OGH vom 12.07.2006, 4Ob96/06f
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß als Vorsitzende und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*****-Gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch Herbst-Vavrosky-Kinsky Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Ö***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Wolfgang A. Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren 30.000 EUR), über den Revisionsrekurs der Beklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom , GZ 3 R 134/05f-13, mit welchem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom , GZ 34 Cg 21/05b-6, bestätigt wurde, den Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin hat die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung vorläufig selbst zu tragen. Die Beklagte hat die Kosten ihres Revisionsrekurses endgültig selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Die Parteien stehen miteinander im Wettbewerb auf dem Markt für österreichweit vertriebene Immobilienmagazine. Die erste Ausgabe des Magazins der Beklagten erschien am . Bereits Wochen davor warb die Beklagte auf ihrer Website und in Aussendungen mit folgenden Aussagen:
„Das größte Magazin für Wohn- und Gewerbeimmobilien in Österreich" „Österreichs größtes, unabhängiges Magazin für Immobilien" „1,1 Mio Leser im Monat"
„Österreichs größtes, unabhängiges Magazin für Wohn- und Gewerbeimmobilien"
Vergleichbare Aussagen enthielt auch die erste Druckausgabe. Die Beklagte wies aber immer darauf hin, dass ihr Magazin erstmals im April 2005 erscheinen werde bzw erschienen sei.
Das Magazin der Beklagten erscheint monatlich in einer Auflage von 300.000 Stück. 12.000 Stück werden an Trafiken und Kioske geliefert und können dort gekauft werden. 183.000 Exemplare werden an Haustüren von Privathaushalten angebracht. 60.000 Stück werden an Unternehmen und weitere 45.000 Stück an Ärzte, Rechtsanwälte, Finanzdienstleister, Kaffeehäuser und Friseure geliefert. Mit Ausnahme der an Trafiken und Kioske gelieferten Exemplare wird die Zeitschrift unentgeltlich vertrieben.
Der „Immokurier" (Beilage zur Samstagsausgabe der Tageszeitung „Kurier") wird in einer Auflage „von 316.000 Stück oder 240.000" Stück vertrieben. Andere Immobilienmagazine erscheinen in einer Auflage von 30.000 bis 50.000 Stück.
Nach der Mediaanalyse sind bei Kaufzeitschriften, die monatlich erscheinen, zwischen 3,66 und 4,92 Leser pro Exemplar zu erwarten. Den Geringeren dieser Werte hat die Beklagte für die Ermittlung der von ihr erwarteten Leserzahl herangezogen. Diese Erwägungen hat sie aber in der Werbung nicht offen gelegt. Nicht bescheinigt ist, dass ihre Zeitschrift tatsächlich 1,1 Mio Leser hat. Weiters ist nicht bescheinigt, dass Gratiszeitschriften von vornherein mehr Leser haben als Kaufzeitschriften.
Zur Sicherung ihres gleichlautenden Unterlassungsbegehrens beantragt die Klägerin, der Beklagten „irreführende Werbung" zu verbieten, die dadurch erfolge, „(a) dass behauptet wird, die Zeitschrift [der Beklagten] sei 'Österreichs größtes, unabhängiges Magazin für Immobilien', 'das größte Magazin für Wohn- und Gewerbeimmobilien in Österreich' oder 'Österreichs größtes, unabhängiges Magazin für Wohn- und Gewerbeimmobilien' oder sinngleiche Aussagen zu treffen; (b) dass behauptet wird, [das Magazin der Beklagten] habe '1,1 Mio. Leser pro Monat' oder sinngleiche Aussagen zu treffen, sofern diese nicht zutreffen."
Die Beklagte nehme eine Spitzenstellung in Anspruch, die vor dem Erscheinen noch gar nicht bestanden haben könne. Überdies könnten die beteiligten Verkehrskreise den Hinweis auf die „Größe" sowohl auf das Anzeigenvolumen als auch auf die Auflage beziehen. Die Beklagte nutze diese Mehrdeutigkeit bewusst aus. Keine der beiden Behauptungen habe zum Zeitpunkt der Äußerung zutreffen können. Die Behauptungen verstießen daher gegen § 2 UWG.
