OGH 24.05.2005, 4Ob86/05h
Rechtssatz
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Normen | |
RS0119885 | Die Frage, ob technische Änderungen einer geplanten Bauführung eine Neuausschreibung notwendig machen, ist eine Rechtsfrage. Machen es die technischen Änderungen notwendig, über eine Änderung des Angebots in wesentlichen Punkten zu verhandeln, um den Auftrag aufgrund der Ergebnisse des ersten Vergabeverfahrens erteilen zu können, so kann der Ausschreibende die davon betroffenen Arbeiten neu ausschreiben, auch wenn es grundsätzlich möglich wäre, das Angebot im Verhandlungsweg den geänderten Erfordernissen anzupassen. |
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß als Vorsitzende und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Gitschthaler als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Franz Gütlbauer und Dr.Siegfried Sieghartsleitner, Rechtsanwälte in Wels, wider die beklagte Partei Marktgemeinde B*****, vertreten durch Dr.Gerhard Götschhofer, Rechtsanwalt in Vorchdorf, und des Nebenintervenienten auf Seite der beklagten Partei Architekt Dipl.-Ing. Herbert S***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Alois Nussbaumer und andere Rechtsanwälte in Vöcklabruck, wegen 4.745,54 EUR sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom , GZ 22 R 356/04s-50, mit dem infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Lambach vom , GZ 2 C 711/02f-46, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei und der Nebenintervenientin auf Seite der beklagten Partei die mit je 399,74 EUR (darin 66,62 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die beklagte Gemeinde beabsichtigte, ein neues Feuerwehrhaus zu errichten. Sie beauftragte die Nebenintervenientin unter anderem mit der Planung und Durchführung der Ausschreibung. Nach der Kostenschätzung für das Projekt vom Mai 1998 betrugen die Gesamtbaukosten 12,2 Mio S. Die Ausschreibung der Zimmermannsarbeiten erfolgte im Jänner 1999 unter Zugrundelegung der Ö-Normen A 2050 (Ausgabe 1993-01) und B 2110 (Ausgabe 1995-03); es handelte sich um eine beschränkte Ausschreibung gemäß Punkt 1.4.1.2 Ö-Norm A 2050, bei der fünf Unternehmen - darunter die Klägerin - zur Abgabe von Angeboten eingeladen wurden. Die Ausschreibung enthielt unter anderem folgende Bestimmungen:
„ (...) Sie versichern somit:
- alle für Ihre Kalkulation erforderlichen Angaben, die für eine betriebsfertige Übergabe des Objekts erforderlich sind, berücksichtigt zu haben;
- im Falle eines Auftrags die zur Abwicklung erforderlichen Baustoffe und Arbeitskräfte zur Verfügung zu haben und für dieses Objekt einzusetzen;
- mit den Betriebssteuern und Sozialversicherungsbeiträgen nicht im Rückstand zu sein und
- mit dem Angebot 6 Wochen im Wort zu bleiben.
(...) Mehr- oder Minderleistungen beeinflussen im Allgemeinen die vereinbarten Preise nicht. In besonderen Fällen müssen jedoch vor Abschluss des Werkvertrags schriftliche Vereinbarungen hierüber getroffen werden (Ö-Norm A 2050, Punkt 2, 2332 und 2, 2333).
(...) Die angebotenen Preise sind Festpreise.
(...) Der Auftraggeber behält sich vor, Teile der ausgeschriebenen Leistung in Eigenleistung zu erbringen. Hiedurch dürfen sich die Kalkulationsgrundlage bzw. die Einheitspreise nicht ändern. (...)"
