OGH vom 19.03.1958, 3Ob92/58
Norm
Kopf
SZ 31/47
Spruch
Die Auslegungsregel des § 617 ABGB. ist nicht anwendbar, wenn ein anderer erkennbarer Wille des Erblassers anzunehmen ist. Sie gilt nicht für Wahlkinder.
Entscheidung vom , 3 Ob 92/58.
I. Instanz: Kreisgericht Wels; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.
Text
Ferdinand M. sen. war Eigentümer von 5/44-Anteilen der offenen Handelsgesellschaft "Tonwerk W.". In seinem mit seiner Gattin errichteten wechselseitigen Testament vom traf er hinsichtlich seines Gesellschaftsanteiles folgende letztwillige Verfügung:
"Der Gesellschaftsanteil Ferdinand M. an der Handelsgesellschaft 'Tonwerk W.' ist mein alleiniges Eigentum. Diesen Gesellschaftsanteil vermache ich zu gleichen Teilen als Vorausvermächtnis, das nicht in den gesetzlichen Pflichtteil einzurechnen ist, meinen Kindern Josefa G., Ferdinand M. und Josef M., jedoch mit dem Vorbehalt, daß ich hiemit den uneingeschränkten Fruchtgenuß von diesem Gesellschaftsanteil meiner Gattin Josefa M. letztwillig vermache.
Weiters bestimme ich letztwillig, daß als Vertreter dieses Gesellschaftsanteiles und aller drei Legatare mein Sohn Ferdinand M. in der Gesellschaft zu fungieren hat und dieser Gesellschaftsanteil auch unter seinem Namen in der Gesellschaft zu führen ist.
Für den Fall als aber mein Sohn Ferdinand M. ohne eheliche Nachkommen sterben sollte, bestimme ich letztwillig, daß sein vorbeschriebener Anteil an meinem Geschäftsanteil dieser Gesellschaft mit allen ihm in dieser letztwilligen Anordnung vorbehaltenen Rechten als Substitutionsvermächtnis auf mein Enkelkind Johann M., Sohn meines vorverstorbenen Sohnes Johann M., zu fallen habe."
Ferdinand M. sen. ist am gestorben. Der hinsichtlich der auf Ferdinand M. jun. übergegangenen 5/132 = 100/2640-Anteile eingesetzte Nachlegatar Johann M. (Enkelkind des Ferdinand M. sen.) ist am im Alter von 28 Jahren ohne Hinterlassung von Nachkommen in Rußland gefallen. Sein Nachlaß wurde auf Grund seines Testamentes vom der Klägerin Josefa G. eingeantwortet. Ferdinand M. jun. und seine Gattin Aloisia M. haben mit Adoptionsvertrag vom Frau Stefanie L. (nunmehr verehelichte H.) an Kindes Statt angenommen. Im Vertrag ist bestimmt, daß Stefanie L. insbesondere auch das Erb- und Pflichtteilsrecht eingeräumt wird. Der Adoptionsvertrag wurde bestätigt. Ferdinand M. jun. ist am gestorben. Sein Nachlaß wurde seiner Witwe Aloisia M. (der Beklagten) als Alleinerbin eingeantwortet. Das Verlassenschaftsgericht erteilte die Ermächtigung, daß der in den Nachlaß gehörige Gesellschaftsanteil an der Firma "Tonwerk W." in das alleinige Eigentum der Witwe Aloisia M. übertragen werde. Aloisia M. wurde am als seine Rechtsnachfolgerin in das Handelsregister als Gesellschafterin eingetragen.
Die Klägerin begehrte von der Beklagten die Herausgabe des ihr nach ihrem Gatten Ferdinand M. jun. zugefallenen 100/2640-Anteiles der Gesellschaft "Tonwerk W.". Ferdinand M. jun. sei ohne Hinterlassung von ehelichen Nachkommen gestorben. Gemäß der letztwilligen Verfügung des Ferdinand M. sen. gebühre ihr daher als Alleinerbin nach dem vorverstorbenen Nachlegatar Johann M. der Gesellschaftsanteil. Das Wahlkind Stefanie H. sei einem ehelichen Kind nicht gleichzustellen, zumal es der Wille des Ferdinand M. sen. gewesen sei, den Gesellschaftsanteil einem von ihm abstammenden leiblichen Nachkommen zu hinterlassen.
