OGH vom 29.05.2019, 7Ob63/19v
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T***** GmbH Nfg KG, *****, vertreten durch Riesemann Rechtsanwalts GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei E***** AG, *****, vertreten durch Niederbichler Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen 382.977,62 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 22/19a-30, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Die Beklagte verweist zunächst auf jene Verhaltensweisen, die eine Nachlässigkeit der Klägerin in eigenen Angelegenheiten begründen, aber ohnehin bereits vom Berufungsgericht als Mitverschulden der Klägerin gewertet wurden.
2.1. Für die Beklagte als Versicherungsmaklerin gilt demgegenüber, dass diese Fachmann auf dem Gebiet des Versicherungswesens ist und ihre Hauptaufgabe zunächst darin besteht, dem Klienten mit Hilfe ihrer Kenntnisse und Erfahrung bestmöglichen, den jeweiligen Bedürfnissen und Notwendigkeiten entsprechenden Versicherungsschutz zu verschaffen (RS0118893 [T1]). Der Versicherungsmakler haftet als Sachverständiger iSd § 1299 ABGB, muss einschlägige Probleme erkennen und dazu richtige Auskünfte erteilen (5 Ob 252/15t; 7 Ob 183/18i). Aus dem Treueverhältnis zwischen dem Auftraggeber und dem Makler ergeben sich für letzteren Schutz-, Sorgfalts- und Beratungspflichten (RS0061254 [T2]). Versicherungsmakler sind verpflichtet, den Versicherungskunden bei der Abwicklung des Versicherungsverhältnisses vor und nach Eintritt des Versicherungsfalls zu unterstützen. Die Unterstützung kann sich auf Anzeige- und Auskunftspflichten, aber auch auf Obliegenheiten (4 Ob 289/02g) und auf die Klärung des Umfangs des Versicherungsschutzes beziehen (vgl 3 Ob 4/09y). Die Beurteilung einer Pflichtverletzung ist jeweils im Einzelfall unter Berücksichtigung der vom Makler erkennbaren Interessen des Auftraggebers vorzunehmen (10 Ob 89/04t; 4 Ob 242/01v). Auch wenn die bisher in der Rechtsprechung in diesem Zusammenhang behandelten Fälle nicht unmittelbar mit dem Anlassfall vergleichbar sein mögen, ist die Lösung der Frage, inwieweit ein Makler im konkreten Fall Pflichtverletzungen zu vertreten hat, von den Umständen des Einzelfalls abhängig (7 Ob 183/18i), entzieht sich daher einer generalisierenden Beantwortung, schließt eine beispielgebende Entscheidung aus und ist daher in der Regel keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (4 Ob 245/15f).
2.2. Der Beklagten sind hier – entgegen den Revisionsausführungen – nicht primär Versäumnisse im Zusammenhang mit Fristen vorzuwerfen, sondern es ist ihr das Unterlassen eindeutiger und nachdrücklicher Klarstellungen dahin anzulasten, dass die Deckungspflicht des Versicherers weiterhin strittig sei und die Klägerin daher selbständig Schritte zur Schadensabwehr setzen müsse, um sich den Versicherungsschutz zu erhalten und – damit im Zusammenhang stehend – die gesamte Haftung gegenüber ihrer Klientin abwenden zu können. Die Beklagte hätte aufgrund des dokumentierten Verhaltens der Klägerin, insbesondere der schon sehr spät erfolgten Information über die Klagebeantwortungsfrist, nicht annehmen dürfen, dass die Klägerin selbst ohnehin alle gerichtlichen Schritte zur Schadensabwehr setzt. Wenn das Berufungsgericht unter diesen Umständen von der Beklagten zu vertretende Verletzungen von Hinweispflichten bejahte, hält sich diese Rechtsansicht im Rahmen der zuvor dargestellten Judikaturgrundsätze.
3.1. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn sich das Verhalten des Schädigers aus der Menge der sich auch für den Sorgsamstem nie ganz vermeidbaren Fahrlässigkeits-handlungen des täglichen Lebens als eine auffallende Sorglosigkeit heraushebt (RS0031127 [T27]; vgl auch RS0030477; RS0030359). Dabei wird ein Verhalten vorausgesetzt, von dem der Handelnde wusste oder wissen musste, dass es geeignet ist, den Eintritt eines Schadens zu fördern. Die Schadenswahrscheinlichkeit muss offenkundig so groß sein, dass es ohne weiteres nahe liegt, zur Vermeidung eines Schadens ein anderes Verhalten als das tatsächlich geübte in Betracht zu ziehen (RS0030324 [T2]; RS0031127 [T28]).
3.2. Ob eine Fehlhandlung wegen ihres besonderen Gewichts oder einzelne, für sich genommen nicht grob fahrlässige Handlungen in ihrer Gesamtheit und Häufung die Annahme grober Fahrlässigkeit rechtfertigen, bildet wegen der von den Umständen des Einzelfalls abhängigen Beurteilung grundsätzlich keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0044262 [T46, T 48 bis T 50]). Die Revision ist nur dann zulässig, wenn der Sachverhalt auch bei weiter Auslegung den von der Judikatur für die Annahme oder die Verneinung grober Fahrlässigkeit aufgestellten Kriterien nicht entspricht (RS0087606 [T22]). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor, weil beim dokumentierten Verhalten der Klägerin für den Erfüllungsgehilfen der Beklagten klar sein musste, dass ohne deutliche und nachdrückliche Hinweise auf die Notwendigkeit eigener gerichtlicher Schritte zur Schadensabwehr, die Klägerin solche voraussichtlich nicht setzen werde.
4. Konkrete Ausführungen zur (Mit-)Verschuldensteilung enthält die Revision nicht.
5. Der Umfang der Schadenersatzpflicht des Versicherungsmaklers ist – entgegen der nicht näher begründeten und auch nicht durch Judikatur belegten Ansicht der Beklagten – nicht zwangsläufig mit dem Deckungsumfang für den einzelnen Schadensfall laut Versicherungsvertrag begrenzt. Entscheidend sind insoweit die vom Schutzzweck des zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherungsmakler bestehenden Vertragsverhältnisses umfassten Interessen (allgemein dazu RS0017850). Da der Versicherungsmakler zur Klärung des Umfangs des Versicherungsschutzes beitragen und auf die Notwendigkeit selbständiger Rechtsverfolgung durch den Versicherungsnehmer hätte hinweisen müssen (vgl Punkt 2.1.), ist die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass die Vermeidung der aus solchen Pflichtverletzungen insgesamt resultierenden Schäden vom Schutzzweck des zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherungsmakler bestehenden Vertragsverhältnisses umfasst sei, nicht zu beanstanden.
6. Die Beklagte vermag somit insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision daher nicht zulässig und zurückzuweisen. Einer weitergehenden Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00063.19V.0529.000 |
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