Das den eingeladenen Unternehmen übermittelte Leistungsverzeichnis umfasste neben den reinen Zimmermannsarbeiten betreffend Dachstuhl, Dachschalung und Vordeckung auch Trockenbauarbeiten betreffend Deckenverkleidungen und abgehängte Decken. Der Planung lag das technische Konzept eines Sparrendaches auf Pfetten samt Trockenausbau zugrunde. Bei der Angebotsöffnung am ergaben sich Gesamtkosten von 14,34 Mio S. Bei den Zimmermeisterarbeiten war Johann H***** mit einem Gesamtpreis von 379.903,20 S (ohne Rechenfehler 385.939,20 S) brutto Billigstbieter. Zweitbilligster Anbieter bei diesem Gewerk war die Klägerin mit einem Gesamtpreis von 391.800 S. Mit Schreiben vom widerrief die Nebenintervenientin die Ausschreibung für das Gewerk Zimmermeisterarbeiten und nannte als Gründe eine wesentliche, nachträgliche konstruktive Änderung: Das neue technische Konzept sah ein Sparrendach auf einer schrägen Stahlbetondecke vor, wodurch die Trockenausbauleistungen entfielen. Bei der nachfolgenden zweiten Ausschreibung ging unter sechs anbietenden Unternehmen wiederum Johann H***** als Billigstbieter mit einem Gesamtpreis von 155.164,80 S (ohne Rechenfehler 155.764,80 S) brutto hervor. Die Klägerin war bei dieser zweiten Ausschreibung drittbilligster Anbieter mit einem Gesamtpreis von 198.880,80 S brutto. Im Zeitpunkt der Abgabe des ersten Anbots verfügte der Billigstbieter nicht über die notwendige Gewerbeberechtigung, weil er damals sein Gewerbe ruhend gemeldet und keine Angestellten hatte.
Bei der Neuausschreibung wurde die Angebotsfrist bis gesetzt. Es wurden nur die Zimmermannsarbeiten neu ausgeschrieben, nicht auch die anderen Gewerke. Mit den jeweiligen Bestbietern der anderen Gewerke wurden Preisverhandlungen wegen einer Reduktion der Angebotssummen geführt. Nach Öffnung der Angebote nach Neuausschreibung der Zimmermeisterarbeiten am beschloss der Gemeinderat über Vorschlag des Geschäftsführers der Nebenintervenientin, den Auftrag an den Billigstbieter zu vergeben. Der Billigstbieter hatte zur Zeit der zweiten Ausschreibung sein Zimmermeistergewerbe wieder angemeldet. Aus technischer Sicht war weder zur Zeit der ersten noch der zweiten Ausschreibung die Leistungsfähigkeit des Billigstbieters gegeben. Die der zweiten Ausschreibung zu Grunde liegende neue technische Konzeption führte zu einer Änderung der Dimension der Dachsparren, was mit einer Kostenreduktion der Zimmermannsarbeiten, jedoch einer Verteuerung der Baumeisterarbeiten verbunden war. Die Anbieter haben bei den Ausschreibungen eine ausdrückliche schriftliche Erklärung darüber, dass sie die Bestimmungen der Ausschreibung kennen und befugt sind, die ausgeschriebene Leistung zu erbringen, nicht vorgelegt.
Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage 65.300 S (= 4.745,54 EUR) sA aus dem Titel des Schadenersatzes. Unter Bedachtnahme auf die Vergabekriterien sei sie als Bestbieterin aus dem ersten Vergabeverfahren hervorgegangen. Die Beklagte habe diese Ausschreibung rechtswidrig widerrufen und eine Neuausschreibung durchgeführt, nach der der Auftrag anderweitig vergeben worden sei. Das Angebot des Billigstbieters wäre bei der ersten Ausschreibung auszuscheiden gewesen, weil dieser damals über keine aufrechte Gewerbeberechtigung und auch nicht über die erforderliche Leistungsfähigkeit verfügt habe. Ein zwingender Grund für den Widerruf der Ausschreibung sei nicht vorgelegen. Die Umplanung sei nur deshalb erfolgt, um dem ortsansässigen Billigstbieter Gelegenheit zu geben, zwischenzeitig die Gewerbeberechtigung zu erlangen. Allfällige Kostenüberschreitungen seien kein zwingender Grund für den Widerruf der ersten Ausschreibung. Die Beklagte wäre gemäß Ö-Norm B 2110 Punkt 3.23.6 verpflichtet gewesen, über Anpassungen des Leistungsumfangs mit der Klägerin zu verhandeln. Die Beklagte habe auch mit anderen Unternehmen Verhandlungen wegen Änderungen geführt. Bei Einhaltung der Vergabenormen hätte der Klägerin der Zuschlag erteilt werden müssen, sodass sie Anspruch auf Ersatz ihres Nichterfüllungsschadens habe.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Widerruf der ersten Ausschreibung sei nicht rechtswidrig erfolgt. Nach der ersten Ausschreibung habe sich eine wesentliche Überschreitung des vorgegebenen Kostenrahmens für das Gesamtobjekt ergeben. Bei der Finanzierung habe aber von den - von der Landesregierung vorgegebenen - Gesamtbaukosten ausgegangen werden müssen, sodass ein zwingender Grund für den Widerruf vorgelegen sei. Unter anderem habe auch die wesentliche konstruktive Änderung beim Dach des Nebentrakts des Feuerwehrgebäudes zur Verminderung der Kosten geführt. Das Leistungsverzeichnis für die Zimmermannsarbeiten habe geändert werden müssen; die nach der ersten Ausschreibung vorliegenden Angebote seien für eine objektive Vergabe nicht mehr geeignet gewesen.
