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OGH vom 07.07.2011, 5Ob95/11y

OGH vom 07.07.2011, 5Ob95/11y

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek sowie die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Herbert O***** R*****, vertreten durch Themmer, Toth Partner Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei S***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Franz Gütlbauer, Dr. Siegfried Sieghartsleitner und Dr. Michael Pichlmair, Rechtsanwälte in Wels, wegen 18.168,20 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 112/10m 25, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Wels vom , GZ 26 Cg 237/08v 21, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 1.119,24 EUR (darin 186,54 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Begründung:

Das Berufungsgericht hat über Antrag der Beklagten nach § 508 Abs 1 ZPO nachträglich ausgesprochen, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Das Berufungsgericht habe mit der angefochtenen Entscheidung die vom Erstgericht angenommene rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme einer Bankgarantie verneint und dabei die bekämpfte erstgerichtliche Feststellung, der Kläger habe im Zeitpunkt der Garantieinanspruchnahme gewusst, dass ihm der Garantiebetrag nicht zustehe, einerseits als für den Kläger überraschend und andererseits als bedenklich sowie als vom Vorbringen der Beklagten nicht gedeckt erachtet, weil die Beklagte eine derartige Behauptung im erstgerichtlichen Verfahren nicht aufgestellt habe. Die genannte „überschießende“ Feststellung wurde daher als unbeachtlich angesehen und nicht berücksichtigt.

Diesem Standpunkt des Berufungsgerichts hat die Beklagte in ihrem Abänderungsantrag entgegengehalten, dass solche Feststellungen nach ständiger höchstgerichtlicher Judikatur jedenfalls dann bei der Entscheidung zu berücksichtigten seien, wenn diese im Rahmen des geltend gemachten Klagegrundes oder der erhobenen Einwendung fallen würden. Die Annahme des Berufungsgerichts, die erstgerichtliche Feststellung würde nicht in den Rahmen der von ihr erhobenen Einwendung der Rechtsmissbräuchlichkeit fallen, sei eine unvertretbare Fehlbeurteilung, die der Oberste Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifen habe.

Unterstelle man, dass sich die genannte Feststellung noch im Rahmen des Vorbringens der Beklagten halte, hätte das Berufungsgericht so seine Schlussfolgerung im nachträglichen Zulassungsbeschluss möglicherweise die vom Kläger bekämpfte Feststellung nicht ohne weiteres (erstgerichtliches) Verfahren unberücksichtigt lassen dürfen, sodass eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung vorliegen könnte, die aus Gründen der Rechtssicherheit wahrzunehmen sein könnte. Damit erscheine eine Befassung des Höchstgerichts doch gerechtfertigt.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Beklagten erhobene Revision ist jedoch entgegen diesem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig, was gemäß § 510 Abs 3 ZPO kurz zu begründen ist:

1. Zu den behaupteten Mängeln des Berufungsverfahrens:

1.1. Das Berufungsgericht hat die Wahrannahme des Erstgerichts, der Kläger habe bei Inanspruchnahme der Bankgarantie gewusst, dass ihm der abgerufene Betrag nicht zustehe, als überschießende Feststellung beurteilt. Ob diese Einschätzung zutrifft, ist eine Frage der rechtlichen Beurteilung (RIS Justiz RS0112213 [T1]; RS0040318 [T2]; RS0037972 [T11]); schon deshalb liegt der von der Beklagten daraus abgeleitete Mangel des Berufungsverfahrens nicht vor.

1.2. Mit dem von der Beklagten bemängelten Fehlen einer Erörterung ihres Vorbringens betreffend das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs auf Seiten des Klägers behauptet die Beklagte keinen Mangel des zweitinstanzlichen, sondern einen solchen des erstinstanzlichen Verfahrens, der schon deshalb nicht vorliegen kann, weil die Beklagte die Relevanz dieses Einwands ohnehin selbst erkannt und der Erstrichter den Umfang des Prozessstoffs mit den Parteien erörtert hat (vgl S 1 f in ON 20 = AS 83 f).

1.3. Die Frage, ob die zu 1.1. genannte Feststellung getroffen bzw im Rahmen der rechtlichen Beurteilung berücksichtigt werden durfte, war zentrales Thema der Berufung des Klägers. Dass sich das Berufungsgericht mit dieser Frage befassen wird und diese dann allenfalls auch verneinen könnte, konnte daher für die Beklagte entgegen ihrer Beteuerung keine überraschende Entscheidung sein.

1.4. Die Beklagte sieht letztlich noch einen Mangel des Berufungsverfahrens durch Unterlassen von Beweisaufnahmen über die zu 8 Cg 133/08t des Landesgerichts Wels gewonnenen Verfahrensergebnisse für den Fall, dass diese nicht auch im vorliegenden Verfahren als bindend zugrunde gelegt würden. Die Parteien haben hier aber vor dem Erstgericht letztlich selbst weitere Beweisaufnahmen für nicht notwendig erachtet (vgl nochmals S 1 f in ON 20 = AS 83 f) und das Berufungsgericht hat sich ohnehin mit den im Verfahren 8 Cg 133/08t des Landesgerichts Wels gewonnenen Verfahrensergebnissen auseinandergesetzt, diese aber aus rechtlichen Erwägungen für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs auf Seiten des Klägers als nicht ausreichend erachtet. Auch insoweit kann daher ein (primärer) Verfahrensmangel nicht gegeben sein.

