OGH vom 29.05.2018, 4Ob98/18t
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel, die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi sowie die fachkundigen Laienrichter DI Dr. Cunow und DI Pawloy als weitere Richter in der Patentrechtssache der Antragstellerin vormals B***** Corp., *****, nunmehr B***** LLC, *****, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Berichtigung der Laufzeit des ergänzenden Schutzzertifikats SZ 35/2006, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom , GZ 34 R 64/16f-5, womit der Beschluss der Technischen Abteilung des Patentamts vom , GZ E 321 027 SZ 35/2006-4, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
1. Der Parteiwechsel von der bisherigen Antragstellerin B***** Corp. zur nunmehrigen Antragstellerin B***** LLC dient zur Kenntnis.
2. Das Verfahren über den Revisionsrekurs wird auf Antrag der Antragstellerin fortgesetzt.
3. Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass dem Antrag auf Berichtigung der Laufzeit des Schutzzertifikats SZ 35/2006 stattgegeben und das Ende der Schutzdauer mit dem festgesetzt wird.
Die Durchführung der erforderlichen Maßnahmen im Patentregister obliegt dem Patentamt.
Text
Begründung:
Die Rechtsvorgängerin der nunmehrigen Antragstellerin war Inhaberin des ergänzenden Schutzzertifikats (ESZ) SZ 35/2006 für das Erzeugnis „Sorafenib und pharmazeutisch verträgliche Salze hievon“, das aufgrund ihres Antrags vom mit Beschluss der Technischen Abteilung vom erteilt wurde (Grundpatent E 321 027): Darin legte das Patentamt im Hinblick auf die Erstgenehmigung vom die Schutzdauer ab dem Ablauf der Dauer des Grundpatents und das Ende mit dem 7. 2021 fest. Dieser Beschluss blieb unbekämpft und wurde rechtskräftig.
Die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin begehrte die Berichtigung des festgelegten Endes auf den 7. 2021, wobei sie sich – neben im nationalen Recht vorgesehenen Rechtsbehelfen – auf Art 17 Abs 2 der Verordnung (EG) Nr 1610/96 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Pflanzenschutzmittel (im Folgenden: PSMVO) stützt. Sie brachte im Wesentlichen vor, das zu berichtigende Enddatum stehe im Widerspruch zur Entscheidung des EuGH C471/14, Seattle Genetics Inc., wonach Art 13 Abs 1 PSMVO dahin auszulegen ist, dass der „Zeitpunkt der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen in der [Union]“ im Sinne dieser Bestimmung der Zeitpunkt ist, zu dem der Beschluss über die Genehmigung für das Inverkehrbringen seinem Adressaten bekanntgegeben wird.
Das bestätigte mit dem angefochtenen Beschluss die zurückweisende Entscheidung des Patentamts mit der Maßgabe, dass der Antrag abgewiesen wird. Es ging davon aus, dass § 17 Abs 2 PSMVO deswegen nicht einschlägig sei, weil davon allein einfach zu berichtigende Fehler über den Zeitpunkt der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft und seine Angabe gemeint sind und andere Fehler der Laufzeitbemessung nicht mit diesem Antrag geltend gemacht werden können.
Gegen diese Entscheidung erhob die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin .
Ein Vorabentscheidungsersuchen des Fővárosi Törvényszék (Ungarn), Rechtssache C492/16, hatte unter anderem die Frage zum Gegenstand, ob Art 17 Abs 2 PSMVO dahin auszulegen ist, dass in einer Anmeldung eines ergänzenden Schutzzertifikats der „Zeitpunkt der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Europäischen Union“ dann falsch angegeben ist, wenn dieser Zeitpunkt im Widerspruch zu der Rechtsauslegung festgelegt worden ist, die im Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache C471/14 vorgenommen wurde, so dass das Ablaufdatum des ergänzenden Schutzzertifikats auch dann zu berichtigen ist, wenn die betreffende Entscheidung vor der Verkündung dieses Urteils ergangen ist und die Frist zur Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen die fragliche Entscheidung bereits abgelaufen ist.
Die Beantwortung dieser Frage ist auch für den vorliegenden Antrag maßgeblich. Da der Oberste Gerichtshof auch in Rechtssachen, in denen er nicht unmittelbar Anlassfallgericht ist, von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des EuGH auszugehen und diese auch für andere als die unmittelbaren Anlassfälle anzuwenden hat, wurde das Verfahren über den Revisionsrekurs mit Beschluss vom zu 4 Ob 5/17i bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen des Fővárosi Törvényszék (Ungarn), Rechtssache C-492/16, unterbrochen.
Aufgrund der Übertragung des Schutzzertifikats an die nunmehrige Antragstellerin bewilligte das Patentamt mit Beschluss vom deren Eintragung als Inhaberin des verfahrensgegenständlichen Schutzzertifikats im Patentregister (siehe auch den vorgelegten Ausdruck aus der online-Datenbank des Österreichischen Patentamts vom ).
Rechtliche Beurteilung
Mit Zustimmung der bisherigen Antragstellerin trat die nunmehrige Antragstellerin in das Verfahren ein.
Ein solcher Parteiwechsel ist auch im Rechtsmittelverfahren möglich. Nach der für das hier vorliegende Rechtsmittelverfahren anzuwendenden Bestimmung des § 145 Abs 3 PatG kann der Erwerber eines streitverfangenen Rechts auch ohne Zustimmung des Gegners in das Verfahren eintreten. Damit ordnete der Gesetzgeber die gemäß bisher ständiger Rechtsprechung (vgl zB Om 6/09 und Op 1/12) geltende Nichtanwendbarkeit des § 234 ZPO (Veräußerung der streitverfangenen Sache) im Bereich des PatG für alle mehrseitigen Rechtsmittelverfahren an (ErläutRV 2358 BlgNR XXIV. GP, 5).
