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OGH vom 26.06.1991, 3Ob544/91

OGH vom 26.06.1991, 3Ob544/91

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Warta, Dr. Klinger und Dr. Angst als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen Kindes Roland S*****, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie 23. Bezirk, Haeckelstraße 4, 1235 Wien, als Sachwalter für die Durchsetzung der Unterhaltsansprüche, infolge Revisionsrekurses des Kindes, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 47 R 262/91-38, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Liesing vom , GZ 5 P 70/86-35, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß der erstgerichtliche Beschluß in seinem den Enthebungsantrag des Vaters abweisenden Teil wieder hergestellt wird.

Text

Begründung:

Der Vater hat für den Unterhalt seines nun fünfzehnjährigen Sohnes auf Grund des im Verfahren über die Scheidung der Eltern geschlossenen Vergleiches S 2.500,-- im Monat zu leisten.

Am beantragte der Vater, ihn von der Unterhaltspflicht für die Dauer des Freiheitsentzuges des Sohnes, über den die Untersuchungshaft verhängt worden sei, zu entheben.

Der durch den Jugendwohlfahrtsträger als Unterhaltssachwalter vertretene Sohn trat dem Antrag entgegen, weil die Mutter auch während der Haft für das Kind aufkomme.

Der Sohn war nach seiner Festnahme am vom bis zum im Gefangenenhaus des Jugendgerichtshofes Wien in Untersuchungshaft. Vor der Verhaftung lebte er seit dem im Kinderheim, dann im Gesellenheim der Stadt Wien (MA 11) in 1100 Wien, Zohmanngasse 28, und erst nach der Haftentlassung bei der Mutter.

Das Erstgericht setzte den vom Vater zu leistenden Monatsbetrag von S 2.500,-- für die Zeit vom bis auf S 1.300,-- unter Abweisung des Mehrbegehrens auf gänzliche Enthebung herab. Die Mutter habe dem Sohn auch während der Untersuchungshaft S 1.900,-- Taschengeld überwiesen und die Wohnungskosten getragen.

Das Rekursgericht änderte über den Rekurs des Vaters diesen Beschluß im abweisenden Teil dahin ab, daß der Vater für die Zeit vom bis zur Gänze von seiner Unterhaltspflicht dem Sohn gegenüber enthoben werde. Es sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil zur Frage des Bestehens eines Unterhaltsanspruches während der Untersuchungshaft des Unterhaltsberechtigten eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehle. Da der Sohn vor seiner Verhaftung nicht im Haushalt der Mutter wohnte, seien fortlaufende Wohn- und Heizkosten für das Kind nicht entstanden. Die Zuwendung von Taschengeld durch die Mutter sei als Geschenk anzusehen. Über die ohnedies während der Haft befriedigten Bedürfnisse hinaus gebe es keinen Aufwand, der einen Unterhaltsanspruch rechtfertige. Im Rahmen der gerichtlichen Haft sei der ganze Unterhaltsbedarf gedeckt. Sonst käme es dazu, daß der Unterhaltsanspruch auch einer volljährigen Person, die in Haft gerate, wieder auflebe. Dies sei unvertretbar.

Mit dem Revisionsrekurs strebt das Kind die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses an. Es seien zwar keine Wohnungskosten angefallen, weil der Minderjährige vom bis zum im Gesellenheim lebte, - also nicht bei der Mutter - doch seien Bekleidungskosten sowie Aufwendungen für Lesematerial und für eine Zusatzverpflegung entstanden.

Der Revisionsrekurs ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Ansicht des Rekursgerichtes, alle Bedürfnisse des fünfzehnjährigen Kindes, zu deren Deckung der Vater Unterhalt zu leisten hat, seien während der Untersuchungshaft ohnedies befriedigt worden, kann in dieser Allgemeinheit nicht beigepflichtet werden. Wenn auch in der Untersuchungshaft für die Unterbringung und die Verköstigung gesorgt ist und allenfalls auch Haftbekleidung zur Verfügung gestellt wird, bleiben doch nicht gedeckte Restbedürfnisse aufrecht, vor allem für die Anschaffung von Kleidung, die nicht aus dem Monatsbetrag von S 2.500,-- auf einmal getätigt werden kann, sondern ein Ansparen auf einen längeren Zeitraum voraussetzt, aber auch der Anspruch auf sinnvolle Gestaltung der Untersuchungshaft (vgl § 186 StPO; § 58 StVG; § 36 und § 58 JGG).

Der erkennende Senat hat schon (in Zusammenhang mit der Einstellung von Unterhaltsvorschüssen) darauf hingewiesen, daß der Unterhalt eines Kindes auch Bedürfnisse umfaßt, für welche die Strafvollzugsanstalten nicht zu sorgen haben, und das daher die Unterhaltspflicht des Vaters in der Regel auch während der Untersuchungshaft des Kindes, wenn auch in vermindertem Ausmaß, fortbesteht (EvBl 1979/235 = JBl 1980, 209 = EFSlg 34.238). Diese Ansicht hat der Senat auch in der vor kurzem zu 3 Ob 536/91 ergangenen Entscheidung - ebenfalls im Zusammenhang mit einer Unterhaltsvorschußgewährung - gebilligt und darauf hingewiesen, daß nur eine wesentliche Änderung der Verhältnisse durch die Haft eine Herabsetzung rechtfertigt, diese aber bei kurzer Haft oder für die erste Zeit nach der Verhaftung überhaupt nicht stattfindet (dort dauerte die Untersuchungshaft knapp über einen Monat), und daß eine Verwirkung des Unterhaltsanspruches bei mangelndem Wohlverhalten - was noch gar nicht feststeht - dem Unterhaltsrecht fremd ist.

Es ist deshalb für die Dauer der Untersuchungshaft von mehr als zwei Monaten nur eine Herabsetzung der Unterhaltsverpflichtung des Vaters, die das Kind auch hingenommen hat, nicht aber die Enthebung berechtigt.

Bei der Bemessung des auch für die Zeit, in der wesentliche Lebensbedürfnisse während der verhängten Untersuchungshaft vom Bund getragen wurden (vgl § 60 JGG), gebührenden Unterhalts kommt es nicht darauf an, welche Zahlungen die Mutter, der die Obsorge zusteht, an Taschengeld leistete, sondern auf den nach den Verhältnissen des Einzelfalles zu beurteilenden dem Kind zuzubilligenden restlichen Unterhaltsbedürfnissen, die hier nicht gedeckt waren, auch wenn wegen der Heimunterbringung des Kindes, wie dieses zugestand, keine Fixkosten der Wohnung angefallen sind, wie dies in dem zu 3 Ob 536/91 entschiedenen Fall zugrunde lag.