Die Beklagte wendete ein, die von Ferdinand M. sen. für den Eintritt des Substitutionsfalles verfügte Bedingung, daß Ferdinand M. jun. ohne eheliche Nachkommen versterbe, sei nicht erfüllt. Er habe ein Adoptivkind hinterlassen, das einem ehelichen Kind vollkommen gleichgestellt sei. In seinem letzten Willen habe Ferdinand M. sen. nicht von leiblichen, sondern nur von ehelichen Nachkommen gesprochen. Auch das Adoptivkind sei als ehelicher Nachkomme anzusehen. Die Klägerin sei aber auch zur Erhebung des Anspruches nicht aktiv legitimiert, weil der Wille des Erblassers dahin gegangen sei, den Gesellschaftsanteil zwar seinem Enkel Johann M. zu hinterlassen, nicht aber dessen Erben.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es bejahte die Aktivlegitimation der Klägerin aus dem Gründe des § 615 Abs. 2 ABGB. Nach dieser Gesetzesstelle gehe das Recht des fideikommissarischen Erben, sofern nicht ein anderer Wille des Erblassers anzunehmen sei, auch dann auf dessen Erben über, wenn er den Eintritt des Substitutionsfalles nicht erlebe. Die Vererblichkeit sei also die Regel, die Unvererblichkeit als Ausnahme anzusehen. Unvererblichkeit sei daher nur anzunehmen, wenn die Vererblichkeit nach dem ausdrücklich erklärten oder doch zu vermutenden Willen des Erblassers auszuschließen sei. Aus dem Testament vom gehe ein ausdrücklicher Wille des Erblassers, daß er die Vererblichkeit der Nachberufung des Johann M. ausschließen wollte, nicht hervor. Auch sonst hätten sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß ein solcher Wille bei ihm zu vermuten wäre. Hinsichtlich der Vererblichkeit sei es auch gleichgültig, ob nach dem Nacherben die gesetzliche oder die testamentarische Erbfolge eintrete. Der Nacherbe könne vor Eintritt des Nacherbfalles über sein Nacherbrecht letztwillig verfügen. Mit Rücksicht auf den von der Beklagten gemachten Hinweis auf die Bestimmung des § 614 ABGB. sei zu sagen, daß die Auslegung eines zweifelhaften Willens des Erblassers im Sinne der vorstehenden Erwägungen dem Grundsatz des § 614 ABGB. nicht widerspreche, weil es sich hier nicht um die im Zweifel anzunehmende Art der Substitution, sondern um die Bestimmung des Kreises der zur Nacherbschaft berufenen Personen handle. Das Recht des Johann M., der vor Eintritt des Substitutionsfalles gestorben sei, sei daher auf die Klägerin als seine testamentarische Alleinerbin übergegangen. Die prozeßentscheidende Frage, ob die im Testament vom verfügte fideikommissarische Substitution dadurch erloschen sei, daß im Zeitpunkt des Todes des Vorlegatars Ferdinand M. jun. ein von ihm adoptiertes Kind vorhanden war, sei zu verneinen. § 617 ABGB. bestimme, daß die von einem Erblasser seinem Kinde zur Zeit, da es noch keinen Nachkommen hatte, gemachte Substitution erlösche, wenn dasselbe erbfähige Nachkommen hinterlassen habe. Hiebei handle es sich um eine Auslegungsregel. Diese trete zurück, wenn ein anderer erkennbarer Wille des Erblassers anzunehmen sei. Das Gericht sei auf Grund der Beweisergebnisse zur Feststellung gelangt, daß der Wille des Erblassers Ferdinand M. sen. dahin gegangen sei, seinen Gesellschaftsanteil einem leiblichen Nachkommen zu vererben. Ziehe man in Betracht, daß Ferdinand M. sen. zu den Gründern der Gesellschaft gehört habe und daß gerade in ländlichen Kreisen besonderer Wert auf die Erhaltung des Vermögens in der Familie gelegt werde, erscheine ein dahingehender Wille des Erblassers durchaus verständlich. Auch der Umstand, daß es der Erblasser gerne gesehen hatte, daß sein Sohn den Enkel Johann M. an Kindes statt annehme - eine Adoption wäre zur Zeit der Testamentserrichtung bei dem damaligen Alter des Ferdinand M. jun. noch nicht möglich gewesen -, lasse darauf schließen, daß es der Wunsch des Erblassers war, den Gesellschaftsanteil seiner direkten Nachkommenschaft zu hinterlassen. An den Fall, daß Ferdinand M. jun. bei seinem Ableben ein fremdes Wahlkind hinterlasse, habe der Erblasser offensichtlich nicht gedacht. Das Gericht sei jedoch der Überzeugung, daß er bei Voraussicht dieses Falles ein solches Wahlkind von der Nacherbfolge ausgeschlossen hätte. Aber auch aus rein rechtlichen Erwägungen könne ein Erlöschen der Substitution durch das Vorhandensein eines Wahlkindes nicht angenommen werden, da unter Nachkommen im Sinne des § 617 ABGB. nur die ehelichen, die legitimierten und die von einer Tochter geborenen unehelichen Kinder, nicht aber die Wahlkinder zu verstehen seien. Der Vorerbe hätte es sonst in der Hand, die Anordnung der Nacherbschaft "durch freien Willensentschluß" zu vereiteln. Wahlkinder hätten zwar im Verhältnis zu ihren Wahleltern gleiche Rechte wie eheliche Kinder, es bestunden aber keine Rechtsbeziehungen zwischen dem Wahlkind und den Mitgliedern der Familie der Wahleltern. Durch die Hinterlassung des Wahlkindes sei daher die vom Erblasser Ferdinand M. sen. verfügte fideikommissarische Substitution nicht erloschen. Der Gesellschaftsanteil des Ferdinand M. jun. sei auf die Klägerin übergegangen.
