OGH vom 22.05.2014, 1Ob92/14g
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Verfahrenshilfesache des Antragstellers Mag. W***** E*****, gegen die Antragsgegnerin Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17 19, wegen Delegation gemäß § 30 JN, über den Rekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom , GZ 14 Nc 2/14x 2, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird mit der Maßgabe nicht Folge gegeben, dass das Landesgericht Korneuburg zur Entscheidung über den Verfahrenshilfeantrag als zuständig bestimmt wird.
Text
Begründung:
Der Antragsteller begehrte beim Bezirksgericht St. Pölten, das die Verfahrenshilfesache gemäß § 44 JN (iVm § 9 Abs 1 AHG) an das Landesgericht St. Pölten überwies, die Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Geltendmachung von Amtshaftungsansprüchen aus Tätigkeiten der Vorsteherin und einer Richterin des Bezirksgerichts St. Pölten in einem dort anhängigen Zivilprozess. Das Bezirksgericht habe das Verfahren unter anderem rechtswidrig/willkürlich in die Länge schleppen wollen, um die Einvernahme seiner Mutter zu verhindern. Außerdem hätten ihm beide Richterinnen durch ihr rechtswidriges und schuldhaftes Zusammenwirken mit einem Notar und einer Rechtsanwaltskanzlei einen Schaden von zumindest 360.000 EUR zugefügt.
Das Landesgericht St. Pölten legte den Akt dem Oberlandesgericht Wien zur Entscheidung über die Befangenheitsanzeigen sämtlicher Richterinnen und Richter dieses Gerichts in der Verfahrenshilfesache vor.
Mit dem angefochtenen Beschluss sprach das Oberlandesgericht Wien die Befangenheit sämtlicher Richterinnen und Richter des Landesgerichts St. Pölten aus und bestimmte „zur Entscheidung über den Antrag des Antragstellers auf Ablehnung der Vorsteherin … und der Richterin des Bezirksgerichts St. Pölten“ das Landesgericht Korneuburg als zuständig. Rechtlich führte es aus, das kollegiale (und teilweise auch freundschaftliche) Verhältnis sämtlicher Richterinnen und Richter des Landesgerichts St. Pölten zur Vorsteherin und einer Richterin des Bezirksgerichts St. Pölten sei geeignet, zumindest den Anschein einer Voreingenommenheit zu erwecken. Das Landesgericht sei gemäß § 19 JN beschlussunfähig und die „Bildung eines Ablehnungssenats“ nicht möglich, sodass gemäß § 30 JN über die Delegierung zu entscheiden sei. Im Hinblick darauf sei das Landesgericht Korneuburg „zur Entscheidung über den Ablehnungsantrag des Antragstellers“ gegen die Richterinnen des Bezirksgerichts als zuständig zu bestimmen.
Rechtliche Beurteilung
Der nur gegen die Delegierungsentscheidung gerichtete Rekurs des Antragstellers ist ungeachtet der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zulässig, weil die Entscheidung in Wahrnehmung einer erstinstanzlichen Funktion erging und kein Fall des § 517 ZPO vorliegt (3 Ob 117/05k [zu § 30 JN] mwN; RIS Justiz RS0116349; vgl RS0046428). Er ist im Ergebnis jedoch nicht berechtigt.
1. Das Oberlandesgericht Wien wurde bei der Entscheidung über die Delegierung gemäß § 30 JN wie dargelegt als Erstgericht tätig. Der Rekurs gegen diesen Beschluss ist daher bei ihm einzubringen (§ 520 Abs 1 erster Halbsatz ZPO; RIS Justiz RS0046243).
2. Der vom Antragsteller am zur Post gegebene, an das Oberlandesgericht Wien adressierte und dort auch eingelangte Rekurs ist nach den durchgeführten Erhebungen rechtzeitig. Der angefochtene Beschluss wurde dem Antragsteller am durch Hinterlegung zugestellt, weil er an seiner Wohnadresse nicht anzutreffen war. Er hielt sich zu dieser Zeit bis zum in Wien sowie zeitweise auch in Linz auf und übernahm nach seiner Rückkehr an die Zustelladresse umgehend den Beschluss.
