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OGH vom 25.04.1990, 7Ob14/90

OGH vom 25.04.1990, 7Ob14/90

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Egermann, Dr. Kodek, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dipl.Ing.Harro Z***, Zivilingenieur für Bauwesen, Graz, Sparbersbachgasse 31, vertreten durch Dr. R. Kaan u.a., Rechtsanwälte in Graz, und der der klagenden Partei beigetretenen Nebenintervenientin L'U*** D*** A*** DE P*** I.A.R.D., Direktion für Österreich, Wien 1., Schreyvogelgasse 10, vertreten durch Dr. Alexander Wanke, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei G*** W*** V***, Graz,

Herrengasse 18-20, vertreten durch Dr. Helmut Klement u.a., Rechtsanwälte in Graz, wegen Feststellung (Streitwert S 900.000), infolge Revisionen beider Parteien und der Nebenintervenientin gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 149/89-20, womit infolge Berufung der klagenden Partei und der Nebenintervenientin das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz als Handelsgericht vom , GZ 7 Cg 404/88-6, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Den Revisionen wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 20.237,58 (darin enthalten S 3.372,93 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung ON 28 abzüglich ihres Kostenersatzanspruches gegenüber der beklagten Partei für die Revisionsbeantwortung ON 29 von S 4.629,60 (darin S 771,60 Umsatzsteuer), sohin den Kostenbetrag von S 15.607,98 binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Nebenintervenientin die mit S 4.629,60 (darin enthalten S 771,60 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung ON 27 binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile schlossen am zur Polizze Nr. 8,076.100 eine Berufshaftpflichtversicherung mit dem versicherten Risiko "Tätigkeit als Zivilingenieur für Bauwesen" mit der Laufzeit vom bis und einer Versicherungssumme für "sonstige Schäden" von S 1 Million ab.

Im Jahr 1980 schloß die Ingenieurkammer für Steiermark und Kärnten für alle ihre Mitglieder - darunter auch für den Kläger - mit der Nebenintervenientin eine Berufshaftpflichtversicherung mit einem Selbstbehalt von S 100.000 ab. Der Kläger beantragte deshalb bei der Beklagten, die Versicherungssumme der bei ihr bestehenden Haftpflichtversicherung auf S 100.000 herabzusetzen. Die Beklagte führte das dergestalt durch, daß sie die Versicherungspolizze mit der Nummer 8,076.100 am stornierte und dem Kläger für das gleiche Risiko eine neue Polizze mit der Nummer 8,081,353 und einer Pauschalversicherungssumme von S 100.000 ausstellte. Als Versicherungsdauer wurde in dieser neuen Polizze der Zeitraum vom bis angegeben.

Die Streitteile legten dem Versicherungsvertrag die Allgemeinen Bedingungen für die Haftpflichtversicherung von staatlich befugten und beeideten Architekten und Zivilingenieuren für Hochbau, Ingenieurkonsulenten und Zivilingenieuren für Bauwesen sowie Ingenieurkonsulenten für Vermesssungswesen (AHBA) zugrunde. Gemäß Art. 4 AHBA erstreckt sich der Versicherungsschutz auf Schadenersatzverpflichtungen aus allen Verstößen, die während der Wirksamkeit des Versicherungsvertrages gesetzt werden (Punkt 1.1.). Außerdem umfaßt die Versicherung auch Schadenersatzverpflichtungen aus allen Verstößen, die im Zeitraum eines Jahres vor dem Beginn der Versicherung gesetzt wurden und dem Versicherungsnehmer bis zum Abschluß des Vertrages nicht bekannt geworden sind; dies gilt jedoch nur insoweit, als für diese Schadenersatzverpflichtungen nicht Deckung bei einem anderen Versicherer gegeben ist (Punkt 1.2.). Versicherungsschutz ist jedoch nicht gegeben, wenn die Geltendmachung des Anspruchs des Dritten nach Ablauf von einem Jahr nach Beendigung des Versicherungsvertrages erfolgt (Punkt 3.). In der Zeit vom bis führte der Kläger im Auftrag der Anton K*** Stahl- und Metallbau GmbH die statischen Berechnungen für das Vordach der Fabrikhalle der K*** Sportgeräte GmbH durch. Mit Schreiben vom (Beilage D) meldete der Kläger der Beklagten zur Polizze Nr. 8,081.353, daß das im Jahr 1980 errichtete Vordach am durch Überbelastung nach extrem starken Schneefällen eingestürzt ist. Die Beklagte holte daraufhin ein Gutachten ein und teilte dem Kläger mit Schreiben vom (Beilage F) mit, der Sachverständige sei zum Schluß gekommen, daß der Schaden durch einen Mangel, den die ausführende Stahlbaufirma zu vertreten habe, entstanden sei. Ein Verschulden des Klägers habe nicht festgestellt werden können. Weiters ersuchte sie den Kläger, sie von der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegen ihn zu verständigen, damit sie "die Abwehr dieser Forderungen durchführen" könne.

