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OGH vom 21.12.1995, 3Ob570/95

OGH vom 21.12.1995, 3Ob570/95

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst, Dr.Huber, Dr.Pimmer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen 1.) Susanne P*****, und 2.) Catharina-Maria P*****, vertreten durch das Amt für Jugend und Familie 11.Bezirk, Wien 11, Enkplatz 2, wegen Erhöhung des Unterhalts, infolge außerordentlichen Rekurses des Vaters Ing.Chris Elisabeth P*****, vertreten durch Dr.Elisabeth Rech, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom , GZ 43 R 449, 450/95-63, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom , GZ 7 P 302/93-43, bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen, nach Ergänzung des Verfahrens zur fällenden Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Die Eltern der am und am geborenen Kinder wurde am geschieden. Der Vater der Kinder verpflichtete sich in dem anläßlich der Scheidung geschlossenen Vergleich, den Kindern einen monatlichen Unterhaltsbetrag von je S 660,- zu bezahlen. Er unterzog sich am in der Bundesrepublik Deutschland wegen der bei ihm bestehenden Transsexualität in einer nichtöffentlichen Krankenanstalt einer vom Mann auf Frau geschlechtsangleichenden Operation. Vom zuständigen Krankenversicherungsträger begehrte er den Ersatz der Kosten, die ihm dadurch entstanden, daß er in der Zeit vom bis verschiedene Ärzte und Einrichtungen für eine psychotherapeutische Behandlung in Anspruch nahm, und ferner den Ersatz der Kosten des Aufenthalts in der Krankenanstalt und der Operation in der Höhe von zusammen S 71.448,43. Da der klagende Versicherungsträger im ersten Fall nur S 1.177,50 und im zweiten Fall nur S 14.377,- bezahlte, sind beim zuständigen Sozialgericht Verfahren über die Bezahlung von S 91.330,- und S 57.071,43 anhängig.

Am stellten die Kinder beim Erstgericht den Antrag, den Vater ab zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbetrags von S 2.200,- für das ältere und von S 1.900,- für das jüngere Kind zu verpflichten.

In seiner Stellungnahme zu dem Antrag der Kinder wies ihr Vater unter anderem auf die angeführten Behandlungs- und Krankenhauskosten hin und legte hiezu Ablichtungen von Beschlüssen des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 4. und vor, mit denen dem Sozialgericht jeweils die neuerliche Entscheidung über seine Klagen aufgetragen wurde.

Das Erstgericht erkannte den Vater unter Abweisung des Mehrbegehrens schuldig, den Kindern ab einen monatlichen Unterhaltsbetrag von je S 1.700,- zu bezahlen. Es stellte fest, daß der Vater im Monat ein Arbeitslosengeld von S 11.900,- bezieht. Wegen seiner vielen Zahlungsverpflichtungen anerkannte es einen Betrag von S 2.000,- im Monat als "außergewöhnliche Belastung" und legte der Unterhaltsbemessung daher ein monatliches Einkommen von S 9.900,-

zugrunde. Hievon hielt es einen Unterhaltsanspruch der Kinder von je 18 % für angemessen.

Das Rekursgericht bestätigte infolge Rekurses des Vaters diesen Beschluß des Erstgerichtes und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes und führte weiters aus, daß der Vater im Verfahren erster Instanz Kosten für Psychotherapie und für seine Geschlechtsumwandlung nicht "eingewendet" habe. Der im Rekurs von ihm nunmehr geltend gemachte Betrag von S 150.000,- beziehe sich außerdem nicht auf den maßgebenden Zeitraum ab und sei deshalb für die Unterhaltsbemessung ohne Bedeutung. Schließlich beträfen solche Auslagen den höchstpersönlichen Gestaltungs- und Risikobereich des Vaters und könnten daher nicht zu Lasten der Unterhaltsberechtigten gehen.

