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OGH 16.06.2011, 6Ob64/11x

OGH 16.06.2011, 6Ob64/11x

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Firmenbuchsache der im Firmenbuch des Landesgerichts Feldkirch zu FN ***** eingetragenen W***** H***** GmbH mit dem Sitz in H*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Gesellschaft und ihres Geschäftsführers Dr. M***** H*****, beide vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH in Bregenz, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom , GZ 3 R 98/10a, 99/10y, 100/10w, 101/10t, 102/10i, 103/10m, 104/10h, 105/10f, 106/10b, 107/10z, 108/10x und 166/10a-252, womit dem Rekurs der Gesellschaft und des Geschäftsführers gegen die Beschlüsse des Landesgerichts Feldkirch vom , GZ 47 Fr 1930/09x-222, 47 Fr 1929/09w-223, 47 Fr 1928/09v-224, 47 Fr 1927/09t-225, 47 Fr 1926/09s-226, 47 Fr 1925/09p-227, 47 Fr 1924/09m-228, 47 Fr 1923/09k-229, 47 Fr 1922/09i-230, 47 Fr 1921/09h-231, und 47 Fr 1886/09g-232, nicht Folge gegeben und Anträge der Beteiligten zurückgewiesen oder abgewiesen wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Das Revisionsrekursverfahren wird bis zur rechtskräftigen Erledigung des Verfahrens über den im Revisionsrekurs enthaltenen Ablehnungsantrag betreffend den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Innsbruck Dr. Purtscheller und die Richter des Oberlandesgerichts Dr. Kohlegger und Dr. Engers unterbrochen.

Der Akt wird dem Erstgericht mit dem Auftrag zurückgestellt, ihn dem Oberlandesgericht Innsbruck zur Entscheidung über den Ablehnungsantrag vorzulegen.

Text

Begründung:

Das Erstgericht verhängte über den Geschäftsführer wegen Verletzung der Offenlegungspflicht nach den §§ 227 ff UGB für die Geschäftsjahre 1998 bis 2008 Zwangsstrafen. Für den Fall des Nichteinreichens der vollständigen Jahresabschlüsse drohte es weitere Zwangsstrafen an.

Das Rekursgericht gab dem gegen diese Beschlüsse erhobenen Rekurs der Gesellschaft und des Geschäftsführers nicht Folge, wies ihre Anträge, beim Verfassungsgerichtshof die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens gemäß Art 89 Abs 2 B-VG zu beantragen und/oder beim Europäischen Gerichtshof einen Antrag auf Vorabentscheidung nach Art 267 AEUV zu stellen, zurück, ihre Anträge, die verfahrensgegenständlichen Zwangsstrafenverfahren mit anderen gegen den Geschäftsführer der Gesellschaft behängenden Zwangsstrafen zu verbinden, ab und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig.

Im Rahmen ihres dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurses lehnen die Gesellschaft und der Geschäftsführer die Mitglieder des die bekämpfte Entscheidung fällenden Rekurssenats ab.

Rechtliche Beurteilung

Zur Entscheidung über diesen Ablehnungsantrag ist gemäß § 23 JN nicht der Oberste Gerichtshof, sondern das Oberlandesgericht Innsbruck berufen, das dann, wenn der Ablehnung stattgegeben wird, erforderlichenfalls auch die vom abgelehnten Richter vorgenommene Prozesshandlung aufzuheben hat (§ 25 letzter Satz JN). Dies gilt auch, wenn die Ablehnung in einem Rechtsmittel erfolgt ist (6 Ob 226/05i mwN). Die Geltendmachung der Befangenheit ist auch noch im Rechtsmittelschriftsatz zulässig, wenn das Verfahren - wie hier das Zwangsstrafenverfahren - noch nicht rechtskräftig erledigt ist (RIS-Justiz RS0046032) und erst im Rechtsmittelverfahren Gründe bekannt werden, die die Ablehnung eines Richters unterer Instanz rechtfertigen. Eine sofortige Entscheidung des Rechtsmittelgerichts wäre nur in den hier nicht vorliegenden Fällen zulässig, dass keine konkreten Befangenheitsgründe ins Treffen geführt werden oder die Ablehnung offenkundig rechtsmissbräuchlich erfolgte (6 Ob 226/05i mwN; 1 Ob 6/11f mwN).

Die Ablehnung eines Richters im Rechtsmittelverfahren führt zu dessen Unterbrechung bis zur rechtskräftigen Entscheidung des für die Ablehnung zuständigen Gerichts. Erst nach rechtskräftiger Erledigung des Ablehnungsantrags darf über das Rechtsmittel entschieden werden (6 Ob 226/05i mwN).

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Firmenbuchsache der im Firmenbuch des Landesgerichts Feldkirch zu FN ***** eingetragenen W***** H***** GmbH mit dem Sitz in H*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Gesellschaft und ihres Geschäftsführers Dr. M***** H*****, beide vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH in Bregenz, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom , GZ 3 R 98/10a, 99/10y, 100/10w, 101/10t, 102/10i, 103/10m, 104/10h, 105/10f, 106/10b, 107/10z, 108/10x und 166/10a-252, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Der Oberste Gerichtshof hat sich bereits in der Entscheidung 6 Ob 129/11f eingehend mit den Änderungen des Zwangsstrafenverfahrens nach § 283 UGB durch das Budgetbegleitgesetz 2011 auseinandergesetzt und insbesondere dargelegt, dass gegen die neue Regelung keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen; sie verstößt auch nicht gegen das Doppelbestrafungsverbot.

