberkommission an, weshalb die Verhängung der Disziplinarstrafe der Geldstrafe gemäß § 92 Abs 1 Z 3 BDG in Höhe von fünf Monatsbezügen gerechtfertigt ist."

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 Abs 1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, gemäß Art 4 7. ZPEMRK nicht wegen derselben Sache zweimal vor Gericht gestellt oder bestraft zu werden, auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf "Freiheit vor Selbstbezichtigung (Art90 Abs 2 B-VG, Art 6 Abs 1 und Abs 2 EMRK)" sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung "der verfassungswidrigen Bestimmungen in § 95 Abs 1 und Abs 3 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 i.d.g.F." behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

Der Beschwerdeführer bringt dazu im Wesentlichen Folgendes vor:

"a) Verletzung des Grundsatzes ne bis in idem:

Die Verhängung der Disziplinarstrafe einer Geldstrafe in Höhe von fünf Monatsbezügen durch den bekämpften Bescheid verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht, wegen derselben Sache nicht zweimal verfolgt oder verurteilt zu werden. Ein Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot des Art 4 7. Zusatzprotokoll EMRK liegt nach der Judikatur des EGMR immer schon dann vor, wenn gegen eine Person wegen derselben wesentlichen Sachverhaltselemente seines Verhaltens eine erneute Verfolgungshandlung gesetzt wird, obwohl die Sache bereits rechtskräftig durch die Behörden der Strafrechtspflege bzw.

d[ie] Verwaltungsstrafbehörden ... erledigt ist; eine rechtskräftige

Verurteilung muss dabei gar nicht vorliegen (siehe EGMR Gradinger gegen Österreich, Urteil vom , §§54 bis 55, Franz Fischer gegen Österreich, Urteil vom , § 29).

Im gegenständlichen Fall wurde der Beschwerdeführer wegen der Verfälschung einer Urkunde und deren Verwendung im Rechtsverkehr einerseits gemäß § 223 StGB strafrechtlich verfolgt und andererseits wegen derselben Sachverhaltselemente gemäß § 91 BDG disziplinarrechtlich zur Verantwortung gezogen.

Im oben angeführten Urteil Gradinger hat der EGMR den von der Republik Österreich zu Art 4 7. Zusatzprotokoll EMRK erklärten Vorbehalt, dass das Verbot der Doppelbestrafung nur für ein Strafverfahren im Sinne der StPO gelten soll, als ungültig qualifiziert. Damit ist jedoch klar, dass sich der Beschwerdeführer auf dieses Grundrecht auch bei Durchführung eines Disziplinarverfahrens grundsätzlich berufen kann, da dieses vom grundrechtlichen Geltungsbereich umfasst ist. Im Erkenntnis vom zu G9/96 u.a. hat sich der Verfassungsgerichtshof im Übrigen dieser Bewertung der österreichischen Erklärung angeschlossen.

In ständiger Rechtsprechung legt der Verfassungsgerichtshof dar, dass aufgrund der teilweise unterschiedlichen Zielorientierung

von Strafrecht und Disziplinarrecht ... nur in Wahrnehmung des so

genannten 'disziplinären Überhangs' eine strafgerichtliche Verfolgung oder Verurteilung der Einleitung von disziplinarrechtlichen Reaktionen nicht entgegensteht.

Die Sanktionen des allgemeinen Strafrechts sind im Regelfall die Freiheitsstrafe und die Geldstrafe. Nach rechtskräftiger Erledigung eines eingeleiteten Strafverfahrens verbleiben somit als disziplinärer Überhang nur noch jene Reaktionen, die mit den Mitteln des allgemeinen Strafrechts nicht zu erreichen sind. Diese disziplinarrechtlichen Reaktionen beinhalten etwa den Verweis, de[n] Verlust von Rechten und Ansprüchen aus dem Dienstverhältnis oder im schärfsten Fall die Entlassung.

Ausdrücklich ist jedoch die Rechtfertigung für eine gesonderte disziplinäre Bestrafung unter dem Gesichtspunkt der Judikatur des EGMR auch in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs beschränkt auf diesen disziplinären Überhang (siehe dazu etwa jüngst unter Berufung auf die Vorjudikatur, wo zum Beispiel die Verhängung der Disziplinarstrafe der Streichung von der Liste der Rechtsanwälte zusätzlich zur strafgerichtlichen Verurteilung als legitim angesehen wurde).