Die von der Beklagten behaupteten Mängel des Berufungsverfahrens liegen somit allesamt nicht vor.

2. Zur behaupteten unrichtigen rechtlichen Beurteilung:

2.1. Ob eine Feststellung, weil überschießend, unbeachtlich ist, ist wie bereits angesprochen eine Frage der rechtlichen Beurteilung (RIS Justiz RS0112213 [T1]; RS0040318 [T2]; RS0037972 [T11]), die in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage begründet (RIS Justiz RS0040318 [T3]; RS0037972 [T15]). Eine vom Obersten Gerichtshof als unvertretbar aufzugreifende Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht liegt in diesem Punkt entgegen der Ansicht der Beklagten nicht vor:

Der von der Beklagten gegen die Inanspruchnahme der Bankgarantie durch den Kläger erhobene Einwand des Rechtsmissbrauchs ist bereits eine rechtliche Qualifikation, die erst mit einem entsprechenden Tatsachenkomplex unterlegt werden muss und nicht schon als solche jedwede, diesem rechtlichen Einwand (theoretisch) unterstellbare Feststellung deckt. Zum behaupteten Rechtsmissbrauch hat sich die Beklagte auf Mitteilungen des Garantiestellers (= ihr Kunde = der Vertragspartner des Klägers) und Ergebnisse aus anderen, den maßgeblichen Geschäftsfall betreffenden Verfahren berufen. Konkrete Behauptungen zum subjektiven Wissensstand des Klägers zum Zeitpunkt des Abrufs der Bankgarantie hat die Beklagte hingegen nicht erstattet. Überdies hat das Erstgericht im Hinblick auf die mehreren, den zugrunde liegenden Geschäftsfall betreffenden Verfahren die Frage nach den von den Parteien noch gewünschten Beweisaufnahmen erörtert. Dabei kamen die Parteien überein, „dass die Lösung im gegenständlichen Verfahren ausschließlich von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt“ (S 1 in ON 20 = AS 83), worauf einvernehmlich keine weiteren Beweisaufnahmen mehr erfolgten. Wenn das Berufungsgericht bei dieser ganz besonderen Verfahrensgestion den Umfang des die rechtliche Beurteilung bestimmenden Parteivorbringens eher eng gezogen hat, ist darin keine unvertretbare Auslegung des Tatsachenvortrags der Beklagten zu erkennen.

2.2. Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen eine rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme einer Bankgarantie vorliegt, existiert bereits eine Vielzahl höchstgerichtlicher Entscheidungen (vgl RIS Justiz RS0017997; RS0018006; RS0017042). Diese Beurteilung, bei der nicht zuletzt der jeweilige Wissensstand und die Beweislage (insbesondere) im Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Garantie eine maßgebliche Rolle spielt (vgl RIS Justiz RS0017042), ist eine Frage des Einzelfalls und daher regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RIS Justiz RS0017997 [T5]). Das Berufungsgericht ist bei seiner Einzelfallbeurteilung den von der Rechtsprechung dazu entwickelten Grundsätzen gefolgt und ist insbesondere davon ausgegangen, dass eine (allenfalls) mangelnde Fälligkeit der gesicherten Forderung für sich allein noch nicht den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs begründet (RIS Justiz RS0016948). Die Tatsache, dass der Auftraggeber der Auszahlung der Garantiesumme widerspricht, berechtigt die Bank ebenfalls noch nicht, dem Begünstigten die Leistung zu verweigern (RIS Justiz RS0018027 [T15]).

2.3. Die von der Beklagten sonst gegen die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts vorgetragenen Argumente erweisen sich als von den Feststellungen des Erstgerichts weitgehend losgelöste Aufzählung einzelner (aus dem Zusammenhang gerissener) Passagen des Vorbringens der Parteien und (weitgehend pauschalen) Hinweisen auf der Beklagten für ihren Standpunkt günstig erscheinende Beweisergebnisse aus anderen, diesen Geschäftsfall betreffenden Verfahren. Hervorgehoben wird dabei insbesondere der Ausgang des Verfahrens zu 8 Cg 133/08t des Landesgerichts Wels, in dem sich allerdings das dortige Urteil des Erstgerichts besonders dadurch auszeichnet, dass zu praktisch allen wesentlichen Tatfragen Negativfeststellungen getroffen wurden. Wenn das Berufungsgericht daraus hier keine ausreichenden Hinweise für einen Rechtsmissbrauch auf Seiten des Klägers abzuleiten vermochte, ist darin ebenfalls keine unvertretbare Beurteilung des vorliegenden Einzelfalls zu erkennen.

2.4. Die Beklagte wendet letztlich noch ein, das Berufungsgericht habe zur Frage der Berechtigung des Garantieabrufs durch den Kläger unzulässige Neuerungen in dessen Berufung berücksichtigt. Dazu genügt der Hinweis, dass der eindeutige und evidente (liquide) Nachweis, im Abrufen der Bankgarantie liege ein Rechtsmissbrauch, Aufgabe der Bank, also der Beklagten, ist (8 Ob 137/08t = ÖBA 2010, 130 mwN).

3. Eine erhebliche Rechtsfrage zeigt die Beklagte daher insgesamt nicht auf. Die Revision ist somit mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO unzulässig und deshalb zurückzuweisen.

4. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen (RIS-Justiz RS0035979).