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OGH vom 31.01.1995, 4Ob4/95

OGH vom 31.01.1995, 4Ob4/95

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Redl und Dr.Griß als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei O***** GesellschaftmbH, ***** vertreten durch Dr.Bernd Berger und Dr.Franz G. Hitzenbichler, Rechtsanwälte in Salzburg, wider die beklagte Partei H***** GesellschaftmbH & Co KG, ***** vertreten durch Dr.Fritz Karl und Dr.Robert Mühlfellner, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen Unterlassung (Streitwert S 150.000), infolge Revision beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 194/94-16, womit das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom , GZ 12 Cg 255/93k-12, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision der Klägerin wird nicht Folge gegeben; der Revision der Beklagten wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit S 35.715,-- bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin S 3.952,50 USt und S 12.000 Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Beide Streitteile üben das Gewerbe der Hörgeräteakustiker aus. Die Beklagte betreibt zwei Geschäfte in der Stadt S***** und hält im Bundesland S***** Sprechtage ab, ua im Geschäft der Firma Elektro K***** in O*****. Am zeigte die Beklagte der zuständigen Behörde an, daß sie unter der Anschrift der Firma Elektro K***** eine weitere Betriebsstätte betreibe. Dies wurde von der Bezirkshauptmannschaft S*****-Umgebung mit Bescheid vom zur Kenntnis genommen.

1991 verkaufte die Beklagte dem Pensionisten Franz E***** ein Hörgerät. Jeder Kauf eines Hörgerätes schließt Servicearbeiten und die Nachversorgung für fünf Jahre ein. In der ersten Hälfte des Jahres 1993 lud die Beklagte Franz E***** zu einem Besuch in ihrem Geschäft ein, um das Hörgerät überprüfen zu können. Da Franz E***** nicht erschien, kündigte die Beklagte ihm ihren Besuch zur Überprüfung von Hörgeräten und Gehör an. Franz E***** ließ das Schreiben unbeantwortet, weil er damit einverstanden war. Am suchte Johannes R*****, ein Mitarbeiter der Beklagten, Franz E***** in dessen Wohnung in Bürmoos auf. Gleich zu Beginn bot Johannes R***** Franz E***** ein neues Hörgerät an. Er erklärte, daß der Kaufpreis zur Gänze von der Krankenkasse getragen werde. Obwohl Franz E***** nicht unbedingt ein neues Gerät benötigt hätte, war er mit dem Ankauf einverstanden, nachdem ihm daraus keine Kosten erwachsen sollten. Das Hörgerät aus dem Jahre 1991 wies einen kleinen Fehler auf; Johannes R***** nahm es zur Reparatur mit und übergab Franz E***** das neue Gerät. Nach Vorliegen einer fachärztlichen Bestätigung rechnete die Beklagte mit der Krankenkasse ab; Franz E***** enstanden keine Kosten.

§ 43 der Satzungen der Salzburger Gebietskrankenkasse bezeichnet Hörgeräte als Hilfsmittel.

Die Klägerin begehrt, die Beklagte schuldig zu erkennen, das Aufsuchen von Privatpersonen zum Zweck des Sammelns von Bestellungen für Hörgeräte zu unterlassen; in eventu: die Beklagte schuldig zu erkennen, außerhalb des Verwaltungsbezirkes, zu dem die Gemeinde des Standortes der Beklagten gehört, das Aufsuchen von Privatpersonen zum Zweck des Sammelns von Bestellungen zu unterlassen, sofern nicht eine ausdrückliche, schriftliche, auf bestimmte Waren lautende, an die "klagende Partei" (gemeint: Beklagte) gerichtete Aufforderung, welche von der zu besuchenden Person eigenhändig unterfertigt und dem Gewerbetreibenden im Postweg zugekommen sein muß, vorliegt. Gemäß § 57 Abs 1 GewO sei das Aufsuchen von Privatpersonen zum Zwecke des Sammelns von Bestellungen von (zB) Heilbehelfen generell untersagt. Hörgeräte seien Heilbehelfe. § 57 Abs 3 GewO erlaube das Aufsuchen von Privatpersonen zum Zwecke des Sammelns von Bestellungen nur in bestimmten Fällen. Die Beklagte umgehe das Verbot des Hausierens planmäßig, indem sie "Sprechtage" abhalte. Eine Betriebsstätte im Sinne der GewO setze eine gewisse Mindestausstattung voraus, welche in der "Betriebsstätte" der Beklagten in O***** nicht vorhanden sei. Das Verhalten der Beklagten verstoße gegen die GewO und damit gegen die guten Sitten im Geschäftsverkehr.

