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OGH vom 17.05.2001, 7Ob97/01t

OGH vom 17.05.2001, 7Ob97/01t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T*****, vertreten durch Dr. Robert Kerschbaumer, Rechtsanwalt in Lienz, gegen die beklagte Partei S*****, vertreten durch die Geschäftsführerin Rosemarie S*****, diese vertreten durch Dr. Hanns Forcher-Mayr und Dr. Josef Kantner, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen (ausgedehnt) S

50.838 sA und Feststellung (Streitinteresse S 600.000), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 8/01k-13, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung:

Die beklagte Partei schloss mit der klagenden Partei zu Polizze Nr 36/425.604 für ihren Gastronomiebetrieb eine Betriebsversicherung mit einer Laufzeit vom bis mit nachfolgend jährlicher Verlängerung ab. Wegen Erhöhung der Versicherungsleistungen kam es in der zweiten Jahreshälfte 1997 zwischen dem bevollmächtigten Vertreter der beklagten Partei (und Ehemann ihrer geschäftsführenden Gesellschafterin) Andreas S***** sowie dem in der Filiale Lienz tätigen Versicherungsangestellten der klagenden Partei, Paul W*****, zu Gesprächen über eine Änderung bzw Modifizierung des Versicherungsvertrages, deren Einzelheiten von den Vorinstanzen festgestellt, für das nunmehrige Revisionsverfahren jedoch ohne entscheidungswesentliche Bedeutung sind. Am wurde eine neue Versicherungsurkunde zu Polizze Nr 36/474.830 mit Versicherungsbeginn und Ablaufdatum erstellt, wobei die beklagte Partei der ihr übermittelten Vertragsurkunde nicht widersprach und in der Folge die vorgeschriebenen monatlichen Prämien im Wege der Abbuchung bis einschließlich April 2000 bezahlte. Dieser neue Vertrag sollte dabei den alten von 1989 ersetzen.

Im September 1999 kam Andreas S***** mit dem Versicherungsmakler Franz F***** ins Gespräch und erörterte mit diesem die Möglichkeit einer günstigeren Versicherung. F***** brachte die beklagte Partei dazu, dass sie am ein von ihm ausgefülltes Kündigungsformular an die klagende Partei unterfertigte, in welchem die Polizze Nr 36/474.830 und als Kündigungstermin der angeführt waren. Dieses Kündigungsschreiben langte bei der Klägerin am ein. Kurz nach Neujahr 2000 traf Paul W***** mit Andreas S***** zusammen und wies diesen darauf hin, dass die Kündigung unwirksam sei, weil der Vertrag ja bis 2008 laufe und unkündbar sei. Erst mit Schreiben vom wies die klagende Partei die beklagte Partei schriftlich darauf hin, dass sie die Kündigung zum wegen verfrühter Zusendung nicht akzeptieren könne; der Vertrag sei am mit Ablauf abgeschlossen worden und bleibe daher unverändert aufrecht. Mit Schreiben vom wies RA Dr. R***** in Vertretung der beklagten Partei die klagende Partei darauf hin, dass die Zurückweisung der Kündigung verspätet erfolgt sei und ersuchte um Bestätigung, dass die Klägerin die Kündigung der Polizze mit gegen sich gelten lasse.

Mit der am eingebrachten Klage stellte die klagende Partei das Begehren festzustellen, dass die mit Schreiben vom zum ausgesprochene Kündigung der Bündelversicherung zu Polizze Nr 36/474.830 rechtsunwirksam sei; in eventu, dass die zwischen den Streitteilen abgeschlossene Betriebsbündelversicherung ungeachtet der von der beklagten Partei mit Schreiben vom zum ausgesprochenen Kündigung bis zum aufrecht sei. Im weiteren Verfahren wurde das Klagebegehren auch um Zahlung von insgesamt S 42.365 samt Staffelzinsen an rückständigen Prämienzahlungen ausgedehnt, welcher Betrag letztlich auf S 50.838 sA erhöht wurde.