Die auf Seiten der Beklagten beigetretene Nebenintervenientin wandte ein, dass Kostenüberschreitungen und nachträglich hervorgekommene Einsparungsmöglichkeiten zwingende Gründe für einen Widerruf der Ausschreibung gewesen seien. Es sei auch zu einer Änderung des Leistungsinhalts gekommen. Die Finanzierung des Baus sei nach den Ergebnissen der ersten Ausschreibung nicht gesichert gewesen. Zur Reduktion der Kosten habe man auch die Dachkonstruktion geändert, wodurch die Zimmermannsarbeiten neu ausgeschrieben hätten werden müssen.
Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil aus, dass das Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe. Das Volumen des Bauvorhabens erreiche den Schwellenwert des Oö. Vergabegesetzes nicht, sodass Schadenersatzsprüche unmittelbar beim ordentlichen Gericht geltend gemacht werden könnten. Die Einhaltung der Vergabebestimmungen dienten vor allem dem Schutz der Bieter vor unlauterer Vorgangsweise bei der Vergabe. Die Missachtung des Gleichbehandlungsgebots, dem der öffentliche Auftraggeber verpflichtet sei, habe bei Verschulden die Verpflichtung zum Schadenersatz zur Folge. Ein zwingender Grund, die Ausschreibung zu widerrufen, sei nicht vorgelegen. Das Angebot des Bestbieters bei der ersten Ausschreibung wäre auszuscheiden gewesen, weil er damals sein Gewerbe ruhend gemeldet habe. Es wäre sodann die Klägerin zum Zug gekommen. Dass sie die Erklärung, die Bestimmungen der Ausschreibung zu kennen und befugt zu sein, die ausgeschriebene Leistung zu erbringen, sowie sich bis zum Ablauf der Zuschlagsfrist an ihr Angebot gebunden zu erachten, nicht abgegeben habe, schade nicht, weil keiner der Anbieter eine derartige Erklärung abgegeben habe. Der Schadenersatzanspruch der Klägerin bestehe somit wegen Verletzung von Vergabevorschriften dem Grunde nach zu Recht.
Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, dass es das Klagebegehren mit Endurteil abwies; es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob ein Widerruf der Ausschreibung nach Ablauf der Angebotsfrist nur hinsichtlich eines bestimmten Gewerks eines Bauvorhabens wegen Überschreitung der vorgesehenen Kosten des Gesamtprojekts auch dann berechtigt sei, wenn dadurch allein die notwendigen Einsparungen für das Gesamtprojekt nicht erzielt werden könnten. Die öffentliche Hand habe bei der Auftragsvergabe im Rahmen einer Ausschreibung im Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung auch außerhalb gesetzlicher oder verwaltungsinterner Vergabenormen alle Bieter gleich zu behandeln. Bei Verletzung des Gleichheitsgebots sei dem übergangenen Bestbieter das Erfüllungsinteresse zu ersetzen, vorausgesetzt, ihm hätte der Zuschlag erteilt werden müssen. Die Klägerin mache einen solchen Anspruch auf Ersatz des Erfüllungsinteresses geltend. Es besteht kein Zweifel, dass bei der ersten Ausschreibung das Angebot des Billigstbieters auszuscheiden gewesen wäre, weil er im Zeitpunkt der Angebotsöffnung zur Erbringung der Leistungen nicht befugt gewesen sei. Es wäre dann die Klägerin zum Zug gekommen. Selbst wenn eine Erklärung der Klägerin in ihrem Angebot gefehlt hätte, wäre dies kein Ausscheidungsgrund für ihr Angebot gewesen. Einem Bieter sei nämlich Gelegenheit zu geben, Unklarheiten oder Mängel seines Angebots aufzuklären. Wenn die Ausschreibung nicht widerrufen worden wäre, hätte die Beklagte daher von der