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OGH vom 20.12.2017, 7Ob98/17p

OGH vom 20.12.2017, 7Ob98/17p

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Dipl.-Ing. Dr. J***** B*****, und 2. R***** B*****, beide vertreten durch die Kerschbaum Partner Rechtsanwälte GmbH in Linz, gegen die beklagte Partei A***** S*****, vertreten durch Mag. Martin Paar und Mag. Hermann Zwanzger, Rechtsanwälte in Wien, wegen 29.683,07 EUR sA, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 5 R 205/16b-24, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom , GZ 61 Cg 102/13z-20, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 2.071,22 EUR (darin 345,20 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage unzulässig. Die Zurückweisung der Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

Dem Rechtsschutzversicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die RechtsschutzVersicherung (ARB 2003)der Beklagten zugrunde; sie lauten auszugsweise:

Artikel 2

Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten?

[…]

3. In den übrigen Fällen gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften; der Versicherungsfall gilt in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem eine der genannten Personen begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. Bei mehreren Verstößen ist der erste, adäquat ursächliche Verstoß maßgeblich, wobei Verstöße, die länger als ein Jahr vor Versicherungsbeginn zurückliegen, für die Feststellung des Versicherungsfalls außer Betracht bleiben.

[…].

Artikel 3

Für welchen Zeitraum gilt die Versicherung?

(Zeitlicher Geltungsbereich)

Die Versicherung erstreckt sich auf Versicherungsfälle, die während der Laufzeit des Versicherungsvertrages eintreten.

Löst eine Willenserklärung oder Rechtshandlung des Versicherungsnehmers, des Gegners oder eines Dritten, die vor Versicherungsbeginn vorgenommen wurde, den Versicherungsfall gemäß Art 2.3 aus, besteht kein Versicherungsschutz.

Willenserklärungen oder Rechtshandlungen, die länger als ein Jahr vor Versicherungsbeginn vorgenommen wurden, bleiben dabei außer Betracht.

[…]

Der Oberste Gerichtshof hat sich schon in zahlreichen Entscheidungen mit gleichlautenden Bestimmungen in den ARB und den daraus resultierenden Abgrenzungsproblemen auseinandergesetzt. Es handelt sich um seit langem in der Rechtsschutzversicherung gebräuchliche Klauseln, die der zeitlichen Risikobegrenzung dienen. Er hat folgende Grundsätze festgelegt:

Der Versicherungsfall ist nach Art 2.3 ARB 2003 der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften. Er gilt mit dem Beginn dieses Verstoßes als eingetreten. Bei mehreren Verstößen ist auf den ersten abzustellen (RIS-Justiz RS0114209). Der Versicherungsfall liegt demnach vor, wenn einer der Beteiligten begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. Es bedarf daher eines gesetzwidrigen oder vertragswidrigen Verhaltens eines Beteiligten, das als solches nicht sofort oder nicht ohne weiteres nach außen zu dringen braucht. Ein Verstoß ist ein tatsächlich objektiv feststellbarer Vorgang, der immer dann, wenn er wirklich vorliegt oder ernsthaft behauptet wird, den Keim eines Rechtskonflikts in sich trägt, der zur Aufwendung von Rechtskosten führen kann. Damit beginnt sich die vom Rechtsschutzversicherer übernommene Gefahr konkret zu verwirklichen. Es kommt nicht darauf an, ob der Handelnde sich des Verstoßes bewusst oder infolge von Fahrlässigkeit oder auch unverschuldet nicht bewusst war; es soll sich um einen möglichst eindeutig bestimmbaren Vorgang handeln, der in seiner konfliktauslösenden Bedeutung für alle Beteiligten, wenn auch erst nachträglich, erkennbar ist. Es kommt weder auf den Zeitpunkt an, zu dem die Beteiligten von dem Verstoß Kenntnis erlangten, noch darauf, wann aufgrund des Verstoßes Ansprüche geltend gemacht oder abgewehrt werden (RIS-Justiz RS0114001). Bei mehreren Verstößen gegen gesetzliche oder vertragliche Pflichten ist der Versicherungsschutz zu verneinen, wenn schon der erste Verstoß, für sich allein betrachtet, nach der Lebenserfahrung geeignet war, den Rechtskonflikt auszulösen, oder zumindest noch erkennbar nachwirkte und den endgültigen Ausbruch der Streitigkeit nach dem Vorliegen eines oder mehrerer weiterer Verstöße noch mitauslöste, sohin „adäquat kausal“ war. War nach der Sachlage schon beim ersten Verstoß mit weiteren gleichartigen Verstößen zu rechnen, so ist eine Mehrzahl solcher Verstöße als Einheit zu qualifizieren (RIS-Justiz RS0114001 [T3]).