Die K*** Sportgeräte GmbH machte ihre Schadenersatzansprüche wegen des Einsatzes des Vordaches gegen die bauausführende K*** Stahl- und Metallbau GmbH im Verfahren 8 Cg 368/86 des Erstgerichtes geltend. In diesem Verfahren wurde dem Kläger der Streit verkündet. Mit Schreiben vom (Beilage I) lehnte die Beklagte die Gewährung des Versicherungsschutzes unter Hinweis auf Art. 4 AHBA mit der wesentlichen Begründung ab, daß (einerseits) die Inanspruchnahme des Klägers mehr als ein Jahr nach der Stornierung des Versicherungsvertrages Polizze Nr. 8,076.100 erfolgt, die Schadensursache vom Kläger aber (andererseits) länger als ein Jahr vor dem Beginn des Versicherungsvertrages Polizze Nr. 8,081,353 gesetzt worden und der Schaden daher von keinem der beiden Versicherungsverträge gedeckt sei.

Im Verfahren 8 Cg 262/88 des Erstgerichtes begehrt die Anton K*** Stahl- und Metallbau GmbH vom Kläger die Zahlung von S 943.042,79 samt Anhang mit der Behauptung, daß der Einsturz des Vordaches der Fabrikhalle der Firma K*** Sportgeräte GmbH durch eine fehlerhafte statische Berechnung des Klägers verursacht worden sei.

Der Kläger beantragt mit der vorliegenden Klage, die Beklagte schuldig zu erkennen, ihm aus dem Versicherungsvertrag Polizze Nr. 8,076.100 für den Schadensfall vom am Vordach der Fabrikhalle der Firma K*** Sportgeräte GmbH die vertragsgemäße Deckung zu leisten (Hauptbegehren), in eventu, gegenüber der Beklagten festzustellen, daß sie dem Kläger für alle Nachteile, die er aus der mit Schreiben vom erteilten Zusicherung der vertragsgemäßen Anspruchsabwehr, insbesondere aus der unterlassenen Nebenintervention im Rechtsstreit 8 Cg 368/86 des Landesgerichtes für ZRS Graz erleidet, zur Gänze hafte (1. Eventualbegehren), in eventu, die Beklagte schuldig zu erkennen, dem Kläger aus dem Versicherungsvertrag Polizze Nr. 8,081.353 für den Schadensfall vom am Vordach der Fabrikhalle der Firma K*** Sportgeräte GmbH die vertragsgemäße Deckung zu leisten (2. Eventualbegehren). Der Kläger habe die statischen Berechnungen für das Vordach während der Dauer des Versicherungsvertrages Polizze Nr. 8,076.100 durchgeführt. Da er von seiner Auftraggeberin für den eingetretenen Schaden in Anspruch genommen worden sei, habe die Beklagte dem Kläger die aus diesem Vertrag sich ergebende Deckung zu leisten. Der Standpunkt der Beklagten, daß der Versicherungsvertrag Polizze Nr. 8,076.100 am beendet worden sei, sei unrichtig. Der Kläger habe nicht um Stornierung dieses Versicherungsvertrages, sondern nur um Herabsetzung der Deckungssumme ersucht. Die Beklagte hätte den Kläger aber über die Folgen einer Stornierung, insbesondere die durch Art. 4 AHBA bewirkte "Deckungslücke" aufklären müssen. Art. 4.3. AHBA sei sittenwidrig, weil er den Versicherungsnehmer in Fällen, in denen dieser einen Haftungstatbestand während der Laufzeit einer Haftpflichtversicherung gesetzt habe, die Inanspruchnahme durch den Dritten aber erst nach Ablauf eines Jahres nach Beendigung des Versicherungsvertrages erfolge, gröblichst benachteilige. Die Beklagte hafte für die Erbringung der mit dem Versicherungsvertrag Polizze Nr. 8,076.100 vereinbarten Leistung entweder aus dem Vertrag oder wegen Verletzung dieser Aufklärungspflicht aus dem Titel des Schadenersatzes (Hauptbegehren). Da die Beklagte aber mit Schreiben vom (Beilage F) die Abwehr der gegen den Kläger allenfalls in Zukunft erhobenen Schadenersatzansprüche zugesichert habe, habe sie ihre Deckungspflicht auch anerkannt. Der Kläger habe im Vertrauen darauf, daß die Beklagte zur Schadensabwehr alles unternehmen werde, eigene Abwehrmaßnahmen unterlassen. Wegen ihrer nachträglichen Weigerung, den Abwehranspruch des Klägers zu erfüllen, bestehe ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung (1. Eventualbegehren). Die Beklagte hafte aber zumindest im Rahmen des Versicherungsvertrages Polizze Nr. 8,081.353. Der Durchsetzung dieses Anspruches diene das