Das Erstgericht gab dem Feststellungshauptbegehren statt, ebenso dem ausgedehnten Leistungsbegehren. Es beurteilte den eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt rechtlich dahin, dass die Kündigung der beklagten Partei rechtsunwirksam sei, weil es sich um einen Versicherungsvertrag mit einer Laufzeit von 10 Jahren handle; die schriftliche Zurückweisung der Kündigung erst am sei angesichts der Weihnachtsfeiertage und des Milleniumsjahreswechsels nicht verspätet.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte die bekämpfte Entscheidung im Sinne einer gänzlichen Klageabweisung ab. Das Berufungsgericht sprach weiters aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 260.000 übersteige, die ordentliche Revision jedoch (zufolge Beachtung der Judikatur des Obersten Gerichtshofes einerseits und Vorliegen eines Einzelfalles andererseits) nicht zulässig sei. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und führte in rechtlicher Hinsicht aus, dass die schriftliche Zurückweisung des am bei ihr eingelangten Kündigungsschreibens erst drei Wochen später nicht unverzüglich im Sinne der dazu bestehenden Rechtsprechung erfolgt sei; die Aussage des Mitarbeiters W***** zu Jahresbeginn gegenüber Andreas S***** sei nur als "Privatmeinung" zu qualifizieren; die Klägerin müsse daher die Kündigung gegen sich gelten lassen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die - erkennbar - auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte außerordentliche Revision der klagenden Partei mit dem Antrag, die bekämpfte Entscheidung im klagestattgebenden Sinne abzuändern.

Die Revision ist nicht zulässig. Dies bedarf gemäß § 510 Abs 3 dritter Satz ZPO an sich keiner Begründung. Zur Klarstellung erachtete es der Oberste Gerichtshof jedoch dennoch für angebracht, die Revisionswerberin auf folgende Erwägungen hinzuweisen:

Rechtliche Beurteilung

Primäre und entscheidungswesentliche (Rechts-)Frage ist, ob die nach den maßgeblichen Feststellungen von der beklagten Partei mit Schreiben vom erklärte, bei der klägerischen Versicherung am eingelangte und von dieser (erst) am zurückgewiesene Kündigung des zwischen den Streitteilen geschlossenen Betriebsbündelversicherungsvertrages mangels Rechtzeitigkeit der Zurückweisungserklärung Rechtswirksamkeit erlangte oder nicht. Das Berufungsgericht hat Ersteres bejaht und den langen Zeitraum von rund drei Wochen zwischen Eingang des Kündigungsschreibens und Reaktion auf dieses als nicht mehr "unverzüglich" im Sinne der Rechtsprechung qualifiziert.

Die Revisionswerberin erachtet diesen Standpunkt als verfehlt. Ihr ist jedoch folgendes entgegenzuhalten:

Das Versicherungsverhältnis wird im besonderen Maße vom Grundsatz von Treu und Glauben beherrscht (RIS-Justiz RS0018055). Nach diesem Grundsatz ist der Versicherer verpflichtet, (seiner Auffassung nach) unwirksame Kündigungen jeder Art ohne Verzug zurückzuweisen (7 Ob 150/98d); in anderen Entscheidungen wurde hiefür der Ausdruck "alsbald" (7 Ob 17/94) bzw auch "unverzüglich" (7 Ob 10/90) verwendet. Unterlässt dies der Versicherer, dann muss er sich so behandeln lassen, als wäre der Versicherungsvertrag wirksam gekündigt worden (RS0013443). Diese Beurteilung ist jedoch typisch von den Umständen des jeweiligen Einzelfalles geprägt; eine starre - wie in der Revision gewünschte - datummäßige Eingrenzung ist hiebei genausowenig möglich wie etwa in den Fällen einer "(nicht)gehörigen" Klagefortsetzung etwa nach zunächst verjährungshemmenden Vergleichsgesprächen bei der Beurteilung nach § 1497 ABGB (vgl RS0034765). Der vorliegende Fall ist dabei auch noch von der weiteren Besonderheit gekennzeichnet, dass in die für die Beurteilung maßgebliche Zeitspanne die Weihnachtsfeiertage, der Jahreswechsel und das sog Millenium-Datum fielen - eine Besonderheit, die sich in dieser Konstellation wohl nicht auf weitere Fälle beispielhaft wiederholen lässt. Auch aus den von der Revisionswerberin zitierten Entscheidungen lässt sich eine starre Mindest- oder Höchstfrist, bis zu der sich ein mit einer solchen Kündigung konfrontierter Versicherer mit einer Reaktion allenfalls gedulden dürfe, ohne seines Zurückweisungsrechtes verlustig zu gehen, nicht entnehmen. Eine vom Obersten Gerichtshof zu korrigierende Ermessensüberschreitung des Berufungsgerichtes in der Beurteilung des ihm hiebei zukommenden Beurteilungsspielraumes liegt jedenfalls nicht vor.