Die Beklagte beantragt, das Klagebegehren abzuweisen.

Hörgeräte seien keine Heilbehelfe iS von § 57 Abs 1 GewO, sondern Hilfsmittel, wie zB Kontaktlinsen. Nach § 57 Abs 2 GewO könne der Handelsminister das Verbot des Aufsuchens von Privatpersonen auf weitere Waren erstrecken. Dies sei mit der VO BGBl 1976/698 für Kontaktlinsen geschehen. Für Hörgeräte sei kein deratiges Verbot erlassen worden. Die Beklagte habe in O***** eine weitere Betriebsstätte, so daß sie berechtigt sei, im gesamten Bereich der Bezirkshauptmannschaft S*****-Umgebung Sprechtage abzuhalten und Privatpersonen zum Zwecke des Sammelns von Bestellungen aufzusuchen.

Das Erstgericht wie Haupt- und Eventualbegehren ab.

Die GewO enthalte keine Legaldefinition des Begriffes "Heilbehelf". Nach sozialversicherungsrechtlicher Praxis seien Hörgeräte iS des § 154 ASVG.§ 137 ASVG bezeichne hingegen Brillen ausdrücklich als Heilbehelfe. Der sozialversicherungsrechtliche Begriff des Heilbehelfs müsse sich aber nicht mit jenem der GewO decken. Die Verordnungsermächtigung des § 57 Abs 2 GewO sei bisher (nur) für Kontaktlinsen genützt worden. Das deute darauf hin, daß die damit vergleichbaren Hörgeräte nach Auffassung des Gesetzgebers keine Heilbehelfe iS des § 57 Abs 1 GewO seien.

Die zuständige Behörde habe die Anzeige der Beklagten, in O***** eine weitere Betriebsstätte zu betreiben, zur Kenntnis genommen. Dieser Verwaltungsakt sei für das Gericht bindend. Damit stehe fest, daß die Beklagte auch im Bezirk S*****-Umgebung berechtigt sei, Privatpersonen aufzusuchen, um Bestellungen für andere als die im § 57 Abs 1 GewO angeführten Waren zu sammeln.

Das Berufungsgericht bestätigte die Abweisung des Hauptbegehrens und gab dem Eventualbegehren Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S übersteige und die Revision zulässig sei.

Nach den sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen seien Hilfsmittel solche Gegenstände und Vorrichtungen, die geeignet seien, die Funktion fehledner oder unzulänglicher Körperteile zu übernehmen oder die mit einer Verstümmelung, Verunstaltung oder einem Gebrechen verbundene körperliche oder psychische Beeinträchtigung zu mildern oder zu beseitigen. Heilbehelfe seien hingegen Mittel zur Krankenbehandlung. § 137 ASVG führe einzelne Heilbehelfe, nämlich Brillen othopädische Schuheinlagen und Bruchbänder, nicht aber Hörgeräte, namentlich an. Heilbehelfe ließen sich von Hilfsmitteln nicht immer klar abgrenzen. Die Unterscheidung sei danach zu treffen, ob der Behelf dem Heilungszweck diene oder ob er erst nach Abschluß des Heilungsprozesses zum Einsatz komme. Hörgeräte seien nach sozialversicherungsrechtlicher Praxis Hilfsmittel, auch wenn sie im Einzelfall der Heilung dienten, indem sie zB einen Krankheitsverlauf günstig beeinflußten.

§ 57 Abs 1 GewO erfasse völlig verschiedene Waren. Die VO RGBl 1902/242 habe den Vertrieb von Hörgeräten außerhalb des Standortes zugelassen. Diese VO sei durch Art II GewO Nov BGBl 1968/418 aufgehoben worden. Von diesem Zeitpunkt an sei der Vertrieb von Hörgeräten nur mehr standortgebunden und außerhalb des Standortes auf Grund einer Aufforderung iS des § 52 Abs 4 GewO zulässig gewesen. Die GewO 1973 habe nur Heilbehelfe in das Verbot des Direkthandels einbezogen. Mit der GRNov BGBl 1993/29 habe der Gesetzgeber das Gewerberecht liberalisieren und deregulieren wollen. Das schließe es aus, § 57 Abs 1 GewO ausdehnend auszulegen. Interessen der Volksgesundheit sprächen nicht dagegen, weil das Aufsuchen von Kunden geeignet sei, diesen den allenfalls beschwerlichen Weg zum Händler zu ersparen.

