OGH vom 12.07.2005, 5Ob58/05y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Floßmann als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann, Dr. Hurch, Dr. Kalivoda und Dr. Höllwerth als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Wiener Gebietskrankenkasse, 1101 Wien, Wienerbergstraße 15-19, vertreten durch Dr. Amhof & Dr. Damian, Rechtsanwältepartnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei Martin K*****, vertreten durch Dr. Hans Michael Piech, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 54.227,89 sA über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse EUR 25.923,70 sA) gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom , GZ 16 R 226/04d-29, womit das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 6 Cg 15/04a-16, teilweise bestätigt wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.315,08 (darin enthalten EUR 219,18 an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Beklagte ist persönlich haftender Gesellschafter der Offenen Handelsgesellschaft „Anton Kolarsky & Co", FN 4558d, Handelsgericht Wien. Mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom , 3 Se 184/02g, wurde der Antrag eines Gläubigers auf Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der Gesellschaft mangels kostendeckenden Vermögens abgewiesen. Der Beschluss erwuchs im August 2002 in Rechtskraft. Die Auflösung der Gesellschaft wurde von Amts wegen gemäß § 39 Abs 2 FBG in das Firmenbuch eingetragen. Obwohl das Vermögen der Gesellschaft weiterhin nicht ausreichte, ihre Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen, beschäftigte die Gesellschaft die Dienstnehmer wie bisher weiter. Der Beklagte veranlasste die ratenweise Auszahlung der Nettolöhne, beglich aber nicht das Entgelt für die Miete des Geschäftslokals und für Gas, teilweise auch für Strom.
Über Antrag eines Gläubigers wurde dann über das Vermögen der Gesellschaft mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom , 3 S 167/03h, der Konkurs eröffnet. Der geschlossene Zwangsausgleich wurde gerichtlich bestätigt.
Die Beitragsschuld der Gesellschaft bei der Klägerin beträgt für den Zeitraum 8/02 (Abweisung des Konkursantrages mangels kostendeckenden Vermögens) und 4/03 (Zwangsausgleich) zuzüglich Verzugszinsen und Nebengebühren insgesamt EUR 25.923,70.
Die Klägerin begehrt die Bezahlung von rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen für bestimmte Monate beginnend mit August 2001 bis April 2004. Der Beklagte habe gegen § 39 FBG verstoßen. Dieses Schutzgesetz ziele darauf ab, dass Gesellschaften, deren Vermögen nicht einmal zu einer Konkurseröffnung hinreiche, aufzulösen seien aufgelöst und über die Abwicklung hinaus nicht mehr geschäftlich tätig sein dürften. Der Beklagte habe aber als persönlich haftender Gesellschafter die Gesellschaft weiter betrieben und monatlich Fixkosten von EUR 17.000 auflaufen lassen sowie ein Warenlager angeschafft. Weiters habe der Beklagte in Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft kridamäßig iSd § 159 StGB gehandelt und damit die Befriedigung der Klägerin vereitelt bzw geschmälert. Er habe auch iSd § 158 StGB nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft mehrere Gläubiger, insbesondere die Dienstnehmer, begünstigt und damit die Klägerin benachteiligt.
Der Beklagte beantragt die Klagsabweisung mit der Begründung, dass mit Erfüllung des Zwangsausgleiches die Rechte der Gläubiger auch gegen die persönlich haftenden Gesellschafter erloschen seien. Der Beklagte habe keinen übertriebenen Aufwand getrieben, sondern nur die notwendig erscheinenden Geschäftsführungsmaßnahmen getroffen. Es seien die durchschnittlichen monatlichen Fixkosten von EUR 17.100 wohl aufgelaufen, allerdings nicht bezahlt worden. Das Warenlager habe bereits früher bestanden.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren vollinhaltlich statt und vertrat die Rechtsansicht, dass nach Punkt 6 des Zwangsausgleiches die ausdrückliche Zustimmung zur Befreiung der Gesellschafter von der persönlichen Haftung notwendig sei, die die Klägerin nicht erteilt habe. Im Übrigen sei § 39 FBG ein Schutzgesetz. Die Gesellschaft hätte nicht ohne das entsprechende Vermögen fortgesetzt werden dürfen. Der Klagsbetrag stehe daher der Klägerin aus dem Titel des Schadenersatzes zu.