2. Eventualbegehren.

Die Beklagte beantragt die Abweisung sämtlicher Begehren. Der Versicherungsvertrag Polizze Nr. 8,076.100 habe am geendet. Da der Schadenersatzanspruch des Dritten erst später als ein Jahr nach dieser Beendigung an den Kläger herangetragen worden sei, sei Versicherungsschutz aus diesem Vertrag gemäß Art. 4.3. AHBA nicht gegeben. Der Schaden sei allerdings - mit Ausnahme des vereinbarten Selbstbehaltes - durch den zwischen der Ingenieurkammer für Steiermark und Kärnten und der Nebenintervenientin auch zugunsten des Klägers abgeschlossenen Haftpflichtversicherungsvertrag gedeckt, weil der den Schadenersatzanspruch begründende Verstoß des Klägers innerhalb eines Jahres vor dem Beginn dieser Versicherung gesetzt worden sei. Für den Ausschluß von der Versicherung durch Art. 4.3. AHBA bestehe eine sachliche Rechtfertigung, weil dem Versicherer die Absehbarkeit seiner Deckungspflicht nach Beendigung des Versicherungsvertrages ermöglicht werden müsse. Da Art. 4.3. AHBA die Hauptleistung des Versicherers festlege, sei eine Inhaltskontrolle dieser Vertragsbestimmung ausgeschlossen. Eine Aufklärungspflicht über eine allfällige Deckungslücke habe nicht bestanden, weil jedem Zivilingenieur die Problematik der Beendigung eines Haftpflichtversicherungsvertrages bekannt sei. Die Beklagte habe mit ihrem Schreiben vom aber auch keine Leistungspflicht anerkannt. Sie habe damals noch nicht gewußt, daß der Verstoß des Klägers in den durch den Vertrag Polizze Nr. 8,076.100 versicherten Zeitraum falle. Aus der Schadenmeldung hätten sich dafür keine Anhaltspunkte ergeben. Die Beklagte sei damals davon ausgegangen, daß die Voraussetzungen für eine Haftung aus dem Versicherungsvertrag Polizze Nr. 8,081.353 gegeben wären. Aber auch aus diesem Vertrag hafte die Beklagte nicht, weil der Kläger den haftungsbegründenden Verstoß länger als ein Jahr vor dem durch diesen Vertrag versicherten Zeitraum begangen habe. Das Erstgericht wies sämtliche Begehren des Klägers ab. In rechtlicher Hinsicht ging es auf Grund des festgestellten, eingangs bereits wiedergegebenen Sachverhaltes davon aus, daß der Versicherungsvertrag Polizze Nr. 8,076.100 am geendet habe. Gemäß Art. 4.3. der AHBA, denen sich der Kläger unterworfen habe, sei aus dem alten Vertrag kein Versicherungsschutz mehr gegeben, weil der Schadenersatzanspruch durch den Dritten länger als ein Jahr nach der Beendigung dieses Vertrages geltend gemacht worden sei. Zu Unrecht beschwere sich der Kläger gegen die Unterlassung entsprechender Belehrungen durch die Beklagte, weil die Kenntnis des Inhalts der Versicherungsbedingungen bei ihm vorausgesetzt werden müsse. Aber auch aus dem neuen Versicherungsvertrag könne der Kläger keine Ansprüche wegen des Schadensfalles vom ableiten, weil der seine Haftung auslösende Verstoß länger als ein Jahr vor dem durch diesen Vertrag versicherten Zeitraum begangen worden sei. Aus dem Schreiben der Beklagten vom könne kein Anerkenntnis abgeleitet werden, weil die Beklagte auf Grund der Angaben des Klägers in der Schadenmeldung habe davon ausgehen dürfen, daß der Kläger den haftungsbegründenden Verstoß im Jahr 1980, somit innerhalb eines Jahres vor dem Beginn der durch den Vertrag Polizze Nr. 8,081,353 versicherten Zeitraum begangen habe.