Klägerin entsprechende Aufklärung verlangen müssen. Der Zuspruch des Erfüllungsinteresses setzte voraus, dass die Beklagte die erste Ausschreibung unberechtigt widerrufen habe. Solches sei hier nicht der Fall. Nach der ersten Ausschreibung habe sich eine Überschreitung der vorgesehenen Gesamtbaukosten um mehr als 2 Mio S ergeben. Die Beklagte sei daher unter Beachtung des Grundsatzes der sparsamsten Verwendung öffentlicher Mittel gezwungen gewesen, nach Einsparungsmöglichkeiten zu suchen. Eine Einsparungsmöglichkeit habe sich durch Änderung der vorgesehenen Dachkonstruktion (Ausführung einer schrägen Massivdecke über dem Obergeschoß) ergeben. Die Beklagte sei daher zum Widerruf der Ausschreibung der Zimmermeisterarbeiten berechtigt gewesen. Daran ändere auch nichts, dass die Ausschreibung hinsichtlich der anderen Gewerke nicht widerrufen worden sei, sondern die Beklagte mit den Bestbietern dieser Gewerke jeweils Preisverhandlungen im Hinblick auf eine Reduktion der Angebotssummen geführt habe; es genüge, dass es hinsichtlich der ausgeschriebenen Zimmermannsarbeiten nach der ersten Ausschreibung zu einer wesentlichen Einschränkung des Leistungsumfangs gekommen sei. Eine Vergabe an die Klägerin im reduzierten Leistungsumfang wäre ohne Neuausschreibung keinesfalls zulässig gewesen; ein Zuschlag in Teilen einer ausgeschriebenen Gesamtleistung sei nämlich grundsätzlich unzulässig. Allfällige Verstöße der Beklagten gegen die Grundsätze des Vergabeverfahrens bei den Verhandlungen mit den Bestbietern der anderen Gewerke führten nicht zur Unzulässigkeit des Widerrufs der ersten Ausschreibung über die Zimmermannsarbeiten, bei denen es aus zwingenden Gründen (Kostenreduktion) zu einer Änderung des Leistungsverzeichnisses gekommen sei. Die Klägerin habe im Übrigen gar nicht behauptet, dass die Verteuerung bei den Baumeisterarbeiten die Kostenreduktion bei den Zimmermannsarbeiten zur Gänze aufgehoben hätte. Mangels Rechtswidrigkeit des Widerrufs sei das Begehren abzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem Berufungsgericht angeführten Gründen zulässig; das Rechtsmittel ist aber nicht berechtigt.
Die Klägerin bekämpft die Auffassung des Berufungsgerichts, der Widerruf der Ausschreibung sei auf Grund der durch Umplanung der Dachkonstruktion erzielbaren Kosteneinsparung berechtigt gewesen; es sei nämlich unberücksichtigt geblieben, dass die Konstruktionsänderung höhere Kosten für Baumeisterarbeiten nach sich gezogen habe und damit nicht geeignet gewesen sei, eine Kostenreduktion herbeizuführen. Es reiche für die Berechtigung zum Widerruf einer Ausschreibung nicht aus, bei einem Teilgewerk im Rahmen eines Gesamtprojekts Einsparungen erzielen zu können, wenn dies nicht zu einer Verbilligung des Bauvorhabens insgesamt führe. Dazu ist zu erwägen:
Die Klägerin begehrt den Ersatz des Erfüllungsinteresses infolge behaupteter Rechtswidrigkeit des Widerrufs der ersten Ausschreibung betreffend das Gewerk Zimmermannsarbeiten. Nicht mehr strittig ist, dass das Angebot des Billigstbieters bei der ersten Ausschreibung mangels Befugnis und Leistungsfähigkeit auszuscheiden gewesen wäre, wodurch die Klägerin als zweitbilligste Anbieterin zum Zug gekommen wäre. Damit hängt die Entscheidung von der Frage ab, ob wichtige Gründe vorlagen, die die Beklagte zum Widerruf der Ausschreibung über die Zimmermannsarbeiten berechtigt haben.
