OGH vom 25.05.2005, 7Ob91/05s
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Felix P*****, in Pflege und Erziehung der Mutter Birgit P*****, vertreten durch Dr. Andrea Wukovits, Rechtsanwältin in Wien, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der ehemaligen Pflegeeltern des Minderjährigen und Antragsteller Dr. Anna K*****, und Viktor L*****, beide vertreten durch Dr. Peter Ozlberger, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom , GZ 16 R 44/05t-442, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Mödling vom , GZ 13 P 69/03v-432, infolge Rekurses der Antragsteller bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Nachdem die Mutter des am außerehelich geborenen Felix, die sich damals nach Drogenkonsum in einem psychotischen Zustand befand, die Wohnung, in der sie mit dem Kind lebte, in Brand gesteckt hatte, wurde der Minderjährige am vom Jugendwohlfahrtsträger den in Lebensgemeinschaft lebenden nunmehrigen Antragstellern Dr. Anna K***** und Viktor L***** in Pflege und Erziehung übergeben. Die genannten Pflegeeltern bemühten sich in der Folge um die Erlangung des Obsorgerechts für den von ihnen bestens betreuten Minderjährigen, den sie adoptieren wollten. Zwischen ihnen und der Mutter, die - nach mehrmonatiger stationärer psychiatrischer Behandlung wieder genesen - zunächst das Kind nur besuchen konnte, es aber wieder zu sich nehmen wollte, kam es zu Spannungen und Streitigkeiten. Da dies den Minderjährigen belastete und irritierte, wurde er am für ca acht Wochen bei einer „Krisenpflegefamilie" untergebracht. Danach wurde das Kind der wieder erziehungsfähigen Mutter übergeben und dieser vorläufig wieder die Obsorge übertragen (wobei die Unterstützung der Erziehung für den Minderjährigen angeordnet und der Mutter aufgetragen wurde, die Auflagen des Jugendwohlfahrtsträgers zu erfüllen). Der betreffende Beschluss des Erstgerichts vom ist mit der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom , 7 Ob 260/02i, in Rechtskraft erwachsen.
Die ehemaligen Pflegeeltern hatten bereits 2001 ein Besuchsrecht hinsichtlich des Minderjährigen, der mit ihnen seit keinen Kontakt mehr hatte, beantragt. Das Erstgericht wies diesen Antrag (nachdem inzwischen mehrere kinderpsychiatrische Gutachten eingeholt worden waren und die früheren Pflegeeltern bei einer Erörterung des Verfahrensstandes am erklärt hatten, den Besuchsrechtsantrag aufrecht zu halten) mit Beschluss vom zurück, wobei es aussprach, dass das Unterbleiben des persönlichen Verkehrs mit den vormaligen Pflegeeltern das Wohl des Minderjährigen nicht gefährde. Die ehemaligen Pflegeeltern seien „Dritte" iSd § 148 Abs 4 ABGB, hätten daher keine Parteistellung im gerichtlichen Verfahren und seien nicht antragslegitimiert. Von Amts wegen sei ein Besuchsrecht der Antragsteller nicht anzuordnen, weil nach der Aktenlage der mj. Felix persönliche Kontakte zu seinen früheren Pflegeeltern vehement ablehne. Dies werde von der beigezogenen Psychologin als Schutzreaktion im Hinblick auf die turbulente, Felix sehr belastende Vergangenheit gewertet. Insbesondere im Hinblick darauf, dass Felix seit mehr als drei Jahren keinerlei Kontakt zu seinen früheren Pflegeeltern mehr gehabt habe, sei ein Besuchsrecht - möge ein solches auch unmittelbar nach Verbringung des Minderjährigen zu den Krisenpflegeeltern noch angezeigt gewesen sein - nicht mehr sinnvoll. Es entspreche vielmehr dem Kindeswohl am besten, Felix in seiner nunmehrigen positiven Lebenssituation mit seiner leiblichen Mutter nicht dadurch in neue Loyalitätskonflikte zu bringen, dass man ihn mit seinen ehemaligen Pflegeeltern konfrontiere.
Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung der ersten Instanz. Die Antragsteller seien nach der durch das KindRÄG 2001 geschaffenen Legaldefinition des § 186 ABGB nicht mehr die „Pflegeeltern" des Minderjährigen. Zwar hätten sie den Minderjährigen 46 Monate lang in der Absicht, eine emotionale Bindung ähnlich jener zu leiblichen Eltern aufzubauen, in ihrem Haushalt betreut; dies sei jedoch seit nunmehr ca 40 Monaten nicht mehr der Fall. Die faktische Besorgung von Pflege und Erziehung des Kindes falle demnach schon lange nicht mehr den Antragstellern zu. Da auch im Verfahren außer Streitsachen die Antragslegitimation nicht nur zum Zeitpunkt des Einbringens eines Antrages gegeben sein, sondern auch noch bis zur Entscheidung fortdauern müsse, die Antragsteller jedoch zwischenzeitig jedenfalls ihre Pflegeelterneigenschaft verloren hätten, sei die Zurückweisung des Besuchsrechtsantrags durch das Erstgericht schon aus diesem Grund nicht zu beanstanden. § 148 Abs 4 ABGB nF enthalte eine Aufzählung der (hinsichtlich eines Besuchsrechts) antragsberechtigten Personen: Danach habe das Gericht auf Antrag des Kindes, eines Elternteiles, des Jugendwohlfahrtsträgers oder von Amts wegen die nötigen Verfügungen zu treffen. § 148 Abs 4 ABGB knüpfe an eine für das psychische Wohl des Kindes bedeutsame emotionale Beziehung zwischen dem Kind und einer nicht besuchsberechtigten Person an, wobei es keinen Unterschied mache, ob diese Bezugsperson mit dem Kind verwandt sei oder nicht. Wenn durch das Unterbleiben eines persönlichen Kontaktes zwischen dem Kind und dieser Bezugsperson das Kindeswohl gefährdet wäre und der Kontakt ohne gerichtliche Entscheidung nicht zustande käme, könne das Gericht eine Regelung über den persönlichen Verkehr zwischen dem Kind und dem Dritten treffen, wenn sich Letzterer zu Besuchskontakten bereit erkläre. Dadurch erlange aber der Dritte keine Antragslegitimation, sondern könne nur ein amtswegiges Vorgehen des Gerichtes anregen und habe auch keine Parteistellung; eine eigenständige, durchsetzbare Rechtsposition komme dem Dritten also nicht zu. Auch aus § 148 ABGB (nF) sei eine Antragslegitimation der Rekurswerber daher nicht abzuleiten. Durch die Zurückweisung ihres im gegenwärtigen Verfahrensstadium antragslegitimationslosen Besuchsrechtsantrages könnten sich die Antragsteller jedoch zu Recht beschwert erachten, weshalb ihnen die Rekurslegitimation nicht abgesprochen werden könne. Der Rekurs sei daher inhaltlich zu behandeln und nicht zurückzuweisen gewesen. Da feststehe, dass eine persönliche Konfrontation des Minderjährigen mit seinen früheren Pflegeeltern das Kind in seiner nunmehrigen Lebenssituation erneut in einen Loyalitätskonflikt bringen würde, sei der Ansicht des Erstgerichts, das Unterbleiben des persönlichen Verkehrs mit den vormaligen Pflegeeltern gefährde nicht das Wohl des Minderjährigen, beizutreten.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, weil Rechtsfragen im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG nicht zu lösen gewesen seien.
Gegen den Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragsteller, die unrichtige rechtliche Beurteilung geltend machen und beantragen, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass ihnen ein regelmäßiges, eventuell vorerst ein einmaliges Besuchsrecht zu Felix eingeräumt werde; in eventu möge die Entscheidung des Rekursgerichts aufgehoben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung an die erste Instanz zurückverwiesen werden.
Die Mutter und Antragsgegnerin beantragt in der ihr freigestellten Äußerung, den Revisionsrekurs der Antragsteller mangels der Voraussetzungen des § 14 AußStrG aF zurückzuweisen oder ihnen keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Da die erstinstanzliche Entscheidung vor dem gefällt wurde, sind die Bestimmungen des Außerstreitgesetzes neu über den Revisionsrekurs hier noch nicht anzuwenden (§ 203 Abs 7 AusßStrG nF).
