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OGH vom 09.09.1980, 5Ob6/80

OGH vom 09.09.1980, 5Ob6/80

Norm

ABGB § 6;

ABGB § 297;

AllGAG § 35;

GBG § 1;

Kopf

SZ 53/109

Spruch

An unterirdischen Räumen und Bauwerken wie Tiefgaragen kann selbständiges (Keller-) Eigentum begrundet werden. Grundlage für die Verbücherung als eigener Grundbuchskörper ist das Hofkanzlei-Dekret vom 2. Juli 1832 über Keller- Grundbücher

(OLG Linz 6 Nc 178/79)

Text

Die Parkgaragen-Gesellschaft m. b. H. errichtete im Mönchsberg unter der Oberfläche von im Eigentum der Stadtgemeinde Salzburg stehenden Liegenschaften, Parkkavernen mit insgesamt 16 Parkdecks und den erforderlichen Verbindungsstollen für die Zu- und Abfahrt von Kraftfahrzeugen und den Zu- und Abgang von Personen. Unter Berufung auf das Hofkanzleidekret vom 2. Juli 1832 begehrte die antragstellende Stadtgemeinde Salzburg als Liegenschaftseigentümerin beim Bezirksgericht Salzburg als Grundbuchsgericht die Einleitung des grundbücherlichen Ergänzungsverfahrens und die amtswegige Aufnahme der aus den vorgelegten Vermessungsplänen des Ingenieur-Konsulenten für Vermessungswesen Dipl.-Ing. Günther F. vom 10. Feber 1977, GZ 15 856 A/77 und 15 856 B, ersichtlichen und dort mit arabischen Ziffern bezeichneten Parkkavernen als Keller im Gutsbestandsblatt der jeweiligen Grundbuchseinlage; hilfsweise begehrte sie, für diese Keller neue Grundbuchseinlagen zu eröffnen.