Die Klägerin argumentiert weiters, dass ja ihr "Versicherungsagent" Paul W***** bereits kurz nach Neujahr auf die Unwirksamkeit der Kündigung (gegenüber dem bevollmächtigten Vertreter der beklagten Partei und Ehemann ihrer geschäftsführenden Gesellschafterin) hingewiesen habe, sodass schon deshalb von der Rechtzeitigkeit ausgegangen werden müsse. Hiezu werden jedoch die Feststellungen der Tatsacheninstanzen übergangen: Danach steht nämlich bloß fest, dass es sich beim Genannten um einen "Versicherungsangestellten" der klagenden Partei im Rahmen ihrer Filiale in L***** handelte. Selbst wenn es sich jedoch bei ihm um einen Versicherungsagenten im Sinne des § 43 Abs 1 VersVG gehandelt haben sollte, wäre dieser nach Abs 2 Z 1 und 2 leg cit nur zur Entgegennahme bestimmter, hierin im Einzelnen aufgezählter rechtsgeschäftlicher Erklärungen als bevollmächtigt anzusehen gewesen (Gruber in Berliner Kommentar, Rn 2 und 5 zu § 43 VersVG spricht insoweit zutreffend von einer bloß "passiven Vertretungsmacht" im Sinne eines "typischen Empfangsadressaten des Versicherers"), nicht jedoch auch zur "Abgabe" einer rechtsgeschäftlichen Erklärung wie der Zurückweisung einer (vermeintlich wegen Verfrühung unzulässigen) Kündigung des Versicherungsnehmers; dies ergibt sich auch aus § 45 VersVG, wonach der Versicherungsagent sehr wohl zur Vereinbarung der Änderung oder Verlängerung eines Vertrages sowie Abgabe von Kündigungs- und Rücktrittserklärungen befugt ist, die Zurückweisung einer Kündigung des anderen Vertragsteiles hierin jedoch nicht genannt wird, also nicht von seinen (gesetzlich umschriebenen) Befugnissen erfasst ist. Dass ihm darüber hinausgehende (besondere) Vollmachten - allenfalls auch nur konkludent - seitens der klagenden Partei erteilt worden wären, wurde nicht behauptet und ist auch nicht den Feststellungen der Tatsacheninstanzen zu entnehmen. Die §§ 43 ff VersVG sind auf (bloße) Angestellte des Versicherers aber nur dann analog anzuwenden, wenn diese mit Zustimmung oder allenfalls Duldung des Versicherers nach außen wie ein Vertreter auftreten (Gruber, aaO Rn 1 zu § 43); insoweit hätte es daher zur verbindlichen Abgabe einer solchen Erklärung einer vom Versicherer erteilten besonderen Vollmacht bedurft (Gruber, aaO Rn 18 zu § 43), von welcher hier jedoch nicht ausgegangen werden kann. Der bloß gesprächsweise gemachte Hinweis W*****, dass die Kündigung unwirksam sei, weil der Vertrag bis 2008 laufe und unkündbar sei, vermag daher die erst am schriftlich erfolgte Zurückweisungserklärung der klagenden Partei nicht zeitlich vorzuverlegen.

Schließlich wird auch noch von der Revisionswerberin vermeint, dass die beklagte Partei mit ihrem Schreiben vom ja gar keine Kündigung zum strittigen, sondern einem früheren Versicherungsvertrag aus dem Jahre 1989 aussprechen habe wollen. Hiezu kann jedoch der Hinweis genügen, dass das entsprechende formularmäßig ausgefüllte Kündigungsschreiben ausdrücklich (Ersturteil Seite 8 unten = AS 62) die Polizze Nr 36/474.830 (also nicht jene zu Nr 36/425.604) betraf, welche - allein - auch Gegenstand der Klage und Prämiennachforderung samt Feststellungsbegehren ist. Damit ist jedenfalls von der Identität des verfahrensgegenständlich eingeklagten mit dem vom Kündigungsschreiben erfassten Versicherungsvertrag auszugehen, deren Zurückweisung die klagende Partei nach der vom Obersten Gerichtshof gebilligten Auffassung nicht "unverzüglich" erklärt hat.

Damit erweist sich - zusammenfassend -, dass keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO releviert wird. Das Berufungsgericht hat die ordentliche Revision damit zutreffend für nicht zulässig erklärt. Die außerordentliche Revision der Klägerin ist damit als unzulässig zurückzuweisen.