Rechtliche Beurteilung

Der vom Vater gegen diesen Beschluß des Rekursgerichtes erhobene außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig, weil zur Frage, inwieweit die durch Transsexualität des Unterhaltspflichtigen entstandenen Kosten bei der Unterhaltsbemessung zu berücksichtigen sind, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehlt; er ist auch berechtigt.

Auszugehen ist davon, daß ein krankheitsbedingter Mehraufwand, den der Unterhaltsschuldner zu tragen hat, die Unterhaltsbemessungsgrundlage verringert (vgl EF 71.200; Schlemmer/Schwimann in Schwimann Rz 64 zu § 140 unter Hinweis auf die Rechtsprechung der Gerichte zweiter Instanz). Entscheidend ist also, ob die Transsexualität, die beim Vater des Kindes bestand, als Krankheit zu werten ist. Hiezu ergibt sich aus der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom BSGE 63, 83, daß eine Krankheit dann vorliegt, wenn die innere Spannung zwischen dem körperlichen Geschlecht und der seelischen Identifizierung mit dem anderen Geschlecht so ausgeprägt ist, daß nur durch die Beseitigung dieser Spannung schwere Symptome psychischer Krankheiten behoben oder gelindert werden.

Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung, die, soweit überblickbar, auch im Schrifttum der Bundesrepublik Deutschland geteilt wird (vgl Figge, Sozialversicherungs-Handbuch, Leistungsrecht 4.1.1.2.7, an. Liegt eine Krankheit in dem dargestellten Sinn vor, so ist bei der Unterhaltsfestsetzung nicht nur der durch eine Operation (siehe hiezu Nevinny-Stickel/Hammerstein in NJW 1967, 665 f) verursachte Mehraufwand, sondern es ist auch der Mehraufwand zu berücksichtigen, der durch eine erfolgversprechende, zur Linderung der Symptome geeignete psychoterapeutische Behandlung entsteht. Bei der Lösung der Frage, ob auf einen solchen Aufwand Bedacht zu nehmen ist, kommt es nicht auf die (strengen) Kriterien an, die Voraussetzung für den Ersatz der Kosten durch den Krankenversicherungsträger sind (vgl § 133 Abs 2 ASVG), also vor allem nicht allein darauf, ob die Behandlung in einer inländischen Krankenanstalt, die im Sinn des § 338 Abs 3 ASVG Vertragspartner eines Trägers der Sozialversicherung ist, ausreichend und zumutbar gewesen wäre, und die Behandlung in einer ausländischen nichtöffentlichen Krankenanstalt das Maß des Notwendigen überschreitet, weshalb die Voraussetzungen für den Ersatz der Kosten nach § 131 Abs 1 ASVG nicht gegeben sind. Für die Bemessung des Unterhalts ist vielmehr entscheidend, ob auch ein verantwortungsbewußter Elternteil unter Berücksichtigung seiner Vermögenslage und seiner Unterhaltspflichten diesen Aufwand gemacht hätte. Dabei wird zwar auch eine Rolle spielen, ob dem Unterhaltspflichtigen die Behandlung in einer inländischen öffentlichen Krankenanstalt im Hinblick auf seine psychische Situation und allenfalls der Ratschläge der ihm behandelnden Psychotherapeuten zumutbar gewesen wäre. Gleichfalls wird nicht außer Betracht bleiben können, wenn dem Unterpflichtigen die Behandlung in einer anderen, insbesondere in einer ausländischen Krankenanstalt etwa wegen der vergleichbar größeren Erfahrung der dort tätigen Ärzte objektiv als entscheidend vorteilhafter erscheinen durfte.