Für diese Auslegung spreche auch, daß von der Verordnungsermächtigung des § 57 Abs 2 GewO bisher (nur) für Kontaktlinsen Gebrauch gemacht worden sei. Der Klägerin wäre aber auch dann nicht geholfen, wenn Hörgeräte Heilbehelfe wären. Hörgeräte seien weder in § 57 Abs 1 GewO ausdrücklich angeführt noch ohne weiteres dem Begriff "Heilbehelf" zu unterstellen. Ein allfälliger Verstoß wäre der Beklagten daher nicht subjektiv vorwerfbar.

Das Eventualbegehren sei hingegen berechtigt. Die Beklagte habe in O***** keinen Standort iS des § 57 Abs 3 GewO, sondern nur eine weitere Betriebsstätte. Das berechtige sie nicht, auch außerhalb der Stadt Salzburg geschäftlich tätig zu sein.

Die gegen diese Entscheidung gerichteten Revision ist nicht berechtigt; jene der Beklagten ist hingegen berechtigt.

1. Zur Revision der Klägerin

Rechtliche Beurteilung

Die Klägerin vertritt die Auffassung, daß Hörgeräte schon deshalb als Heilbehelfe iS des § 57 Abs 1 GewO zu qualifizieren seien, weil sie im Einzelfall Heilbehelfe sein könnten. Hörgeräte hätten die gleiche Funktion wie Brillen, welche unstreitig Heilbehelfe seien. Daß die sozialversicherungsrechtliche Praxis Hörgeräte zum Teil als Hilfsmittel werte, sei ohne Bedeutung, weil für das Gewerberecht ordnungspolitische Überlegungen maßgebend seien. Hörgeräte seien ebenso wie die anderen in § 57 Abs 1 GewO angeführten Waren aus der Sicht des Konsumenten sensible Produkte. Der Verkehr mit diesen Waren müsse wegen der besonderen Gefahr einer Irreführung oder Benachteiligung der Bevölkerung eingeschränkt werden.

§ 57 GewO regelt das Aufsuchen von Privatpersonen zum Zweck des Sammelns von Bestellungen auf Waren. Abs 1 leg cit enthält ein Hausierverbot für bestimmte Waren: Lebensmittel, Verzehrprodukte, kosmetische Mittel, Gifte, Arzneimittel, Heilbehelfe, Textilien, Uhren, Gold-, Silber- und Platinwaren, Juwelen und Edelsteine, Waffen und Munition, pyrotechnische Artikel sowie Kränze und sonstigen Grabschmuck. Abs 2 leg cit ermächtigt den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten, mit Verordnung auch weitere Waren in das Verbot einzubeziehen, wenn es (zB) Gründe der Volksgesundheit oder des Konsumentenschutzes erfordern oder wenn es wegen der besonderen Gefahr einer Irreführung oder Benachteiligung der Bevölkerung notwendig ist. Was unter "Heilbehelfen" zu verstehen ist, wird in der Gewerbeordnung nicht festgelegt.

Der Begriff "Heilbehelfe" wird auch im Sozialversicherungsrecht nicht definiert. § 137 ASVG nennt als Heilbehelfe Brillen, orthopädische Schuheinlagen und Bruchbänder "und sonstige notwendigen Heilbehelfe", § 154 ASVG regelt die "Hilfsmittel". Heilbehelfe und Hilfsmittel werden danach unterschieden, ob der Behelf dem Heilungszweck dient ("Heilbehelf") oder ob er erst nach Abschluß des Heilungsprozesses zum Einsatz kommt ("Hilfsmittel"; s Binder in Tomandl, System des österreichischen Sozialversicherungsrechts 220). Nach Tomandl (Grundriß des österreichischen Sozialversicherungsrechts4, 94) mag diese Unterscheidung zwar für das B-KUVG und GSVG tauglich sein; die anderen Krankenversicherungsgesetze zeigten aber, daß sie Hilfsmittel im Begriff des Heilbehelfes eingeschlossen sehen (§ 202 und § 154 ASVG). Hörgeräte sind nach sozialversicherungsrechtlicher Praxis, dh für die Bestimmung der Leistungsverpflichtung des Krankenversicherers, Hilfsmittel iS des § 154 ASVG (Teschner/Widlar, ASVG § 154 Anm 4; s auch § 43 der Satzungen der Salzburger Gebietskrankenkasse).

