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OGH vom 12.06.2012, 4Ob74/12d

OGH vom 12.06.2012, 4Ob74/12d

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Pflegschaftssache 1. mj N***** L*****, 2. mj V***** L*****, beide in Pflege und Erziehung der Mutter C***** L*****, wegen Unterhalt, infolge Revisionsrekurses des Vaters R***** L*****, vertreten durch Dr. Sylvia Bleierer und Dr. Johannes Wiener, Rechtsanwälte in Mattighofen, gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom , GZ 23 R 64/12b, 65/12z 40, womit infolge von Rekursen des Vaters die Beschlüsse des Bezirksgerichts Haag vom , GZ 1 PU 232/10p U16, und vom , GZ 1 PU 232/10p U20, bestätigt wurden, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Die beiden Minderjährigen sind eheliche Kinder. Beide Elternteile anwaltlich vertreten beantragten vor dem damals zuständiger Pflegschaftsgericht jeweils die Aufhebung der gemeinsamen Obsorge und Übertragung der alleinigen Obsorge an sich. Mit Beschluss vom wurde der Antrag des Vaters abgewiesen und die Obsorge einstweilen der Mutter zur Gänze alleine übertragen. Am brachte der Vertreter der Mutter einen Unterhaltsfestsetzungsantrag ein (U 1). Im Unterhaltsverfahren gab der Vater am die Bevollmächtigung der Rechtsanwältin Dr. S***** B***** bekannt. Mit Eingabe vom zog die Mutter im Hinblick auf die am erfolgte Scheidung der Ehe im Einvernehmen und den dabei abgeschlossenen Scheidungsfolgenvergleich den Antrag auf Unterhaltsfestsetzung zurück (U 12). Im Scheidungsfolgenvergleich vereinbarten die Eltern die (nunmehr endgültige) alleinige Obsorge der Mutter und eine monatliche Unterhaltsverpflichtung des Vaters in Höhe von 296 EUR und 230 EUR ab für die Minderjährigen. Dazu wurde festgehalten, dass bei der Bemessung des Unterhalts vom Regelbedarfsatz für die jeweilige Altersgruppe der Minderjährigen ausgegangen werde, da eine Ermittlung der Bemessungsgrundlage zur Berechnung des Unterhalts nach der Prozent (wert )methode infolge der (noch nicht erfolgten) unternehmerischen Trennung der Antragsteller damals nicht bestimmbar sei (S 28). In der Folge übersiedelte die Mutter mit den beiden Kindern in den Sprengel des Erstgerichts, dem die Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache gemäß § 111 Abs 1 und 2 JN übertragen wurde (S 30). Das Erstgericht genehmigte mit Beschluss vom den zwischen den Eltern geschlossenen Scheidungsfolgenvergleich in den die Minderjährigen betreffenden Punkten (S 33) und verfügte die Zustellung dieses Beschlusses an die beiden ausgewiesenen Vertreter der Eltern. Keiner der beiden eingeschrittenen Rechtsvertreter der Elternteile gab dem Pflegschaftsgericht die Auflösung des Vertretungsverhältnisses bekannt.

Am gab die Mutter beim Erstgericht einen Erhöhungsantrag zu Protokoll. Sie begehrte die rückwirkende Erhöhung der Unterhaltsbeiträge ab auf jeweils 520 EUR monatlich; nunmehr sei die unternehmerische Trennung zwischen den Eltern erfolgt, und es sei eine Bemessungsgrundlage des Vaters von durchschnittlich 3.470 EUR zugrunde zu legen.

Das Erstgericht stellte diesen Antrag am der Vertreterin des Vaters zur Äußerung gemäß § 17 AußStrG innerhalb von zwei Wochen zu (U 15); innerhalb dieser Frist erfolgte keine Äußerung.

Mit dem nunmehr bekämpften Beschluss vom (U 16) bestimmte das Erstgericht die Unterhaltsverpflichtung antragsgemäß. Nach der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen und den Bedürfnissen der Berechtigten ergäben sich die zugesprochenen Unterhaltsbeträge; da innerhalb der gesetzten Frist keine Äußerung des Vaters eingelangt sei, dürfe das Gericht annehmen, dass er keine Einwendungen gegen die Angaben im Antrag erhebe. Der Beschluss wurde der Vertreterin des Vaters am zugestellt.