Der Revisionsrekurs ist entgegen dem Ausspruch des Rekursgerichtes nach § 13 Abs 1 Z 2 AußStrG aF, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 16 Abs 3 AußStrG aF) zulässig, weil zur über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Frage des Besuchsrechts ehemaliger Pflegeeltern nach der durch das KindRÄG 2001 geschaffenen neuen Rechtslage (§§ 148 Abs 4, 186 ABGB nF) oberstgerichtliche Judikatur fehlt; das Rechtsmittel der Antragsteller ist aber nicht berechtigt.
Da der erkennende Senat die Rechtsmittelausführungen für nicht stichhältig, die damit bekämpften Entscheidungsgründe des angefochtenen Beschlusses hingegen sowohl hinsichtlich der Ausführungen zur fehlenden Aktivlegitimation der Antragsteller als auch in merito für zutreffend erachtet, reicht es aus, auf deren Richtigkeit hinzuweisen und sie - nach einer kurzen Skizzierung der durch das KindRÄG 2001 geschaffenen neuen Rechtslage - bezugnehmend auf die Ausführungen des Revisionsrekurses lediglich wie folgt zu ergänzen (§ 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO iVm § 16 Abs 4 AußStrG aF):
Beim Recht des persönlichen Verkehrs mit dem Kind - kurz Besuchsrecht genannt - handelt es sich um ein „Grundrecht der Eltern-Kind-Beziehung" (RV 60 BlgNR 14. GP 28; Stabentheiner in Rummel³ ErgBd § 148 Rz 1 mwN), dessen Zweck es ist, die Bindung zwischen Eltern und Kind aufrecht zu erhalten, eine Entfremdung zu verhindern und Gelegenheit zu geben, sich vom Erziehungs- und Gesundheitszustand des Kindes zu überzeugen (RIS-Justiz RS0049070; Stabentheiner aaO mwN). Schon vor dem KindRÄG 2001 war in Lehre und Rechtsprechung anerkannt, dass es sich auch beim Besuchsrecht - wie bei den anderen rechtlichen Elementen des Eltern-Kind-Verhältnisses - nicht allein um ein Elternrecht handelt, sondern auch um ein Recht des Kindes, dem eine entsprechende Elternpflicht (nämlich mit dem Kind Kontakt zu pflegen) gegenüber steht (Stabentheiner aaO mwN). Dem Rechnung tragend, wurde mit der Neufassung des § 148 ABGB das Besuchsrecht nun explizit auch als Recht des Kindes formuliert. Zu betonen ist, dass - auch schon nach der alten Rechtslage - für die Regelung des Besuchsrechts allein das Wohl des Kindes ausschlaggebend ist (RIS-Justiz RS0047958 mit zahlreichen Entscheidungsnachweisen; vgl etwa auch RS0048062 und RS0048068).
Nach dem Wortlaut des § 148 Abs 1 und 2 ABGB aF wurde das Recht des persönlichen Verkehrs mit dem Kind an sich nur den leiblichen Eltern und den Großeltern eingeräumt (EvBl 1988/65). Schon zur bisherigen Rechtslage war allerdings anerkannt, dass einer nicht verwandten Person im Interesse des Kindes ein Besuchsrecht eingeräumt werden kann (EvBl 1988/65 = EFSlg 53.956; EFSlg 62.799; EFSlg 71.750 ua). Dieser Gedanke wurde in dem durch das KindRÄG 2001 geschaffenen Absatz 4 des § 148 ABGB aufgegriffen und weiterentwickelt. Diese Regelung knüpft an eine für das psychische Wohl des Kindes bedeutsame emotionale Beziehung zwischen dem Kind und einer nicht besuchsberechtigten Person an (RV 57 BlgNR 21. GP). Ob diese Bezugsperson mit dem Kind verwandt ist oder nicht (die RV aaO nennt etwa Tauf- oder Firmpaten oder sonstige Vertrauenspersonen), spielt keine Rolle. Maßgeblich ist nur, dass durch das Unterbleiben eines persönlichen Kontaktes zwischen dem Kind und der Bezugsperson das Kindeswohl gefährdet wäre und der Kontakt ohne gerichtliches Einschreiten nicht zustande käme, weil er durch die mit der Pflege und Erziehung betrauten Personen verhindert wird. Bei einer derartigen Ausgangslage kann das Gericht eine Regelung über den persönlichen Verkehr zwischen dem Kind und dem „Dritten" trefffen, wenn sich Letzterer zu Besuchskontakten bereit erklärt (Stabentheiner aaO Rz 5a). Antragslegitimiert sind nur das Kind, ein Elternteil und der Jugendwohlfahrtsträger, nicht aber der Dritte; dieser kann nur ein amtswegiges Vorgehen des Gerichts (das die RV aaO als Anwendungsfall des § 176 ABGB bezeichnet) anregen und hat auch keine Parteistellung; eine eigenständige, durchsetzbare Rechtsposition kommt dem Dritten also nicht zu (Stabentheiner aaO).
Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, haben die Vorinstanzen zu Recht eine Parteienstellung bzw die Antragslegitimation der Revisionsrekurswerber verneint. Nach dem klaren Gesetzeswortlaut sind ehemalige Pflegeeltern Dritte iSd § 148 Abs 4 ABGB und als solche zu behandeln.
Davon, dass - wie die Revisionsrekurswerber meinen - diese Ansicht mit der Entscheidung 7 Ob 52/02h in Widerspruch stünde, kann gar keine Rede sein. Die Revisionsrekurswerber übersehen oder setzen sich darüber hinweg, dass ihre Antrags- bzw Rechtsmittellegitimation in der genannten Entscheidung zur Frage der Obsorgeregelung in engem zeitlichen Zusammenhang zu ihrer tatsächlichen Pflege- und Erziehungstätigkeit bejaht wurde. Soweit die Revisionsrekurswerber unter Hinweis auf die genannte oberstgerichtliche Entscheidung auch den Ausführungen des Rekursgerichts entgegentreten, wonach sie nicht mehr die Pflegeeltern des mj. Felix seien, genügt es, auf die nunmehr in § 186 erster Satz ABGB nF vorgenommene Legaldefinition des Pflegeelternbegriffs zu verweisen. Danach wird eine Umschreibung des Begriffs der „Pflegeeltern" durch zwei Merkmale definiert, nämlich erstens die faktische - gänzliche oder partielle - Besorgung von Pflege und Erziehung des Kindes und zweitens das Bestehen oder die beabsichtigte Herstellung einer persönlichen Beziehung zwischen dem Kind und diesen seinen Betreuern, die an Intensität dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahe kommt. Dass diese Voraussetzungen im Hinblick darauf, dass seit nun mehr als 40 Monaten keinerlei Kontakt zwischen den Antragstellern und dem mj. Felix mehr besteht, hier schon lange nicht mehr vorliegen, bedarf keiner weiteren Erörterung. Demnach können sich die Antragsteller aber auf die (inhaltlich durch das KindRÄG 2001 nicht geänderte) Anordnung des § 186 zweiter Satz ABGB nF über die Antragslegitimation der Pflegeeltern nicht (mehr) berufen.
Unter der daher zutreffenden Annahme, dass der gegenständliche Besuchsrechtsantrag mangels Parteistellung bzw Antragslegitimation der ehemaligen Pflegeeltern demnach nur als Anregung zu einer amtswegigen Verfügung im Sinne des § 148 Abs 4 AußStrG angesehen werden kann, ist auf der Basis des von den Vorinstanzen festgestellten Sachverhalts auch deren Rechtsmeinung selbstredend zu billigen. Dass die betreffenden Ausführungen des Erstgerichts entgegen der Auffassung der Revisionsrekurswerber nicht bloß die Meinung der beigezogenen kinderpsychiatrischen Sachverständigen wiedergeben, sondern Sachverhaltsfeststellungen darstellen (sollen), liegt auf der Hand. Ebenso unzweifelhaft ist dann aber auch, dass zur Vermeidung eines sonst drohenden neuerlichen Loyalitätskonfliktes des Minderjährigen die angeregte bzw angestrebte Besuchsrechtsausübung durch die ehemaligen Pflegeeltern das - alles entscheidende - Wohl des Kindes nicht fördern, sondern gefährden würde.
Dem Revisionsrekurs ist daher ein Erfolg zu versagen.