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OGH vom 31.03.1971, 5Ob77/71

OGH vom 31.03.1971, 5Ob77/71

Norm

ABGB § 472;

ABGB § 473;

ABGB § 971;

ABGB § 1462;

Kopf

SZ 44/41

Spruch

Auch Grundstücke oder Grundstücksteile sowie Rechte an ihnen sind "unverbrauchbare Sachen" iS des § 971 ABGB. Abgrenzung zwischen Grundstücksleihe und Dienstbarkeit

Alle Sachen, an denen dem Berechtigten die Gewahrsame rechtsgeschäftlich überlassen wurden, sind gemäß § 1462 ABGB von der Ersitzung durch den Inhaber ausgeschlossen

(LGZ Wien 46 R 665/70; BG Hietzing 6 C 72/70)

Text

Der Kläger ist seit dem Jahre 1952 Eigentümer der Liegenschaft EZ X, bestehend aus der Parzelle 398/43 (mit Ausnahme einer kurzfristigen Unterbrechung im Jahre 1968). Der Rechtsvorgänger des Klägers, sein Vater, hatte diese Liegenschaft im Jahre 1922 erworben. Der Beklagten gehört die östlich angrenzende Liegenschaft EZ Y mit der Parzelle 398/29. an die östlich die der Wilhelmine P gehörige Liegenschaft EZ Z mit den Grundstücken 398/31 und 20 anschließt. Die entlang der Grundstücke 398/31 und 20 (EZ Z) in Ost-West-Richtung verlaufende S-gasse endet an der südöstlichen Ecke des Grundstücks der Beklagten derart in einem Spitz, daß sowohl die Beklagte als auch der Kläger für ihre Grundstücke keinen Zugang zum öffentlichen Gut haben. Daher führt zunächst über die südliche Ecke des Grundstücks 398/31. dann entlang der südlichen Grenze des Grundstücks 398/29 ein 1.14 m breiter Weg zum Grundstück des Klägers.

Im Jahre 1927 traf der Vater des Klägers mit dem Vater der Beklagten eine unentgeltliche Vereinbarung, wonach er diesen Weg für sich und seine Rechtsnachfolger so lange benützen dürfe, bis das Grundstück 398/43 einen eigenen Zugang zum öffentlichen Gut erhält. Der Weg wurde vom Rechtsvorgänger des Klägers, vom Kläger und seinen Besuchern als einziger Zugang zum öffentlichen Gut ständig benützt.

Das den Weg sichernde Gartentor S-gasse 16 wurde nachts versperrt. Der Kläger und die Beklagte hatten einen Schlüssel dazu. Seit dem Jahre 1966 oder 1967 begann die Beklagte, das Tor auch während des Tages abzusperren. Im Jahre 1968 brachte die Beklagte eine Kette und ein Vorhängeschloß am Gartentor an, so daß der Durchgangsweg nicht benützt werden konnte. Auf Grund einer am eingebrachten Klage wurde die Beklagte mit Urteil des BG Hietzing v (bestätigt mit Urteil des LGZ Wien als Berufungsgericht v ) schuldig erkannt, das am Gartentor S-gasse angebrachte Vorhängeschloß samt Kette zu entfernen, den Zugang zum Grundstück EZ X durch das Gartentor S-gasse 16 durch den Kläger zu dulden und sich jeder weiteren Behinderung dieses Zuganges zu enthalten.

Nach der Zustellung der Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz im Vorverfahren ließ sich die Beklagte von Dr Emst G beraten, doch kam es zu keiner Bevollmächtigung. Dr G hatte der Beklagten den Rat erteilt einem Verbücherungsbegehren des Klägers zuzustimmen, was jedoch die Beklagte ablehnte. Den vom Kläger vorbereiteten Vertragsentwurf, in dem die Verbücherung des Wegerechtes und eine zeitliche Begrenzung der Dienstbarkeit bis zu dem Zeitpunkt, zu dem das Grundstück des Klägers einen Zugang zum öffentlichen Gut erhält, vorgeschlagen wurde, stimmte die Beklagte nicht zu.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger, die Beklagte schuldig zu erkennen, in die Einverleibung der Dienstbarkeit des Gehweges über das Grundstück 398/29 Baustelle 20 Garten der EZ Y zugunsten des Grundstücks 398/43 Baustelle 20 a der EZ X auf Grund des Lageplanes des Prof Dr S v in dem dort bezeichneten Umfang A, J, H, G, D einzuwilligen und ihre Zustimmung zu erteilen, daß diese Dienstbarkeit im Lastenblatt der EZ Y als dem dienenden Gut eingetragen und das diesbezügliche Recht im Gutsbestandsblatt der EZ X als dem herrschenden Gut ersichtlich gemacht werde. Ferner wird das Eventualbegehren gestellt, die Beklagte sei schuldig, nachstehenden Vertrag zu unterfertigen:

1. Die Beklagte erteilt ihre Einwilligung zur Einverleibung der Dienstbarkeit des Gehweges über das Grundstück 398/29 Baustelle 20 Garten der EZ Y zugunsten des Grundstücks 398/43 Baustelle 20 a der EZ X und bewilligt, daß diese Dienstbarkeit im Lastenblatt der EZ Y als dem dienenden Gut eingetragen und das diesbezügliche Recht im Gutsbestandsblatt der EZ X als dem herrschenden Gut ersichtlich gemacht werde.

2. Der Gehweg über das Grundstück 398/29 ist in beigefügter Skizze durch eine schraffierte Fläche gekennzeichnet.

3. Der Servitutsberechtigte und dessen Rechtsnachfolger verpflichten sich für den Fall, daß das herrschende Grundstück 398/43 Baustelle 20 a der EZ X einen direkten Zugang zum öffentlichen Gut erhält, die in P 1 näher bezeichnete Dienstbarkeit im Lastenblatt der EZ Y als dem dienenden Gut zu löschen und eine einverleibungsfähige Löschungsurkunde zu unterfertigen.

Die Klage wird darauf gestützt, daß zwischen den Streitteilen nach der Beendigung des Verfahrens des BG Hietzing eine Vereinbarung über die Einräumung einer Dienstbarkeit zustande gekommen sei und daß der Kläger die Dienstbarkeit ersessen habe.

Die Beklagte wendete ein, die Benützung des gegenständlichen Weges durch den Kläger erfolge auf Grund einer zwischen den Rechtsvorgängern der Streitteile geschlossenen Vereinbarung, die nicht verbücherungsfähig sei. Die Vereinbarung habe eine Ersitzung des Wegerechtes ausgeschlossen. Es liege auch keine ununterbrochene Benützung des Weges während eines Zeitraumes von 30 Jahren vor.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es ging davon aus, daß zwar nach der Beendigung des Vorprozesses zwischen den Streitteilen keine Vereinbarung über die Verbücherung einer Dienstbarkeit zustande gekommen sei, doch besitze der Kläger auf Grund der von der Beklagten anerkannten, rechtswirksamen Vereinbarung zwischen den Rechtsvorgängern der Streitteile über die Einräumung der Dienstbarkeit des Wegerechtes einen Anspruch auf Verbücherung der Dienstbarkeit. Der Kläger habe aber auch auf Grund der Ersitzung des Wegerechtes einen Anspruch auf Verbücherung der Servitut.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Prozeßgerichtes und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 15.000- übersteigt. Das Gericht zweiter Instanz übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen zur Gänze. Rechtlich würdigte das Berufungsgericht den Sachverhalt dahin, daß der Kläger seinen Anspruch nur auf eine nicht zustande gekommene Vereinbarung aus dem Jahre 1969 und die Ersitzung gestützt habe. Aus § 480 ABGB könne aber nicht gefolgert werden, daß die Ersitzung durch das Vorliegen eines anderen Titels ausgeschlossen werde. Auch die im Jahre 1927 vereinbarte auflösende Bedingung, daß die Dienstbarkeit erlöschen solle, wenn der Kläger einen eigenen Zugang zum öffentlichen Gut erlange, schließe weder die Rechtmäßigkeit noch die Redlichkeit des Besitzes aus. Das auflösend bedingte Recht könne auch als unbedingtes Recht verbüchert werden. Es sei Sache der Beklagten, in Zukunft ein allfälliges Erlöschen des ersessenen Rechtes geltend zu machen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten Folge und wies das Haupt- und das Eventualbegehren des Klägers ab.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Was die von der Beklagten aufgeworfene Frage anlangt, ob die Ausübung des Wegerechtes durch den Kläger auf einem Leihvertrag beruht, der gemäß § 1462 ABGB die Ersitzung einer Dienstbarkeit ausschließt, so setzt ein Leihvertrag nach § 971 ABGB voraus, daß jemandem eine unverbrauchbare Sache zum unentgeltlichen Gebrauch auf eine bestimmte Zeit übergeben wird. Zu den unverbrauchbaren Sachen zählen wohl, wie der OGH in Übereinstimmung mit dem Schrifttum (Stanzl in Klang; IV/1, 679, 681; Swoboda, Das Recht der Schuldverhältnisse[2], 221) ausgesprochen hat (GlU 7410), auch Grundstücke oder Grundstücksteile sowie Rechte an solchen. Allein im vorliegenden Fall steht nicht die Übergabe der Sache zu einem Gebrauch im Vordergrund, sondern die Verbindlichkeit des Vaters der Beklagten und nunmehr der Beklagten, die Benützung eines bestimmten Durchganges zu dulden und die Beeinträchtigung des Durchgangsrechtes zu unterlassen (ein anderer Gebrauch könnte nicht erfolgen), so daß die für Dienstbarkeiten in Betracht kommenden Grundsätze (§§ 472 f ABGB) als maßgebend anzusehen sind. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen hat nämlich der Vater des Klägers mit dem Vater der Beklagten vereinbart, daß der Kläger und seine Rechtsnachfolger den Weg so lange unentgeltlich benützen dürfen, bis das Grundstück 398/43 einen eigenen Zugang zum öffentlichen Gut erhält. Eine Verbücherung dieses Rechtes wurde aber nicht vereinbart. Es liegt somit ein Rechtsgeschäft über die obligatorische Einräumung einer Dienstbarkeit unter Setzung einer auflösenden Bedingung vor. Die Begründung obligatorischer Dienstbarkeiten ist nach dem Schrifttum (Klang[2] II 562; Gschnitzer, Sachenrecht 152) und der Rechtsprechung (ZBl 1936/221, SZ 22/189) zulässig. Nur ihr Zurechtbestehen gegenüber dem Rechtsnachfolger des Bestellers kann unter Umständen von ihrer Kenntnis abhängig sein.

