OGH vom 30.06.1983, 6Ob6/83
Norm
EGZPO ArtXLIII;
Kopf
SZ 56/117
Spruch
Eine Urkunde ist im Interesse beider Parteien errichtet, wenn sie angefertigt wurde, um den Streitteilen als Beweismittel zu dienen oder ihre rechtlichen Beziehungen zu fördern. Maßgeblich ist nicht der Urkundeninhalt, sondern der Errichtungszweck
Die über die Erfüllungsübernahme errichtete Vertragsurkunde ist keine gemeinschaftliche Urkunde des Gläubigers und des Erfüllungsübernehmers
(OLG Graz 6 R 7/83; LG Klagenfurt 16 Cg 252/82)
Text
Die Streitteile sind Brüder. Ihr Vater, Ferdinand E, hatte mit Vertrag vom seine beiden Liegenschaften im Gesamtausmaß von 65 ha 04 a 90 m2 dem Beklagten übergeben, während er dem Kläger eine wertgesicherte Erbsenbertigung von 15 000 S ausgesetzt hatte. Anstelle dieses Betrages überließ ihm der Beklagte ein Wiesengrundstück im Ausmaß von 4100 m2. Ferdinand E verstarb am . Mit Übergabsvertrag vom hat der Beklagte die beiden Liegenschaften Josef E übergeben.
Die Vorlage dieser Vertragsurkunde begehrte der Kläger mit der Behauptung, er wolle gegen seinen Bruder Pflichtteilsergänzungsansprüche geltend machen. Da das in diesem Vertrag festgelegte Entgelt auch für die Ansprüche des Klägers bestimmend sei, handle es sich um eine gemeinschaftliche Urkunde, zu deren Vorlage der Beklagte deshalb verpflichtet sei.
Der Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, der Übergabsvertrag sei keine gemeinschaftliche Urkunde. Überdies habe er die Liegenschaft nicht freiwillig verkauft, sondern sei zur Übergabe infolge eines Gebrechens genötigt worden. Der Vertrag sei noch nicht bücherlich durchgeführt. Schließlich habe der Kläger durch die Annahme des ihm ersatzweise überlassenen Grundstückes zumindest stillschweigend auf weitere Ansprüche gegen den Beklagten verzichtet.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es vertrat die Ansicht, der Übergabsvertrag vom sei eine gemeinschaftliche Urkunde der Streitteile, weil er den Pflichtteilsergänzungsanspruch des Klägers klarstelle und zu dessen Beweisführung geeignet sei. Das rechtliche Interesse an der Einsichtnahme in die Urkunde sei darin zu erblicken, daß der Kläger sonst seine Pflichtteilsansprüche nicht geltend machen könne. Von einem Verzicht auf seine Ansprüche könne keine Rede sein, weil die Abfindung des Klägers mit dem Grundstück allein auf die ausgesetzte Entfertigung beschränkt habe.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten Folge, wies das Klagebegehren ab und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 2000 S übersteigt. Eine Urkunde gelte als gemeinschaftlich insbesondere für die Personen, in deren Interesse sie errichtet sei oder deren gegenseitige Rechtsverhältnisse darin beurkundet seien. Beides treffe auf die streitverfangene Vertragsurkunde nicht zu, weil sie lediglich im Interesse der Vertragspartner errichtet worden sei. Selbst wenn der Übernehmer die Verpflichtung zur Abgeltung der Pflichtteilsergänzungsansprüche des Beklagten übernommen haben sollte, könne sich der Kläger diesem gegenüber auf diese Vertragsbestimmung nicht berufen, weil es sich dabei lediglich um eine Erfüllungsübernahme iS des § 1404 ABGB handle. Das bloße Interesse an der Kenntnis des Inhaltes der Urkunde rechtfertige noch keinen Vorlageanspruch nach Art. XLIII EGZPO, sofern das Schriftstück nicht als gemeinschaftliche Urkunde zu beurteilen sei.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Vorauszuschicken ist, daß sich der Kläger im Verfahren erster Instanz zur Begründung der Vorlagepflicht des Beklagten auf Art. XLIII EGZPO berufen hat. Der Hinweis auf § 304 ZPO, der sich erst in der Revision findet, ist jedenfalls insoweit verfehlt, als sich diese Bestimmung auf die Urkundenvorlage in bereits anhängigen Verfahren beschränkt. Das Klagebegehren wäre somit nur dann berechtigt, wenn die Vertragsurkunde den Streitteilen gemeinschaftlich wäre (vgl. § 304 Abs. I Z 3 ZPO).
