OGH vom 17.06.1980, 4Ob78/80
Norm
MuttSchG § 10;
Kopf
SZ 53/93
Spruch
Die Kündigung einer Arbeitnehmerin, die im Zeitpunkt dieser Erklärung von ihrer schon bestehenden Schwangerschaft noch keine Kenntnis hatte, nach der ersten Mitteilung des Arztes aber den Arbeitgeber unverzüglich davon verständigt, ist rückwirkend rechtsunwirksam. Hat die Arbeitnehmerin nur wegen dieser Kündigung nicht gearbeitet, obgleich sie dazu bereit gewesen wäre, dann hat sie für diesen Zeitraum einen Entgeltsanspruch nach § 1155 ABGB
(LGZ Graz 2 Cg 10/80; ArbG Graz 1 Cr 215/79)
Text
Die Klägerin ist seit als Knüpferin bei der beklagten Partei beschäftigt. Sie wurde von dieser zum gekundigt und schied aus dem Unternehmen aus. Anfang Juli 1979 erfuhr sie erstmals von ihrem Arzt, daß sie im Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung bereits schwanger gewesen sei. Sie teilte dies der beklagten Partei unverzüglich mit und nahm am vereinbarungsgemäß ihre Arbeit bei der beklagten Partei wieder auf. Sie hatte sich vom 6. Juli bis im Krankenstand befunden.
Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin von der beklagten Partei die Zahlung ihres Lohnes für die Zeit vom 15. Juni bis in der Höhe von 3600 S samt Anhang. Es gehöre zum Risiko des Arbeitgebers, wenn durch eine von ihm vorgenommene Kündigung, die sich später infolge der Schwangerschaft als rechtsunwirksam erweise, die Arbeitsleistung unterbleibe.
Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung. Die Klägerin sei während des gegenständlichen Zeitraumes zur Arbeitsleistung nicht bereit gewesen und nur durch Umstände, die sich in ihrer Sphäre ereignet hätten, an der Verrichtung der Arbeit gehindert worden.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat die Auffassung, das Mutterschutzgesetz enthalte keine Bestimmung über eine Lohnzahlung in einem Fall wie dem vorliegenden. Die von der beklagten Partei ausgesprochene Kündigung sei auch kein auf der Seite des Arbeitgebers liegender Umstand im Sinne des § 1155 ABGB, zumal die Voraussetzung einer Arbeitsbereitschaft nicht erfüllt sei.
Im Berufungsverfahren dehnt die Klägerin ihr Klagebegehren um einen Betrag von 21 S an nicht gezahlter Wohnungsbeihilfe auf insgesamt 3621 S samt Anhang aus.
Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung des Erstgerichtes dahin ab, daß es dem ausgedehnten Klagebegehren stattgab. Es traf nach Beweisaufnahmen folgende wesentliche Feststellungen: Die am zum gekundigte Klägerin wäre auch nach dem bereit gewesen, bei der beklagten Partei zu arbeiten, wenn ihr diese die Möglichkeit hiezu gegeben hätte. Sie war vom 15. Juni bis sowohl zur Arbeit bereit als auch aus gesundheitlichen Gründen dazu fähig. Ihre Bemühungen, beim Arbeitsamt einen neuen Arbeitsplatz vermittelt zu bekommen, waren erfolglos. Die Klägerin wurde nach Beendigung ihres Krankenstandes am von der beklagten Partei aufgefordert, die Arbeit wieder anzutreten; sie kam dieser Aufforderung am nach. Die Klägerin mußte die ihr für die Zeit nach dem ausgezahlte Arbeitslosenunterstützung nach ihrer Weiterbeschäftigung bei der beklagten Partei zur Gänze zurückzahlen.
In rechtlicher Hinsicht vertrat das Berufungsgericht die Auffassung, der Lohnfortzahlungsanspruch der Klägerin sei nach § 1155 ABGB begrundet. Die Klägerin sei zur Arbeit bereit gewesen und durch Umstände, die auf der Seite der beklagten Partei lägen - nämlich durch die Kündigung -, an der Erbringung ihrer Arbeitsleistung gehindert worden. Da die Kündigung rückwirkend unwirksam sei, müsse das Arbeitsverhältnis so beurteilt werden, als hätte es ohne Unterbrechung über den 14. Juni hinaus fortgedauert.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die in der Rechtsrüge vorgetragene Auffassung der beklagten Partei, daß die Voraussetzungen des § 1155 ABGB nicht vorlägen, steht mit der Rechtslage nicht im Einklang. Auszugehen ist von der beklagten Partei gar nicht in Zweifel gezogenen, sich aus § 10 Abs. 5 MuSchG ergebenden Rechtsunwirksamkeit der Kündigung der Klägerin. Da diese nach dem unbestrittenen Sachverhalt im Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung von ihrer bereits bestehenden Schwangerschaft noch keine Kenntnis hatte und nach der erstmaligen Mitteilung ihres Arztes der beklagten Partei davon unverzüglich Mitteilung machte, wurde die bereits ausgesprochene Kündigung rückwirkend rechtsunwirksam. Daraus folgt, daß das Arbeitsverhältnis, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ohne jede Unterbrechung - so als ob eine Kündigung nicht ausgesprochen wäre - fortgedauert hat. Die Klägerin hat während des gegenständlichen Zeitraumes nur im Hinblick auf die rechtsunwirksame Kündigung nicht gearbeitet. Entgegen der Meinung der beklagten Partei war somit nicht die Schwangerschaft der Klägerin, sondern die Kündigung die Ursache für die Nichterbringung der Arbeitsleistung. Die Schwangerschaft bewirkte vielmehr nur die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung. Diese ist, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, ein Umstand im Sinne des § 1155 ABGB, der auf der Seite der beklagten Partei vorlag - sie hatte ja die Kündigung ausgesprochen - und die Klägerin an der Erbringung der Arbeitsleistung hinderte. Ein Verschulden der beklagten Partei an dieser Verhinderung ist nicht notwendig; es genügt, daß der die Verhinderung bewirkende Umstand der Risikosphäre der beklagten Partei zurechenbar ist (vgl. dazu Schnorr, Entgeltansprüche bei Nichtleistung der Arbeit, in "Entgeltprobleme aus arbeitsrechtlicher Sicht", herausgegeben von Tomandl). Der Ausspruch von Kündigungen durch den Arbeitgeber gehört aber dessen Risikosphäre an, weil der Arbeitgeber mit einer solchen Willenserklärung eine Gestaltung der Rechtslage herbeiführt und sich im Zusammenhang mit den Bestimmungen des MutterschutzG (hier insbesondere denen des § 10 Abs. 2) allenfalls ergebenden Konsequenzen vertrags- und lohnrechtlicher Art überdies erkennbar sind. Der Arbeitgeber trägt daher das Risiko einer von ihm ausgesprochenen Kündigung und der sich daraus ergebenden rechtlichen Folgen.
Die Klägerin erfüllt jedoch nach den Feststellungen auch die weitere Voraussetzung des § 1155 ABGB, nämlich daß sie zur Arbeit bereit gewesen war. Eine besondere Mitteilung von der Arbeitsbereitschaft bei der sich erst nachträglich herausstellenden Rechtsunwirksamkeit der Kündigung ist nicht notwendig.