Auch der Hinweis auf „1,1 Mio Leser" sei grob irreführend, weil das Magazin im März 2005 noch gar nicht habe gelesen werden können und es sich dabei um eine bloße Zukunftsprognose gehandelt habe. Sofern diese Aussage als Hinweis auf eine bestimmte Auflage verstanden werden sollte, sei das ebenfalls irreführend, weil von der Auflage noch nicht auf tatsächliche Leser geschlossen werden könne. Im Übrigen würden die zahlreichen kostenlos verteilten Exemplare des Magazins der Beklagten im Regelfall ungelesen weggeworfen. Es seien somit alle Behauptungen unzutreffend. Die angesprochenen Verkehrskreise (Inserenten von Immobilienanzeigen und Interessenten) würden dadurch über geschäftliche Verhältnisse der Beklagten in die Irre geführt. Die Beklagte habe daher gegen § 2 UWG verstoßen. Die Beklagte wandte ein, dass sie keine unrichtigen Tatsachenbehauptungen aufgestellt habe. Sie habe stets darauf hingewiesen, dass es sich um ein künftig erscheinendes Magazin handle. Mit einer Auflage von 300.000 Stück, die in diesem Umfang tatsächlich in Verkehr gebracht werde, sei ihre Zeitschrift derzeit Österreichs größtes Magazin für Wohn- und Gewerbeimmobilien. Auch die Erreichbarkeit von „zirka 1,1 Mio" Lesern sei richtig. Aus der Mediaanalyse gehe hervor, dass bei monatlich erscheinenden Kaufzeitschriften zwischen 3,66 und 4,92 Leser pro Exemplar zu erwarten seien. Da die Zeitschrift der Beklagten gratis verrieben werde, sei von vornherein mit einer noch größeren Leserzahl zu rechnen.
Hilfsweise beantragte die Beklagte, die einstweilige Verfügung vom Erlag einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen. Das Erstgericht erließ die beantragte Verfügung mit der Einschränkung, dass es auch Punkt (a) des Begehrens den Halbsatz „... sofern diese nicht zutreffen" anfügte. Die Angaben der Beklagten über die „Größe" ihres Magazins seien irreführend, weil offen gelassen werde, ob sich diese Ankündigung auf die Anzahl der Inserate oder die Auflagenstärke beziehe. Die Beklagte habe nicht einmal die in der Äußerung zum Sicherungsantrag behauptete Spitzenstellung bei der Auflage bescheinigt. Ebenso wenig habe sie die Leserzahl des Magazins bescheinigt. Es müsse daher nicht näher darauf eingegangen werden, ob die Werbung schon deshalb unzulässig sei, weil sie ein noch nicht in Verkehr gebrachtes Produkt betroffen habe. Die Aussagen könnten aber nur für den Fall verboten werden, dass sie nicht zuträfen. Punkt (a) des Begehrens sei entsprechend einzuschränken. Eine Sicherheitsleistung sei nicht aufzuerlegen, da kein drohender Vermögensschaden bescheinigt sei.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung, sprach aus, dass der Entscheidungsgegenstand über 20.000 EUR betrage, und ließ den Revisionsrekurs zu. Wie eine Größenbehauptung zu verstehen sei, hänge davon ab, welchen Sinn ihr ein nicht unbeträchtlicher Teil des Publikums beimesse. Auch bei einer Fachzeitschrift sei die bloße Auflagenzahl nicht unbedingt das einzige Kriterium; im konkreten Fall könne der Verkehr die Behauptung auch auf die Anzeigenzahl beziehen. Es liege keine vergleichende Werbung vor, weil der Kreis der Mitbewerber nicht so klein sei, dass die Klägerin „im Sinn eines in der Alleinstellungswerbung der Beklagten enthaltenen Werbevergleichs als mitbetroffen anzusehen wäre". Die Beweislast für die Irreführungseignung treffe daher grundsätzlich die Klägerin; nur bei besonderen Beweisschwierigkeiten sei die Beweislast verschoben. Da Beweismittel für die Auflage von Konkurrenzprodukten beiden Parteien in gleicher Weise zur Verfügung stünden, gingen diesbezügliche Unklarheiten zu Lasten der Klägerin. Für die Widerlegung der Behauptung von 1,1 Millionen Lesern gäbe es aber keine leicht zugänglichen Beweismittel. Insofern treffe die Beweislast daher die Beklagte. Da sie die behauptete Leserzahl nicht bescheinigt habe, sei insofern von einer unrichtigen und damit irreführenden Behauptung auszugehen. Das allein reiche aus, um die Behauptung der Spitzenstellung zu verbieten, und zwar ungeachtet der Tatsache, dass die Beklagte offen gelegt habe, dass die Zeitschrift erst in Zukunft erscheinen werde. Der Revisionsrekurs sei zuzulassen, weil es keine Rechtsprechung zur Alleinstellungswerbung für eine erst neu erscheinende Zeitschrift gebe.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, er ist aber nicht berechtigt.