Eine den Begriff ausschöpfende Definition der gemeinschaftlichen Urkunde findet sich im Gesetz nicht (Fasching III 390); im § 304 Abs. 2 ZPO sind lediglich - allerdings umfassende - Beispielsgruppen angeführt. Danach gilt eine Urkunde insbesondere für jene Personen als gemeinschaftlich, in deren Interesse sie errichtet ist oder deren gegenseitige Rechtsverhältnisse darin beurkundet sind. Weder die eine noch die andere Voraussetzung trifft im Verhältnis zwischen den Streitteilen zu, weil die Vertragsurkunde weder für den Kläger noch in seinem Interesse errichtet worden ist (vgl. EvBl. 1978/173).
Soweit der Kläger meint, die Urkunde liege in seinem Interesse, weil sie ihm nach § 14a des Kärntner Erbhöfegesetzes einen "unmittelbaren Anspruch auf Pflichtteilsergänzung" einräume, mißversteht er die Bestimmung des § 304 Abs. 2 ZPO. Abgesehen davon, daß die rechtliche Grundlage dieses Anspruches das Gesetz selbst ist (SZ 38/47), kommt es bei der Beurteilung eines Schriftstückes als gemeinschaftliche Urkunde nicht darauf an, ob der Kläger ein (rechtliches) Interesse an der Einsicht in die Urkunde hat, obschon auch dieses Erfolgsvoraussetzung für die Klage nach Art. XLIII EGZPO ist (Fasching II 99); vielmehr ist eine Urkunde dann gemeinschaftlich, wenn sie im Interesse beider Parteien errichtet ist (Sperl, Bürgerliche Rechtspflege 417). Das trifft dann zu, wenn sie angefertigt wurde, um den Streitteilen als Beweismittel zu dienen oder ihre rechtlichen Beziehungen zu fördern (Soergel - Mühl, BGB[10] Rdz. 6 zu dem - dem § 304 Abs. 2 ZPO ähnlichen - § 810 BGB). Maßgeblich ist also nicht der Urkundeninhalt, sondern der Errichtungszweck (Pallandt, BGB[42] 796). Es muß demnach beabsichtigt worden sein, auf die rechtlichen Beziehungen der Streitteile einzuwirken oder solche zu sichern (Staudinger - Müller, Komm BGB[10/11], Rdz. 10 lit. a zu § 810). Zweck der Errichtung der streitverfangenen Urkunde (vgl. hiezu auch Vallenthin, Münch-Komm § 810 BGB, Rdz. 6) war es jedoch, eine verbücherungsfähige Urkunde zu schaffen und den Vertragspartnern als Beweismittel zu dienen; keinesfalls sollte sie auch dazu bestimmt sein (vgl. Pallandt aaO), dem Kläger als solches an die Hand gegeben zu werden.
Der Kläger verkennt auch das zweite (alternative) Merkmal der gemeinschaftlichen Urkunde. Wenngleich der Verkaufswert der zum Erbhof gehörigen Liegenschaften für den Pflichtteilsergänzungsanspruch gewiß bedeutsam ist, ist in der Urkunde keineswegs ein Rechtsverhältnis zwischen den Streitteilen, sondern sind allein gegenseitige Rechte und Pflichten des Klägers und des Übernehmers beurkundet. An diesem Rechtsverhältnis ist der Kläger selbst dann nicht beteiligt, wenn Josef E mit diesem Vertrag die Verpflichtung übernommen hätte, seine Ansprüche zu befriedigen. Zutreffend beurteilte das Berufungsgericht eine solche Vereinbarung als Erfüllungsübernahme gemäß § 1404 ABGB, aus der dem Kläger kein unmittelbarer Leistungsanspruch erwächst.
Ist aber die Urkunde, deren Vorlage Gegenstand des Begehrens des Klägers ist, den Streitteilen nicht gemeinschaftlich, so ist dem auf Art. XLIII EGZPO gestützten Klagebegehren der Boden entzogen. Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß der Kläger einen im bürgerlichen Recht begrundeten Vorlageanspruch nicht behauptet hat. Die Vertragsurkunde steht weder in seinem (Mit-)Eigentum noch hat er sonstige Rechte an ihr behauptet; auch § 14a des Kärntner Erbhöfegesetzes, der zwar bei der Erbhofübergabe unter Lebenden analog anzuwenden ist (SZ 38/47), räumt ihm einen solchen Anspruch nicht ein.