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OGH vom 17.05.2000, 6Ob96/00m

OGH vom 17.05.2000, 6Ob96/00m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer, Dr. Huber, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Pflegschaftssache der nunmehr volljährigen Pauline M*****, geboren am , und mj. Dariusz M*****, geboren am , über den Revisionsrekurs des Vaters Mieczyslaw M*****, vertreten durch Dr. Andreas Waldhof, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 44 R 717/99p-37, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom , GZ 6 P 1546/95p-27, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Die beiden 1982 und 1983 geborenen Kinder wie auch ihre Eltern sind polnische Staatsbürger. Die Ehe der Eltern wurde mit Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom geschieden. Im pflegschaftsbehördlich genehmigten Scheidungsvergleich wurde der Mutter die Pflege und Erziehung übertragen; der Vater verpflichtete sich zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 12.000 Zloty je Kind. Die Mutter lebt mit beiden Kindern nunmehr in Polen, sie planen nicht nach Österreich zurückzukehren.

Mit Beschluss vom (ON 15) stellte das Erstgericht das inländische Pflegschaftsverfahren ein. Dieser Beschluss ist in Rechtskraft erwachsen. Unter Hinweis auf die Einstellung des Verfahrens wies es auch einen Antrag des Vaters auf Herabsetzung seiner monatlichen Unterhaltspflicht zurück; auch dieser Beschluss ist in Rechtskraft erwachsen. Das in Polen zuständige Familiengericht verpflichtete den Vater mit Beschluss vom zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 280 Zloty je Kind ab .

Mit Schriftsatz vom macht der Vater nun geltend, er habe sich mit der Mutter auf eine Unterhaltsleistung von 500 Dollar je Kind und Quartal ab geeinigt und begehre die rückwirkende Aufhebung des Unterhaltsvergleiches ab . Die Rechtskraftwirkung des Einstellungsbeschlusses vom reiche nur soweit, als Unterhaltserhöhungen nicht mehr zulässig seien, die in diesem Verfahren früher ergangenen Entscheidungen seien nichtig. Er beantrage daher die gerichtliche Genehmigung des Scheidungsvergleiches wegen Wegfalls der inländischen Gerichtsbarkeit seit Übersiedlung der Unterhaltsberechtigten nach Polen nichtig zu erklären, in eventu den Vergleich dahin abzuändern, dass der Unterhalt seit rückwirkend mit 1.000 S monatlich je Kind festgesetzt werde.

Der Vater brachte noch vor, das zuständige polnische Gericht habe den Unterhalt der Minderjährigen mit monatlich umgerechnet 840 S je Kind festgesetzt, welchen Betrag er auch bezahle. Dieser Gerichtsbeschluss wie auch die mit der Mutter getroffene Vereinbarung vom seien ausreichend, um die Interessen der Minderjährigen zu wahren, sodass das (österreichische) Gericht gemäß § 110 Abs 2 JN von der Einleitung oder Fortsetzung des Verfahrens absehen könne. Es könne das Verfahren somit unter Aufhebung früherer Unterhaltstitel einstellen.

Das Erstgericht wies die Anträge des Vaters ab. Das inländische Pflegschaftsverfahren sei rechtskräftig eingestellt, die vom Vater angestrebte Nichtigerklärung oder rückwirkende Aufhebung des Unterhaltstitels könne (nur) im streitigen Verfahren erfolgen. Dem Vater stehe es frei, die geänderten Verhältnisse mit Oppositionsklage geltend zu machen, er sei somit an der Durchsetzung seiner Ansprüche nicht gehindert.

