OGH vom 24.08.2022, 7Ob98/22w
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R* W*, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei O* AG, *, vertreten durch Dr. Haymo Modelhart und andere, Rechtsanwälte in Linz, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , GZ 32 R 84/21k13, womit das Urteil des Bezirksgerichts Linz vom , GZ 14 C 566/20y9, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichts wird aufgehoben und diesem die neuerliche Entscheidung aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
[1] Zwischen dem Kläger als Versicherungsnehmer und der Beklagten als Versicherer bestand bis ein Rechtsschutzversicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung der Beklagten (ARB 2003) zugrunde lagen. Diese lauten auszugsweise:
„Artikel 8
Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer zur Sicherung seines Deckungsanspruches zu beachten? (Obliegenheiten)
1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, ist er verpflichtet
1.1. den Versicherer unverzüglich, vollständig und wahrheitsgemäß über die jeweilige Sachlage aufzuklären und ihm alle erforderlichen Unterlagen auf Verlangen vorzulegen; ...“
[2] Der Kläger erwarb am einen
VW Touran Sky TDI um 33.800 EUR, der mit einem Dieselmotor des Typus EA 189 ausgestattet ist; dieser Motor ist vom „VW-Diesel-Abgasskandal“ betroffen. In den Jahren 2015 und 2016 hörte der Kläger durch mediale Berichterstattung, dass bei Fahrzeugen der V* AG (in Hinkunft Herstellerin) „getrickst“ worden sei. Er ging davon aus, dass auch sein Fahrzeug von den Manipulationen betroffen ist, war aber aufgrund entsprechender Medienberichte der Meinung, dass eine Geltendmachung der Ansprüche in Europa nicht möglich oder erfolgreich ist. Daher verfolgte er die Berichterstattung nicht weiter und beabsichtigte „zu diesem Zeitpunkt“ auch keine gerichtliche Geltendmachung allenfalls bestehender Ansprüche gegen die Herstellerin. Er informierte auch die Beklagte nicht.
[3] Am folgte der Kläger der Einladung der Herstellerin und ließ auf seinem Fahrzeug das von ihr empfohlene (bzw als Lösung der Manipulationen angepriesene) Software-Update durchführen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war ihm bekannt, dass sein Fahrzeug vom Abgasskandal betroffen ist. Nach dem Update bemerkte der Kläger einen höheren Kraftstoffverbrauch. Im Jahr 2019 wurde ihm im Zuge der Reparatur des Abgasreinigers mitgeteilt, dass das Software-Update für die Reparatur verantwortlich sei. Er verfolgte die mediale Berichterstattung zu dem Software-Update nicht und informierte die Beklagte über die nach dem Software-Update aufgetretenen Probleme an seinem Fahrzeug nicht. Erst nachdem im Mai 2020 in der Fernsehsendung „Konkret“ berichtet wurde, dass österreichische Geschädigte des Abgasskandals die Herstellerin nunmehr auch vor österreichischen Gerichten klagen können, beschloss er, gegen die Herstellerin vorzugehen und seine Ansprüche geltend zu machen.
[4] Am – im Zuge eines kostenlosen Erstgesprächs zwischen dem Kläger und seinem Rechtsvertreter – wurde erstmals die Möglichkeit einer gerichtlichen Geltendmachung seines Anspruchs gegen die Herstellerin erörtert. Anschließend suchte der Klagevertreter am um Rechtsschutzdeckung bei der Beklagten an. Die Beklagte lehne die Deckung mit Schreiben vom ab.
[5] Seit dem Bekanntwerden des Abgasskandals im September 2015 wurde in den Medien umfassend über diesen, dessen Folgen, die rechtliche Aufarbeitung und über die Ergebnisse der anhängigen – nationalen und internationalen – Gerichtsverfahren berichtet. Diese Berichte konnten bei durchschnittlicher Aufmerksamkeit ungehindert und kostenfrei verfolgt werden.
[6] Mit seiner am eingebrachten Klage begehrt der Kläger die Feststellung der Deckungspflicht der Beklagten für die klageweise Geltendmachung seiner Ansprüche ausschließlich aus dem Kauf des VW Touran Sky TDI um 33.800 EUR vom gegen die Herstellerin. Seit 2015 habe es Berichte über den Abgasskandal gegeben und der Kläger sei informiert worden, dass das von ihm erworbene Fahrzeug von diesem Skandal betroffen sei, die Herstellerin aber bereits an einer technischen Lösung arbeite. Als vermeintliche Lösung sei schließlich ein Software-Update angeboten worden, das auf dem Fahrzeug auch eingespielt worden sei. Erst im Sommer 2020 habe der Kläger durch einen Bericht in der Fernsehsendung „Konkret“ von einem Urteil des deutschen Bundesgerichtshofs vom erfahren, wonach die Herstellerin vorsätzlich, sittenwidrig und mit Bereicherungsvorsatz gehandelt habe und die Anspruchsgeltendmachung auch in Österreich möglich sei. Bei einem Gespräch am sei der Kläger vom Klagevertreter erstmals darüber informiert worden, dass im Falle einer Klagsführung Kosten anfallen würden. Die Schadensmeldung und Deckungsanfrage bei der Beklagten am sei unverzüglich und rechtzeitig erfolgt. Der Kläger habe seine Obliegenheit zur unverzüglichen Schadensmeldung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt. Ungeachtet dessen, habe die Schadensmeldung am weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers einen negativen Einfluss gehabt. Vielmehr habe die Verzögerung dazu geführt, dass in der Zwischenzeit weitere Erkenntnisse gewonnen worden seien, die das Primärverfahren beschleunigen, verbessern und effizienter machen könnte.
