OGH vom 27.04.2011, 7Ob64/11d
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Schwarzenbacher, Dr. Hoch und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** G*****, vertreten durch Kinberger Schuberth Fischer Rechtsanwälte GmbH in Zell am See, gegen die beklagte Partei Stadtgemeinde M*****, vertreten durch Univ. Prof. Dr. Friedrich Harrer und Dr. Iris Harrer Hörzinger, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 143.617,85 EUR (sA) und Feststellung, über die außerordentliche Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 184/10z 26, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Die ärztliche Aufklärung soll den Patienten instand setzen, die Tragweite seiner Erklärung, in die Behandlung einzuwilligen, zu überschauen (RIS Justiz RS0026413). Der Patient kann nur dann wirksam seine Einwilligung geben, wenn er über die Bedeutung des vorgesehenen Eingriffs und seine möglichen Folgen hinreichend aufgeklärt wurde (RIS Justiz RS0026499). Der Arzt muss den Patienten, um ihm eine selbstbestimmte Entscheidung zu ermöglichen, über mehrere zur Wahl stehende diagnostische oder therapeutische adäquate Verfahren informieren und das Für und Wider mit ihm abwägen, wenn jeweils unterschiedliche Risken entstehen können und der Patient eine echte Wahlmöglichkeit hat (RIS Justiz RS0026426 [T1]). Nach ständiger Judikatur reicht die ärztliche Aufklärungspflicht umso weiter, je weniger der Eingriff aus der Sicht eines vernünftigen Patienten vordringlich oder gar geboten ist (vgl RIS Justiz RS0026772). Dann ist die ärztliche Aufklärungspflicht im Einzelfall selbst dann zu bejahen, wenn erhebliche nachteilige Folgen wenig wahrscheinlich sind (RIS Justiz RS0026313). Ist der Eingriff zwar medizinisch empfohlen, aber nicht eilig, so ist grundsätzlich eine umfassende Aufklärung notwendig (RIS Justiz RS0026772). Der Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht hängt demnach von den Umständen des Einzelfalls ab und stellt deshalb in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO dar (RIS Justiz RS0026529 [insb T 18 und T 20]). Wiederholt hat der Oberste Gerichtshof auch schon klargelegt, dass die ärztliche Aufklärung so rechtzeitig zu erfolgen hat, dass dem Patienten eine angemessene Überlegungsfrist bleibt, deren Dauer freilich ebenfalls von den Umständen des Einzelfalls abhängt (7 Ob 15/04p, RdM 2004/95, 151 mwN; RIS Justiz RS0118651).
Die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts hält sich im Rahmen dieser Judikaturgrundsätze. Eine Fehlbeurteilung ist entgegen der Ansicht der Klägerin insbesondere auch hinsichtlich der Rechtzeitigkeit der Aufklärung nicht gegeben: Die Klägerin, die am die chirurgische Ambulanz des Krankenhauses der Beklagten wegen Hüftgelenksbeschwerden aufgesucht hatte und über den Zustand ihrer Hüftgelenke und die medizinischen Möglichkeiten einer Operation oder einer Schmerztherapie aufgeklärt worden war, hatte sich zunächst für die Schmerztherapie entschieden. Als sie zwei Tage danach aber erklärte, doch eine Operation vorzuziehen, wurde ihr stationärer Aufenthalt für den und die Operation für den vereinbart. Bei ihrer Aufnahme am wurde der Klägerin ein Aufklärungsbogen vorgelegt, in dem die möglichen Zwischenfälle während einer Hüftgelenksoperation detailliert angeführt wurden, unter anderem, dass „sehr selten Nervenverletzungen“ auftreten könnten, „die trotz operativer Behandlung (Nervennaht) dauerhafte Störungen wie zB eine Teillähmung des Beines verursachen können“. Noch am selben Tag wurde der Klägerin der Ablauf der Operation mündlich erläutert und sie auf mögliche Komplikationen und allfällige notwendige Revisionsoperationen sowie mögliche Infekte hingewiesen. Ebenfalls am selben Tag wurde die Klägerin, die erklärte, keine weiteren Fragen mehr zu haben, vom Anästhesisten und vom Operateur besucht. Am wurde die Hüftgelenksoperation lege artis durchgeführt. Die Meinung der Vorinstanzen, unter diesen festgestellten Umständen sei die der Klägerin zwischen Aufklärung und Operation zur Verfügung gestandene Zeit als ausreichend anzusehen, zumal die Klägerin die Möglichkeit gehabt habe, „eine Nacht darüber zu schlafen“, ist zumindest vertretbar. Ein Abweichen von oberstgerichtlicher Judikatur, insbesondere von den Entscheidungen 6 Ob 555/94, 7 Ob 46/00s, 8 Ob 33/01p und 1 Ob 218/09d ist nicht gegeben.
Eine die Zulassung der außerordentlichen Revision rechtfertigende Verkennung der Rechtslage liegt entgegen der Ansicht der Revisionswerberin auch dahin nicht vor, dass die Vorinstanzen keinen Aufklärungsfehler darin erblickt haben, dass die in 1 bis 3 % der Fälle auftretende Komplikation einer Nervenläsion im Aufklärungsbogen als „sehr selten“ bezeichnet wurde.
Wie erwähnt, wurde die Klägerin sowohl schriftlich als auch mündlich über die mögliche Komplikation von Nervenverletzungen aufgeklärt. Die von ihr weiters als erheblich angesehene Rechtsfrage, ob eine Aufklärung mit schriftlichem Aufklärungsbogen ausreichend oder eine mündliche Erörterung erforderlich sei, stellt sich im vorliegenden Fall daher nicht.
Soweit die Revisionswerberin schließlich noch Feststellungen über die Notwendigkeit einer Revisionsoperation vermisst und in diesem Zusammenhang neuerlich das Unterbleiben der Vernehmung eines (sachverständigen) Zeugen und der Einholung eines neurologischen Gutachtens rügt, übersieht sie, dass ein diesbezüglicher Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens bereits vom Berufungsgericht verneint wurde und nach ständiger Rechtsprechung daher in der Revision nicht mehr geltend gemacht werden kann (RIS Justiz RS0042963).
Insgesamt vermag die Klägerin sohin keinen tauglichen Zulassungsgrund aufzuzeigen. Ihre außerordentliche Revision ist daher als unzulässig zurückzuweisen. Dies bedarf nach § 510 Abs 3 ZPO keiner weiteren Begründung.