Art. 4.3. AHBA sei nicht sittenwidrig. Der Kläger habe den Inhalt dieser Bestimmung bei Vertragsabschluß gekannt. Die Regelung sei nicht unbillig, weil der Versicherer auch die Haftung für die ein Jahr vor dem versicherten Zeitraum liegenden Verstöße übernehme. Für die Zeit nach Beendigung des Versicherungsvertrages habe daher eine gleichartige Begrenzung vorgesehen werden dürfen. Das Berufungsgericht bestätigte die Abweisung des Hauptbegehrens und des 1. Eventualbegehrens, gab jedoch dem 2. Eventualbegehren statt und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 300.000 übersteige. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und führte in rechtlicher Hinsicht folgendes aus:

Der Versicherungsvertrag Polizze Nr. 8,076.100 sei am nicht beendet worden. Der Kläger habe zufolge anderweitiger Deckung seines Berufshaftpflichtrisikos lediglich die Herabsetzung der Deckungssumme auf S 100.000 begehrt. Er habe in seinem Antrag auf Haftpflichtversicherung mit einer Versicherungssumme von S 100.000 auch auf die bestehende Versicherung hingewiesen. Wenn dieser Antrag auch nicht auf Herabsetzung der Versicherungssumme im Rahmen des bestehenden Versicherungsvertrages gelautet habe, so könne er - im Hinblick auf die Interessenlage des Klägers - rechtlich nur dahin verstanden werden, daß der alte Vertrag abgeändert werden soll. Daß eine neue Polizze ausgestellt worden sei, hindere nicht die Annahme, daß lediglich eine Umwandlung des bestehenden Versicherungsvertrages stattgefunden habe. Auch die Beklagte habe in ihrem Schreiben an die Nebenintervenientin vom den Standpunkt eingenommen, daß der alte Versicherungsvertrag bloß umgewandelt worden sei. Der den Schadenersatzanspruch des Dritten begründende Verstoß des Klägers sei daher während der aufrechten Dauer des bestehenden, mit Polizze Nr. 8,081.353 fortgeführten Versicherungsvertrages begangen worden. Da aber die Versicherungssumme vor Eintritt des Schadens auf S 100.000 herabgesetzt worden sei, habe die Beklagte auch nur in diesem Rahmen die vertragsgemäße Deckung zu leisten. Art. 4.3. AHBA sei nicht sittenwidrig. Diese Bestimmung sei durch die Überschrift "Zeitliche Begrenzung des Versicherungsschutzes" deutlich hervorgehoben und grenze das vom Versicherer übernommene Risiko ab. Rechte des Versicherungsnehmers würden dadurch nicht in ungewöhnlicher oder überraschender Weise eingeschränkt. Kein Versicherungsnehmer könne damit rechnen, daß jedes von ihm ins Auge gefaßte Risiko durch einen Versicherungsvertrag gedeckt sei. Die Beklagte habe aber auch nicht die Deckung des Schadens im vollen Umfang anerkannt. Aus ihrem Schreiben vom ergebe sich nur, daß von einer Haftung im Rahmen eines bestehenden Versicherungsvertrages ausgegangen worden sei. Dieses Vertragsverhältnis habe damals aber nur mehr eine Deckungssumme von S 100.000 vorgesehen.