Das Berufungsgericht bestätigte das erstinstanzliche Urteil im Umfang von EUR 25.923,70 (Beitragsrückstand zwischen Abweisung des Konkursantrages mangels kostendeckenden Vermögens und Zwangsausgleich) mit Teilurteil, hob es aber hinsichtlich der Beitragsrückstände für die davorliegenden Zeiträume auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Zur Begründung des Teilurteiles führte es aus, dass dem Erstgericht hinsichtlich der Auslegung des Punktes 6 des Zwangsausgleiches nicht gefolgt werden könne. Vielmehr sei der persönlich haftende Gesellschafter iSd § 164 Abs 2 KO von der Ersatzpflicht auch ohne Zustimmung der Klägerin befreit worden. § 39 FBG sei aber als Schutzgesetz nach § 1311 ABGB aufzufassen. Die Gesellschafter könnten zwar eine nach § 39 Abs 1 FBG aufgelöste Gesellschaft fortsetzen, doch setze dies ein nachzuweisendes liquides Aktivvermögen voraus, das hier nicht bestanden habe. Die Auflösung der Gesellschaft ändere deren Geschäftszweck. Er bestehe nicht mehr in der gewinnbringenden Führung des Unternehmens, sondern in der Verwertung des vorhandenen Vermögens. Bei fehlendem liquiden Aktivvermögen habe die vom Gesetzgeber gewünschte Auflösung der Gesellschaft den im allgemeinen Interesse liegenden Zweck, die Gesellschaft vom weiteren Geschäftsverkehr auszuschließen. § 39 Abs 1 FBG habe daher auch Gläubigerschutzcharakter. Die Fortführung der Gesellschaft durch den Beklagten ohne Nachweis, dass der Grund für die Abweisung des Konkurseröffnungsantrages nicht mehr vorliege, sei als Verstoß gegen das Schutzgesetz anzusehen und biete damit eine rechtliche Grundlage für den Schadenersatzanspruch der Klägerin für die nach Auflösung der Gesellschaft zu entrichtenden Beiträge.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil es an oberstgerichtlicher Rechtsprechung zu den Fragen, ob § 39 FBG Schutzgesetzcharakter iSd § 1311 ABGB habe und ob die nicht zu Liquidationszwecken erfolgte Fortführung einer nach dieser Bestimmung aufgelösten OHG eine Schadenersatzpflicht eines der persönlich haftenden Gesellschafter zur Folge habe, nicht existiere.
Gegen das Teilurteil richtet sich die Revision des Beklagten mit einem Abänderungsantrag dahingehend, dass jener Teil des Klagebegehrens abgewiesen werde, in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
Soweit sich die Argumentation des Revisionswerbers weiterhin darauf bezieht, dass die Gesellschaft keine Geschäftstätigkeit entfaltet habe und die (Weiter-)Beschäftigung der bei der Klägerin angemeldeten Mitarbeiter lediglich der Liquidation der Gesellschaft gedient hätten, ist ihm mit dem Berufungsgericht zu erwidern, dass er mit diesem Vorbringen gegen das Neuerungsverbot verstößt. Im erstinstanzlichen Verfahren stellte der Beklagte niemals das Vorbringen der Klägerin in Frage, dass die Gesellschaft trotz Abweisung des Konkursantrages mangels kostendeckenden Vermögens und damit trotz ihrer Auflösung ihre Geschäfte weiterführte. Das Vorbringen blieb nicht nur unbestritten, sondern brachte auch der Beklagte in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom (ON 14 S 5, Mitte) vor, dass er die notwendig erscheinenden Geschäftsführungsmaßnahmen vorgenommen habe, wodurch monatliche Fixkosten von durchschnittlich EUR 17.100 aufgelaufen, aber nicht bezahlt worden seien. Dass Geschäftsführungshandlungen dem Schutzzweck des § 39 FBG widersprechen, zieht offenbar der Revisionswerber selbst nicht in Zweifel.
