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OGH vom 30.06.2010, 7Ob17/10s

OGH vom 30.06.2010, 7Ob17/10s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei U***** R*****, vertreten durch Weixelbaum Humer Partner Rechtsanwälte OG in Linz, und des Nebenintervenienten auf Seiten der klagenden Partei Dr. R***** F*****, vertreten durch Dr. Horvatits Rechtsanwalts KEG in Salzburg, gegen die beklagten Parteien 1. Dr. R***** R*****, vertreten durch Dr. Klaus Fürlinger und Dr. Christoph Arbeithuber, Rechtsanwälte in Linz, und 2. O*****-AG, *****, vertreten durch Dr. Eckhard Pitzl und Dr. Gerhard W. Huber LL.M. Anwaltspartnerschaft in Linz, wegen 146.972,58 EUR und Feststellung, über die außerordentliche Revision der erstbeklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 51/09x, 2 R 192/09g-75, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung:

Den Gegenstand des Verfahrens bildet die Behauptung der Klägerin, der Erstbeklagte hafte ihr wegen mehrerer Behandlungsfehler zur ungeteilten Hand mit der Zweitbeklagten, deren Erfüllungsgehilfen ein Kunstfehler bei der Korrekturoperation unterlaufen sei, für die deshalb erlittenen Schmerzen und eingetretenen Schäden.

Das Berufungsgericht bestätigte mit Teilurteil den bekämpften Zuspruch an den Erstbeklagten (Leistung von 131.972 EUR an Schmerzengeld, Reisekosten, Verdienstentgang, Medikamentenselbstbehalt, Kosten einer Haushaltshilfe sowie Kosten für die Anschaffung eines Behindertenfahrzeugs von 15.000 EUR und Feststellung seiner Haftung für zukünftige Schäden). Hinsichtlich der Zweitbeklagten hob es das Ersturteil auf und trug insoweit die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.

Rechtliche Beurteilung

Gegen das Teilurteil richtet sich die außerordentliche Revision des Erstbeklagten. Diese ist aus folgenden Gründen nicht zulässig:

1. Ein vom Berufungsgericht verneinter Verfahrensmangel erster Instanz ist in der Revision nicht mehr anfechtbar (RIS-Justiz RS0042963). Deshalb ist auf die kritisierte, vom Berufungsgericht bejahte Verwertbarkeit des Papierabzugs eines Teils eines Röntgenbilds (dessen Original nicht vorgelegt wurde) als Augenscheinsgegenstand nicht näher einzugehen.

Abgesehen davon widerspricht die in der Revision vertretene Rechtsansicht, mangels Vorlage des Originals einer Urkunde dürfe der Papierabzug nicht verwertet werden, klar dem Inhalt des § 299 ZPO. Das Unterbleiben der Vorlage des Originals hat demnach nur zur Folge, dass keine gesetzlichen Beweisregeln für die Würdigung der Beweiskraft der Urkunde angewendet werden können, sodass die Abschrift/Kopie zur Gänze der freien richterlichen Beweiswürdigung unterliegt ( Kodek in Fasching/Konecny ² § 299 ZPO Rz 4; Rechberger in Rechberger ³ § 299 ZPO Rz 2). Daher waren die aus dem Papierabzug des Röntgenbilds gezogenen Schlussfolgerungen auf der Tatsachenebene mit Beweisrüge zu bekämpfen, was der Erstbeklagte ohnehin, allerdings erfolglos versuchte.

2. Soweit der Erstbeklagte dem Berufungsgericht die Annahme seiner Erfolgshaftung vorwirft, übergeht er die (dislozierte) Feststellung des Erstgerichts, dessen Operation sei nicht lege artis erfolgt, weil „ ein in dieser Situation mit dem erforderlichen Fachwissen ausgestatteter Facharzt die Resektion nicht derart aggressiv durchgeführt hätte, dass das Acromion brechen hätte können oder nicht so viel vom Knochen weggenommen hätte, dass das Acromion so geschwächt worden wäre, dass es nachfolgende Therapien nicht ausgehalten hätte" . Damit wurde die Vernachlässigung der erforderlichen Sorgfalt jedenfalls vertretbar bejaht.