Im gegenständlichen Fall wurde das wegen des Urkundendelikts eingeleitete Strafverfahren rechtskräftig mit Diversion erledigt, indem der Staatsanwalt gemäß § 90c Abs 5 StPO nach Zahlung eines Geldbetrags durch den Beschwerdeführer in Höhe von € 1.250,-- von der Verfolgung zurückgetreten ist. Die Verhängung einer Geldstrafe gemäß § 92 Abs 1 Zif. 3 BDG gehört daher im Falle des Beschwerdeführers nicht mehr zum disziplinären Überhang, da diese Sanktion bereits strafrechtlich konsumiert war.

Darüber hinaus ist zu betonen, dass der Beschwerdeführer die nach dem BDG höchstmögliche Geldstrafe in Höhe von fünf Monatsbezügen ausgefasst hat. Weder wurde die vom Beschwerdeführer bezahlte Geldbuße aus dem Strafverfahren, noch die über ihn verhängte Strafe aus dem ersten Disziplinarverfahren in Höhe von einem Monatsbezug mitberücksichtigt.

Auch das deutsche Bundesverfassungsgericht vertritt in ständiger Rechtsprechung die Rechtsmeinung, dass das verfassungsrechtliche Doppelbestrafungsverbot so zu verstehen ist, dass die Verhängung von zwei Kriminalstrafen, d.h. solche der so genannten 'allgemeinen Strafgesetze' im Gegensatz zu berufsrechtsspezifischen Disziplinarstrafen[,] aufgrund desselben Sachverhalts verboten ist. Anders als die Kriminalstrafe trifft die disziplinarrechtliche Sanktion den Betroffenen nicht in seinem allgemeinen Staatsbürgerstatus, der Freiheit und dem Vermögen, sondern nur in seiner besonderen Rechtsstellung etwa als Beamter oder Angehöriger eines Sportverbandes (siehe dazu etwa die Entscheidungen BVerfGE 21, 383/384; 28, 267/277; 43, 105; sowie bei Disziplinarvergehen BVerfGE 21, 384, 403/404; 29, 144; 32, 48/49).

Insgesamt hätte die belangte Behörde daher die Bestimmungen des § 95 Abs 1 und Abs 3 BDG entlang der oben dargestellten Grundsätze dahingehend verfassungskonform auslegen müssen, dass sie aufgrund der rechtskräftigen Erledigung des gegen den Beschwerdeführer eingeleiteten Strafverfahrens durch Zahlung eines Geldbetrags die Sanktion der Geldstrafe bereits als konsumiert und nicht mehr als dem disziplinären Überhang angehörend anzusehen gehabt hätte und daher von der Verfolgung und Verurteilung durch Verhängung einer Geldstrafe Abstand hätte nehmen müssen.

Für den Fall, dass der Wortlaut der Bestimmungen des § 95 Abs 1 und Abs 3 BDG eine derartige verfassungskonforme Auslegung nicht zulässt, so müsste Abs 1 insoweit durch Streichung der verfassungswidrigen Passagen bereinigt werden, dass folgende Wortfolge verbleibt: 'Erschöpft sich die Dienstpflichtverletzung in der Verwirklichung des strafbaren Tatbestands, so ist von der Verfolgung abzusehen.' Abs 3 wäre zur Gänze aufzuheben.

b) Recht auf den gesetzlichen Richter:

Aufgrund der bereits in der Disziplinarverhandlung am gegen den Beschwerdeführer auf Seiten des Senats bestehenden Verdachtsmomente einer unter die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung (Urkundendelikt) hätte der Disziplinarsenat das Verfahren sofort gemäß § 114 BDG unterbrechen müssen, um Anzeige zu erstatten. Da der Disziplinarsenat das Disziplinarverfahren jedoch entgegen dieser Bestimmung zu Ende führte, und der Beschwerdeführer wegen des Urkundendelikts in einem weiteren Disziplinarverfahren gesondert verfolgt wurde, wurde er seines Rechts auf einheitliche Bestrafung vor dem zuständigen Disziplinarsenat beraubt.

Dass in verbundenen Disziplinarverfahren eine analoge Anwendung der Bestimmungen des StGB über das Absorptionsprinzip jedenfalls nicht unvertretbar ist, hat der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom , B158/86 ausgesprochen und findet auch in § 93 Abs 2 BDG Unterstützung. Das Absorptionsprinzip führt bei verbundenen Verfahren zu einer einheitlichen Bestrafung, sodass dessen Anwendung im gegenständlichen Fall wegen der verhängten maximalen Geldstrafe jedenfalls zu einem für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis geführt hätte und daher auch geboten wäre.