Es trifft zu, daß nach § 1462 ABGB nur verpfändete, geliehene, in Verwahrung oder zur Fruchtnießung gegebenen Sachen von den Gläubigern, Entlehnern, Verwahrern oder Fruchtnießern aus Mangel eines rechtmäßigen Titels niemals ersessen werden können. Ihnen gleichgestellt wurden in Bestand genommene Sachen (MGA ABGB[28] E 1 zu § 1462) und andere Sachen, an denen dem Berechtigten die Gewahrsame rechtsgeschäftlich überlassen wurde. Der Inhaber kann nämlich auch nicht in der Frist des § 1477 ABGB ersitzen (Klang[2] VI 597). Wem auf Grund eines Rechtsgeschäftes eine Sache oder ein Recht überlassen wurde, dem fehlt auch die bei der längeren Ersitzungszeit erforderliche Redlichkeit des Besitzes. Er könnte sich auf Grund der getroffenen Vereinbarungen gemäß § 326 ABGB nicht aus wahrscheinlichen Gründen für den Berechtigten halten. Eigenmächtig aber konnten der Kläger oder sein Vater als Rechtsvorgänger den Grund ihrer Gewahrsame nicht wechseln (§ 319 ABGB). Daß der Kläger oder bereits früher sein Vater Erklärungen abgegeben oder Handlungen gesetzt hätten, die eine Änderung ihrer Gewahrsame erkennen ließen, wurde weder behauptet, noch sind solche Umstände im Verfahren hervorgekommen.

Konnte aber der Kläger die Dienstbarkeit nicht ersitzen und wurde ihm rechtsgeschäftlich nur ein obligatorischer, nicht zu verbüchernder Anspruch eingeräumt, dann ist seinem auf Verbücherung einer Dienstbarkeit gerichteten Begehren der Boden entzogen. Nicht gerechtfertigt ist aber auch das Eventualbegehren des Klägers. Ein Vertrag über die Verbücherung einer Dienstbarkeit des Klägers kam nach den Feststellungen der Untergerichte nicht zustande. Die behauptete Ersitzung aber würde die Beklagte nicht verpflichten, in den Abschluß eines Vertrages mit dem Kläger einzuwilligen.

Dem steht auch nicht entgegen, daß die Beklagte im Vorprozeß verhalten wurde, das am Gartentor angebrachte Vorhängeschloß samt Kette zu entfernen, den Zugang zum Grundstück EZ X durch das Gartentor durch den Kläger zu dulden und sich jeder weiteren Behinderung dieses Zuganges zu enthalten; daraus ergibt sich noch kein Anspruch des Klägers auf Verbücherung des ihm eingeräumten Rechtes. Über die Frage der Ersitzung aber wurde nur als Vorfrage erkannt, so daß eine Bindung daran nicht besteht.

Der Revision war somit aus den aufgezeigten Gründen Folge zu geben; die Urteile der Vorinstanzen waren iS der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.