Das Oberlandesgericht Linz, dem die Grundbuchsakten samt zwei Entwürfen für die Eintragung und eines Buchberichtes über die beantragten Einlagezahlen im Wege des Präsidenten des Landesgerichtes Salzburg zur Prüfung vorgelegt wurden, ob ein Bewilligungsverfahren gemäß § 35 AllGAG in Erwägung gezogen werde, lehnte die Einleitung des Verfahrens zur Richtigstellung des Grundbuches ab. Zur Begründung seiner Entscheidung führte es im wesentlichen aus: Das Verfahren zur Richtigstellung des Grundbuches gemäß den §§ 35 ff. AllGAG, §§ 22 ff. AllGAV und §§ 198 ff. GV setze begrifflich voraus, daß die von Amts wegen aufzunehmenden Liegenschaften bei der Anlegung des Grundbuches übersehen worden sind. Es bedürfe also weiterer positiver Rechtsvorschriften, durch die eine Neueröffnung von Einlagen für bereits bestehende Liegenschaften erlaubt wird. Hier sei vor allem auf das Wohnungseigentumsgesetz verwiesen, das im § 1 Abs. 1 ausdrücklich die Eintragung von Wohnungseigentum ins Grundbuch vorsieht, wobei § 1 Abs. 2 auch Keller und Garagen als mögliche Teile des Wohnungseigentums bezeichnet. Das Hofkanzleidekret vom 2. Juli 1832, auf das sich die Antragstellerin berufe, richte sich an die k. k. Kreisämter und die k. k. Hof- und Niederösterreichische Kammer-Prokuratur und beziehe sich auf Bestimmungen über den Bestand von Kellergrundstücken. Seine Intention gehe aber eindeutig dahin, die in den niederösterreichischen Weinbaugebieten übliche Praxis des Kellereigentums vom Eigentum an der darüber befindlichen Grundfläche abzugrenzen und zu regeln. Dieses Dekret habe daher außerhalb des niederösterreichischen Weinbaugebietes keine Anwendung gefunden. Dies gehe schon daraus hervor, daß es weder in der "Sammlung der Politischen Gesetze und Verordnungen" Franz I. (Hof- und Staatsdruckerei Wien 1834) noch in der "Sammlung der Gesetze im Justizfache" Franz I. (1821 bis 1835) noch im "Repertorium" (1821 bis 1848) Aufnahme gefunden habe. Auch die Entscheidungen GlU 11.940 (Bezirksgericht Wiener Neustadt), JBl 1934, 189 (Bezirksgericht Lang-Enzersdorf), und EvBl. 1964/260 (Bezirksgericht Poysdorf), ließen erkennen, daß nur Keller dieser Art und in diesem (Weinbau-) Gebiet Niederösterreichs auf Grund des angeführten Hofdekretes als selbständige Rechtsobjekte Anerkennung fanden. Eine ausdehnende Anwendung des Dekrets auf Großraumgaragen im gesamten Bundesgebiet widerspreche daher nicht nur der Intention dieser Rechtsvorschrift, sondern auch den dargelegten Bestimmungen über die Ergänzung und Richtigstellung des Grundbuches. Auch die eher ungenaue Sprache des Dekrets lasse seine einschränkende Auslegung geboten erscheinen. Eine ausdehende Interpretation lasse zumindest teilweise eine Umgehung des Wohnungseigentumsgesetzes befürchten. Die zu befürchtenden Komplikationen durch Vermehrung und Ausdehnung derartiger Garagenbauten auf Grund der Möglichkeiten der modernen Bautechnik seien weitere berücksichtigungswürdige Bedenken, da solche Einbauten auf eine gesetzlich nicht gedeckte Aushöhlung und Abschwächung des Liegenschaftseigentums überhaupt (§§ 353 ff. ABGB) hinausliefen.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Antragstellerin Folge und trug dem Oberlandesgericht Linz die Einleitung des Verfahrens zur Richtigstellung des Grundbuches auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Nach der endgültigen Vereinigung des Landes Salzburg mit (dem damaligen Kaisertum) Österreich im Jahre 1816 (2. Pariser Frieden vom 20. November 1815 und Münchner Tractat vom 14. April 1816; Lentner, Grundriß des Staatsrechtes der österr.-ungar. Monarchie, 1885, 72, und von Domin - Petrushevecz, Neuere Österreichische Rechtsgeschichte, 1869, 216) wurde im Jahre 1817 das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch in diesem Lande eingeführt. Eine der Bestimmungen, die diesem Gesetzbuch derogiert haben, ist auch das Hofkanzlei-Dekret vom 2. Juli 1832, Z. 14 236 = Regierungs-Verordnung vom 19. Juli 1832, Z. 38 961, womit Bestimmungen über den Bestand von Keller-Grundbüchern getroffen worden sind. Da dieses Dekret an (alle) k. k. Kreisämter (und an die k. k. Hof- und Nied. Österr. Kammer-Procuratur) gerichtet war, ist der vom Oberlandesgericht Linz aus der Art seiner Kundmachung gezogene Schluß nicht zulässig, das Dekret sei sachlich und örtlich auf das niederösterreichische Weinbaugebiet beschränkt. Das Kaisertum Österreich, dem bis zum Jahre 1849 jede Konstitution fehlte, hatte vor Erlassung des Kaiserlichen Patents vom 4. März 1849, RGBl. 153, keine einheitliche und obligatorische Form der Gesetzespublikation (Bernatzik,. Die österreichischen Verfassungsgesetze; 1911, 516). Die Veröffentlichungen von Gesetzen und Verordnungen erfolgten vielmehr zum Teil in amtlichen Zusammenstellungen bereits kundgemachter Rechtsvorschriften, wie etwa die Justizgesetzsammlung ("Gesetze und Verfassungen im Justizfache" vom Jahre 1780 bis 2. Dezember 1848), die Politische Gesetzsammlung ("Politische Gesetze und Verordnungen" vom Jahre 1790 bis 2. Dezember 1848) und die Provinzial-Gesetzsammlung (in die alle von den Länderstellen in ihrem Wirkungskreis erlassenen oder ihnen von den Hofstellen zur Einschaltung zugewiesenen Verordnungen aufgenommen wurden), aber den Zweck einer "ordentlichen" Kundmachung im Sinne des § 3 ABGB konnte die Aufnahme von Rechtsvorschriften in einer dieser Sammlungen schon deshalb nicht erfüllen, weil diese Publikationen oft erst Jahre nach der Erlassung der Norm vorgenommen wurden (vgl. dazu Schwind, Der authentische Text des ABGB ÖJZ 1949, 337 f.; ferner Schey, Große Ausgabe, Das ABGB[18], 9). Der OGH ist daher der Ansicht, daß das Hofkanzlei- Dekret vom 2. Juli 1832, womit Bestimmungen über den Bestand von Keller-Grundbüchern getroffen wurden, auch im Bereich des Bundeslandes Salzburg zum Rechtsbestand gehört. In diesem Zusammenhang kann auch der Ansicht des Oberlandesgerichtes Linz nicht beigestimmt werden, es sei dieses Dekret außerhalb des niederösterreichischen Weinbaugebietes nicht angewendet worden, denn es sind zumindest zwei Fälle seiner Anwendung außerhalb dieses Gebietes durch Veröffentlichung bekannt geworden (GLU 6704 betrifft Bierkeller und Preßhäuser im mährischen Nikolsburg und GlU 12 508 bezieht sich auf einen Bierkeller im böhmischen Reichenberg); in beiden Fällen haben die zuständigen Oberlandesgerichte (Brünn bzw. Prag) keine Bedenken gegen die Anwendbarkeit des Dekretes in den betroffenen Landesteilen gehabt.

