OGH vom 27.05.2020, 7Ob76/20g
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr.
Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C***** P*****, vertreten durch Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei S*****, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 28.662,68 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 139/18t-26, womit das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom , GZ 31 Cg 23/18h-17, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.711,46 EUR (darin enthalten 273,26 EUR an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Klägerin unterfertigte am bei der Beklagten einen Antrag auf Abschluss einer fondsgebundenen Rentenversicherung. Im Antrag wurde sie schriftlich unter anderem wie folgt hingewiesen:
„
Die Erklärungen sind gültig, wenn sie schriftlich erfolgen und bei uns eingelangt sind. Unsere Erklärungen erfolgen ebenfalls schriftlich.
Erläuternde Hinweise:
[...]
Rücktrittsrechte
Rücktritt gemäß § 165a
Der Versicherungsnehmer ist berechtigt, innerhalb von 30 Tagen ab der Verständigung über das Zustandekommen des Vertrags von diesem zurückzutreten.
[...]“
Mit Schreiben vom übermittelte die Beklagte der Klägerin den Versicherungsschein. Angeschlossen waren des Weiteren eine Modellrechnung, allgemeine und steuerliche Hinweise sowie eine Anlage mit Hinweisen auf verschiedene gesetzliche Bestimmungen. Auf der ersten Seite des Begleitschreibens befindet sich als letzter Absatz folgender Hinweis:
„Sie haben folgendes
[...]Weiters steht ihnen ein Rücktrittsrecht binnen 30 Tagen ab der Verständigung über das Zustandekommen des Vertrages nach § 165a VersVG, […]
Auf Seite 2 der Hinweise befindet sich unter der Überschrift „Können Sie vom Versicherungsvertrag zurücktreten?“ eine nahezu idente Belehrung; auf den Seiten 5–7 werden die Gesetzestexte der § 5b und 165a VersVG,§ 3 und 3a KSchG sowie § 8 FernFinG wiedergegeben.
Die dem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen lauten auszugsweise wie folgt:
„§ 20 was gilt für Mitteilungen, die sich auf das Versicherungsverhältnis beziehen?
(1)
Mit Schreiben vom erklärte die Klägerin den Rücktritt vom Versicherungsvertrag.
Rechtliche Beurteilung
1.1 Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen (vgl RS0112921, RS0112769). Eine im Zeitpunkt der Einbringung des Rechtsmittels tatsächlich aufgeworfene erhebliche Rechtsfrage fällt weg, wenn sie durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bereits vorher geklärt wurde (RS0112921 [T5]).
1.2 Die entscheidungswesentlichen Rechtsfragen zur Belehrung über das Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG im Zusammenhang mit dem Verlangen des Versicherers nach Schriftlichkeit der Rücktrittserklärung des Versicherungsnehmers sind durch die Entscheidungen des Fachsenats 7 Ob 3/20x, 7 Ob 4/20v und 7 Ob 16/20h jeweils vom bereits beantwortet und daher nicht (mehr) als erheblich einzustufen. Das Rechtsmittel ist zurückzuweisen, wobei sich die Entscheidung auf die Darlegung der Zurückweisungsgründe beschränken kann (§ 510 Abs 3 ZPO).