Da jedoch eine einheitliche Entscheidung über die beiden gegen den Beschwerdeführer gerichteten Vorwürfe nicht erfolgt ist, haben die Verwaltungsbehörden (Disziplinarkommission beim [gemeint wohl: Bundesministerium für Inneres] sowie die belangte Behörde) in Form eines unzuständigen Senats bzw. in anderer Zusammensetzung entschieden als bei gesetzeskonformer Vorgehensweise, sodass der Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Entscheidung durch den gesetzlichen Richter gemäß [Art.] 83 Abs 2 B[-]VG verletzt wurde.

c) Freiheit vor Selbstbezichtigung:

Im bekämpften Bescheid führt die belangte Behörde ... aus:

'dass es dem Beschuldigten durchaus möglich gewesen wäre, auf die ihm in der Verhandlung gestellte Frage [Anmerkung: ob er die vorgelegte Urkunde gefälscht habe] wahrheitsgemäß zu antworten, in welchem Fall das Disziplinarverfahren betreffend §§15, 127 StGB jedenfalls hätte unterbrochen werden müssen und es zu einer Verbindung beider Verfahren und zum Ausspruch einer Strafe für alle Fehlverhalten kommen hätte müssen.'

Um zu der für den Beschwerdeführer vorteilhaften Verbindung beider Verfahren zu kommen, zwingt die belangte Behörde daher den Beschwerdeführer indirekt zu einer verfassungsrechtlich verpönten Selbstbezichtigung.

Im Erkenntnis vom , G249/98 u.a. hat der Verfassungsgerichtshof festgehalten: 'Einem Zwang zur Selbstbezichtigung gleichzuhalten ist nicht nur der Fall, dass sich jemand im praktischen Ergebnis als Täter einer bereits als Verwaltungsübertretung verfolgten Tat bekennen muss, sondern auch dann, wenn die erzwungene Erklärung angesichts der sie begleitenden Umstände den für das Vorliegen und den Nachweis eines Straftatbestands typischerweise entscheidenden Hinweis gibt.'

Wenn also die belangte Behörde die Rechtsansicht vertritt, dass der Beschwerdeführer die für ihn günstige Verfahrensverbindung nur dann in Anspruch nehmen kann, wenn er sich selbst beschuldigt, so verletzt sie dabei jedenfalls das aus Art 90 Abs 2 B-VG sowie Art 6 EMRK erfließende Verbot des Zwangs zur Selbstbezichtigung.

Auf europäischer Ebene judiziert der EGMR in ständiger Rechtsprechung, dass die Grundsätze des fairen Verfahrens und der Unschuldsvermutung den Schutz vor Selbstbelastung mit einschließen, zu dem das Schweigerecht und das Verbot des Zwangs zur Selbstbezichtigung (z.B. durch eigene Vorlage belastenden Beweismaterials) gehört. Es gilt der Grundsatz, wonach niemand verpflichtet ist, sich selbst zu belasten (nemo tenetur se ipsum accusare). Der Beschuldigte kann sich weigern, auf Fragen zu antworten und Beweismittel vorzulegen. Obwohl der Schutz vor Selbstbelastung in der EMRK nicht eigens erwähnt ist, ist er nach Auffassung des EGMR ein international allgemein anerkannter Grundsatz, der zum Kern des Rechts auf ein faires Verfahren gehört (vgl. EGMR, Funke gegen Frankreich, Urteil vom ). Der auf den Angeklagten ausgeübte Zwang, belastendes Beweismaterial vorzulegen oder gegen sich auszusagen, ist als Verletzung des Schweigerechts zu werten.

In diesem Zusammenhang versteht der EGMR den Begriff der strafrechtlichen Anklage in Art 6 EMRK sehr weitgehend, sodass sämtliche Situationen umfasst sind, wo eine Person erheblich betroffen ('substantially affected') ist (siehe in jüngerer Zeit etwa Heaney und McGuinness gegen Irland, Urteil vom , § 41).

Genauso wie die aktive Androhung von Zwangsmaßnahmen verstößt jedoch gegen das Verbot zur Selbstbezichtigung bzw. das Schweigerecht, wenn aus einer Nichtoffenlegung von belastenden Umständen für den Betroffenen negative Konsequenzen entstehen, weil dieser keine vernünftigen Handlungsalternativen zur Selbstbezichtigung hat und daher indirekt zur Aussage gegen sich bzw. zu einem Schuldeingeständnis gezwungen wird.