2. Die Revisionsrekurswerber zweifeln an der Vereinbarkeit der Offenlegungsverpflichtung nach §§ 277 ff UGB mit den Grund- und Menschenrechten und verweisen im Besonderen auf das Grund- und Menschenrecht „auf Datenschutz, auf Meinungsfreiheit, auf informationelle Selbstbestimmung, auf Privatsphäre, auf Schutz des Geschäfts- und Betriebsgeheimnisses, auf Eigentum und auf Erwerbsfreiheit, auf Privatautonomie, auf Gleichbehandlung und auf Beachtung des Sachlichkeitsgebots.

2.1. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist ein Grundrecht des deutschen Verfassungsrechts (abgeleitet aus Art 2 Abs 1 GG) und ist daher im gegebenen Zusammenhang nicht weiter zu untersuchen. Hinzuweisen ist darauf, dass das Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach entschieden hat, dass mögliche Eingriffe in die Grundrechte, insbesondere jenes aus Art 2 Abs 1 GG abgeleitete, durch die mit der Offenlegung in § 325 Abs 1 dHGB verfolgten, in erheblichem Allgemeininteresse liegenden Zwecke eines effektiven Schutzes des Wirtschaftsverkehrs durch Information der Marktteilnehmer und einer Kontrollmöglichkeit der betroffenen Gesellschaften vor dem Hintergrund deren nur beschränkter Haftung jedenfalls gerechtfertigt sind (vgl BVerfG , 1 BvR 956/11 mwN). Aus denselben Erwägungen hegt der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung keine Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit der Offenlegungspflichten nach §§ 277 ff UGB.

2.2. Die weiteren genannten Grundrechte - ausgenommen das Recht auf Datenschutz - wirkten bereits vor Inkrafttreten der Grundrechte-Charta über die EMRK auf das Unionsrecht ein. Neuerungen ergeben sich für diese Grundrechte folglich durch das Inkrafttreten der Grundrechte-Charta nicht. Der Oberste Gerichtshof hat aber bereits festgehalten, dass die Offenlegungspflichten weder gegen die Bestimmungen der EMRK noch gegen die Grundwertungen des Unionsrechts verstoßen (6 Ob 101/01y).

2.3. Diese Rechtsprechung bedarf auch vor dem Hintergrund des nunmehr in Art 8 GRC normiertem Grundrecht auf Datenschutz keiner Korrektur:

Art 8 GR-Ch schützt personenbezogene Daten, wobei Art 8 Abs 2 GR-Ch normiert, dass personenbezogene Daten für festgelegte Zwecke nach Treu und Glauben und mit Einwilligung der betroffenen Person oder auf einer sonstigen gesetzlich geregelten legitimen Grundlage verarbeitet werden können. Ferner lässt Art 52 Abs 1 GR-Ch Einschränkungen der Ausübung der Rechte wie derjenigen zu, die in ihren Art 7 und 8 verankert sind, sofern diese Einschränkungen gesetzlich vorgesehen sind, den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen. Die in Umsetzung der 1. und 4. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie (PublizitätsRL 68/151/EWG sowie BilanzRL 78/660/EWG) ergangenen Bestimmungen des österreichischen Rechts (§§ 277 ff UGB) bilden ohne jeden Zweifel eine solche gesetzliche Grundlage. Eine Verarbeitung von personenbezogenen Daten ist damit rechtmäßig, so sie einen legitimen Zweck verfolgt und verhältnismäßig ist (Calliess/Ruffert, EUV/AEUV4 [2011] Art 8 GR-Ch Rn 14).

Sekundärrechtsakte bringen den vom Gesetzgeber gefundenen Ausgleich zwischen widerstreitenden Interessen zum Ausdruck und bilden daher für die Beurteilung der Frage, ob eine staatliche Maßnahme ein Grundrecht in verhältnismäßiger Weise beschränkt, einen wichtigen Anhaltspunkt (Calliess/Ruffert, EUV/AEUV4 [2011] Art 8 GR-Ch Rn 14). Ausdruck eines solchen Ausgleichs gegenläufiger Interessen sind auch die Publizitäts- und OffenlegungsRL. Dabei stehen einander das Interesse eines Unternehmens an Geheimhaltung seiner Kennzahlen und das Interesse des Staates und anderer Marktteilnehmer (Mitbewerber, Verbraucher) an Transparenz ebendieser Daten gegenüber (s Pkt 3.1.; s verb Rs C-92/09 und C-93/09, Volker und Markus Schecke GbR und Hartmut Eifert, Rz 87 f).

Das Grundrecht auf Schutz personenbezogener Daten in Art 8 GR-Ch hat keine unbeschränkte Wirkung. Es ist nicht ersichtlich, warum die in der 1. und 4. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie niedergelegte und im österreichischen Recht umgesetzte Offenlegungsverpflichtung nicht den Vorgaben von Art 8 Abs 2 GR-Ch entsprechen sollte. Die Offenlegungsverpflichtung bildet daher auch nach Inkrafttreten der Grundrechte-Charta keinen Verstoß gegen das Unions(-grund-)recht.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
Schlagworte
Zivilverfahrensrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2011:0060OB00064.11X.0616.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
SAAAD-65587