OGH vom 29.03.2017, 7Ob7/17f

OGH vom 29.03.2017, 7Ob7/17f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei F***** D*****, vertreten durch Dr. Hans-Marcus Januschke, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Gegner der gefährdeten Partei H***** A*****, vertreten durch Mag. Stephan Zinterhof, Rechtsanwalt in Wien, wegen §§ 382b, 382e EO, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Gegners der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 44 R 321/16f-48, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 402 Abs 4, 78 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Maßgeblich für die Beurteilung der Unzumutbarkeit eines weiteren Zusammenlebens nach § 382b EO (das Gleiche gilt auch für das weitere Zusammentreffen nach § 382e EO:7 Ob 102/11t = RIS-Justiz RS0110446 [T16]), sind Ausmaß, Häufigkeit und Intensität der bereits– auch schon länger zurückliegenden – angedrohten oder gar verwirklichten Angriffe sowie bei – ernst gemeinten und als solche verstandenen – Drohungen die Wahrscheinlichkeit deren Ausführung. Je massiver das dem Antragsgegner zur Last fallende Verhalten auf die körperliche und seelische Integrität des Opfers eingewirkt hat, je schwerer die unmittelbaren Auswirkungen und die weiteren Beeinträchtigungen des Antragsgegners sind und je häufiger es zu solchen Vorfällen gekommen ist, desto eher wird unter den maßgeblichen Umständen des Einzelfalls von einer Unzumutbarkeit des weiteren Zusammenlebens auszugehen sein. Je leichtere Folgen das Verhalten des Antragsgegners gezeitigt hat, je länger es – ohne weitere „einschlägige“ Vorkommnisse – zurückliegt und je mehr sich der Antragsgegner in der Folge bewährt hat, desto eher wird man dem betroffenen Ehegatten das weitere Zusammenleben zumuten können (RIS-Justiz RS0110446).

Jegliche Gewalt in Ehe und Familie ist prinzipiell verpönt. Gewalttätiges Verhalten eines Ehegatten kann grundsätzlich nicht als „Entgleisung“ entschuldigt werden (vgl RIS-Justiz RS0118055). Jeder körperliche Angriff und jede ernsthafte und substanzielle Drohung mit einem solchen entspricht dem Unzumutbarkeitserfordernis; als Verfügungsgrund genügt daher bereits eine einmalige und ihrer Art nach nicht völlig unbedeutende tätliche „Entgleisung“, weil das persönliche Recht auf Wahrung der körperlichen Integrität absolut wirkt (RIS-Justiz RS0110446 [T5]). Darüber hinaus rechtfertigt auch ein sonstiges Verhalten („Psychoterror“) eine einstweilige Maßnahme, wenn es eine Schwere erreicht, die die strenge Maßnahme der einstweiligen Verfügung angemessen erscheinen lässt (RIS-Justiz RS0110446 [T17]). „Psychoterror“ ist, weil die Zumutbarkeitsfrage entscheidet, nicht nach objektiven, sondern nach subjektiven Kriterien zu beurteilen; von Bedeutung ist daher nicht ein Verhalten, das der Durchschnittsmensch als „Psychoterror“ empfände, sondern die Wirkung eines bestimmten Verhaltens gerade auf die Psyche des Antragstellers (RIS-Justiz RS0110446 [T4, T 8, T 15]). Bei der Prüfung der Voraussetzung der Zumutbarkeit des weiteren Zusammenlebens zugunsten der Opfer von Gewalttätigkeiten im Familienkreis ist ein großzügiger Maßstab anzulegen. Hat der Antragsteller eine erhebliche psychische Beeinträchtigung glaubhaft gemacht, so kann diese Verhaltensweise als Indiz für die Unzumutbarkeit des weiteren Zusammenlebens sprechen (RIS-Justiz RS0110446 [T6]).

Ob ausgehend von diesen Grundsätzen ein bestimmtes Verhalten einer Person gegenüber unzumutbar ist, stellt als Einzelfallentscheidung grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO dar (RIS-Justiz RS0110446 [T4, T 7, T 15]; RS0118857; RS0123926).

2. Die Ausführungen des Revisionsrekurses, die Feststellungen würden die Annahme der Unzumutbarkeit des weiteren Zusammenlebens und der Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit der Antragstellerin nicht rechtfertigen, zeigen nicht auf, dass die Vorinstanzen von diesen Rechtsprechungsgrundsätzen abgewichen wären.

Im Übrigen geht der Antragsgegner nicht vom als bescheinigt angenommenen Sachverhalt aus – und bringt daher die Rechtsrüge nicht dem Gesetz entsprechend zur Darstellung (RIS-Justiz RS0043603) –, wonach er die Antragstellerin nicht nur bedroht, sondern auch mehrfach bis in die jüngste Zeit vor der polizeilichen Wegweisung tätlich angegriffen, beschimpft und ihre körperliche Integrität bei zumindest einem Vorfall in nicht völlig unbedeutendem Ausmaß verletzt hat. Er ist auch darauf hinzuweisen, dass der Oberste Gerichtshof (auch) im Provisorialverfahren nur Rechtsinstanz, nicht jedoch Tatsacheninstanz ist und daher an den von den Vorinstanzen hier als bescheinigt angenommenen Sachverhalt gebunden ist (RIS-Justiz RS0002192), wonach die Antragstellerin als Folge ihrer durch das – sehr wohl konkret umschriebene und auch nach der polizeilichen Wegweisung nicht geänderte – Verhalten des Antragsgegners bewirkten Angstzustände sogar körperliche Symptome erlitt. Diesbezüglich liegen auch keine sekundären Feststellungsmängel vor (RIS-Justiz RS0053317 [T1]).

Warum die Feststellung, die einkommenslose Antragstellerin verfüge über keine andere Wohnmöglichkeit, nicht für die Annahme eines dringenden Wohnbedürfnisses ausreichen sollte (RIS-Justiz RS0006012; RS0042789), ist nicht nachvollziehbar. Auch wird nicht begründet, weshalb die nach § 382e EO vorzunehmende Interessensabwägung von den Vorinstanzen unrichtig vorgenommen worden sein sollte; allenfalls zugunsten des Antragsgegners sprechende Umstände werden vom Revisionsrekurswerber gar nicht aufgezeigt (RISJustiz RS0043605).

3. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§§ 528a, 510 Abs 3 ZPO).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:0070OB00007.17F.0329.000

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