[7] Die Beklagte beantragt die Klagsabweisung. Die Schadensmeldung des Klägers vom sei verspätet erfolgt. Dem Kläger sei bereits dem Jahr 2015 bekannt gewesen, dass sein Fahrzeug vom Abgasskandal betroffen sei. Ihm habe somit bereits seit 2016 bekannt sein müssen, dass er (auch in Österreich) Ansprüche gegen die Herstellerin geltend machen könne. Schließlich habe die verspätete Schadensmeldung auch nachteilige Auswirkungen auf den Umfang der Leistungspflicht der Beklagten, da diese bei unverzüglicher Schadensmeldung Vergleichsgespräche geführt und es eine außergerichtliche Erledigung gegeben hätte. Darüber hinaus wäre – noch vor dem Software-Update – eine Beweissicherung veranlasst worden und hätte der Sachverständige dabei vom Software-Update abgeraten, wodurch auch die allenfalls bestehenden zukünftigen Schäden und der Wertverlust verhindert werden hätte können. Eine Beweissicherung, nachdem die schadhafte Software bereits aufgespielt worden sei, sei mit wesentlich höheren Kosten verbunden. Im Übrigen seien die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag gemäß § 12 Abs 1 VersVG bereits verjährt.
[8] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der Kläger wäre spätestens am verpflichtet gewesen, den Versicherungsfall bei der Beklagten zu melden. Die Schadensmeldung vom sei damit keinesfalls unverzüglich erfolgt, der Kläger habe seine Obliegenheit nach § 33 Abs 1 VersVG verletzt. Von einem durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer sei zu erwarten, dass er die mediale Berichterstattung (neutral) verfolge und nicht auf seiner unverifizierten und subjektiven Annahmen einer grundsätzlich erfolglosen Rechtsverfolgung beharre und die weiteren Entwicklungen vollkommen ignoriere. Obwohl der Kläger seine Anzeigepflicht damit grob fahrlässig verletzt habe, sei die Leistungspflicht der Beklagten zu bejahen, weil der Kläger den Kausalitätsgegenbeweis erbracht habe.
[9] Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil in eine Klagsabweisung ab. In der Rechtsschutzversicherung könne der Versicherungsnehmer die Leistung nach ständiger Rechtsprechung spätestens dann verlangen, wenn sich die Notwendigkeit einer Interessenwahrnehmung für ihn so konkret abzeichne, dass er mit der Entstehung von Rechtskosten rechnen müsse, deretwegen er den Rechtsschutzversicherer in Anspruch nehmen wolle. Ab diesem Zeitpunkt beginne die dreijährige Verjährungsfrist für den Versicherungsnehmer zu laufen. Der Versicherungsnehmer dürfe sich dabei nicht gänzlich passiv verhalten, wenn ihm mögliche Ansprüche zur Kenntnis gelangten, die auf einen Versicherungsfall hindeuteten. Den Versicherungsnehmer treffe daher in gewissem Ausmaß eine Erkundigungspflicht, ob eine Interessenverfolgung notwendig und mit Rechtskosten verbunden sei. Obwohl dem Kläger nach Durchführung des Software-Updates am bewusst geworden sei, dass er vom Dieselskandal betroffen sei und er nach dem Update einen höheren Kraftstoffverbrauch bemerkt habe, habe er keine Erkundigungen über mögliche Ansprüche gegenüber der Herstellerin eingeholt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte dem Kläger aber klar sein müssen, dass, um seine Ansprüche aus dem Kauf des Fahrzeugs durchsetzen zu können, eine Prozessführung nicht nur möglich, sondern wohl auch notwendig sei. Die dreijährige Verjährungsfrist nach § 12 Abs 1 VersVG habe daher im Februar 2017 zu laufen begonnen, sodass diese zum Zeitpunkt der Einbringung der Feststellungsklage am bereits abgelaufen gewesen sei.
[10] Das Berufungsgericht ließ die Revision nachträglich mit der Begründung zu, in der speziellen Fallgestaltung bestehe keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage des Beginns der Verjährung nach § 12 VersVG.
[11] Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, das Urteil dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren zur Gänze stattgegeben werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[12] Die Beklagte begehrt, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[13] Die Revision ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig, sie ist im Sinne des Aufhebungsantrags auch berechtigt.
