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OGH vom 26.01.2017, 2Ob9/17p

OGH vom 26.01.2017, 2Ob9/17p

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé und den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am ***** verstorbenen F***** W*****, zuletzt wohnhaft *****, über den Revisionsrekurs der Einsichtswerber Dipl.-Ing. W***** S*****, und Mag. M***** S*****, beide vertreten durch BHF Briefer Hülle Frohner Rechtsanwälte OG in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Steyr als Rekursgericht vom , GZ 1 R 212/16v-23, womit infolge Rekurses der Einsichtswerber der Beschluss des Bezirksgerichts Steyr vom , GZ 26 A 387/16k-18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Die beantragen die Einsicht in den Verlassenschaftsakt ihrer Großmutter. Ihre Mutter sei die Tochter der Erblasserin. Es sei daher anzunehmen, dass sie Erbin oder Pflichtteilsberechtigte sei. Sie selbst hätten gegen ihre Mutter titulierte Unterhaltsforderungen in beträchtlicher Höhe, deren Einbringung bisher gescheitert sei. Durch Akteneinsicht erhielten sie Kenntnis von Exekutionsobjekten. Das Vorliegen einer vollstreckbaren Forderung begründe ihr rechtliches Interesse, sollten Interessen anderer Verfahrensbeteiligter der Einsicht entgegenstehen, könnte diese auf das von ihrer Mutter erworbene Vermögen beschränkt werden.

Die Parteien des Verlassenschaftsverfahrens sprachen sich gegen die Akteneinsicht aus.

Das Erstgericht wies den Antrag ab. Die Antragsteller hätten nur ein wirtschaftliches, kein rechtliches Interesse behauptet.

Das bestätigte diese Entscheidung und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu. Die Einsicht in Verlassenschaftsakten sei nach § 22 AußStrG iVm § 219 ZPO zu beurteilen. Mangels Zustimmung der Parteien setze die Einsicht daher ein rechtliches Interesse voraus. Die Antragsteller stützten es darauf, titulierte Unterhaltsforderungen gegen die mögliche Erbin durchsetzen zu können, wenn diese Vermögenswerte im Rahmen des Verlassenschaftsverfahren erhalten sollte. Damit machten die Antragsteller aber ein rein wirtschaftliches Interesse geltend, das in keiner rechtlichen Beziehung zum Verlassenschaftsverfahren stehe. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil aus den Entscheidungen 1 Ob 165/14t und 4 Ob 115/14m allenfalls Gegenteiliges abgeleitet werden könnte.

In ihrem Revisionsrekurs halten die Antragsteller an der Auffassung fest, dass das Vorliegen einer vollstreckbaren Entscheidung ein rechtliches Interesse an der Ermittlung von Vermögen des Schuldners und damit an der Akteneinsicht begründe. Ein Geheimhaltungsinteresse ihrer Mutter sei jedenfalls unbeachtlich. Sollten Interessen anderer Parteien der Einsicht in den gesamten Akt entgegenstehen, könnte sie auf jene Aktenteile beschränkt werden, die nur ihre Mutter beträfen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Nach § 22 AußStrG sind die Bestimmungen der ZPO über Akten im Außerstreitverfahren sinngemäß anzuwenden. Der Antrag ist daher nach § 219 Abs 2 ZPO zu beurteilen (6 Ob 197/14k); die nur Pflegschaftsverfahren betreffende Norm des § 141 AußStrG ist nicht anzuwenden (2 Ob 175/06h). Mangels Zustimmung der Parteien ist auf dieser Grundlage eine zweistufige Prüfung vorzunehmen (9 Ob 87/08x): Die Akteneinsicht setzt jedenfalls ein rechtliches Interesse voraus; auch in diesem Fall hat die Einsicht jedoch zu unterbleiben, soweit ihr überwiegende berechtigte Interessen eines anderen entgegenstehen.

2. Ob ein rechtliches Interesse besteht, kann offen bleiben.

2.1. Ein rechtliches Interesse liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn sich die Einsichtnahme auf die privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Verhältnisse des antragstellenden Dritten günstig auswirken kann, sei es auch nur dadurch, dass er in die Lage versetzt wird, in einem anderen Verfahren die Beweislage für sich günstiger zu gestalten (RIS-Justiz RS0037263). Ein bloß wirtschaftliches Interesse oder das Interesse an der Information als solcher reicht hingegen nicht aus (RIS-Justiz RS0079198 [insb T 3]). Das Interesse muss in der Rechtsordnung begründet und von ihr gebilligt sein (4 Ob 553/95; RIS-Justiz RS0079198).