Mit am eingebrachtem Schriftsatz (U 17) gab die bisherige Vertreterin des Vaters bekannt, sie habe dem Gericht bereits telefonisch mitgeteilt, den Vater in der gegenständlichen Rechtssache nicht mehr zu vertreten; die Aufforderung zur Äußerung gemäß § 17 AußStrG, in ihrer Kanzlei eingegangen am , sei dem Vater vom Gericht direkt zuzustellen.

Aus dem Pflegschaftsakt ist kein entsprechendes Telefonat zwischen Rechtsanwaltskanzlei und Gericht ersichtlich. Das Erstgericht teilte der Rechtsanwältin mit, dass laut Aktenlage ein aufrechtes Vertretungsverhältnis zum Vater bestehe, und ersuchte um Mitteilung binnen zehn Tagen, ob die Eingabe vom als Rekurs zu werten sei (U 18).

Am (U 19) gab der Vater bekannt, in der gegenständlichen Rechtssache der schon früher für ihn einschreitenden Rechtsanwältin Vollmacht erteilt zu haben, und beantragte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Äußerungsfrist. Die Aufforderung zur Äußerung gemäß § 17 AußStrG sei seiner früheren Rechtsvertreterin zugestellt worden, die die Aufforderung dem Vater mit dem Bemerken weitergeleitet habe, es müsse eine Äußerung bis beim Erstgericht eingebracht werden. Diese Bemerkung habe der Vater unrichtig dahin interpretiert, die Äußerung werde durch die Rechtsanwältin erfolgen, die ja dazu vom Gericht aufgefordert worden sei. Im Zeitpunkt der Zustellung der Aufforderung zur Äußerung an deren Kanzlei habe kein Vollmachtsverhältnis mehr bestanden. Zugleich holte der Vater die versäumte Äußerung nach und erstattete Vorbringen samt Beweisanbot, dass die Ausführungen der Mutter zur behaupteten Bemessungsgrundlage unrichtig seien.

Mit dem ebenfalls bekämpften Beschluss vom (U 20) wies das Erstgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung ab; das Verschulden des Vaters daran, dem Gericht die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses nicht spätestens zum Zeitpunkt des Einlangens des Unterhaltserhöhungsantrags samt Aufforderung zur Äußerung bekanntgegeben zu haben, übersteige den Grad minderen Versehens.