Gegen die Bestätigung der Abweisung des Haupt- und des 1. Eventualbegehrens erheben der Kläger und die Nebenintervenientin jeweils wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung Revision und beantragen, die Entscheidung dahin abzuändern, daß dem Hauptbegehren oder dem 1. Eventualbegehren stattgegeben werde. Hilfsweise werden auch Aufhebungsanträge gestellt.

Gegen den abändernden Teil des Urteiles des Berufungsgerichtes wendet sich die wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens bzw. Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision der Beklagten mit dem Antrag, das Urteil des Erstgerichtes zur Gänze wiederherzustellen. Auch die Beklagte stellt hilfsweise einen Aufhebungsantrag.

Die Parteien und die Nebenintervenientin beantragen jeweils, der Revision des Gegners nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Keine der Revisionen ist berechtigt.

Die Parteien und die Nebenintervenientin greifen in ihren Revisionen - mit unterschiedlicher Stoßrichtung - die Frage auf, ob der Versicherungsvertrag Polizze Nr. 8,076.100 am beendet wurde. Während der Kläger und die Nebenintervenientin, der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes folgend, aus dem Fortführen dieses Versicherungsvertrages unter neuer Polizzennummer mit einer herabgesetzten Deckungssumme ableiten, daß die Beklagte für den vom Kläger vor der Herabsetzung der Versicherungssumme gesetzten, den Schadenersatzanspruch Dritter begründenden Verstoß auch im Umfang der ursprünglichen Deckungssumme hafte, steht die Beklagte auf dem Standpunkt, daß die Beendigung des alten Versicherungsvertrages vom Erstgericht festgestellt worden sei, weshalb die Annahme einer bloßen Veränderung des Versicherungsvertrages aktenwidrig sei. Zumindest aber hätte das Berufungsgericht von der - von ihm übernommenen - Feststellung nicht ohne Beweiswiederholung abgehen dürfen.

Das Erstgericht hat jedoch lediglich festgestellt, daß der Beklagte die Umwandlung des Versicherungsvertrages Polizze Nr. 8,076.100 beantragt und die Beklagte das dergestalt durchgeführt hat, daß der Versicherungsvertrag Polizze Nr. 8,076.100 mit Wirkung vom storniert und dem Kläger eine neue Polizze mit der Nr. 8,081.353, dem Versicherungsbeginn , dem gleichen Risiko und einer Pauschalversicherungssumme von S 100.000 ausgestellt wurde. Daß der Versicherungsvertrag Polizze Nr. 8,076,100 beendet und zur Polizze Nr. 8,081.353 ein neuer Versicherungsvertrag abgeschlossen worden sei, ist daher nicht festgestellt worden. Daher liegen die von der Beklagten dazu geltend gemachten Revisionsgründe gemäß § 503 Abs. 1 Z 2 und 3 ZPO auch nicht vor. Ob der Versicherungsvertrag Polizze Nr. 8,076.100 am beendet wurde, ist demnach eine Frage der rechtlichen Beurteilung.