Das Rekursgericht bestätigte mit der Maßgabe, dass die Anträge des Vaters zurückgewiesen werden. Wenngleich sich aus § 110 JN wie auch aus Art 50 Abs 1 lit b des Vertrages vom zwischen der Republik Österreich und der Volksrepublik Polen über die wechselseitigen Beziehungen in bürgerlichen Rechtssachen und über Urkundenwesen BGBl 1974/79 idF des Zusatzprotokolls vom , die Zuständigkeit eines österreichischen Gerichts für die Festsetzung und damit auch für die Abänderung des Unterhaltes ergeben könnte, sei der Antrag des Vaters schon deshalb zurückzuweisen, weil das inländische Pflegschaftsverfahren unangefochten eingestellt worden sei. Dieser Einstellungsbeschluss sei der Rechtskraft fähig und könne nicht abgeändert werden, solange durch die im Ausland getroffenen oder zu erwartenden Maßnahmen die Rechte und Interessen der Minderjährigen ausreichend gewahrt würden. Der Vater habe die Zurückweisung seines Unterhaltsherabsetzungsantrages wegen Fehlens der inländischen Gerichtsbarkeit unbekämpft gelassen. Ohne Änderung der Sachlage sei es daher nicht möglich, über seine Anträge zu entscheiden, ohne die materielle Rechtskraft zu verletzen. Ob seine Anträge inhaltlich berechtigt wären, könne dahingestellt bleiben.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil zur Frage der Rechtskraftwirkung des Einstellungsbeschlusses nach § 110 Abs 2 JN Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehle.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Gemäß § 110 Abs 1 Z 2 JN ist die inländische Gerichtsbarkeit für die in § 109 JN genannten Angelegenheiten, zu denen auch die Festsetzung des gesetzlichen Unterhalts gehört, ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit angegeben, wenn der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder, soweit es um dringende Maßnahmen geht, zumindest seinen Aufenthalt im Inland hat. Fehlen sowohl die österreichische Staatsangehörigkeit (§ 110 Abs 1 Z 1 JN) als auch ein gewöhnlicher Aufenthalt in Österreich, liegt grundsätzlich keine inländische Gerichtsbarkeit vor, es sei denn, es wären dringende Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Aufenthalt (Z 2 zweiter Fall leg cit) oder mit in Österreich befindlichem Vermögen des Minderjährigen (Z 3 leg cit) zu treffen (Mayr in Rechberger, ZPO2 Rz 2 zu § 110 JN;3 Ob 552/88; 3 Ob 513/85; Schwimann, Inländische Gerichtsbarkeit für Personenrechts-, Familienrechts- und Unterhaltssachen JBl 1990, 760 ff).

Handelt es sich um einen ausländischen Minderjährigen, so kann das Gericht von der Einleitung oder Fortsetzung des Verfahrens absehen, soweit und solange durch den im Ausland getroffenen oder zu erwartenden Maßnahmen die Rechte und Interessen des Minderjährigen ausreichend gewahrt werden (§ 110 Abs 2 JN).

Diesen Grundsätzen entsprechend hat das Erstgericht nach Übersiedlung der Minderjährigen nach Polen die (weitere) inländische Gerichtsbarkeit verneint und das Pflegschaftsverfahren eingestellt; dieser Beschluss ist in Rechtskraft erwachsen. Für ein weiteres Einschreiten des davor zuständigen inländischen Pflegschaftsgerichtes fehlen derzeit die Voraussetzungen: Selbst wenn man den Antrag des Vaters als Maßnahme im Sinn des § 110 Abs 1 Z 3 JN ansehen wollte, wäre eine (neuerliche) Einleitung des Pflegschaftsverfahrens nach dessen rechtskräftiger Einstellung nur dann erforderlich, wenn die Rechte und Interessen der Minderjährigen nicht schon durch in ihrem Heimatstaat getroffene Maßnahmen ausreichend gewahrt würden. Sinn und Zweck des § 110 JN ist es, die inländische Gerichtsbarkeit mit einem allfälligen ausländischen Rechtsschutz zu koordinieren, indem er es dem im Inland befassten Gericht ermöglicht, von der Einleitung oder Fortsetzung des Verfahrens abzusehen, soweit und solange durch die im Ausland getroffenen oder zu erwartenden Maßnahmen die Rechte und Interessen der Minderjährigen ausreichend gewahrt werden (Schwimann JBl 1990, 760). Dazu hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass die Entscheidung der Frage, ob im Sinn des § 110 Abs 2 JN von der Einleitung oder Fortsetzung eines inländischen Verfahrens abgesehen wird, vom Ermessen des inländischen Gerichtes abhängt, das sich nur am Wohle des Kindes, nämlich der ausreichenden Wahrung seiner Interessen durch die Behörden des ausländischen Staates zu orientieren hat (3 Ob 513/85; RIS-Justiz RS0099363). Dazu hat der Vater aber selbst auf die vom zuständigen Familiengericht in Polen mittlerweile vorgenommene Unterhaltsfestsetzung hingewiesen. Dass die Vollstreckbarkeit dieser Entscheidung nach § 48 des Rechtshilfevertrages mit Polen vom BGBl 1974/79 nicht gegeben wäre, hat er in keiner Weise behauptet. Damit sind aber die in § 110 Abs 2 JN angesprochenen Interessen der Minderjährigen jedenfalls ausreichend gewahrt, ohne dass es einer Fortsetzung des Pflegschaftsverfahrens in Österreich bedürfte.