Jede in das Firmenbuch einzutragende Gesellschaft ist außer den in anderen Gesetzen genannten Fällen mit Rechtskraft des Beschlusses aufgelöst, durch den ein Konkurs mangels eines zur Deckung der Kosten des Konkursverfahrens voraussichtlich hinreichenden Vermögens nicht eröffnet wird (§ 39 Abs 1 FBG). Bis galt in Österreich das deutsche Amtslöschungsgesetz. Anders als § 1 Abs 1 ALöschG ist der seit geltende § 39 Abs 1 FBG nicht nur auf Kapitalgesellschaften, sondern auf alle im Firmenbuch einzutragenden Gesellschaften anzuwenden (Schenk in Straube3, § 8 HGB Anhang I, zu § 39 FBG, Nowotny in Kodek/Nowotny/Umfahrer, § 39 FBG, Rz 4). Wie sich aus dem Gesetzestext („außer den in anderen Gesetzen genannten Fällen") ergibt, sind damit die in § 131 HGB genannten Auflösungsgründe erweitert worden (noch zur alten Rechtslage und daher gegenteilig: Koppensteiner in Straube3, § 131 HGB, Rz 12). Ist aber die Gesellschaft aufgelöst, so tritt an die Stelle des ursprünglichen Gesellschaftszweckes nunmehr der Abwicklungszweck, nämlich die Überführung des verbleibenden Gesellschaftsvermögens in eine andere Rechtszuständigkeit. Dies erst führt zur Beendigung der Gesellschaft (8 Ob 92/02s, RIS-Justiz RS0061815, Koppensteiner aaO, § 131 HGB Rz 7 mwN).
Im vorliegenden Fall ließ sich der Beklagte davon, dass die Gesellschaft iSd § 39 Abs 1 FBG mit Rechtskraft des den Konkursantrag mangels eines zur Deckung der Kosten des Konkursverfahrens voraussichtlich hinreichenden Vermögens abweisenden Beschlusses aufgelöst war (die Eintragung im Firmenbuch ist nur deklarativ [8 Ob 197/02g; 4 Ob 281/04h]), weiterhin kein zur Befriedigung der Verbindlichkeiten der Gesellschaft ausreichendes Gesellschaftsvermögen vorhanden und auch gar kein Fortsetzungsbeschluss der Gesellschafter gefasst worden war, nicht abhalten, trotzdem die Geschäfte der Gesellschaft unverändert weiterzuführen.
Schutzgesetze iSd § 1311 ABGB sind abstrakte Gefährdungsverbote, die dazu bestimmt sind, die Mitglieder eines Personenkreises gegen Verletzungen von Rechtsgütern zu schützen (8 Ob 110/02p, RIS-Justiz RS0027710; Koziol, Haftpflichtrecht II, 102 f; Harrer in Schwimann, Praxiskommentar2 § 1311 ABGB; Rz 7). § 39 FBG erlegt durch die angeordnete Auflösung der Gesellschaft den persönlich haftenden Gesellschaftern einer OHG die Verhaltenspflicht auf, sich nach Rechtskraft des den Konkursantrag abweisenden Beschlusses im Interesse des Gläubigerschutzes nicht mehr am Geschäftsverkehr zu beteiligen, um damit zu verhindern, dass weitere Verbindlichkeiten eingegangen werden, die offenbar nicht erfüllt werden können. § 39 FBG ist daher - wie bereits die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben - als Schutzgesetz iSd § 1311 ABGB aufzufassen. Der Beklagte hat gegen die ihm auferlegte Pflicht, die aufgelöste Gesellschaft nur mehr der Abwicklung und ihrer Beendigung zuzuführen, verstoßen und dadurch die Klägerin hinsichtlich der im Teilurteil genannten Beiträge geschädigt, da diese nicht von der zahlungspflichtigen Gesellschaft geleistet werden können. Ihm ist insofern zumindest Fahrlässigkeit vorzuwerfen.
Von einem Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht durch die Klägerin kann keine Rede sein, ist doch nicht erkennbar und vom Beklagten auch gar nicht dargelegt worden, welches Verhalten die Klägerin hätte ergreifen können, um den Eintritt des Schadens zu verhindern.
Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass zwar der Beklagte nicht als persönlich haftender Gesellschafter der OHG iSd § 128 HGB für deren Verbindlichkeiten haftet, da die Rechtswirkungen des Zwangsausgleiches auch ihm zugute kommen (§ 164 Abs 2 KO; RIS-Justiz RS0051545), er haftet aber persönlich aus dem Titel des Schadenersatzes für die Schäden, die er selbst durch seine schuldhafte Verletzung des Schutzgesetzes verursacht hat.
Es war daher der Revision ein Erfolg zu versagen.