Derartige Klauseln tragen dem Grundsatz Rechnung, dass die zeitlichen Risikoausschlüsse sogenannte „Zweckabschlüsse“ in der Rechtsschutzversicherung verhindern, wobei es für den Versicherer nicht erforderlich ist, nachzuweisen, dass ein solcher im konkreten Fall vom Versicherungsnehmer beabsichtigt war. Die Erschwerung solcher „Zweckabschlüsse“ kann in der Rechtsschutzversicherung als einer Massenbranche zwangsläufig nur generalisierend durch eine starre, etwaige Besonderheiten des Einzelfalls vernachlässigende zeitliche Begrenzung als grober Raster erfolgen. Jedem durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer muss die Notwendigkeit solcher Begrenzungen klar sein (7 Ob 328/99g).

Bedenken gegen die Bedingungen in Richtung §§ 864a, 897 Abs 3 ABGB und § 6 Abs 3 KSchG hat der Oberste Gerichtshof nie angesprochen, sondern die Klauseln immer als wirksam auf die Rechtsfälle angewendet.

Die Revision meint nun, die Bedingungen seien nach §§ 864a, 897 Abs 3 ABGB und § 6 Abs 3 KSchG nichtig. Bei ihrer Argumentation setzt sich die Revision aber weder mit der bereits dargestellten Rechtsprechung zur Rechtsschutzversicherung noch mit der allgemein zu diesen Bestimmungen bereits bestehenden zahlreichen Judikatur auseinander. Es werden keine nachvollziehbaren Gründe geltend gemacht, inwiefern die von dieser Judikatur erarbeiteten Grundsätze durch die Klauseln verletzt sein könnten. Vor allem lässt die Revision den schon dargestellten Grundsatz außer Acht, dass jedem durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer die Notwendigkeit von zeitlichen Begrenzungen in der Rechtsschutzversicherung klar sein muss. Dass erst im konkreten Einzelfall entschieden werden kann, wann einer der Beteiligten begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen, und ob mehrere Verstöße vorliegen, ist selbstverständlich und macht die auch einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlichen Bestimmungen nicht unwirksam.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass in einem Passivprozess des Versicherungsnehmers – wie hier – auch das von ihm bestrittene Klagsvorbringen für die Beurteilung des Eintritts des Versicherungsfalls heranzuziehen ist, weil die Klagsbehauptungen für die Abgrenzung des Streitgegenstands von maßgeblicher Bedeutung und Grundlage für den Rechtsstreit sind. Werden sie vom Versicherungsnehmer bestritten, ändert dies nichts an der den Rechtsstreit auslösenden Wirkung (RIS-Justiz RS0131092). Würde man allein das bestreitende Vorbringen des beklagten Versicherungsnehmers als maßgeblich ansehen, hätte er es in der Hand, den Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls zu beeinflussen. Damit bestünde die Gefahr von Zweckabschlüssen, die zeitliche Risikoausschlüsse gerade verhindern sollen (7 Ob 127/16a mwN).

Im Rahmen dieser Judikatur hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung primär die Klagsbehauptungen im Haftpflichtprozess zugrunde gelegt. Seine Entscheidung hält sich im Rahmen der Judikatur. Außerdem setzte es sich sehr wohl auch mit dem Bestreitungsvorbringen der Kläger auseinander. Die Argumentation des Berufungsgerichts dazu bekämpft die Revision nicht und zeigt auch nicht auf, welche konkreten Tatsachen hätten berücksichtigt werden müssen und zu welchem anderen Ergebnis dies hätte führen können.

Die Revision war daher mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Sie hat daher die Kosten der Revisionsbeantwortung ersetzt zu erhalten (§§ 50, 41 ZPO).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:0070OB00098.17P.1220.000

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