Gemäß § 17 Abs 3 vierter Satz ZustG gelten hinterlegte Dokumente als nicht zugestellt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger (oder dessen Vertreter) wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte. Die Heilung bewirkt, dass die Rechtsmittelfrist erst mit dem Tag in Gang gesetzt wird, an dem nach Rückkehr an die Abgabestelle die Abholung des Schriftstücks möglich war, wobei es genügt, wenn ein voller Tag der Abholfrist übrig ist (RIS Justiz RS0083966 [T4]; zuletzt 1 Ob 53/13w mwN). Der Antragsteller hat den hinterlegten Beschluss nach seiner Rückkehr am noch am selben Tag behoben, wodurch die Zustellung wirksam und der Lauf der 14 tägigen Rekursfrist (§ 521 Abs 1 ZPO) in Gang gesetzt wurde. Der am erhobene Rekurs ist daher rechtzeitig.
3.1. Der Antragsteller zieht die Richtigkeit des unanfechtbaren (§ 24 Abs 2 JN) Ausspruchs über die Befangenheit sämtlicher Richterinnen und Richter des Landesgerichts St. Pölten zutreffend nicht in Zweifel. Er bekämpft lediglich die Bestimmung des Landesgerichts Korneuburg und begehrt die Delegierung des Verfahrens an ein nicht näher genanntes Landesgericht in der Steiermark.
3.2. Wenn der Antragsteller erstmals in seinem Rechtsmittel inhaltlich das Vorliegen von Zweckmäßigkeitserwägungen (örtliche Nähe zum Wohnort) für eine Delegierung nach § 31 JN an ein Gericht außerhalb des Sprengels des Oberlandesgerichts Wien behauptet, scheitert er abgesehen davon, dass er sich auch bei seiner Lebensgefährtin in Wien aufhält am Neuerungsverbot (3 Ob 120/93; su 3.3.). Die Möglichkeit einer amtswegigen Delegierung aus Gründen der Zweckmäßigkeit gemäß § 31 JN besteht nicht (RIS Justiz RS0115675).
Die Voraussetzungen des Delegierungstatbestands des § 9 Abs 4 AHG liegen hier nicht vor.
3.3. Die Berufung auf von ihm erst geplante „rechtliche Schritte“ gegen zwei Staatsanwälte der Staatsanwaltschaft St. Pölten, einen Vizepräsidenten der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich und einen Notar verstößt gegen das im Rekursverfahren nach der ZPO geltende Neuerungsverbot (RIS Justiz RS0042091) und kann schon deshalb nicht zum Erfolg des Rechtsmittels führen. Allein wegen bloß vermuteter persönlicher Kontakte der Vorsteherin des Bezirksgerichts St. Pölten zu Richtern umliegender Gerichte kann nicht gesagt werden, die Wahl des für die Rechtssache zuständig erklärten Landesgerichts Korneuburg wäre unzweckmäßig (vgl 3 Ob 117/05k).
3.4. Der Verfahrenshilfeantrag des Antragstellers enthält entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts Wien weder ausdrücklich noch erkennbar eine Ablehnung. Die in der „Chronologie“ angeführten Ablehnungen erklärte der Antragsteller im März 2012 im Zivilprozess des Bezirksgerichts St. Pölten, worüber bereits entschieden wurde (ON 25 im Akt 4 C 124/12y).
Ist wie hier im Hinblick auf die Befangenheit sämtlicher Richterinnen und Richter das Landesgericht St. Pölten im Sinn des § 30 erster Satz JN an der Ausübung der Gerichtsbarkeit gehindert (RIS Justiz RS0113796), so ist gemäß § 30 zweiter Satz JN ein anderes Gericht gleicher Gattung zur Verhandlung und Entscheidung zu bestimmen. Da Gegenstand der Befangenheit die beim Landesgericht St. Pölten anhängige Verfahrenshilfesache des Antragstellers ist, ist das Landesgericht Korneuburg zur Entscheidung über den Verfahrenshilfeantrag (und nicht über einen gar nicht gestellten „Ablehnungsantrag“) als zuständig zu bestimmen.
Mit dieser Maßgabe ist dem Rekurs des Antragstellers nicht Folge zu geben.