Aufgrund der noch in der [wegen des Ladendiebstahles am abgeführten] Verhandlung erfolgten Nachforschungen des Senats [Anm.: wie der Beschwerdeführer in der wegen des Urkundendeliktes abgehaltenen mündlichen Verhandlung am vorgebrachte, habe der Beisitzer noch während der Verhandlung am mit der Firma M M telefoniert, weil die Authentizität der vom Beschwerdeführer vorgelegten Rechnung vom Senat angezweifelt worden sei] hat sich die Verdachtslage gegen den Beschwerdeführer in Hinblick auf ein strafrechtlich relevantes Verhalten stark verdichtet

... . Indem die belangte Behörde im bekämpften Bescheid ausführt,

dass der Beschwerdeführer die begehrte Verfahrensverbindung - die angesichts der verhängten höchstmöglichen Geldstrafe insgesamt zwingend zu einem günstigeren Ergebnis für den Beschwerdeführer geführt hätte - nur dann hätte erreichen können, wenn er die von ihm vorgenommene Verfälschung der vorgelegten Rechnung auch gleich offen eingestanden hätte, unterstellt die belangte Behörde den Bestimmungen der §§93 Abs 2 und 114 BDG einen verfassungswidrigen Inhalt. Anstelle der von der belangten Behörde geforderten Selbstbezichtigung hätte diese die Verfahrensunterbrechung und Verfahrensverbindung letztlich schon von [Amts wegen] durchführen müssen."

Die Disziplinaroberkommission als die im verfassungsgerichtlichen Verfahren belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen, in eventu die Behandlung der Beschwerde abzulehnen; auf die Erstattung einer Gegenschrift wurde verzichtet.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Zur maßgeblichen Rechtslage

1.1. Der im mit "Dienstpflichten des Beamten" überschriebenen 5. Abschnitt des Allgemeinen Teils des BDG 1979 befindliche § 43 in der Fassung BGBl. I 87/2002 lautet - auszugsweise - wie folgt:

"1. Unterabschnitt

Allgemeine Bestimmungen

Allgemeine Dienstpflichten

§43. (1) ...

(2) Der Beamte hat in seinem gesamten Verhalten darauf Bedacht zu nehmen, daß das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben erhalten bleibt.

(3) ..."

Die im mit "Disziplinarrecht" übertitelten 8. Abschnitt des Allgemeinen Teils des BDG 1979 enthaltenen § 91 in der Fassung BGBl. I 87/2002, § 92 in der Fassung BGBl. 297/1995, § 93 in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. 333/1979, § 114 in der hier anzuwendenden Fassung BGBl. I 130/2003 und § 123 in der Fassung BGBl. I 87/2002 lauten - auszugsweise - wie folgt:

"1. Unterabschnitt

Allgemeine Bestimmungen

Dienstpflichtverletzungen

§ 91. Der Beamte, der schuldhaft seine Dienstpflichten verletzt, ist nach diesem Abschnitt zur Verantwortung zu ziehen.

Disziplinarstrafen

§92. (1) Disziplinarstrafen sind

1. der Verweis,

2. die Geldbuße bis zur Höhe eines halben Monatsbezuges

unter Ausschluß der Kinderzulage,

3. die Geldstrafe bis zur Höhe von fünf Monatsbezügen unter Ausschluß der Kinderzulage,

4. die Entlassung.

(2) In den Fällen des Abs 1 Z 2 und 3 ist von dem Monatsbezug auszugehen, der dem Beamten auf Grund seiner besoldungsrechtlichen Stellung im Zeitpunkt der Fällung des erstinstanzlichen Disziplinarerkenntnisses beziehungsweise im Zeitpunkt der Verhängung der Disziplinarverfügung gebührt. Allfällige Kürzungen des Monatsbezuges sind bei der Strafbemessung nicht zu berücksichtigen.

Strafbemessung

§93. (1) Das Maß für die Höhe der Strafe ist die Schwere der Dienstpflichtverletzung. Dabei ist jedoch darauf Rücksicht zu nehmen, inwieweit die beabsichtigte Strafhöhe erforderlich ist, um den Beamten von der Begehung weiterer Dienstpflichtverletzungen abzuhalten. Die nach dem Strafgesetzbuch für die Strafbemessung maßgebenden Gründe sind dem Sinne nach zu berücksichtigen; weiters ist auf die persönlichen Verhältnisse und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Beamten Bedacht zu nehmen.

