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OGH vom 02.07.1957, 4Ob71/57

OGH vom 02.07.1957, 4Ob71/57

Norm

ABGB § 1325;

Allgemeines Sozialversicherungsgesetz § 333;

Reichsversicherungsordnung § 898;

Kopf

SZ 30/37

Spruch

Die Einschränkung der zivilrechtlichen Haftung des Dienstgebers nach § 333 ASVG. bezieht sich auch auf Schmerzengeld.

Entscheidung vom , 4 Ob 71/57.

I. Instanz: Arbeitsgericht Hermagor; II. Instanz: Landesgericht Klagenfurt.

Text

Der Kläger war als Maurer bei der Zweitbeklagten beschäftigt. In dieser Eigenschaft erlitt er bei einem Unfall auf einer Baustelle des Betriebes der Zweitbeklagten, deren Repräsentant der Erstbeklagte war, am schwerste Verletzungen. Der Erstbeklagte wurde wegen seines zum Unfall führenden schuldhaften Verhaltens vom Landesgericht Klagenfurt wegen Vergehens nach §§ 335, 337 lit. a StG. rechtskräftig verurteilt. Die zuständige A.- Versicherungsanstalt hat eine Entscheidung über die Ansprüche des Klägers gegen den Sozialversicherungsträger gefällt, die allerdings noch nicht rechtskräftig ist, da sie vom Kläger beim Schiedsgericht der Sozialversicherung angefochten wurde. Der Kläger begehrt von beiden Beklagten ein Schmerzengeld in der Höhe von 50.000 S, wobei er den Standpunkt vertritt, daß dieser Anspruch, weder durch die am in Kraft getretenen einschlägigen Bestimmungen des Bundesgesetzes vom , BGBl. Nr. 189, über die Allgemeine Sozialversicherung (ASVG.) noch durch jene der bis dahin in Geltung gestandenen Reichsversicherungsordnung (RVO.) berührt worden sei.