Da das von der beklagten Gemeinde ausgeschriebene Bauprojekt den Schwellenwert nach dem Oö Vergabegesetz in der zum Zeitpunkt der Ausschreibung geltenden Fassung nicht überschritt, sind für das hier zu beurteilende Vergabeverfahren die Vorschriften der - der Ausschreibung auch zugrunde gelegten – Ö-NORM 2050 im Zusammenhalt mit den von der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Grundsätzen für die Auftragsvergabe der öffentlichen Hand, darunter insbesondere dem Gebot der Gleichbehandlung (vgl RIS-Justiz RS0030349), maßgeblich. Die Frage, ob die Beklagte zum (teilweisen) Widerruf der Ausschreibung berechtigt war, ist dabei nach denselben Gesichtspunkten zu beantworten, die auch den gesetzlichen Bestimmungen zu Grunde liegen.
Die Beklagte hat den Widerruf der Ausschreibung einerseits damit begründet, dass die Angebote auf Grund der ersten Ausschreibung wegen der konstruktiven Änderungen nicht mehr geeignet gewesen seien, als Grundlage für die Erteilung des Auftrags zu dienen, andererseits damit, dass eine Reduzierung der Kosten notwendig gewesen sei.
Gem § 105 Abs 1 BVergG 2002 ist die Ausschreibung nach Ablauf der Angebotsfrist zu widerrufen, wenn Umstände bekannt werden, die, wären sie schon vor der Ausschreibung bekannt gewesen, eine Ausschreibung ausgeschlossen oder zu einer inhaltlich wesentlich anderen Ausschreibung geführt hätten. Nach Abs 2 Z 3 leg. cit. kann die Ausschreibung widerrufen werden, wenn andere für den Auftraggeber schwerwiegende Gründe bestehen, die den Widerruf sachlich rechtfertigen.
Problematisch ist in diesem Zusammenhang, ob das Überschreiten der vom Auftraggeber geschätzten Auftragssumme den Widerruf der Ausschreibung zu rechtfertigen vermag (Estermann in Heid/Preslmayr, Handbuch Vergaberecht² 421). Nach den Materialien (zitiert bei Schwartz, BVergG § 105 Rz 4) ist die mangelnde budgetäre Bedeckung, weil die Angebotspreise trotz sorgfältiger Auftragswertschätzung über dem Ansatz liegen, ein zwingender Widerrufsgrund. Berechtigte Widerrufsgründe können auch auch dann vorliegen, wenn sie vom Auftraggeber selbst schuldhaft verursacht wurden (Materialien, abgedruckt bei König/Reichel-Holzer, BVergG 307).
In diesem Sinne hat auch der Oberste Gerichtshof schon wiederholt ausgesprochen, dass die Frage, ob ein zwingender Grund für den Widerruf der Ausschreibung nach Ablauf der Angebotsfrist vorliegt, nur nach objektiven Kriterien zu lösen ist. Der Auftraggeber muss eine Ausschreibung nämlich auch dann widerrufen können, wenn nach deren Beginn schwerwiegende, schon vor Beginn von ihm fahrlässig verursachte Fehler hervorkommen, deren mangelnde Korrektur dem Grundsatz der sparsamsten Verwendung öffentlicher Mittel zuwiderlaufen könnte. Das in einer Nachlässigkeit bestehende Verschulden des Auftraggebers an einem wesentlichen Mangel der Ausschreibung ist somit nicht geeignet, einem der Bieter zu Lasten eines schutzwürdigen Interesses des Auftraggebers, insbesondere aber auch zu Lasten der Interessen aller anderen in Betracht kommenden Bietinteressenten eine gesicherte Rechtsposition als Bestbieter zu verschaffen und damit die nach rein objektiven Kriterien gebotene Neuausschreibung zu verwehren, bei der sich durch den erneuten Angebotswettbewerb zum einen eine für die sparsame Verwendung öffentlicher Mittel günstige Änderung des Preis-Leistungs-Verhältnisses ergeben könnte, zum anderen aber auch jeder Unternehmer, der sich nunmehr am Angebotswettbewerb beteiligen will, die Chance hätte, die Position des Bestbieters zu erlangen (1 Ob 284/01y = SZ 74/198; 1 Ob 110/02m = EvBl 2003/130 S 611; RIS-Justiz RS0116124).