(2) Hat der Beamte durch eine Tat oder durch mehrere selbständige Taten mehrere Dienstpflichtverletzungen begangen und wird über diese Dienstpflichtverletzungen gleichzeitig erkannt, so ist nur eine Strafe zu verhängen, die nach der schwersten Dienstpflichtverletzung zu bemessen ist, wobei die weiteren Dienstpflichtverletzungen als Erschwerungsgrund zu werten sind."

"3. Unterabschnitt

Disziplinarverfahren

...

Strafanzeige und Unterbrechung des Disziplinarverfahrens

§114. (1) Kommt die Disziplinarbehörde während des Disziplinarverfahrens zur Ansicht, daß eine von Amts wegen zu verfolgende gerichtlich strafbare Handlung vorliegt, so hat sie gemäß § 84 StPO [Anm.: in der Fassung vor dem Strafprozessreformgesetz BGBl. I 19/2004; Anzeigepflicht] vorzugehen.

(2) Hat die Disziplinarbehörde Anzeige an die Staatsanwaltschaft, die Sicherheitsbehörde oder die Verwaltungsbehörde erstattet oder hat sie sonst Kenntnis von einem anhängigen gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Strafverfahren, so wird dadurch das Disziplinarverfahren unterbrochen. Die Parteien sind vom Eintritt der Unterbrechung zu verständigen. Ungeachtet der Unterbrechung des Disziplinarverfahrens ist ein Beschluß, ein Disziplinarverfahren durchzuführen (§123), zulässig.

(3) Das Disziplinarverfahren ist weiterzuführen und in erster Instanz binnen sechs Monaten abzuschließen, nachdem

1. die Mitteilung

a) des Staatsanwaltes über die Zurücklegung der Anzeige oder über den (vorläufigen) Rücktritt von der Verfolgung oder

b) der Verwaltungsbehörde über das Absehen von der Einleitung eines Verwaltungsstrafverfahrens

bei der Disziplinarbehörde eingelangt ist oder

2. das gerichtliche oder verwaltungsbehördliche Strafverfahren rechtskräftig abgeschlossen oder, wenn auch nur vorläufig, eingestellt worden ist."

"4. Unterabschnitt

Verfahren vor der Disziplinarkommission

Einleitung

§123. (1) Der Senatsvorsitzende hat nach Einlangen der Disziplinaranzeige den Disziplinarsenat zur Entscheidung darüber einzuberufen, ob ein Disziplinarverfahren durchzuführen ist. Notwendige Ermittlungen sind von der Dienstbehörde im Auftrag des Senatsvorsitzenden durchzuführen.

(2) Hat die Disziplinarkommission die Durchführung eines Disziplinarverfahrens beschlossen, so ist dieser Beschluß dem beschuldigten Beamten, dem Disziplinaranwalt und der Dienstbehörde zuzustellen. Gegen den Beschluß, ein Disziplinarverfahren einzuleiten, nicht einzuleiten oder einzustellen (§118), ist die Berufung an die Berufungskommission zulässig.

(3) ..."

1.2.1. Der im 1. Unterabschnitt ("Allgemeine Bestimmungen") des soeben genannten 8. Abschnittes des Allgemeinen Teils des BDG 1979 befindliche § 95 in der - hier maßgeblichen - Fassung vor der Dienstrechts-Novelle 2008 (BGBl. I 147/2008) BGBl. 16/1994 lautet wie folgt:

"Zusammentreffen von gerichtlich oder
verwaltungsbehördlich strafbaren Handlungen mit
Dienstpflichtverletzungen

§95. (1) Wurde der Beamte wegen einer gerichtlich oder verwaltungsbehördlich strafbaren Handlung rechtskräftig verurteilt und erschöpft sich die Dienstpflichtverletzung in der Verwirklichung des strafbaren Tatbestandes, so ist von der Verfolgung abzusehen, wenn anzunehmen ist, daß die Verhängung einer Disziplinarstrafe nicht erforderlich ist, um den Beamten von der Begehung weiterer Dienstpflichtverletzungen abzuhalten.

