OGH vom 08.11.1988, 2Ob72/88
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*** A*** V***-AG, 1010 Wien,
Brandstätte 7-9, vertreten durch Dr. Wolfgang Zahradnik, Dr. Hans Christian Kollmann, Dr. Edgar Hofbauer, Rechtsanwälte in Lambach, wider die beklagten Parteien 1) Ing. Johann K***, Journalist, vormals 6020 Innsbruck, Coulingasse 1, nunmehr O***, 1136 Wien,
2) V*** DER Ö*** B***,
6020 Innsbruck, Bozner Platz 7, beide vertreten durch Dr. Karl Mathias Weber, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 25.920,66 s.A., infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Wels als Rekursgerichtes vom , GZ R 104/88-12, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Gmunden vom , GZ 2 C 3046/87-6, aufgehoben wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluß dahin abgeändert, daß der Beschluß des Erstgerichtes wieder hergestellt wird.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 2.829,75 (darin keine Barauslagen und S 257,25 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsrekurses binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Klägerin begehrte von beiden Beklagten zur ungeteilten Hand Regreß aus dem Verkehrsunfall vom auf der A 1 im Gebiet von Steyrermühl.
Das Erstgericht erließ am antragsgemäß den Zahlungsbefehl laut Klage.
Die Zustellung der Klage samt Zahlungsbefehl erfolgte an beide Beklagte jeweils am .
Beide Beklagte erhoben gegen den Zahlungsbefehl Einspruch. Der vom Erstbeklagten erhobene Einspruch wurde am zur Post gegeben und langte am beim Erstgericht ein. Das Erstgericht wies den am zur Post gegebenen und am eingelangten Einspruch der Zweitbeklagten als verspätet zurück.
Infolge Rekurses der Zweitbeklagten hob das Gericht zweiter Instanz den angefochtenen Beschluß auf und trug dem Erstgericht unter Abstandnahme vom Zurückweisungsgrund die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens auch in Ansehung der Zweitbeklagten auf. Das Rekursgericht sprach aus, daß der von der Abänderung betroffene Wert des Streitgegenstandes S 15.000 übersteigt und der Rekurs nach den §§ 528 Abs. 2, 502 Abs. 4 Z 1 ZPO zulässig sei. Es führte unter Hinweis auf die neuere Judikatur des Obersten Gerichtshofes zur Frage, inwieweit Haftpflichtversicherer und Versicherter wegen der Erweiterung der Urteilswirkung gemäß § 63 Abs. 3 KFG bei gemeinsamer Inanspruchnahme als einheitliche Streitpartei zu behandeln seien, aus, Lenker, Halter und Versicherer bildeten lediglich insoweit eine einheitliche Streitpartei, als der gegen sie vorgebrachte Haftungsgrund identisch sei und es zur Verwirklichung der im § 63 Abs. 3 KFG vorgesehenen Erstreckungswirkung eines die Schadenersatzklage rechtskräftig aberkennenden Urteiles erforderlich sei. Im vorliegenden Fall sei das Vorliegen einer einheitlichen Streitpartei im Sinne des § 14 ZPO und demgemäß die Erstreckungswirkung des fristgerechten Einspruchs des Erstbeklagten auch für die Zweitbeklagte zu bejahen. Die Klägerin nehme den Erstbeklagten als Lenker und Halter und die Zweitbeklagte als Haftpflichtversicherer in Anspruch. Es könne dahingestellt bleiben, zu welchem Ergebnis immer das Erstgericht auf Grund des durchzuführenden Beweisverfahrens kommen möge, es könne gegen beide Beklagte nur gleichlautend sein. Die Bejahung einer Verschuldenshaftung oder Halterhaftung des Erstbeklagten führe notwendigerweise zu einer Bejahung dieser Haftung gegenüber dem Versicherer als Gesamtschuldner (§ 63 Abs. 1 letzter Satz KFG), wobei eine betragliche Beschränkung der Haftung der Zweitbeklagten im Sinne der §§ 15, 16 EKHG auf Grund der dort angeführten Haftungshöchstbeträge in Verbindung mit der Klagsforderung von vornherein undenkbar erscheine. Es lägen daher Einschränkungen auf Grund der Verschiedenheit der Voraussetzungen und des Umfangs der Haftung der einzelnen Streitgenossen nicht vor, so daß es mit § 63 KFG unvereinbar erscheine, gegen den einen Streitgenossen ein den Schadenersatzanspruch ganz oder teilweise aberkennendes, gegen den anderen aber insoweit gleichzeitig stattgebendes Urteil zu fällen. Gegen den Beschluß des Rekursgerichtes wendet sich der Revisionsrekurs der Klägerin aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses. Die Klägerin führt unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes aus, daß Versicherer und Versicherter