Diese Einordnung könnte aber nur dann für die Auslegung des § 57 Abs 1 GewO maßgebend sein, wenn die Gründe, welche die sozialversicherungsrechtliche Abgrenzung zwischen Heilbehelfen und Hilfsmitteln bestimmen, auch im Anwendungsbereich des § 57 Abs 1 GewO gültig wären. Zwischen Heilbehelfen und Hilfsmitteln wird unterschieden, um die Leistungspflicht des Krankenversicherers zu bestimmen: Während die Kosten für Heilbehelfe als Teil der Krankenbehandlung (§ 133 Abs 1 ASVG) grundsätzlich vom Krankenversicherer getragen werden, wird für die Anschaffung von sonstigen Hilfsmitteln (nur) ein Zuschuß gewährt (§ 154 ASVG). Ein Hausierverbot für bestimmte Waren, unter denen Hörgeräte nicht waren, hat schon § 59 GewO 1859 enthalten; bei anderen Waren war das Aufsuchen von Privatpersonen zum Zweck des Sammelns von Bestellungen außerhalb des Standorts nur in einzelnen Fällen auf ausdrückliche, schriftliche und auf bestimmte Waren lautende Aufforderung gestattet. Gemäß § 59 Abs 4 GewO 1859 konnte der Handelsminister gewisse Ausnahmen festsetzen. Mit VO RGBl 1902/242 wurde der Vertrieb von Hörgeräten außerhalb des Standortes zugelassen. Diese Ausnahme wurde durch Art II GewO-Nov BGBl 1968/416 beseitigt. Hörgeräte konnten von diesem Zeitpunkt an nur mehr standortgebunden oder aufgrund einer Aufforderung iS des § 52 Abs 4 GewO 1859 vertrieben werden.

Die GewO 1973 erstreckte das Hausvierverbot auf Heilbehelfe. Gleichzeitig wurde auch der Direktvertrieb von "zur arzneilichen Verwendung bestimmte(n) Stoffe(n) Präparate(n)" verboten; der ursprünglich vorgesehene Begriff "Heilmittel" erschien dem Gesetzgeber zu eng. In der Folge wurde der Begriff "zur arzneilichen Verwendung bestimmte Stoffe und Präparate" in Anpassung an das Arzneimittelrecht, wieder durch den Begriff "Heilmittel" ersetzt (§ 57 Abs 1 GewO 1994).

Das demnach schon in der GewO 1859 enthalten gewesene absolute Hausierverbot bei bestimmten Waren wurde durch die GewO 1973 aufrecht erhalten und sogar noch erweitert, weil bei diesen Waren eine besondere Täuschungsgefahr für den Konsumenten anzunehmen sei (395 BlgNR 13. GP 153). Die Erweiterung trage insbesondere konsumentenpolitischen Erwägungen Rechnung (941 BlgNR 13. GP 7). Durch die GRNov 1988 BGBl 1988/399 wurden Werbeveranstaltungen in Privathaushalten für die vom Hausierverbot erfaßten Waren verboten. Nach den EB (341 BlgNR 17. GP 36) soll diese Änderung bzw Ergänzung (des § 57 Abs 1 GewO)

"vor allem einen besseren Schutz der Konsumenten beim Aufsuchen von Bestellungen bei Privatpersonen bewirken. Es soll aber auch der der GewO 1973 innewohnende Grundsatz gestärkt werden, daß die Gewerbeausübung primär in den Standorten der Gewerbetreibenden erfolgen soll. Es sollen die sogenannten Haustürgeschäfte und sonstige alternative Vertriebsformen, die den Konsumenten in seiner Privatsphäre, am Arbeitsplatz usw ansprechen, weitestgehend hintangehalten werden. Dies liegt letztlich auch im Interesse der Nahversorgung durch standortgebundene Geschäfte."