[14] 1.1 Unstrittig ist, dass der Kläger Deckung für die Geltendmachung eines deliktischen Schadenersatzanspruchs in Höhe einer 30%igen Wertminderung des gekauften Fahrzeugs aus dem Erwerb einer mangelhaften Sache aufgrund einer Täuschungshandlung durch die Herstellerin begehrt und für diese Anspruchserhebung grundsätzlich Versicherungsschutz aus dem Rechtsschutzversicherungsvertrag zwischen den Streitteilen besteht.
[15] 1.2 Die Beurteilung des Erstgerichts, der Kläger habe durch seine am erfolgte Schadensmeldung seine Obliegenheit nach § 33 Abs 1 VersVG grob fahrlässig verletzt, wurde bereits im Berufungsverfahren von keiner der Parteien angezweifelt. Offen ist daher nur mehr die Frage der Verjährung und jene der Erbringung des Kausalitätsgegenbeweises.
[16] 2.1 § 12 VersVG wurde durch die Novelle 1994 tiefgreifend umgestaltet. In dieser grundsätzlichen Neuregelung wurden zunächst (Abs 1 leg cit) die im österreichischen Zivilrecht unbekannten Verjährungsfristen für Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag von zwei bzw (bei der Lebensversicherung) fünf Jahren sowie der dort angeführte Fristbeginn „austrifiziert“. Die Verjährungsfrist beträgt nun einheitlich drei Jahre und ihr Beginn ist nicht mehr im Versicherungsvertragsgesetz speziell geregelt. Nach § 12 Abs 1 Satz 1 VersVG gilt grundsätzlich die allgemeine Regelung des § 1478 ABGB, wonach für den Versicherungsnehmer die Verjährung mit dem Zeitpunkt beginnt, zu dem das Recht hätte ausgeübt werden können (7 Ob 268/03t, 7 Ob 176/17h), seiner Geltendmachung also kein rechtliches Hindernis mehr entgegensteht (RS0034343 [T2], RS0034248 [T8]).
[17] 2.2 Im besonderen Fall der Rechtsschutzversicherung beginnt die Verjährung mit der Fälligkeit des Rechtsschutzanspruchs zu laufen. Daher beginnt nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs die Verjährung des Anspruchs aus der Rechtsschutzversicherung nach § 12 Abs 1 Satz 1 VersVG zu jenem Zeitpunkt, zu dem sich die Notwendigkeit einer Interessenwahrnehmung für den Versicherungsnehmer so konkret abzeichnet, dass er mit der Entstehung von Rechtskosten rechnen muss, deretwegen er die Rechtsschutzversicherung in Anspruch nehmen will (vgl 7 Ob 164/19x, RS0054251).
[18] 2.3 Über diesen Zeitpunkt kann keine generalisierende Aussage getroffen werden, er beurteilt sich ausschließlich nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei müssen aber die Tatsachen, welche die Einwendung der Verjährung als begründet erscheinen lassen, vom Beklagten als Grundlage seiner Verjährungseinrede behauptet werden (RS0034326).
[19] 2.4 Der Kläger ging (unstrittig) davon aus, dass durch die Aufspielung des SoftwareUpdates der bei Erwerb des Fahrzeugs vorliegende Mangel behoben würde, was aber bei Erfolg die beabsichtigte Klagsführung nicht erforderlich gemacht hätte. Die Beklagte ging zuletzt vom Beginn der Verjährung im Frühjahr 2017 aus und begründete dies damit, dass der Kläger der seit 2015 angenommen habe, dass sein Fahrzeug vom Abgasskandal betroffen sei, nach dem Update im Februar 2017 aber einen erhöhten Kraftstoffverbrauch bemerkt habe.
[20] 2.5 Allein der von der Beklagten ins Treffen geführten Kraftstoffmehrverbrauch war für den Kläger aber noch kein Grund, an der von der Herstellerin zugesagten Mangelbehebung durch das Update zu zweifeln und von der Unbehebbarkeit auszugehen. Damit zeichnete sich für ihn zu diesem Zeitpunkt aber auch noch keine Notwendigkeit zur Interessenwahrnehmung im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Erwerb der mangelhaften Sache infolge Täuschungshandlung durch die Herstellerin so konkret ab, dass er mit dem Entstehen von Rechtskosten rechnen musste, deretwegen er den Rechtsschutzversicherer in Anspruch nehmen will.
[21] 2.6 Im hier konkreten Einzelfall hat die Beklagte damit den Eintritt der Verjährung nicht dargelegt.
[22] 3.1 Aufgrund der vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht des Berufungsgerichts, unterließ dieses die Behandlung der Tatsachenrügen im Zusammenhang mit dem Kausalitätsgegenbeweis, sodass dessen allfällige Erbringung nicht abschließend beurteilt werden kann.
[23] 3.2 Die Aufhebung des Urteils des Berufungsgerichts war damit unumgänglich. Der Kostenvorbehalt gründet auf § 52 Abs 1 ZPO.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00098.22W.0824.000 |
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