nur in dem Umfange eine einheitliche Streitpartei im Sinne des § 14 ZPO bilden, als der gegen die beiden (Beklagten) vorgebrachte Haftungsgrund identisch ist und es zur Verwirklichung der im § 63 Absatz 3 KFG vorgesehenen Erstreckungswirkung eines die Schadenersatzklage rechtskräftig aberkennenden Urteils erforderlich ist. Der Erstbeklagte hafte als Lenker für Verschulden. Wenn ein Verschulden des Lenkers angenommen werde, verdränge diese Haftung die Haftung des Halters wegen überwiegend gewöhnlicher Betriebsgefahr. Der Haftungsgrund des Erstbeklagten als Lenker und der Zweitbeklagten seien daher nicht identisch. Als Halter hafte der Erstbeklagte für die Betriebsgefahr, die er durch die von ihm verursachte Bremswegverkürzung herbeigeführt habe. Auch dieser Haftungsgrund sei mit der durch § 63 KFG für die Zweitbeklagte begründeten Mithaftung nicht identisch. Schließlich hafte der Erstbeklagte als Lenker bei Verschulden unbeschränkt; die Zweitbeklagte als Versicherer jedenfalls nur im Rahmen der Haftungshöchstbeträge. Wenn auch im vorliegenden Fall diese Höchstbeträge nicht erreicht werden könnten, so könne dies entgegen der Rechtsansicht des Rekursgerichtes keinen Grund dafür darstellen, eine einheitliche Streitgenossenschaft anzunehmen. Denn die konsequente Verfolgung dieser Rechtsansicht würde bedeuten, daß die Frage, ob eine einheitliche Streitgenossenschaft anzunehmen sei oder nicht, ausschließlich davon abhängen würde, ob die Schadenersatzansprüche des geschädigten Dritten in der Versicherungssumme Deckung finden oder nicht. Dies wäre mit den vom Obersten Gerichtshof insbesondere zu ZVR 1974/185 dargelegten Grundsätzen einer weitgehenden Aufrechterhaltung der Parteiendispositionsbefugnis unvereinbar. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung sei dementsprechend davon auszugehen, daß zwischen den Beklagten eine einheitliche Streitgenossenschaft im Sinne des § 14 ZPO nicht angenommen werden könne, so daß sich der vom Erstbeklagten eingebrachte Einspruch zugunsten der Zweitbeklagten nicht auswirken könne.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:
Zunächst war die Frage der Rechtzeitigkeit der Erhebung des Einspruches durch die Zweitbeklagte zu prüfen. Die Zweitbeklagte hat in ihrem Rekurs gegen den Beschluß des Erstgerichtes, mit dem der von ihr erhobene Einspruch als verspätet zurückgewiesen worden war, hiezu geltend gemacht, daß der Filialdirektion Innsbruck ihrer Anstalt keine eigene Rechtspersönlichkeit zukomme und demgemäß die Zustellung unter dieser Adresse unwirksam gewesen sei; die richtige Zustellanschrift sei jene der "Zentrale" in Wien, wo der Zahlungsbefehl erst am eingelangt sei und erst damit die Frist zur Erhebung des Widerspruches zu laufen begonnen habe. Diesen Ausführungen ist zu erwidern, daß gemäß § 4 ZustG die Abgabestelle der Ort ist, an dem die Sendung dem Empfänger zugestellt werden darf; das ist die Wohnung oder sonstige Unterkunft, die Betriebsstätte, der Sitz, der Geschäftsraum, die Kanzlei oder der Arbeitsplatz des Empfängers. Betriebsstätte ist im Sinne von "fester" Betriebsstätte als die räumliche Einheit anzusehen, in der der Empfänger seinen Betrieb führt. Eine Person kann auch mehrere Betriebsstätten haben. Eine Betriebsstätte liegt jedoch nur dann vor, wenn dort regelmäßig und andauernd eine betriebliche Tätigkeit entfaltet wird (vgl. Walter-Mayer Zustellrecht, S. 33 f, Anm.8 zu § 4 ZustG). Bei Anwendung dieser Kriterien erscheint es dem Obersten Gerichtshof nicht zweifelhaft, daß die Filialdirektion Tirol der V*** DER
Ö*** B*** als Betriebsstätte im Sinne des § 4
ZustG anzusehen ist, wenngleich ihr, selbst wenn sie als Zweigniederlassung im Handelsregister eingetragen worden wäre, keine eigene Rechtspersönlichkeit zukommt (vgl. SZ 40/113, EvBl.1965/209 ua.). Daß die Zweitbeklagte als Rechtsträger der Haftpflichtversicherung in Anspruch genommen werden sollte, steht außer Zweifel. Die Zustellung an die Zweitbeklagte unter der im ganzen Verfahren auch von ihr selbst angegebenen Anschrift ihrer Filialdirektion in Innsbruck war daher wirksam. Damit war aber der nach Ablauf der Frist des § 451 Abs. 2 ZPO von der Zweitbeklagten erhobene Einspruch gegen den Zahlungsbefehl des Erstgerichtes ebenfalls verspätet und wurde vom Erstgericht mit Recht zurückgewiesen.