3.1. Der Ersatzanspruch wegen Körperverletzung (§ 1325 ABGB) umfasst auch die Aufwendungen wegen Vermehrung der Bedürfnisse. Unter den vermehrten Bedürfnissen sind die auf dem Unfallgeschehen beruhenden Aufwendungen zu verstehen, die solche Nachteile ausgleichen sollen, die durch eine dauernde Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens des Verletzten entstehen. Ersatzfähig sind sowohl laufende, zum Ausgleich verbleibender Unfallbeeinträchtigungen nötige Aufwendungen als auch ein einmaliger Kostenaufwand, sofern dadurch der erhöhte Bedarf für die Zukunft - zumindest für einen gewissen Zeitraum - in ausreichendem Maße befriedigt werden kann (RIS-Justiz RS0102104 [T1]). Die Anschaffungskosten eines Personenkraftwagens sind zu ersetzen, wenn der Kläger die aus dem Unfall resultierende weitgehende Bewegungsunfähigkeit in zweckmäßiger und vernünftiger Weise nur durch die Anschaffung eines Personenkraftwagens einigermaßen ausgleichen kann (RIS-Justiz RS0030699).

3.2. Nach dieser Judikatur kann keine Rede davon sein, dass - wie die Revision vertritt - nur eine Gehbehinderung einen Ersatz der Anschaffungskosten eines Personenkraftwagens rechtfertigen könne. Vielmehr hängt die Beurteilung, ob ein Schadenersatzanspruch auf einer Vermehrung der Bedürfnisse beruht, im Allgemeinen von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet deshalb grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0102105 [T2]).

4.1. Der Schädiger hat nur für adäquat herbeigeführte Schäden einzustehen, was dann der Fall ist, wenn die Schadensursache ihrer allgemeinen Natur nach für die Herbeiführung eines derartigen Erfolgs nicht als völlig ungeeignet erscheinen muss und nicht nur infolge einer ganz außergewöhnlichen Verkettung von Umständen zu einer Bedingung des Schadens wurde (RIS-Justiz RS0022906; RS0022546; RS0022944; RS0022914; RS0022918). Nicht selten wird der zunächst eingetretene Schaden durch Handlungen des Verletzten vergrößert, die eine nicht ungewöhnliche Reaktion auf das schädigende Ereignis darstellen und daher mit diesem in einem adäquaten Kausalzusammenhang stehen. Trotz Bejahung der Adäquanz erscheint in solchen Fällen die Zurechnung der Schadensfolge nicht mehr gerechtfertigt, wenn diese auf einem selbständigen, durch den haftungsbegründenden Vorgang nicht herausgeforderten Entschluss des Verletzten selbst beruht, der sie deshalb auch allein zu verantworten hat (RIS-Justiz RS0022912; RS0022607). Die Zurechnung eines adäquaten Folgeschadens ist dann nicht mehr gerechtfertigt, wenn eine umfassende Interessenabwägung ergibt, dass die Belastungsmomente auf Seite des Verletzten jene des Ersttäters bei weitem überwiegen (RIS-Justiz RS0022912 [T2]). Ob im Einzelfall ein Schaden noch als adäquate Folge eines schädigenden Ereignisses anzusehen ist, betrifft im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO; Fragen der Adäquanz sind daher nur dann revisibel, wenn die angefochtene Entscheidung auf einer Fehlbeurteilung beruht (RIS-Justiz RS0110361 [T3] und [T4]). Hier haben die Vorinstanzen den Adäquanzzusammenhang jedenfalls vertretbar angenommen:

4.2. Zum Einen hat nämlich das Berufungsgericht die vom Erstbeklagten als Negativfeststellung bezeichnete Annahme des Erstgerichts schlüssig dahin interpretiert, dass der Erstbeklagte auch bei Aufnahme des konkreten Operationsergebnisses in die Dokumentation der Ärzte der Zweitbeklagten nicht anders gehandelt (gemeint: seine Nachbehandlung nicht anders gestaltet) hätte, was in der Revision gar nicht beanstandet wird.