Auch § 50 Abs 1 lit b des genannten Rechtshilfevertrages lässt keine andere Beurteilung zu. Danach sind die Gerichte jenes Vertragsstaates für Ansprüche auf Unterhalt zuständig, "in dem der Belangte im Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt gehabt hat". Diese Bestimmung regelt die Einleitung von Unterhaltsfestsetzungsverfahren gegen in Österreich lebende Väter und ändert nichts daran, dass das österreichische Gericht nach § 110 Abs 2 von der Einleitung oder Fortsetzung des Verfahrens absehen kann, wenn die Rechte und Interessen des Minderjährigen durch in seinem Heimatstaat getroffene (oder sogar nur zu erwartende) Maßnahmen ausreichend gewahrt werden. Dass die Weigerung des Gerichtes zur Verfahrenseinleitung oder -fortsetzung nur solange gerechtfertigt ist, als diese Rechtfertigungsgründe andauern (das Verfahren wäre bei Wegfall dieser Gründe einzuleiten oder fortzusetzen, vgl Schwimann JBl 1990, 760), kann im vorliegenden Fall zu keiner anderen Beurteilung führen, weil schon nach den Behauptungen des Rechtsmittelwerbers von der ausreichenden Wahrung der Interessen durch das Heimatgericht auszugehen ist.

Soweit nun der Vater meint, mit Wegfall der inländischen Gerichtsbarkeit sei der 1988 geschlossene und genehmigte Unterhaltsvergleich nichtig geworden und müsse aufgehoben, zumindest aber abgeändert werden, übersieht er, dass der Wegfall der inländischen Gerichtsbarkeit zwar in jeder Lage des Verfahrens wahrzunehmen ist (Mayr in Rechberger, ZPO2 Rz 1 zu § 100 JN), der davor rechtswirksam zustande gekommene Unterhaltstitel jedoch davon nicht berührt wird. Für die Unterhaltsbemessung ist nach Wegfall der inländischen Gerichtsbarkeit in Österreich - wenn wie hier eine Verfahrenseinleitung oder -fortsetzung im Sinn des § 110 Abs 2 JN nicht angezeigt ist - das in Polen zuständige Gericht berufen. Der Vater hat selbst vorgebracht, dass das zuständige Familiengericht in Polen eine Unterhaltsfestsetzung vorgenommen hat. Damit wurde aber der anlässlich der Ehescheidung geschaffene Unterhaltstitel bereits materiellrechtlich geändert. Ein schutzwürdiges Interesse des Vaters an der nun angestrebten nachträglichen Aufhebung bzw Abänderung des Scheidungsvergleichs (bzw seiner pflegschaftsbehördlichen Genehmigung) ist daher nicht zu erkennen. Sollte die Mutter aufgrund des materiellrechtlich überholten österreichischen Titels dennoch Exekution führen, stünde es dem Vater frei, das (teilweise) Erlöschen des Unterhaltsanspruches aus dem Exekutionstitel mit Klage nach § 35 EO geltend zu machen.