(2) Die Disziplinarbehörde ist an die dem Spruch eines rechtskräftigen Urteils zugrunde gelegte Tatsachenfeststellung eines Strafgerichtes (Straferkenntnis eines unabhängigen Verwaltungssenates) gebunden. Sie darf auch nicht eine Tatsache als erwiesen annehmen, die das Gericht (der unabhängige Verwaltungssenat) als nicht erweisbar angenommen hat.

(3) Wird von der Verfolgung nicht abgesehen, dann ist, wenn sich eine strafgerichtliche oder verwaltungsbehördliche Verurteilung auf denselben Sachverhalt bezieht, eine Strafe nur auszusprechen, wenn und soweit dies zusätzlich erforderlich ist, um den Beamten von der Begehung weiterer Dienstpflichtverletzungen abzuhalten."

1.2.2. Mit der Dienstrechts-Novelle 2008, BGBl. I 147/2008, wurde der Abs 3 des § 95 BDG 1979 zur Gänze aufgehoben und wurden die Überschrift sowie der Abs 1 des § 95 BDG 1979 wie folgt geändert:

"Zusammentreffen von strafbaren Handlungen mit
Dienstpflichtverletzungen

§95. (1) Wurde der Beamte wegen einer gerichtlich oder verwaltungsbehördlich strafbaren Handlung rechtskräftig verurteilt und erschöpft sich die Dienstpflichtverletzung in der Verwirklichung des strafbaren Tatbestandes, ist von der disziplinären Verfolgung des Beamten abzusehen. Erschöpft sich die Dienstpflichtverletzung nicht in der Verwirklichung des strafbaren Tatbestandes (disziplinärer Überhang), ist nach § 93 vorzugehen."

Diese Gesetzesänderung ist gemäß § 284 Abs 69 Z 2 BDG 1979 in der Fassung BGBl. I 147/2008 am in Kraft getreten.

2. Der Beschwerdeführer erachtet sich dadurch, dass "die belangte Behörde im bekämpften Bescheid ausführt, dass der Beschwerdeführer die begehrte Verfahrensverbindung - die angesichts der verhängten höchstmöglichen Geldstrafe insgesamt zwingend zu einem günstigeren Ergebnis für den Beschwerdeführer geführt hätte - nur dann hätte erreichen können, wenn er die von ihm vorgenommene Verfälschung der vorgelegten Rechnung auch gleich offen eingestanden hätte," in seinem durch Art 6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, nicht gezwungen zu werden, gegen sich selbst Zeugnis abzulegen, verletzt.

Mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer nicht im Recht, weil es sich bei dem hier vorliegenden Disziplinarverfahren um kein Verfahren über eine strafrechtliche Anklage iSd Art 6 EMRK handelt:

In seinem Erkenntnis VfSlg. 18.309/2007 vertrat der Verfassungsgerichtshof - der Rechtsprechung des EGMR in dessen Urteil vom , Fall Eskelinen ua. gegen Finnland, Appl. 63.235/00, folgend - die Auffassung, dass Art 6 Abs 1 EMRK auch auf dienstrechtliche Streitigkeiten öffentlich Bediensteter anzuwenden ist, insoweit derartige Streitigkeiten durch die innerstaatliche Rechtsordnung geregelte, subjektive Rechte oder Pflichten des jeweils betroffenen Bediensteten zum Gegenstand haben.

Angesichts der neuesten Rechtsprechung des EGMR in den Urteilen vom , Fall Yilmaz gegen Türkei, Appl. 37.829/05, vom , Fall Olujic gegen Kroatien, Appl. 22.330/05, vom , Fall Iordanov ua. gegen Bulgarien, Appl. 23.530/02, und vom , Fall Bayer gegen Deutschland, Appl. 8453/04, sieht sich der Verfassungsgerichtshof veranlasst, die Frage der Anwendbarkeit des Art 6 Abs 1 EMRK auch auf das Disziplinarrecht der Beamten einer Prüfung zu unterziehen.

Im Urteil vom , Fall Yilmaz, das die Suspendierung einer Lehrerin wegen Verstoßes gegen die Kleidungsvorschriften zum Gegenstand hat, verweist der EGMR bei der Prüfung der Anwendbarkeit des Art 6 EMRK auf die zu Grunde liegende Streitigkeit auf sein Urteil im Fall Eskelinen ua. und die beiden darin entwickelten Kriterien, die kumulativ vorliegen müssten, damit der belangte Staat dem beschwerdeführenden Beamten erfolgreich die Unanwendbarkeit des Art 6 Abs 1 EMRK entgegenhalten könne: Erstens müsse dem beschwerdeführenden Beamten der Zugang zu einem Gericht nach nationalem Recht ausdrücklich verwehrt sein; zweitens müsse der Ausschluss von den Garantien des Art 6 EMRK auf objektiven Motiven beruhen, die im Interesse des Staates lägen (s. Z 19).