4.3. Zum Anderen finden sich die vom Erstbeklagten vermissten Feststellungen zum letzten Besuch der Klägerin in seiner Ordination, zur vereinbarten Kontrolluntersuchung binnen einer Woche und zum Nichterscheinen der Klägerin ohnehin im Ersturteil, worauf schon das Berufungsgericht hinwies. Im Willensentschluss der Klägerin zum Abbruch ihrer Behandlung durch den Erstbeklagten ist aber bei Berücksichtigung seiner festgestellten vorausgehenden Behandlungsfehler eine verständliche, keinesfalls atypische Reaktion auf das erkennbar gewordene Fehlverhalten des Erstbeklagten zu erblicken. Diese Entscheidung der Klägerin führt daher auch nicht zu einem Überwiegen der Belastungsmomente auf ihrer Seite.

5. Ob die Klägerin ein Mitverschulden trifft, ist eine Frage des Einzelfalls, die die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht verwirklicht (RIS-Justiz RS0087606 [T11]). Auch dazu liegen die vom Erstbeklagten geforderten Feststellungen im Ersturteil vor, was auch schon das Berufungsgericht erkannte. Im Übrigen ist die Argumentation jedenfalls vertretbar, die Klägerin habe wegen der Vereinbarung eines Operationstermins mit dem Nebenintervenienten für den davon ausgehen dürfen, das etwa einmonatige Zuwarten werde ohne wesentliche gesundheitliche Folgen für sie bleiben, weshalb darin keine Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten zu erblicken sei.

6.1. Nach herrschender Ansicht ist ein Teilurteil nur bei Vorliegen einer einheitlichen Streitpartei unzulässig (RIS-Justiz RS0040717 [T1]; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny ² § 391 ZPO Rz 3). Es entspricht aber ständiger Judikatur, dass eine Solidarverpflichtung, sei es aus einem Vertragsverhältnis oder aus dem Gesetz, keine einheitliche Streitpartei schafft (RIS-Justiz RS0035606). Dem entsprechend hat der Oberste Gerichtshof auch schon ausgesprochen, dass die Solidarhaftung mehrerer Personen die Urteilsfällung gegen einzelne der Beklagten, die keine einheitliche Streitpartei bilden, nicht hindern kann (2 Ob 299/05t = RIS-Justiz RS0035606 [T12]).

6.2. Ob auch die Zweitbeklagte der Klägerin gegenüber (mit dem Erstbeklagten solidarisch) haftet, ist für die abschließende Beurteilung der Haftung des Erstbeklagten nicht präjudiziell, weil der Gläubiger gemäß § 891 ABGB die Solidarschuldner nach seiner Wahl (selbst nach erhobener Klage) bis zur vollständigen Befriedigung beliebig in Anspruch nehmen, also von allen, einigen oder einem einzigen Mitschuldner das Ganze oder Anteile fordern kann. Die Verpflichtung der Mitschuldner bleibt auch dann aufrecht, wenn bereits einer der Solidarschuldner zur Zahlung des Ganzen verurteilt wurde, weil nicht das Urteil, sondern erst die Erfüllung objektive Wirkung entfaltet (vgl RIS-Justiz RS0017435; RS0017379; RS0017375; Gamerith in Rummel ³ § 891 ABGB Rz 9; Perner in Venyves/Kerschner/Vonkilch , Klang ³ § 891 ABGB Rz 42).

6.3. Die geteilte Schuld stellt gegenüber der Solidarschuld kein aliud, sondern ein minus dar (1 Ob 127/98b = RIS-Justiz RS0111161). Die Erlassung des Teilurteils nur gegen den Erstbeklagten könnte daher auch dann keinen Verstoß gegen § 405 ZPO bilden, wenn im Weiteren eine Haftung der Zweitbeklagten verneint werden sollte.