Es kann auch nicht gesagt werden, daß die tragenden Grundgedanken des Dekretes seine Anwendung auf Großraumgaragen oder Garagen überhaupt nicht zuließen. Entscheidend ist nur, daß - von etwaigen Hilfseinrichtungen wie Be- und Entlüftungsschächten u. ä. abgesehen - unter der Erdoberfläche liegende Räume und Bauwerke, die nicht der Fundierung eines über der Erdoberfläche errichteten Gebäudes dienen, selbständige Rechtsobjekte sein können und dann auch wie Grundstücke zu behandeln und als Grundbuchskörper zu verbüchern sind (SZ 39/212; JBl. 1934, 189 f.; SZ 41/118; EvBl. 1964/260 und die dort angegebene Literatur und ältere Rechtsprechung; ferner Pitreich, Zur Geschichte des Immobiliarrechts seit der Kodifikation in FS zur Jahrhundertfeier des ABGB, 1911, 495 f.; Ehrenzweig, Privatrecht[2] I/2, 29; Feil, ABGB, Handkommentar III 29; derselbe, Österreichisches Grundbuchsrecht, 10). Ob derartige selbständige Räumlichkeiten und Bauwerke zur Herstellung und Lagerung von Wein oder zur Lagerung anderer landwirtschaftlicher Produkte und von Bier oder zu einem anderen wirtschaftlichen Zweck dienen, ist dabei völlig bedeutungslos. Wenn auch der historische Gesetzgeber nur an Keller von Weinbauern und Biererzeugern gedacht haben mag, so kann dies doch nur auf die Unvorhersehbarkeit der Veränderung der wirtschaftlichen Verwertungsbedürfnisse zurückgeführt werden, die zur Zeit der Erlassung des Hofkanzlei-Dekretes vom 2. Juli 1832 anderer Art waren als sie es heute sind. Diesem Wandel muß durch eine am Zweck der Norm ausgerichtete Auslegung des Begriffes Keller Rechnung getragen werden. Keinesfalls darf aber aus dem im heutigen Verständnis unbestimmten und ungenauen Wortlaut des Hofkanzlei-Dekretes Veranlassung zu seiner einschränkenden Auslegung abgeleitet werden.

Zu den in diesem Zusammenhang vom Oberlandesgericht Linz in Erwägung gezogenen angeblichen Intentionen des historischen Gesetzgebers sei bemerkt, daß die subjektive Absicht des Gesetzgebers mit zunehmender zeitlicher Entfernung der Rechtsanwendung auch zunehmend an Gewicht verliert.

Die vom Oberlandesgericht Linz ferner in Erwägung gezogene Umgehung des Wohnungseigentumsrechtes erscheint bei Beachtung des dargestellten Inhaltes und Umfanges des Begriffes Kellereigentum nicht denkbar.

Schließlich kann auch nicht den Ausführungen des Oberlandesgerichtes Linz zur Zulässigkeit des grundbücherlichen Ergänzungsverfahrens beigetreten werden. Es darf nicht übersehen werden, daß auch die in einem Gewässer entstandene Insel keine bei Anlegung des Grundbuches übersehene Liegenschaft darstellt, ein Berichtigungsverfahren mit dem Ziel der Verbücherung der neuen Liegenschaft aber zweifellos stattfinden muß. Nichts anderes kann für die nach Grundbuchsanlegung entstandenen Keller im Sinne des Hofkanzlei-Dekretes vom 2. Juli 1832 rechtens sein.