In Fortsetzung dieser Judikatur prüft der EGMR die Anwendbarkeit des Art 6 Abs 1 EMRK auch im Fall Olujic, in dem der Beschwerdeführer wegen Kontakts mit Kriminellen als Richter und Präsident des Obersten Gerichtshofes entlassen wurde, unter Hinweis auf sein Urteil im Fall Eskelinen ua.. Der EGMR kommt im vorliegenden Fall nach Bejahung des nach nationalem Recht vorgesehenen Zugangs des Beschwerdeführers zu einem Tribunal zum Schluss, dass Art 6 EMRK auf das gegen den Beschwerdeführer geführte Disziplinarverfahren in seinem zivilrechtlichen Teil ("under its civil head") anwendbar sei (Z34 ff.).

Im Fall Iordanov ua., der die disziplinarrechtliche Entlassung von drei Beamten des Innenministeriums wegen Nichtbeseitigens von in der Dienstwohnung des Generalprokurators angebrachten Abhöranlagen betrifft, hält der EGMR fest, dass angesichts der rechtlichen Qualifikation der Tatsachen im innerstaatlichen Recht, der Natur der disziplinarrechtlichen Verfehlungen und der verhängten Sanktionen die disziplinarrechtliche Verfolgung nicht unter den strafrechtlichen Anwendungsbereich des Art 6 EMRK falle. Da die bulgarische Rechtsordnung den Beschwerdeführern die Möglichkeit biete, die disziplinarrechtliche Entlassung bei den Verwaltungsgerichten anzufechten, finde im vorliegenden Fall Art 6 EMRK hinsichtlich seines zivilrechtlichen Teils Anwendung (Z44).

Schließlich bejaht der EGMR im Fall Bayer, in dem es um die Entlassung eines Gerichtsdieners wegen beharrlicher Weigerung, die Weisungen des Vorgesetzten zu befolgen, geht, die Anwendbarkeit des zivilrechtlichen Teils des Art 6 EMRK auf das gegen den Beschwerdeführer geführte Disziplinarverfahren, weil dieser nach deutschem Recht Zugang zu den Verwaltungsgerichten gehabt habe. Der Einwand der Regierung, das Urteil Eskelinen ua. beziehe sich bloß auf "gewöhnliche" dienstrechtliche Streitigkeiten und sei auf beamtendisziplinarrechtliche Streitigkeiten nicht übertragbar, wird unter Hinweis auf die Urteile in den Fällen Yilmaz und Olujic ausdrücklich verworfen (Z34 ff.).

Der Verfassungsgerichtshof sieht sich - ungeachtet möglicher gewichtiger Einwände gegen diese Rechtsauffassung des EGMR - gehalten, dem EGMR in dessen Beurteilung des Anwendungsbereiches des Art 6 Abs 1 EMRK in Bezug auf disziplinarrechtliche Streitigkeiten öffentlich Bediensteter - jedenfalls in deren hier vorliegender Art - zu folgen. Soweit derartige Streitigkeiten durch die innerstaatliche Rechtsordnung geregelte, subjektive Rechte oder Pflichten des jeweils betroffenen Bediensteten zum Gegenstand haben, findet Art 6 EMRK in seinem zivilrechtlichen Teil Anwendung.

Ausgehend davon ist Art 6 Abs 1 EMRK auch auf die hier vorliegende beamtendisziplinarrechtliche Streitigkeit anzuwenden. Es liegt nämlich auf der Hand, dass der Beschwerdeführer - in den Worten des Urteils des EGMR im Fall Eskelinen ua. gesprochen - jedenfalls insofern Zugang zu einem Gericht nach nationalem Recht ("access to a court under national law") hatte, als die bescheidförmige Entscheidung der in letzter Instanz zuständigen Disziplinarbehörde betreffend die Verhängung der Geldstrafe über den Beschwerdeführer (neben der Möglichkeit, den Verfassungsgerichtshof anzurufen) der nachprüfenden Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes unterliegt. Es fehlt daher schon an der ersten vom EGMR genannten Bedingung für den Ausschluss der vorliegenden disziplinarrechtlichen Streitigkeit von dem durch Art 6 EMRK garantierten Schutz - der Staat müsse in seinem innerstaatlichen Recht den Zugang zu einem Gericht für die in Rede stehende Stelle oder Kategorie von Bediensteten ausdrücklich ausgeschlossen haben -, weshalb diese Bestimmung auf den vorliegenden Fall anzuwenden ist.

