OGH vom 19.02.2020, 7Ob27/20a

OGH vom 19.02.2020, 7Ob27/20a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** W*****, vertreten durch Dr. Norbert Nowak, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei W*****versicherung auf Gegenseitigkeit, *****, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 17.030,79 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 97/19f-21, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom , GZ 11 Cg 129/18s-17, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Das Revisionsverfahren wird fortgesetzt.

2. Die Revision wird zurückgewiesen.

3. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.165,43 EUR (darin 186,08 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Klägerin schloss am mit der Beklagten einen fondsgebundenen Lebensversicherungsvertrag. Bei Unterfertigung des Antragsformulars am erhielt sie eine schriftliche Verbraucherinformation, die folgende Belehrung enthält:

[…]

Darüber hinaus können Sie gemäß § 165a VersVG innerhalb von 30 Tagen nach Verständigung vom Zustandekommen des Vertrags zurücktreten.

[...]

Sollten Sie aus einem der genannten Gründe vom Vertrag zurücktreten, bedarf dieser Rücktritt der Schriftform.

[...].“

Die dem Annahmeschreiben der Beklagten beigelegte Verbraucherinformation enthielt den selben Passus.

Am stellte die Beklagte auf Wunsch der Klägerin den Versicherungsvertrag prämienfrei. Am erklärte die Klägerin der Beklagten schriftlich unter Berufung auf § 165a VersVG den Rücktritt vom Versicherungsvertrag; die Beklagte wies dies zurück.

Rechtliche Beurteilung

I.1. Der Senat hat aus Anlass der Revision mit Beschluss vom , AZ 7 Ob 159/19m, das Revisionsverfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über das Vorabentscheidungsersuchen vom des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien (GZ 13 C 738/17z-12 [13 C 8/18y, 13 C 21/18k und 13 C 2/18s]), Rechtssache C-479/18, UNIQA Österreich Versicherungen ua, unterbrochen.

I.2. Der in den verbundenen Rechtssachen C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, auch über das zuvor bezeichnete Vorabentscheidungsersuchen entschieden.

I.3. Das Revisionsverfahren ist daher fortzusetzen.

II.1. Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen (vgl RS0112921, RS0112769). Eine im Zeitpunkt der Einbringung des Rechtsmittels tatsächlich aufgeworfene erhebliche Rechtsfrage fällt weg, wenn die bedeutsame Rechtsfrage durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bereits vorher geklärt wurde (RS0112921 [T5]).

Die entscheidungswesentlichen Rechtsfragen zur Frage der Schriftlichkeit des Rücktritts nach § 165a VersVG sind durch die Entscheidungen des Fachsenats 7 Ob 3/12x, 7 Ob 4/20v und 7 Ob 16/20h bereits beantwortet und daher nicht (mehr) als erheblich einzustufen. Das Rechtsmittel ist daher zurückzuweisen, wobei sich die Entscheidung auf die Darlegung der Zurückweisungsgründe beschränken kann (§ 510 Abs 3 ZPO).

II.2.1. Hier entspricht die Belehrung über das Rücktrittsrecht inhaltlich dem § 165a Abs 1 VersVG idF VersRÄG 2006, BGBl I 2006/95. Mit Bezug auf die Beantwortung der Vorlagefrage 1 durch den EuGH hat der Senat zu 7 Ob 3/20x, 7 Ob 4/20v und 7 Ob 16/20h ausgeführt, dass aus einer weiteren Belehrung, es sei für die Ausübung des Rücktrittsrechts nach § 165a Abs 1 VersVG die Schriftform erforderlich, keine relevante Erschwernis dieses Rücktrittsrechts folgt. Auf die Einhaltung der Schriftform konnte sich die Beklagte zufolge § 178 VersVG in allen bis zum Zeitpunkt des Rücktritts geltenden Fassungen nicht berufen, sodass ein allfälliger Rücktritt des Klägers in jeder beliebigen Form wirksam gewesen wäre. Die Schriftform steht im gegebenen Kontext nicht mit europarechtlichen Vorgaben im Widerspruch, ist eine im Alltag für eine Vielzahl von (rechtsgeschäftlichen) Erklärungen bei Privaten (Verbrauchern) geradezu typische und faktisch regelmäßig praktizierte Mitteilungsform, die für jedermann einfach und ohne besonderen Aufwand durchzuführen ist, sodass keine für ihre Effektivität relevanten Hürden entgegenstehen. Sie dient im vorliegenden Zusammenhang auch dem Schutz des Versicherungsnehmers bei der Wahrnehmung des Nachweises eines erhobenen Rücktritts.

Durch die Belehrung, dass alle Rücktrittsrechte in Schriftform erklärt werden müssten, wurde keine relevante Erschwernis dieser Rücktrittsrechte bewirkt, die deren unbefristete Ausübung erlauben würde. Ein Rücktritt vom Versicherungsvertrag nach § 165a VersVG ist daher verfristet.

II.3. Weitere Fragen nach den Rechtsfolgen eines berechtigt erklärten Rücktritts stellen sich damit nicht.

II.4. Die Revision ist zurückzuweisen.

III. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die § 41, 50 ZPO. Da die Beklagte ihren Sitz in Deutschland hat, ist lediglich die in Deutschland zu entrichtende Umsatzsteuer (19 %) zuzusprechen (RS0114955 [T12]).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2020:0070OB00027.20A.0219.000

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