Dem Rekursgericht ist allerdings darin beizupflichten, daß auch ein krankheitsbedingter Mehraufwand dann nicht zu berücksichtigen ist, wenn er endgültig vor dem Zeitpunkt bestritten wurde, für den der Unterhalt festgesetzt wird. Etwas anderes gilt aber, wenn zur Bestreitung dieses Aufwands ein Kredit in Anspruch genommen wurde. Wurden damit existenznotwendige Bedürfnisse bestritten, so sind die zur Rückzahlung des Kredits geleisteten Zahlungen bei der Unterhaltsfestsetzung zu berücksichtigen (EF 73.205; ÖA 1991, 137; vgl auch ÖA 1992, 57; RZ 1991/170 ua). Dazu gehört auch ein Kredit, der zur Bestreitung eines krankheitsbedingten Mehraufwandes diente. Aus dem Vorbringen des Vaters in seinem gegen den erstgerichtlichen Beschluß erhobenen Rekurs ergibt sich hiezu, daß die durch die Transsexualität entstandenen Kosten zumindest teilweise durch Kredite bezahlt wurden. Auf dieses Vorbringen ist Bedacht zu nehmen, weil der unterhaltspflichtige Vater entgegen der Meinung des Rekursgerichtes schon im Verfahren erster Instanz den durch die Transsexualität verursachten Mehraufwand zumindest der Sache nach geltend gemacht hat und sein Rekursvorbringen daher nur die Ergänzung eines bereits im Verfahren erster Instanz erstatteten Vorbringens bedeutet (vgl ÖA 1992, 145/U 59; EvBl 1992/54; EF 58.246 ua).

Ohne Bedeutung ist entgegen der Meinung der Vorinstanzen, daß der Vater vom zuständigen Krankenversicherungsträger den Ersatz der angeführten Kosten begehrt hat und daß hierüber noch ein sozialgerichtliches Verfahren anhängig ist. So lange ihm die Kosten nicht ersetzt wurden, sind sie selbst und die damit im Zusammenhang stehenden Kreditrückzahlungen Aufwendungen, die er zu leisten hat und die unter den dargelegten Voraussetzungen bei der Unterhaltsfestsetzung daher zu berücksichtigen sind. Sollten ihm die Kosten in der Folge ersetzt werden, bilden sie allerdings Einkünfte, auf die bei der Bemessung des Unterhalts für die nachfolgenden Zeiträume in derselben Art und im selben Ausmaß Bedacht zu nehmen ist, wie sie vorher zur Verringerung des Unterhaltsanspruchs der Kinder geführt haben. Im Rahmen der von der Rechtsprechung der Gerichte zweiter Instanz und auch vom Obersten Gerichtshof anerkannten Pflicht des Unterhaltsschuldners, bei der Feststellung seiner Einkommensverhältnisse mitzuwirken (EvBl 1992/20; SZ 53/54 ua), wird es Sache des Vaters sein, den Kindern oder ihrem gesetzlichen Vertreter bekanntzugeben, ob und in welcher Höhe ihm die Kosten ersetzt wurden, oder diesen Personen zumindest hierüber Auskunft zu erteilen, wenn diese Kosten zu einer Verringerung des Unterhaltsanspruchs der Kinder geführt haben.

Im fortzusetzenden Verfahren wird das Erstgericht daher zunächst zu klären haben, ob der Revisionsrekurswerber in dem für die Unterhaltsfestsetzung maßgebenden, mit beginnenden Zeitraum Rückzahlungen für die Kredite leistete und zu leisten hat, die er zur Bestreitung des durch seine Transsexualität verursachten Mehraufwandes aufnahm. Sollte dies zutreffen, wird festzustellen sein, ob diese Kreditrückzahlungen den vom Erstgericht ohnedies schon berücksichtigten Mehraufwand von S 2.000,- im Monat übersteigen. In diesem Fall sind schließlich noch Feststellungen zur Frage notwendig, ob es sich bei der Transsexualität des Revisionsrekurswerbers um eine Krankheit in dem dargestellten Sinn handelt, weil er nur unter dieser Voraussetzung Anspruch auf Ersatz des hiedurch verursachten Mehraufwandes hat.