2.2. Die Vorinstanzen haben das Interesse der Antragsteller, durch Einsicht in den Verlassenschaftsakt Exekutionsobjekte für die Durchsetzung ihres vollstreckbaren Anspruchs zu ermitteln, als bloß wirtschaftliches beurteilt. Dem hält der Revisonsrekurs an sich zutreffend entgegen, dass der Gesetzgeber dieses Interesse – wenngleich in anderem Zusammenhang – als rechtliches qualifiziert: Nach § 5 Abs 4 GUG sind Abschriften und Mitteilungen aus dem Personenverzeichnis den dort eingetragenen Personen über die sie betreffenden Eintragungen zu erteilen, anderen Personen jedoch nur dann, wenn sie über ein rechtliches Interesse verfügen. Nach § 6 Abs 2 Z 1a GUG sind Notare und Rechtsanwälte zur Abfrage des Personenverzeichnisses befugt, „um als Vertreter des Gläubigers einer vollstreckbaren Geldforderung verbücherte Rechte des Schuldners zu ermitteln“. Diese Bestimmung kann nur dahin verstanden werden, dass das Vorliegen eines Titels das rechtliche – und daher nicht bloß wirtschaftliche – Interesse (iSv § 5 Abs 4 GUG) an der Ermittlung von Schuldnervermögen begründet. Auf dieser Wertung beruhen auch die §§ 47 f EO, wonach der Schuldner bei gescheiterter Fahrnis- oder Forderungsexekution zur Abgabe eines Vermögensverzeichnisses verpflichtet ist.

2.3. Diese Regelungen legen nahe, das Interesse an der Ermittlung von Schuldnervermögen bei Vorliegen eines vollstreckbaren Titels auch im Rahmen des § 219 ZPO als rechtliches Interesse zu qualifizieren. Zwar hat dieses Interesse einen wirtschaftlichen Hintergrund, nämlich die Befriedigung einer Forderung; es ist jedoch in der Rechtsordnung begründet und wird von ihr gebilligt. Letztlich kann diese Frage hier aber – wie schon in 1 Ob 97/06f – offen bleiben, weil der Antrag schon aus anderen Gründen scheitert.

3. Der beantragten Einsicht stehen überwiegende Interessen anderer Parteien des Verlassenschaftsverfahrens entgegen.

3.1. Die Einsicht hat auch bei Vorliegen eines rechtlichen Interesses zu unterbleiben, soweit berechtigte Interessen anderer Personen, insbesondere der Verfahrensparteien (Rassi in Fasching/Konecny3§ 219 Rz 53 mwN), überwiegen. Solche Geheimhaltungsinteressen können sich insbesondere auf das Vermögen dieser Personen beziehen (Rassi aaO Rz 54). In die Interessenabwägung hat einzufließen, ob der Einsichtswerber seine Informationen auch auf andere Weise beschaffen kann (1 Ob 97/06f; vgl auch 10 Ob 89/07x [„unbedingt nötig“]).

3.2. Im konkreten Fall bestünde zwar kein berechtigtes Interesse der Mutter an der Verschleierung ihres Vermögens. Grundsätzlich berechtigt ist jedoch das Interesse der anderen Parteien des Verlassenschaftsverfahrens, dass Informationen über die Vermehrung ihres Vermögens Dritten nicht zugänglich werden.

3.3. Zwar könnte dieses Interesse grundsätzlich auch dadurch gewahrt werden, dass die Einsicht auf bestimmte Teile der Akten beschränkt wird (Rassi aaO Rz 60; ders; Fragen zum Datenschutz im Zivilverfahren, in FS Schneider [2013] 403 [420]; 7 Ob 175/07x). Das ist im vorliegenden Fall aber nicht möglich, weil jener Aktenbestandteil, der die Ansprüche der Mutter der Antragsteller betrifft, auch eindeutige Rückschlüsse auf eine Vermögensvermehrung der anderen Parteien und die von ihnen beabsichtigte Vorgangsweise bei der Verwertung von Nachlassvermögen zulässt.

3.4. Damit ist zu prüfen, ob das Geheimhaltungsinteresse der anderen Parteien das (allenfalls als rechtlich zu qualifizierende) Interesse der Antragsteller an der Einsicht in den betreffenden Aktenbestandteil überwiegt. Das ist nach den schon in 1 Ob 97/06f angestellten Erwägungen selbst dann zu bejahen, wenn man (anders als etwa Gitschthaler in Rechberger4§ 219 Rz 3/2; ders in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 22 Rz 45, aber mit Rassi in Fasching/Konecny3 § 219 Rz 56) nicht annimmt, dass Geheimhaltungsinteressen schon im Zweifel überwiegen. Denn die Antragsteller könnten ihre Mutter bei Erfolglosigkeit exekutiver Schritte im Weg der §§ 47, 48 EO zur Angabe der von ihr erlangten Vermögenswerte (Nachlassgegenstände oder Pflichtteilsansprüche) zwingen. Diese Möglichkeit lässt ihr Interesse an der Akteneinsicht gegenüber jenem der anderen Parteien an der Geheimhaltung der sie betreffenden Akteninhalte zurücktreten. Das wirtschaftliche Interesse der Antragsteller, allenfalls vor anderen Gläubigern zum Zug zu kommen, fällt insofern nicht entscheidend ins Gewicht (vgl 1 Ob 97/06f).

4. Aus diesen Gründen ist der angefochtene Beschluss zu bestätigen, ohne dass die vom Rekursgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage abschließend geklärt werden müsste. Insbesondere ist nicht zu prüfen, ob ein entsprechender Antrag Erfolg haben könnte, wenn die Schuldnerin die einzige Partei des Verlassenschaftsverfahrens wäre (vgl 6 Ob 197/14k, SZ 2014/127) oder berechtigte Interessen anderer Parteien im konkreten Fall auch durch eine Beschränkung der Akteneinsicht gewahrt werden könnten.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:0020OB00009.17P.0126.000
Schlagworte:
Zivilverfahrensrecht,Erb- und Verlassenschaftssachen

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