1. Werbung mit einer Spitzenstellung ist nur zulässig, wenn sie nicht zur Irreführung der angesprochenen Verkehrskreise geeignet ist.
Betrifft sie eine bereits verlegte Zeitschrift, muss unter
Berücksichtigung der statistischen Schwankungsbreite ein stetiger und
erheblicher Vorsprung vor allen Mitbewerbern vorliegen (4 Ob 76/95 =
MR 1995, 233 - meistzitierte Tageszeitung; 4 Ob 331/99a = ÖBl-LS
2000/62 = ÖBl-LS 2000/65 - Nr. 1 im Bezirk; 4 Ob 290/00a = ÖBl 2001,
262 - net@line; zuletzt etwa 4 Ob 11/06f).
2. Auch die Werbung mit einer zukünftigen Spitzenstellung ist unzulässig, wenn sie zur Irreführung des Publikums geeignet ist.
2.1. Zunächst darf nicht der Eindruck erweckt werden, dass sich die Behauptung auf eine bereits erlangte Spitzenstellung bezieht. Insofern trifft die Beklagte aber kein Vorwurf, da sie ohnehin auf das erstmalige Erscheinen ihres Magazins hingewiesen hat. Damit war klargestellt, dass es sich um keine Behauptungen über eine bereits eingetretene Tatsache handelte.
2.2. Allerdings war den Werbeaussagen zu entnehmen, dass das Magazin der Beklagten von Anfang an eine Spitzenstellung einnehmen werde. Damit lag eine offenkundig ernst gemeinte Zukunftsprognose vor, die sich auf konkrete (erwartete) Tatsachen bezog und auch schon vor dem ersten Erscheinen - etwa durch Druck- oder Anzeigenaufträge oder durch demoskopische Untersuchungen - objektiv überprüfbar war. Werden die Grundlagen einer solchen Prognose genannt und sind sie nachvollziehbar, dann ist die Werbung nicht irreführend (4 Ob 67/93 = MR 1993, 192 - Telejumbo). Die angesprochenen Verkehrskreise können sich dann ein Bild vom Wert der Werbeaussagen machen; Irreführungsgefahr liegt nicht vor.
2.3. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte aber in ihrer Werbung nicht weiter begründet, warum sie von Anfang an eine erhebliche und stetige Spitzenstellung haben werde. Schon das reicht aus, die Irreführungseignung zu bejahen. Denn mit der Behauptung einer zukünftigen Spitzenstellung wird auch suggeriert, dass es dafür objektive Grundlagen gibt. Ist das Publikum mangels Nennung nicht in der Lage, diese Grundlagen nachzuvollziehen, kann die Werbung jedenfalls wettbewerbsverzerrend wirken.
2.4. Diese Auffassung steht im Einklang mit der Rechtsprechung zur Reichweitenwerbung für bereits erscheinende Medien, wonach ebenfalls die Nennung der Grundlage erforderlich ist (4 Ob 56/00i = MR 2000, 184 - weitester Leserkreis; 4 Ob 94/05k = wbl 2005, 538 - Regioprint). Wenn eine als Quelle angeführte Studie nicht alle in Frage kommenden Medien erfasst, muss auf diesen Umstand hingewiesen werden (4 Ob 75/04i = ÖBl-LS 2004/142 - Regionalmarkt; 4 Ob 94/05k = wbl 2005, 538 - Regioprint).