Auch nach Auffassung des VwGH kann die erhebliche Überschreitung einer mangelhaften internen Kostenschätzung den Widerruf rechtfertigen (VwGF , 2001/04/0106; ähnlich UVS Vorarlberg RPA 2003, 43, wonach es für den Auftraggeber unzumutbar sei, an einer Ausschreibung festzuhalten, wenn die eingelangten Angebote ganz erheblich über dem zur Verfügung stehenden Kostenrahmen liegen).
Dieser Frage muss jedoch hier nicht weiter nachgegangen werden. Die Beklagte hat nämlich nach den Feststellungen die Differenz zwischen den veranschlagten Gesamtbaukosten von 12,2 Mio S und den Kosten von 14,3 Mio S auf Grund der ersten Ausschreibung zum Anlass einer teilweisen Umplanung genommen, von der in erster Linie die Zimmermannsarbeiten betroffen waren. Fest steht weiters, dass infolge der Änderung der Dachkonstruktion das Gesamtausmaß der Zimmermannsarbeiten um rund die Hälfte reduziert werden konnte, was eine Senkung des Kostenaufwands bei der zweiten Ausschreibung (gemessen am Billigstbieter) auf 40 % der Angebotssumme der ersten Ausschreibung zur Folge hatte.
Die Frage, ob technische Änderungen einer geplanten Bauführung eine Neuausschreibung notwendig machen, ist eine Rechtsfrage. Im vorliegenden Fall haben sich Art und Umfang der Zimmermannsarbeiten durch die Neukonstruktion des Daches erheblich geändert. Das hätte es notwendig gemachten, über eine Änderung des Angebots in wesentlichen Punkten zu verhandeln, um den Auftrag aufgrund der Ergebnisse des ersten Vergabeverfahrens erteilen zu können. Dabei ist zu beachten, dass die auf Gleichbehandlung ausgerichteten Vergabegrundsätze verletzt werden, wenn durch Herausnahme eines Teils der Arbeiten eine Neubewertung vorgenommen wird. Der Ausschreibende greift damit (einseitig) in die Anbotsinhalte ein und kann so unter Umständen durch gezielte Streichungen die Reihung der Angebotssumme verändern (10 Ob 212/98v = SZ 71/133 ua). Bei erheblichen technischen Änderungen der geplanten Bauführung muss sich der Ausschreibende daher dafür entscheiden können, die davon betroffenen Arbeiten neu auszuschreiben, auch wenn es grundsätzlich möglich wäre, das Angebot im Verhandlungsweg den geänderten Erfordernissen anzupassen.
Daraus folgt im Anlassfall, dass die aus Einsparungsgründen von der Beklagten gewählten technischen Änderungen die Neuausschreibung der Zimmermannsarbeiten jedenfalls gerechtfertigt haben. Dass die Änderung der Dachkonstruktion nach den Feststellungen zugleich eine Verteuerung der Baumeisterarbeiten mit sich brachte - worauf die Rechtsmittelwerberin zutreffend hinweist -, spielt dann aber keine Rolle mehr.
War die Beklagte demnach unter den aufgezeigten Umständen zum Widerruf der ersten Ausschreibung berechtigt, scheitert der geltend gemachte Schadenersatzanspruch schon an der fehlenden Rechtswidrigkeit des Verhaltens der Beklagten.
Der Revision ist ein Erfolg zu versagen.
Der Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 Abs 1, 50 ZPO. Gem § 15 RATG gebührt dem Rechtsanwalt eine Erhöhung seiner Entschädigung, wenn er in einer Rechtssache mehrere Personen vertritt oder mehreren Personen gegenübersteht; keiner dieser Fälle liegt hier vor, weshalb kein Streitgenossenzuschlag zuzusprechen ist.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2005:0040OB00086.05H.0524.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
SAAAD-68555