Hörgeräte werden, entgegen dem in der Revision der Klägerin erweckten Anschein, in den Gesetzesmaterialien nicht erwähnt.

Mit VO des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie vom BGBl 1976/72 wurden Ausübungsvorschriften für das gebundene Gewerbe der Hörgeräteakustiker erlassen; mit VO vom BGBl 1976/698 für das konzessionierte Gewerbe der Kontaktlinsenoptiker. Während nach der VO BGBl 1976/698 Kontaktlinsen Waren sind, hinsichtlich derer das Aufsuchen von Privatpersonen zum Zwecke des Sammelns von Bestellungen verboten ist (§ 1 Abs 2 leg cit), enthält die VO BGBl 1976/72 keine derartige Bestimmung. Beide Verordnungen schreiben aber vor, daß die jeweilige Betriebsstätte einen Anpaßraum aufweisen muß. Die VO BGBl 1976/698 zeigt, daß Kontaktlinsen nicht als Heilbehelfe iS des § 57 Abs 1 GewO angesehen werden; andernfalls hätte es der in diese Verordnung aufgenommenen Legaldefinition nicht bedurft. Hörgeräte haben eine ähnliche Funktion wie Kontaktlinsen. Das läßt die Auffassung, daß auch sie nicht vom Hausierverbot des § 57 Abs 1 GewO 1994 erfaßt werden, zumindest vertretbar erscheinen.

Daß die durch die VO RGBl 1902/242 geschaffene Ausnahme für den Vertrieb von Hörgeräten durch die GewO-Nov BGBl 1968/416 wieder beseitigt wurde, führt zu keiner anderen Beurteilung. Sowohl dem Gesetzgeber der GewO 1973 als auch - wie die Ausübungsvorschriften für das Gewerbe der Kontaktlinsenoptiker zeigen - dem Verordnungsgeber der Ausübungsvorschriften für das Gewerbe der Hörgeräteakustiker mußten die Schwierigkeiten bekannt sein, den Begriff "Heilbehelfe" abzugrenzen. Daß Hörgeräte dennoch nicht in die Liste der vom Hausierverbot erfaßten Waren aufgenommen wurden, läßt jedenfalls auch den Schluß zu, daß ihre Einbeziehung nicht beabsichtigt war.

Die Auslegung des § 57 Abs 1 GewO 1994 durch die Vorinstanzen ist demnach mit gutem Grund vertretbar. Sie entspricht dem Prozeßstandpunkt der Beklagten. Es ist daher nicht richtig, daß die Beklagte keine derartige Einwendung erhoben hätte.

Ist die Auffassung des Beklagten über den Umfang seiner Befugnisse durch das Gesetz so weit gedeckt, daß sie mit gutem Grund vertreten kann, so verstößt selbst eine Verletzung gewerberechtlicher Vorschriften nicht gegen § 1 UWG (stRsp ÖBl 1976, 67 - Berater in Versicherungsangelegenheiten; SZ 56/2 = ÖBl 1983, 40 - Metro Post I; ÖBl 1986, 18 - Baldrian-Essenz uva).

Die Revision der Klägerin mußte daher erfolglos bleiben.

2. Zur Revision der Beklagten

Die Beklagte vertritt die Auffassung, daß eine weitere Betriebsstätte ein Standort iS des § 57 Abs 3 GewO sei. In einer weiteren Betriebsstätte dürften sämtliche Tätigkeiten ausgeübt werden. Die Gerichte seien an den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft S*****-Umgebung gebunden, wonach die Beklagte eine weitere Betriebsstätte im Standort O***** betreibe. Die Auffassung der Beklagten, in O***** einen Standort iS des § 57 Abs 3 GewO zu haben, sei jedenfalls mit gutem Grund vertretbar. § 57 Abs 3 GewO regelt das Aufsuchen von Privatpersonen bei anderen als den in § 57 Abs 1 GewO genannten Waren. Den Gewerbetreibenden ist es gestattet, Privatpersonen innerhalb des Verwaltungsbezirks aufzusuchen, zu dem die Gemeinde des Standortes gehört; hingegen außerhalb nur in einzelnen Fällen auf ausdrückliche, schriftliche, auf bestimmte Waren lautende, an den Gewerbetreibenden gerichtete Aufforderung.