Das Rekursgericht gab mit Entscheidung vom den Rekursen gegen die Beschlüsse U 16 und U 20 nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Dauer eines Vollmachtsverhältnisses im Pflegschaftsverfahren über die Beendigung des Verfahrensabschnitts hinaus, in dem sie angezeigt wurde, fehle. Zur Frage, in welchem Umfang und für welche Dauer eine Bevollmächtigung in einem Pflegschaftsverfahren gelte, könnten unterschiedliche Standpunkte vertreten werden. Pflegschaftsverfahren bildeten zwar äußerlich eine Einheit, bestünden jedoch aus mehreren in sich abgeschlossenen Verfahren, weshalb die Verpflichtung zur Bekanntgabe der jeweiligen Abgabestelle nicht überspannt werden solle und angenommen werden könne, diese Verpflichtung ende mit Rechtskraft jedes Verfahrensabschnitts. Die besseren Gründe habe aber die gegenteilige Position für sich, dass bei aufrechtem Bestand eines Vollmachtsverhältnisses nur an den Bevollmächtigten zugestellt werden dürfe, die Zustellung an die Partei selbst also unwirksam sei. Es bestehe in äußerlich eine Einheit bildenden, jedoch aus mehreren in sich abgeschlossenen Verfahren bestehenden Pflegschaftsverfahren somit keine Beschränkung des Vollmachtsverhältnisses auf jenen Verfahrensabschnitt, in dem dieses dem Gericht angezeigt worden sei. Nach dieser zutreffenden Auffassung ende die Gültigkeit einer im Pflegschaftsverfahren einmal erteilten Vollmacht in Ermangelung der Anzeige einer Auflösung des Vollmachtsverhältnisses erst mit Beendigung des Pflegschaftsverfahrens als solchem, also mit erreichter Volljährigkeit des Pflegebefohlenen. Für diese Lösung sprächen vor allem praktische Erfordernisse, werde doch eine inhaltliche Prüfung des Umfangs bzw einer allfällig auf einen bestimmten Verfahrensabschnitt erteilten Bevollmächtigung kaum möglich sein, weil eine schriftliche Bevollmächtigung sofern überhaupt eine solche im Akt erliege meist nicht über das übliche Blankoformular hinausgehe. Aus Sicht des Gerichts laufe ein Pflegschaftsverfahren auch nach rechtskräftiger Beendigung eines „Verfahrensabschnittes“, also etwa nach Beschlussfassung über einen Neufestsetzungsantrag hinsichtlich des Kindesunterhalts, weiter und werde bis zum Erreichen der Volljährigkeit des Pflegebefohlenen weitergeführt. Für die Weitergeltung der Vollmacht sprächen insbesondere §§ 31 ff ZPO, auf die § 6 Abs 4 AußStrG verweise. Der gesetzliche Umfang der Prozessvollmacht umfasse nämlich gemäß § 31 Abs 1 Z 1 ZPO ausdrücklich auch die Empfangnahme der Klage (im Außerstreitverfahren: des Antrags). Gemäß § 32 ZPO sei eine Beschränkung des gesetzlichen Umfangs der Prozessvollmacht, auch wenn sie in der Urkunde ausgedrückt sei, dem Gegner gegenüber nur hinsichtlich der Befugnisse des § 31 Abs 1 Z 2 und 3 ZPO wirksam, nicht aber hinsichtlich der Z 1 leg cit. Gemäß § 36 Abs 1 ZPO entfalteten Widerruf oder Kündigung der Vollmacht erst mit der Bekanntgabe Wirksamkeit, die durch Zustellung eines Schriftsatzes zu erfolgen habe; eine telefonische Mitteilung sei nicht ausreichend. Nach der Praxis werde daher bei einem einmal angezeigten Vertretungsverhältnis, dessen Auflösung nicht aktenkundig sei, ein nachfolgender neuer Antrag dem nach der Aktenlage ausgewiesenen Vertreter zur Äußerung zugestellt, der somit spätestens dann anzuzeigen habe, dass das Vertretungsverhältnis nicht mehr bestehe. Fehle es an einer solchen Bekanntgabe, sei weiterhin von einer auch für diesen neuen Verfahrensabschnitt gültigen Bevollmächtigung auszugehen. Dies habe im Anlassfall offenbar auch die Vertreterin des Vaters so gesehen, wofür die Weiterleitung des an sie zur Äußerung zugestellten Erhöhungsantrags der Mutter an den Vater spreche, wobei sie selbst die am erfolgte Zustellung zur Äußerung an sie als fristauslösend angesehen habe. Das Erstgericht habe deshalb den Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der Äußerungsfrist zum Erhöhungsbegehren der Mutter mit zutreffender Begründung abgewiesen. Aus der Erfolglosigkeit dieses Antrags folge die Bestätigung der Stattgebung des Erhöhungsantrags infolge unterbliebener fristgerechter Äußerung nach Hinweis auf die Säumnisfolgen des § 17 AußStrG.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Der Vater macht Nichtigkeit infolge Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend; die Aufforderung zur Äußerung zum Erhöhungsantrag hätte ihm infolge zuvor erfolgter Auflösung des Vollmachtsverhältnisses persönlich zugestellt werden müssen; die Zustellung an seine ehemalige Rechtsvertreterin sei daher unwirksam. Er sei deshalb berechtigt gewesen, im Rekurs (erstmals) zum Erhöhungsantrag Stellung zu nehmen, Vorbringen zu seinem Jahreseinkommen zu erstatten und Beweise anzubieten.