Der Berufung wurde nicht Folge gegeben, wobei das Berufungsgericht die Tatsachenfeststellungen und die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes vollinhaltlich übernahm.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Wenn die Revision eine unrichtige rechtliche Beurteilung darin erblickt, daß das Berufungsgericht den Begriff "Familie" restruktiv interpretiert und auf den Begriff der Blutsverwandtschaft eingeengt habe, so geht sie von der feststellungsfremden Voraussetzung aus, daß Ferdinand M. sen. den Willen hatte, seinen Gesellschaftsanteil der Familie im weiteren Sinne zu erhalten. Bei der Entscheidung ist jedoch von der vom Berufungsgericht übernommenen Feststellung des Erstgerichtes auszugehen, daß der Wille des Erblassers Ferdinand M. sen. bei Abfassung des wechselseitigen Testamentes vom dahin gegangen sei, seinen Gesellschaftsanteil einem leiblichen Nachkommen zu vererben. Insoweit sich die Revisionsausführungen gegen diese Feststellung wenden, stellen sie in Wahrheit nur eine Bekämpfung der Beweiswürdigung und der Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichtes dar, welche jedoch der Anfechtung im Revisionsverfahren entzogen bleiben müssen. Es stellt aber auch eine Frage der Beweiswürdigung des Berufungsgerichtes dar, ob es ohne Rücksicht auf die vom Testamentsverfasser Dr. August G. ausgestellte Bestätigung vom , deren Echtheit und Richtigkeit von der Beklagten bestritten wurde, auch die übrigen Beweisergebnisse als ausreichend ansah, um zu der vom Erstgericht getroffenen Feststellung des Willens des Erblassers zu gelangen, seinen Gesellschaftsanteil nur leiblichen Nachkommen zu hinterlassen. Damit erledigt sich auch die in dieser Richtung erhobene Verfahrensrüge.
Die von der Revision erhobene Rechtsrüge ist aber auch im übrigen nicht begrundet.
Zutreffend ist die Auffassung der Vorgerichte, daß die Auslegungsregel des § 614 ABGB. die im Zweifel anzunehmende Art der Substitution, also die zu treffende Entscheidung über deren Inhalt, betrifft, während es sich im § 615 Abs. 2 ABGB. um den Kreis der zur Nacherbschaft berufenen Personen, der im Regelfall auf die Erben des vor dem Eintritt des Substitutionsfalles verstorbenen Nacherben ausgedehnt wird, handelt. Die im Regelfall bei Nichterkennbarkeit eines anderen Willens des Erblassers anzunehmende Vererblichkeit der Berufung zum Nacherben widerspricht daher nicht dem im § 614 ABGB. ausgesprochenen Auslegungsgrundsatz, daß eine zweifelhaft ausgedrückte Substitution auf eine solche Art auszulegen ist, wodurch die Freiheit des Vorerben, über sein Eigentum zu verfügen, am mindesten eingeschränkt wird. Schließlich ist auch die Auffassung des Berufungsgerichtes zutreffend, daß § 617 ABGB. eine Auslegungsregel darstellt, die zurückzutreten hat, wenn ein anderer erkennbarer Wille des Erblassers anzunehmen ist (vgl. § 615 Abs. 2 ABGB.) Daraus folgt aber, daß für diese Auslegungsregel im vorliegenden Fall schon deswegen kein Raum ist, weil nach dem Willen des Erblassers der Substitutionsfall dann eintreten sollte, wenn leibliche Nachkommen seines als Prälegatar eingesetzten Sohnes Ferdinand M. jun. nicht vorhanden sind, welche Voraussetzung bei dem am S. März 1955 erfolgten Tod des letzteren zutraf, da nur ein Wahlkind vorhanden war. § 778 ABGB. und die Entscheidung GlU. 1974 behandeln einen anders gelagerten Fall. Abgesehen davon trifft die Auslegungsregel des § 617 ABGB. bei Wahlkindern nicht zu, da das Verhältnis zwischen den Wahleltern und dem Wahlkind auf die Mitglieder der Familie der Wahleltern keinen Einfluß hat, was insbesondere darin zum Ausdruck kommt, daß das Wahlkind im Gegensatz zum ehelichen Kind im Falle des Vorversterbens der Eltern die gesetzliche Erbfolge nach § 733 ABGB nicht in Anspruch nehmen kann (§§ 755, 183 ABGB.).