Gemäß § 339 Abs 2 GewO 1994 hat die Gewerbeanmeldung (ua) den für die Ausübung in Aussicht genommenen Standort zu enthalten. Unter Standort iS dieser Bestimmung ist jener Ort zu verstehen, von dem aus als Hauptbetriebsstätte das betreffende Gewerbe ausgeübt, Bestellungen entgegengenommen, Arbeiten angenommen und bestellte Arbeitsstücke ausgefolgt werden und in dem sich der Verkehr des Geschäftsunternehmens mit den Kunden abspielt, wo sich ständig die gewerbliche Tätigkeit vollzieht oder wo sich, wenn das Gewerbe an verschiedenen Orten ausgeübt wird, der Mittelpunkt des Unternehmens befindet (Mache/Kinscher, GewO5 § 339 Anm 18; s auch Heller, Kommentar zur Gewerbeordnung2, 291). Standort iwS ist das Gebiet der Ortsgemeinde, in der das Gewerbe ausgeübt wird (Heller aaO).

Gemäß § 46 Abs 1 GewO 1994 ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, eine Gewerbeausübung, auch wenn sie nur kurzfristig oder vorübergehend ist, außerhalb des Standortes der Gewerbeberechtigung oder einer weiteren Betriebsstätte unzulässig. Der Ort, an dem sich eine weitere Betriebsstätte befindet, ist ein Standort iwS (vgl Mache/Kinscher aaO § 46 Anm 4, 26).

§ 57 Abs 3 GewO 1994 enthält keine ausdrückliche Anordnung, ob "Standort" als Standort ieS oder als Standort iwS zu verstehen ist. Durch die GRNov 1988 BGBl 1988/151 wurde die Befugnis, Privatpersonen aufzusuchen, um Bestellungen zu sammeln, auf den Verwaltungsbezirk erstreckt, zu dem die Gemeinde des Standorts gehört. In den EB (341 BlgNR 17. GP 37) wird dazu ausgeführt:

"Im Hinblick auf die heutige Mobilität soll das Aufsuchen von Privatpersonen zum Zwecke des Sammelns von Bestellungen hinsichtlich der Waren, für die kein Verbot gilt, innerhalb des Verwaltungsbezirkes, in dem der Gewerbetreibende einen Standort hat, ohne vorherige schriftliche Aufforderung durch den Kunden möglich sein. Bisher war dies auf die Standortgemeinde des Gewerbetreibenden beschränkt".

Die Ausführungen in den EB ("in dem der Gewerbetreibende einen [nicht seinen] Standort hat") lassen auf die Auffassung schließen, daß "Gemeinde des Standortes" in § 57 Abs 3 GewO 1994 nicht nur jene des Standortes ieS, sondern auch die eines Standortes iwS sei. Das zeigt auch die Tatsache, daß § 57 Abs 3 von der "Gemeinde des Standortes" und nicht von der "Gemeinde seines Standortes" spricht. Das läßt die Auslegung, auch der Standort einer weiteren Betriebsstätte sei ein Standort iS des § 57 Abs 3 GewO 1994, jedenfalls mit gutem Grund vertretbar erscheinen.

Diese Auslegung enstpricht dem Prozeßstandpunkt der Beklagten, so daß auch insoweit die Behauptung der Klägerin nicht richtig ist, die Beklagte habe keinen derartigen Einwand erhoben. Da die Auffassung der Beklagten über den Umfang ihrer Befugnisse auch in bezug auf das vom Eventualbegehren erfaßte Verhalten durch das Gesetz so weit gedeckt ist, daß sie mit gutem Grund vertreten kann, liegt, wie bereits zum Hauptbegehren ausgeführt wurde, selbst dann kein Wettbewerbsverstoß vor, wenn sie mit dem Hausieren im Bezirk S*****-Umgebung gewerberechtliche Vorschriften verletzt.

Ob die weitere Betriebsstätte der Beklagten in O***** nicht vorschriftsgemäß ausgestattet ist und die Beklagte daher gegen gewerberechtliche Vorschriften verstößt, kann dahingestellt bleiben, weil das Begehren der Klägerin ein derartiges Verhalten nicht erfaßt.

Der Revision der Beklagten war Folge zu geben und die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.