Unabhängig davon war die weitere Frage zu prüfen, ob infolge Vorliegens einer einheitlichen Streitpartei im Sinn des § 14 ZPO durch den rechtzeitigen Einspruch des Erstbeklagten der Zahlungsbefehl gemäß § 452 Abs. 1 ZPO auch hinsichtlich der Zweitbeklagten außer Kraft getreten ist.
Gemäß § 36 des am in Kraft getretenen Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsgesetzes 1987 (KHVG 1987), BGBl.1987/296, gelten die §§ 17 bis 20 und 22 bis 25 des Gesetzes auch für zum Zeitpunkt des Inkrafttretens bestehende Versicherungsverträge. Gemäß § 22 Abs. 1 KHVG 1987 kann der geschädigte Dritte den ihm zustehenden Schadenersatzanspruch im Rahmen des betreffenden Versicherungsvertrages auch gegen den Versicherer geltend machen. Der Versicherer und der ersatzpflichtige Versicherte haften als Gesamtschuldner. Gemäß § 24 KHVG 1987 wirkt, soweit durch rechtskräftiges Urteil ein Schadenersatzanspruch des geschädigten Dritten aberkannt wird, das Urteil, wenn es zwischen dem geschädigten Dritten und dem Versicherer ergeht, auch zugunsten des Versicherten, wenn es zwischen dem geschädigten Dritten und dem Versicherten ergeht, wirkt es auch zugunsten des Versicherers. § 24 KHVG 1987 ist inhaltsgleich mit dem durch § 30 Z 10 KHVG 1987 aufgehobenen § 63 Abs. 3 KFG 1967, so daß die zur letztgenannten Gesetzesstelle ergangene Rechtsprechung auch auf § 24 KHVG 1987 angewendet werden kann.
Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung verbietet sich die Heranziehung der hinsichtlich der einheitlichen Streitpartei entwickelten Grundsätze insoweit, als im Hinblick auf die Verschiedenheit der Haftung von Versicherer und Versichertem ein die Klage hinsichtlich des einen der Streitgenossen aberkennendes Urteil keineswegs auch hinsichtlich des anderen im gleichen Sinne ausfallen muß. Sie bilden lediglich insoweit eine einheitliche Streitpartei, als der gegen sie vorgebrachte Haftungsgrund identisch ist und es zur Verwirklichung der im § 63 Abs. 3 KFG vorgesehenen Erstreckungswirkung eines die Schadenersatzklage rechtskräftigen aberkennenden Urteils erforderlich ist. Darüber hinaus bleibt die den Parteien zustehende Dispositionsbefugnis aufrecht (vgl. SZ 48/82, ZVR 1974/185, JBl.1974, 375, ZVR 1976/84 ua.). Im vorliegenden Fall hindert daher der infolge verspäteter Erhebung des Einspruchs durch die Zweitbeklagte ihr gegenüber rechtswirksame, dem Klagebegehren stattgebende Zahlungsbefehl, der keinerlei Erstreckungswirkung im Sinne des § 24 KHVG 1987 entfaltet, ebensowenig die Erlassung einer allfälligen anders lautenden Entscheidung in dem gegen den Erstbeklagten fortgeführten Verfahren, wie dies etwa bei Fällung eines stattgebenden Versäumungsurteils gegen den Versicherer vor Erledigung des gegen den Versicherten anhängigen Verfahrens der Fall wäre (vgl. SZ 48/82, ZVR 1974/185 ua.). Da der Erst- und die Zweitbeklagte somit keine einheitliche Streitpartei im Sinn des § 14 ZPO bilden, konnte der rechtzeitig erhobene Einspruch des Erstbeklagten nicht die Wirkung eines Außerkrafttretens des Zahlungsbefehles (§ 452 Abs. 1 ZPO) auch gegenüber der Zweitbeklagten entfalten.
Dem Revisionsrekurs war daher Folge zu geben und der Beschluß des Erstgerichtes wieder herzustellen.