Mit dem vom Berufungsgericht bestätigten Urteil des Erstgerichtes wurde das Klagebegehren abgewiesen. Beide Untergerichte vertraten die Rechtsansicht, daß, gleichviel ob die Rechtssache nun nach den Bestimmungen der §§ 898, 899 RVO. oder nach der mit diesen Bestimmungen im wesentlichen übereinstimmenden Vorschrift des § 333 ASVG. beurteilt werde, der Anspruch des Klägers nicht gerechtfertigt sei, weil sowohl nach altem wie nach geltendem Recht Voraussetzung für den Schadenersatzanspruch des Versicherten gegen den Unternehmer beziehungsweise dessen Vertreter (Repräsentanten) sei, daß der Schaden vorsätzlich herbeigeführt wurde. Davon könne aber keine Rede sein.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Es kann unerörtert bleiben, ob die vorliegende Rechtssache nach den Bestimmungen der RVO. oder nach jenen des ASVG. zu beurteilen ist. Denn das ASVG. hat an der Haftungsbeschränkung des § 898 RVO. nichts geändert. Die Bestimmungen des IV. Abschnittes (§§ 332 bis 337) des ASVG. treten ergänzend und teilweise auch abändernd zu den zivilrechtlichen Schadenersatzbestimmungen hinzu. § 333 schränkt den zivilrechtlichen Schadenersatzanspruch des Versicherten gegenüber dem Dienstgeber bei einem durch einen Arbeitsunfall oder durch eine Berufskrankheit hervorgerufenen Schaden auf den Fall der vorsätzlichen Herbeiführung des Arbeitsunfalles oder der Berufskrankheit durch den Dienstgeber ein ( s. die erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage, Nr. 599 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates, VII. GP., S. 100). Diese Einschränkung erfolgte bewußt und aus sachlich gerechtfertigten Gründen. Es handelt sich hier in gleicher Weise wie bei der vorher in Geltung gestandenen Vorschrift des § 898 RVO. um eine Sondernorm, wodurch die aus dem Arbeitsunfall (der Berufskrankheit) sich ergebenden Schadenersatzansprüche gegenüber dem Dienstgeber abschließend geregelt wurden. Dadurch wurden die mit dieser Regelung im Widerspruch stehenden allgemeinen Bestimmungen des ABGB. über den Schadenersatz abgeändert. Dies gilt auch für den Anspruch auf Schmerzengeld, den das ABGB. im § 1325 bei Körperverletzungen vorsieht und der ein echter Schadenersatzanspruch ist. Wenn § 332 Abs. 1 letzter Satz ASVG. nunmehr ausdrücklich normiert, daß Ansprüche des Verletzten und Sozialversicherten auf Schmerzengeld nicht auf den Sozialversicherungsträger übergehen, so wurde damit in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise nur ausgesprochen, was nach der Praxis schon früher geltendes Recht war. Da der Schmerzengeldanspruch durch keinen Sozialversicherungsanspruch gedeckt ist wird er auch von der Legalzession des § 332 Abs. 1 ASVG. nicht erfaßt. Durch diese Bestimmung wurde entgegen der Meinung der Revision die Sondervorschrift des § 333 ASVG. nicht berührt. Die Einschränkung der Haftung des Dienstgebers gegenüber dem Dienstnehmer bei Arbeitsunfällen (Berufskrankheiten) findet ihren Grund darin, "daß die gesetzliche Unfallversicherung entsprechend ihrer historischen Wurzel gleichzeitig als Ablöse der Unternehmerhaftpflicht konstruiert ist" (Bericht des Ausschusses für soziale Verwaltung, Nr. 613 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates, VII. GP., zu §§ 332 bis 337 ASVG.). Es darf nicht übersehen werden, daß die Schlechterstellung der Versicherten hinsichtlich der Entschädigung durch eine geringere Sozialrente im Vergleich zu dem nach bürgerlichem Recht zu leistenden vollen Schadenersatz durch die Vorteile aufgehoben wird, die sich daraus ergeben, daß der Sozialversicherte bei einem Arbeitsunfall die Entschädigung durch den Sozialversicherungsträger ohne Rücksicht auf die Verschuldensfrage erhält. Dem Sozialversicherten gegenüber ist daher der Unternehmer praktisch von jeder Haftung befreit, da die Haftungsvoraussetzung des Vorsatzes kaum eintreten wird. In dieser von den Normen des bürgerlichen Rechtes abweichenden Einschränkung der Haftung des Dienstgebers ist entgegen der Meinung der Revision eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes nicht gelegen. Die verfassungsmäßige Gewährleistung eines Rechtes hindert nicht, daß aus wichtigen, sachlich gerechtfertigten Gründen einzelne Klassen oder Gruppen der Bevölkerung ungleich behandelt werden (vgl. die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes Slg. 617 und 775).

Verfehlt sind auch die Schlüsse, die die Revision aus dem Umstand ableitet, daß das ASVG. eine strafgerichtliche Feststellung des Vorsatzes des Unternehmers nicht mehr vorsieht. Vorsatz im Sinne des § 333 ASVG. läßt sich auch mit gröblichster Fahrlässigkeit nicht gleichsetzen, sondern ist immer gleichbedeutend mit böser Absicht (vgl. §§ 1324, 1331 ABGB.). Böse Absicht liegt aber nach § 1294 ABGB. vor, wenn der Schaden widerrechtlich, mit Wissen und Willen zugefügt worden ist. Da die Tatbestände der §§ 335, 337 lit. a StG., nach welchen der Erstbeklagte verurteilt wurde, die Schuldform der Fahrlässigkeit zur Voraussetzung haben, bedeutet der Schuldspruch die Feststellung der Fahrlässigkeit und den Ausschluß der Vorsätzlichkeit. An diesen Ausspruch des Strafgerichtes ist das Zivilgericht gebunden (§ 268 ZPO.).