Bei einer den Verfahrensgegenstand betreffenden Einzelrechtsnachfolge reicht es demnach aus, dass sich der bisherige Antragsteller und der Einzelrechtsnachfolger über einen Parteiwechsel einig sind. Wenngleich § 145 Abs 3 PatG auf ein mehrseitiges Rechtsmittelverfahren abzielt (arg „ohne Zustimmung des Gegners“), ergibt sich aus einem Größenschluss, dass ein Parteiwechsel auch in einem einseitigen Verfahren möglich ist, wenn darüber zwischen dem bisherigen Antragsteller und seinem Einzelrechtsnachfolger Konsens besteht. Die Voraussetzungen für einen Parteiwechsel sind daher erfüllt, weshalb dieser zur Kenntnis zu nehmen war.
Aufgrund des am zu C-492/16 vom EuGH gefällten Urteils war das Revisionsrekursverfahren auf Antrag der nunmehrigen Antragstellerin mit Beschluss fortzusetzen.
Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.
Der EuGH wies in seiner Entscheidung darauf hin, dass im ungarischen Vorlageantrag ausdrücklich auf Art 17 Abs 2 PSMVO Bezug genommen wurde, wobei das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Zertifikat nicht für ein Pflanzenschutzmittel, sondern – wie im gegenständlichen Revisionsrekursverfahren – für ein Arzneimittel erteilt worden ist. Ein ergänzendes Schutzzertifikat für ein Arzneimittel fällt demnach unter die Verordnung (EG) Nr 469/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über das ergänzende Schutzzertifikat für Arzneimittel (im Folgenden: ESZ-VO), weshalb auch die Bestimmung des Art 18 ESZ-VO einzubeziehen ist. Dabei wurde vom EuGH auch berücksichtigt, dass nach dem 17. Erwägungsgrund der PSM-VO die in Art 17 Abs 2 PSM-VO vorgesehenen Modalitäten sinngemäß auch für die Auslegung des (nunmehrigen) Art 18 ESZ-VO gelten (Rn 33 f).
Vom EuGH wurden die maßgeblichen Fragen wie folgt beantwortet:
1. Art 18 ESZ-VO ist unter Berücksichtigung von Art 17 Abs 2 PSMVO dahin auszulegen, dass der Zeitpunkt der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen, wie er in einer Anmeldung eines ergänzenden Schutzzertifikats, auf deren Grundlage die für die Erteilung dieses Zertifikats zuständige Behörde dessen Laufzeit berechnet hat, angegeben ist, dann unrichtig ist, wenn er, wie im Ausgangsverfahren, eine Berechnungsmodalität für die Laufzeit dieses Zertifikats zur Folge hat, die mit den Vorgaben von Art 13 Abs 1 ESZ-VO, wie er in einem nachfolgenden Urteil des Gerichtshofs ausgelegt worden ist, nicht im Einklang steht.
2. Art 18 ESZ-VO ist unter Berücksichtigung des 17. Erwägungsgrundes und von Art 17 Abs 2 PSMVO dahin auszulegen, dass der Inhaber eines ergänzenden Schutzzertifikats in einer Situation wie der in Nr. 1 des vorliegenden Tenors beschriebenen auf der Grundlage von Art 18 ESZ-VO einen Rechtsbehelf einlegen kann, um die in dem Zertifikat angegebene Laufzeit berichtigen zu lassen, solange das Zertifikat nicht erloschen ist.
Der EuGH nahm dabei Bezug auf seine Entscheidung vom
zu C-471/14, Seattle Genetics Inc.,in der klargestellt wurde, dass beim Zeitpunkt der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Union auf die Bekanntgabe des Genehmigungsbeschlusses dem Adressaten gegenüber abzustellen ist. Art 18 ESZ-VO ist nach dem EuGH dahin auszulegen, dass dann, wenn der in der Zertifikatsanmeldung enthaltene Zeitpunkt der ersten Zulassung in der Union unrichtig ist und infolgedessen auch die Laufzeit des betreffenden Zertifikats unrichtig war, der Inhaber des Zertifikats aufgrund dieser Vorschrift die Möglichkeit hat, einen Rechtsbehelf zur Berichtigung unmittelbar bei der Behörde einzulegen, die dieses Zertifikat erteilt hat. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte in Art 17 Abs 2 PSMVO ist davon auszugehen, dass die Einlegung eines solchen Rechtsbehelfs zur Berichtigung bei der betreffenden Behörde bis zum Ende der Laufzeit des betreffenden Zertifikats möglich sein muss (Rn 51).
Nach den Ausführungen des EuGH steht dem Schutzzertifikatsinhaber mit Art 18 ESZ-VO iVm Art 17 Abs 2 PSM-VO damit ein unmittelbar anwendbarer Rechtsbehelf zur Verfügung, nach dem gerade auch Fehler im Erteilungsbeschluss zu korrigieren sind, die auf der unrichtigen Angabe des Zeitpunkts der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen beruhen (Rn 51).
Aufgrund der vom EuGH geklärten Fragen zum Beginn der Laufzeit für ein ergänzendes Schutzzertifikat und zum möglichen Rechtsbehelf zur Berichtigung war dem Rechtsmittel der Antragstellerin Folge zu geben und die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass dem Antrag auf Berichtigung der Laufzeit des Schutzzertifikats stattzugeben war.
Die erforderlichen Änderungen im Register hat das Patentamt vorzunehmen.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2018:0040OB00098.18T.0529.000 |
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