2. Die Auffassung des Rekursgerichts, § 36 Abs 1 ZPO iVm § 6 Abs 4 AußStrG sei auch im Pflegschaftsverfahren dahin auszulegen, dass erst eine dem Gericht schriftlich angezeigte Kündigung der Vollmacht rechtliche Wirksamkeit erlange, ist im Anlassfall im Ergebnis wenn auch aus nachfolgenden anderen Gründen nicht zu beanstanden:

3. § 142 AußStrG lautet: „In Verfahren nach diesem Hauptstück [gemeint: II. Hauptstück, das sind Verfahren in Ehe , Kindschafts und Sachwalterschaftsangelegenheiten], die in einem gemeinschaftlichen Gerichtsakt zusammengefasst sind, haben alle weiteren Zustellungen an einen als Bevollmächtigten namhaft gemachten Rechtsanwalt oder Notar zu geschehen, soweit die Bevollmächtigung nicht eindeutig beschränkt ist.“

4. Die ErläutRV [abgedruckt bei Fucik/Kloiber , AußStrG 427] führen dazu aus:

„Diese Bestimmung trägt einem Erfordernis der Praxis Rechnung, häufig auftretende Unklarheiten über die Dauer der Bevollmächtigung zu beseitigen. Schon aus § 93 ZPO ergibt sich, dass in einem Verfahren erteilte Bevollmächtigungen dazu führen, dass bis zum Widerruf alle künftigen Zustellungen an den Bevollmächtigten zu geschehen haben. Für Verfahren nach diesem Hauptstück bleibt diese Regel allerdings unklar, weil sich vollkommen unterschiedliche kindschaftsrechtliche Angelegen-heiten im selben Pflegschaftsakt finden können, wie etwa Unterhalts , Obsorge , Besuchs und Vermögensverwaltungsangelegenheiten. Dies ist auf Einschreiterseite einigermaßen unproblematisch […]. Auf der Gegenseite ist dies nicht so klar; wer in einer Pflegschaftsangelegenheit vertreten war, die endgültig erledigt ist, muss nicht unbedingt erwarten, dass eine 'neue' Pflegschaftsangelegenheit von einer anderen Partei an das Gericht herangetragen wird und dass er insoweit wieder selbst kontaktiert wird. Hier muss wohl auf die typische Erwartungshaltung abgestellt werden. Diese wird eher dahin gehen, dass eine Partei, die in einer Pflegschaftsangelegenheit einen Rechtsanwalt (oder Notar) bestellt hat, bis zum Widerruf iSd § 36 ZPO in allen weiteren Pflegschaftsangelegenheiten von diesem berufsmäßigen Parteienvertreter weiter vertreten werden will. Dies kann aber nur als Grundregel vorgesehen werden, weil im Vollmachtsrecht letztlich die Privatautonomie entscheidet. Die Grenzen der Vertretung sind aus den Legalvollmachtsbestimmungen des § 31 ZPO nicht übernehmbar. Somit steht es den Parteien frei, eine Vollmacht nur für einzelne Pflegschaftsangelegenheiten zu erteilen […] oder einzelne Angelegenheiten von der Bevollmächtigung auszunehmen […]. Solange eine Beschränkung (oder auch ein Erlöschen der Vollmacht) dem Gericht nicht kundgemacht worden ist, sind zB alle bis zu diesem Zeitpunkt an den Parteienvertreter ergangenen Zustellungen wirksam.“

5. Im durch einen Antrag der Mutter eingeleiteten Unterhaltsverfahren seiner Töchter gab der Vater dem Gericht am die Bevollmächtigung jener Rechtsanwältin bekannt, die in der Folge für ihn auch den Scheidungsfolgenvergleich samt Unterhaltsverpflichtung abgeschlossen hat und der der Unterhaltserhöhungsantrag der Mutter vom zur Stellungnahme zugestellt worden ist.

6.1. Nach der Zweifelsregel des § 142 AußStrG gilt die vom Vater erteilte (uneingeschränkte) Bevollmächtigung der namhaft gemachten Rechtsvertreterin jedenfalls in dem in einem Akt geführten Unterhaltsverfahren, so lange der Vater dem Gericht keine Auflösung dieses Vollmachtsverhältnisses mitgeteilt hat. Solches ist nach der Aktenlage bisher nicht geschehen.

6.2. Damit ist der Auffassung des Rechtsmittelwerbers, der Unterhaltserhöhungsantrag der Mutter habe ein „neues Verfahren innerhalb des Pflegschaftsverfahrens“ eingeleitet, in dem das Erstgericht nicht von einem weiterhin bestehenden Vollmachtsverhältnis ausgehen hätte dürfen, der Boden entzogen.

7. Dem Revisionsrekurs kann deshalb kein Erfolg beschieden sein. Die den Wiedereinsetzungsantrag abweisende Entscheidung bekämpft das Rechtsmittel inhaltlich nicht.