2.1 Die rund zwei Monate nach den oben genannten Entscheidungen eingebrachte Revision spricht keine Argumente an, die der Oberste Gerichtshof nicht bedacht hat. Sie ist daher nicht geeignet, beim erkennenden Senat Bedenken gegen seine Judikatur zu veranlassen. Der Revision ist kurz Folgendes zu erwidern:
2.2 Hier entspricht die Belehrung über das Rücktrittsrecht inhaltlich dem § 165a Abs 1 VersVG in der Fassung VersRÄG 2006, BGBl I 2006/95. Mit Bezug auf die Beantwortung der Vorlagefrage 1 durch den EuGH hat der Senat zu 7 Ob 3/20x, 7 Ob 4/20v und 7 Ob 16/20h ausgeführt, dass aus einer weiteren zwar fehlerhaften Belehrung, es sei für die Ausübung des Rücktrittsrechts nach § 165a Abs 1 VersVG die Schriftform erforderlich, keine relevante Erschwernis dieses Rücktrittsrechts folgt. Auf die Einhaltung der Schriftform konnte sich die Beklagte zufolge § 178 VersVG in allen bis zum Zeitpunkt des Rücktritts geltenden Fassungen nicht berufen, sodass ein allfälliger Rücktritt der Klägerin in jeder beliebigen Form wirksam gewesen wäre. Die Schriftform steht im gegebenen Kontext nicht mit europarechtlichen Vorgaben im Widerspruch, ist eine im Alltag für eine Vielzahl von (rechtsgeschäftlichen) Erklärungen auch bei Privaten (Verbrauchern) geradezu typische und faktisch regelmäßig praktizierte Mitteilungsform, die für jedermann einfach und ohne besonderen Aufwand durchzuführen ist, sodass keine für ihre Effektivität relevanten Hürden entgegenstehen. Sie dient im vorliegenden Zusammenhang dem Schutz des Versicherungsnehmers bei der Wahrnehmung eines Nachweises eines erhobenen Rücktritts.
2.3 Der Weg zum Postkasten/Postamt, die
– überschaubaren – Porto/Aufzahlungskosten für ein Einschreiben sowie eine – vernachlässigbare – Verkürzung der Frist durch den Postlauf aufgrund des allgemein anzuwendenden Grundsatzes der Zugangserfordernis für alle empfangsbedürftigen Willenserklärungen (§ 862a ABGB) sind in Relation zur Formfreiheit keine in diesem Sinn relevanten Hürden. Wenn die Klägerin meint, für die Einhaltung der Schriftform werde ein Computer und ein Drucker benötigt, wodurch Gruppen von Versicherungsnehmern („wie Bauarbeiter“) benachteiligt seien, übersieht sie die Möglichkeit, dass ein Rücktrittsschreiben auch einfach und ohne technischen Aufwand handschriftlich verfasst werden kann. „Schriftlichkeit“ erfährt in § 886 ABGB eine Legaldefinition, die auch dem Verständnis des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers entspricht.
2.4 Die Belehrung ist nicht intransparent. Der Versicherungsantrag enthält in seinen „Erläuternden Hinweisen“ unter den fettgedruckten Überschriften „Willenserklärungen“, „Rücktrittsrechte“ und „Rücktritt gemäß § 165a VersVG“ Belehrungen über das Erfordernis der Schriftform für alle Erklärungen einerseits sowie über die Rücktrittsmöglichkeit nach § 165a VersVG andererseits. Zusätzlich wurde die Klägerin bei Zusendung des Versicherungsscheins mit Schreiben vom nochmals über das ihr zustehende Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG binnen 30 Tagen ab Verständigung über das Zustandekommen des Vertrags informiert.
2.5 Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, durch die fehlerhafte Belehrung, alle Rücktrittsrechte müssten in Schriftform erklärt werden, werde keine relevante Erschwernis des Rücktrittsrechts nach § 165a VersVG bewirkt und der Rücktritt der Klägerin vom Versicherungsvertrag sei daher verfristet, entspricht der dargelegten Judikatur, und ist nicht korrekturbedürftig.
3. Weitere Fragen nach den Rechtsfolgen eines berechtigt erklärten Rücktritts stellen sich demnach nicht.
4. Die Revision ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die § 41, 50 ZPO, die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Da die Beklagte ihren Sitz in Deutschland hat, ist bei den begehrten Rechtsanwaltskosten Umsatzsteuer lediglich in Höhe der in Deutschland zu entrichtenden Umsatzsteuer zuzusprechen (RS0114955 [T12]).
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:0070OB00076.20G.0527.000 |
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