Zur behaupteten Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes, nicht gezwungen zu werden, gegen sich selbst Zeugnis abzulegen, ist zu bemerken, dass es mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens vereinbar ist, wenn an die Verwendung gefälschter Beweismittel negative Rechtsfolgen geknüpft werden; die Berufung des Beschwerdeführers auf den sogenannten "nemo-tenetur-Grundsatz" geht daher schon deshalb ins Leere.

Im Übrigen ist noch auf Folgendes hinzuweisen:

Was die durch Art 6 EMRK garantierte Entscheidung der Rechtssache durch ein unparteiisches und unabhängiges, auf Gesetz beruhendes Gericht anlangt, so geht der Verfassungsgerichtshof im Hinblick auf seine im Erkenntnis VfSlg. 17.644/2005 dazu angestellten Überlegungen sowie im Hinblick auf das Urteil des EGMR im Fall Eskelinen ua. selbst (vgl. dessen Z 64 und den dortigen Hinweis auf das Urteil vom im Fall Zumtobel gegen Österreich) davon aus, dass diesem Erfordernis mit der soeben erwähnten, nachprüfenden Kontrolle letztinstanzlicher disziplinarbehördlicher Bescheide durch den Verwaltungsgerichtshof (neben der Möglichkeit, den Verfassungsgerichtshof anzurufen) Rechnung getragen ist (vgl. auch VfSlg. 18.309/2007).

Vor diesem Hintergrund kann hier dahingestellt bleiben, ob die Disziplinarkommissionen der Beamten in jeder Hinsicht den Anforderungen entsprechen, die Art 6 Abs 1 EMRK an ein "unparteiisches und unabhängiges Gericht" stellt. Ebenso wenig ist unter der oben genannten Voraussetzung zu prüfen, ob das Verfahren vor den Disziplinarkommissionen sonst den Anforderungen an ein "faires Verfahren" zu entsprechen hat oder entsprach. Vielmehr genügt es dem Art 6 Abs 1 EMRK, wenn diesem Erfordernis im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof entsprochen wird.

3. Da Disziplinarverfahren gegen Beamte nach dem unter Pkt. II.2. Gesagten nicht zu den Strafverfahren im Sinne des Systems der EMRK zählen, fallen sie auch nicht in den Anwendungsbereich des Art 4 7. ZPEMRK. Es ist somit auszuschließen, dass der Beschwerdeführer durch den von ihm bekämpften Bescheid im gemäß Art 4

7. ZPEMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, nicht wegen derselben Sache zweimal vor Gericht gestellt oder bestraft zu werden, verletzt wurde (zur mangelnden Anwendbarkeit des Art 4 7. ZPEMRK auf das Disziplinarrecht der Beamten schon , G217/06; , B559/08; vgl. im Übrigen auch den Ausschluss der Disziplinarverfahren gegen Beamte von der Bestimmung des Art 4

7. ZPEMRK in Z 32 der "travaux preparatoires" [Explanatory Report relating to Protocol No. 7, veröffentlicht in HRLJ 1985, 80 ff.]).

Schon deshalb geht auch das Vorbringen des Beschwerdeführers ins Leere, § 95 Abs 1 und § 95 Abs 3 BDG 1979 in der auf den vorliegenden Beschwerdefall anzuwendenden Fassung vor der Dienstrechts-Novelle 2008 (BGBl. I 147/2008) BGBl. 16/1994 verstießen gegen das gemäß Art 4 Abs 1 7. ZPEMRK gewährleistete Verbot der Doppelbestrafung.

4. Die vom Beschwerdeführer weiters behauptete Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch den bekämpften Bescheid kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil das genannte Grundrecht durch die Verletzung einfachgesetzlicher Verfahrensvorschriften nicht berührt wird (s. zB VfSlg. 17.800/2006).

5. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Beschwerdeverfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in einem von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden wäre; ebenso wenig entstanden - aus der Sicht dieser Beschwerdesache - verfassungsrechtliche Bedenken gegen die dem bekämpften Bescheid zu Grunde liegenden Rechtsvorschriften. Der Beschwerdeführer wurde mithin auch nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt.

Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.