Zwar könnte der Beweis der tatsächlichen Richtigkeit trotzdem zulässig sein (vgl 4 Ob 75/04i; 4 Ob 56/06y - Salzburger Medien), und zwar jedenfalls dann, wenn der Kläger die Werbung ausdrücklich als inhaltlich unzutreffend bekämpft (4 Ob 56/06y - Salzburger Medien). Für den hier zu beurteilenden Fall kann daraus aber nichts abgeleitet werden. Während die Reichweitenwerbung für eine bereits erscheinende Zeitung für den Zeitpunkt der Werbung objektiv überprüft werden kann (4 Ob 56/06y - Salzburger Medien mwN), könnte bei einer Prognose nur nachträglich erhoben werden, ob die prognostizierte Spitzenstellung tatsächlich in stetiger und erheblicher Weise eingetreten ist. Die Beurteilung der Werbung hinge damit vom letztlich zufälligen Zeitpunkt der nachträglichen Reichweitenerhebung ab. Der Beklagte könnte auch ohne jede objektive Grundlage mit einer zukünftigen Spitzenstellung werben. Eine Klage müsste sich letztlich auf die Vermutung stützen, dass sich diese Prognose nicht bewahrheitet. Damit würde das Prognoserisiko zum Teil auf die Mitbewerber verlagert.
3. Die Beklagte hat somit gegen § 2 UWG verstoßen. Ihre Behauptung, dass sich ihr Magazin inzwischen tatsächlich auf dem Markt durchgesetzt habe, ist sowohl für das Provisorial- als auch für das Hauptverfahren unerheblich. Trifft diese Behauptung zu, verstießen zwar zukünftige Spitzenstellungsbehauptungen nicht mehr gegen das Verbot. Das könnte mit Impugnationsklage geltend gemacht werden. Die aus dem ursprünglichen Verstoß abzuleitende Wiederholungsgefahr (RIS-Justiz RS0080065) fiele dadurch aber nicht weg. Da sich die Verhältnisse auf dem Zeitungsmarkt auch wieder zum Nachteil der Beklagten ändern können, könnte aus einer zwischenzeitig erlangten Spitzenstellung noch nicht abgleitet werden, dass die Wiederholungsgefahr aufgrund tatsächlicher Umstände ausgeschlossen wäre (RIS-Justiz RS0037664). Das Unterlassungsgebot ist daher auch in diesem Fall durch die Möglichkeit einer (neuerlichen) Änderung der Verhältnisse gerechtfertigt.
4. Auch die übrigen Argumente des Revisionsrekurses können nicht überzeugen.
4.1. Die "Einschränkung" auch von Punkt (a) der Verfügung auf "unzutreffende" Aussagen war allenfalls ein Minderzuspruch, durch den - wenn überhaupt - nur die Klägerin beschwert war. Warum das zur „ersatzlosen Aufhebung" der einstweiligen Verfügung führen soll, ist nicht erkennbar.
4.2. Der Vollzug einer einstweiligen Verfügung ist nach § 390 Abs 2 EO vom Erlag einer Sicherheit abhängig zu machen, wenn wegen der Größe des Eingriffs in die Interessen des Antragsgegners Bedenken gegen die einsteilige Verfügung bestehen. Durch die Sicherheitsleistung soll die nötige Interessenabwägung zwischen der Gefährdung des Antragstellers und dem Eingriff in die Rechtssphäre des Antragsgegners vorgenommen und ein entsprechender Ausgleich bewirkt werden (4 Ob 333/73 = ÖBl 1974, 63; RIS-Justiz RS0005711; zuletzt etwa 4 Ob 23/06w - Direktvergabe). Ob das im Einzelfall erforderlich ist, hat in der Regel keine erhebliche Bedeutung iSv § 528 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0113134, insb T 1). Der Revisionsrekurs zeigt nicht auf, warum das hier anders sein soll.
5. Aus diesen Gründen war die angefochtene Entscheidung zu bestätigen. Die Entscheidung über die Kosten der Kläger beruht auf § 393 Abs 1 EO, jene über die Kosten der Beklagten auf § 393 Abs 1 EO iVm §§ 40, 50 EO.