Wie der erkennende Senat bereits ausgesprochen hat (SZ 57/123; 7 Ob 42/87), kommt es bei der Beurteilung der Frage, ob ein neuer Vertrag abgeschlossen oder lediglich ein alter modifiziert werden sollte, auf den Einzelfall an. Die bloße Aushändigung eines neuen Versicherungsscheines ist kein entscheidendes Kriterium für die Begründung eines selbständigen neuen Vertrages, selbst wenn der alte Vertrag als erloschen bezeichnet wird (SZ 57/123; Bruck-Möller, VVG8 I 141). Maßgebend ist, ob die Identität des Versicherungsverhältnisses gewahrt oder aber das bestehende Versicherungsverhältnis aufgehoben und ein neues begründet wird. Für letzteres spricht, wenn die für einen Versicherungsvertrag wesentlichen Punkte, wie das Versicherungsobjekt, die Gesamtversicherungssumme, die Prämienzahlung und die Versicherungsdauer völlig neu vereinbart werden (SZ 57/123; Bruck-Möller aaO 137). Unter Anwendung dieser Grundsätze hat der Oberste Gerichtshof die Erweiterung einer Einbruchsdiebstahlsversicherung zu einer Betriebsbündelversicherung mit einem erheblich erhöhten Deckungsumfang (SZ 57/123) und die - wegen eines ungünstigen Schadensverlaufes der alten Versicherung vorgenommene - Erhöhung der Pauschalierung der Deckungssummen und die Erweiterung des Versicherungsschutzes (7 Ob 42/87) als Abschluß eines neuen Versicherungsvertrages beurteilt. Im vorliegenden Fall sind zwar Prämie, Versicherungssumme und Laufzeit - nicht auch das versicherte Risiko - geändert worden. Es wurde aber in Ansehung der Deckungssumme und der Prämie keine Erweiterung, sondern eine Verringerung vorgenommen und die Änderung erfolgte überdies nur deshalb, weil ein Teil des versicherten Risikos durch einen später von der Berufsvertretung des Klägers bei einem anderen Versicherer abgeschlossenen Vertrag gedeckt wurde. Die vorliegenden Umstände entsprechen daher der Interessenlage in den Fällen der Überversicherung oder der Doppelversicherung, für die § 51 Abs. 1 und § 60 Abs. 3 VersVG für den Bereich der gesamten Sachversicherung die Herabsetzung der Versicherungssumme unter verhältnismäßiger Minderung der Prämie vorsehen, ohne damit in den Bestand des Versicherungsschutzes einzugreifen. Die Änderung der Laufzeit einer Versicherung ist nicht so wesentlich, daß sie unter allen Umständen zu einer Beendigung des alten Versicherungsvertrages führen müßte. Unter verständiger Würdigung der vorliegenden Umstände ist daher davon auszugehen, daß der Versicherungsvertrag Polizze Nr. 8,076.100 ab unter Herabsetzung der Deckungssumme und unter verhältnismäßiger Kürzung der Prämie sowie Verlängerung seiner Laufzeit unter Polizze Nr. 8,081.353 fortgesetzt wurde. Daraus folgt aber auch, daß sowohl der die Haftpflicht des Klägers begründende Verstoß als auch der Eintritt des Schadens bzw. die Geltendmachung des Schadenersatzanspruches durch den Dritten in die Laufzeit eines einzigen Versicherungsvertrages fallen.

Für die Beurteilung der weiteren, im Revisionsverfahren ebenfalls strittigen Frage, ob die Beklagte im Umfang der vor dem bestandenen höheren Deckungssumme von S 1 Million oder nur im Umfang der ab diesem Zeitpunkt herabgesetzten Deckungssumme von

S 100.000 Versicherungsschutz zu gewähren hat, ist auch der Zeitpunkt des Eintrittes des Versicherungsfalles maßgebend (vgl. dazu Prölss-Martin VVG24 392 für den vergleichbaren Fall einer zur Verhinderung des Eintritts einer Doppelversicherung getroffenen einfachen Subsidiaritätsabrede). Versicherungsfall ist nach Art. 7

1. AHBA zwar der Verstoß (Handlung oder Unterlassung), als dessen Folge Schadenersatzverpflichtungen des Versicherungsnehmers erwachsen könnten. Der Begriff des Versicherungsfalles ist in der Haftpflichtversicherung jedoch nicht statisch auf einen bestimmten Zeitpunkt festzulegen. Bei sogenannten gedehnten Versicherungsfällen, bei denen der schadensstiftende Verstoß, der Eintritt des Schadens und die Geltendmachung des Schadenersatzanspruches durch den Dritten zeitlich auseinanderfallen (Möller, Gedanken zum gedehnten Versicherungsfall, FS Eichler 414), ist nicht immer dasselbe Ereignis für den Eintritt des Versicherungsfalles heranzuziehen, sondern je nach Sinn und Zweck der anzuwendenden Norm zu entscheiden, auf welchen Zeitpunkt oder Zeitraum es ankommt (Möller aaO 418; Krejci, Kundenschutz im Versicherungsrecht 134; Jabornegg, Das Risiko des Versicherers 90; Schauer, Einführung in das Österreichische Versicherungsvertragsrecht 130). Entstehen und Fälligkeit des Haftpflichtversicherungsanspruches hängen aber stets von der Inanspruchnahme durch den Dritten ab. Erst nach Entstehen und Fälligkeit des Haftpflichtversicherungsanspruches kann auf Gewährung von Versicherungsschutz oder Feststellung der Leistungspflicht geklagt werden (Bruck-Möller-Johannsen aaO 56).

Wird während des Dehnungszeitraumes der Umfang des Versicherungsschutzes durch eine Vertragsänderung herabgesetzt, dann liegt darin allerdings auch eine teilweise Beendigung des Versicherungsschutzes über den Teil, der der herabgesetzten Versicherungssumme entspricht. In einem solchen Fall ist Art. 4.3. AHBA entsprechend anzuwenden. Fällt die für das Entstehen des Haftpflichtversicherungsanspruches maßgebende Geltendmachung des Schadenersatzanspruches durch den Dritten in die Zeit nach Ablauf eines Jahres nach der Herabsetzung der Versicherungssumme, dann besteht der Versicherungsschutz nur mehr im Umfang der herabgesetzten Deckungssumme. Die hier angewandte Regelung des Art. 4.3. AHBA ist - entgegen der vom Kläger und der Nebenintervenientin vertretenen Auffassung - auch nicht unangemessen. Wenn der Versicherer bei der Umschreibung eines versicherten Risikos auch nicht völlig autonom ist, sondern darauf Bedacht zu nehmen hat, welche Erwartungen nach der Verkehrsanschauung vom Kunden an den Deckungsbereich eines Versicherungsvertrages gestellt werden dürfen (Fenyves in Krejci, Handbuch zum KSchG 597) und demnach nicht nur sekundäre, sondern unter Umständen auch primäre Risikoausschlüsse der Inhaltskontrolle im Sinne des § 879 Abs. 3 ABGB unterliegen können, kann kein Versicherungsnehmer erwarten, daß jedes denkbare Risiko in den Schutzbereich einer Versicherug fällt. Gerade dann, wenn es um die Frage der gänzlichen oder teilweisen Beendigung des Versicherungsschutzes wegen Beendigung oder Veränderung eines Versicherungsvertrages geht, besteht kein schutzwürdiges Interesse, Versicherungsfälle, bei denen nur einzelne, den Anspruch begründende Tatsachen in den versicherten Zeitraum fallen, andere, insbesondere die für das Entstehen des Deckungsanspruches wesentlichen Umstände aber nicht, unter allen Umständen in den Versicherungsschutz einzubeziehen. Werden Versicherungsfälle, bei denen der Zeitpunkt des Verstoßes (hier ein Jahr) vor dem vereinbarten Versicherungsbeginn liegt, zum Vorteil des Versicherungsnehmers in den Versicherungsschutz einbezogen, dann bedeutet es auch keinen unangemessenen Nachteil, wenn Fälle, bei denen die anspruchsbegründenden Umstände (hier die Geltendmachung des Schadenersatzanspruches durch den Dritten) erst nach Ablauf eines Jahres nach dem versicherten Zeitraum eintreten, von der Versicherung ausgeschlossen werden. Art. 4.3. AHBA ist daher nicht nichtig im Sinne des § 879 Abs. 3 ABGB.

Der Kläger hat aus dem bestehenden Versicherungsvertrag für den geltend gemachten Versicherungsfall daher keinen Anspruch auf Deckung in der durch die Versicherungspolizze Nr. 8,076.100 festgelegten Höhe. Der Beklagten, die bei der Aufnahme des Herabsetzungsantrages des Klägers durch einen Agenten vertreten war, fällt aber auch keine Verletzung der Belehrungspflicht zur Last. Der Agent muß nicht überprüfen, ob die Versicherungsbedingungen das erkennbare Versicherungsbedürfnis voll abdecken (Prölss-Martin aaO 276). Es besteht keine spontane Belehrungspflicht durch den Agenten. Der Versicherungsnehmer muß vielmehr die von ihm für aufklärungsbedürftig erachteten Punkte bezeichnen oder erkennbar eine irrige Vorstellung haben (Prölss-Martin aaO 19, 275; SZ 57/94; RdW 1986, 271). Davon kann im vorliegenden Fall aber keine Rede sein. Der Kläger hat nicht einmal behauptet, aus Anlaß seines Herabsetzungsantrages nach dem Umfang des Versicherungsschutzes für in der Vergangenheit liegende Verstöße, die noch zu keinem Schadenersatzanspruch Dritter geführt haben, gefragt oder darüber irrige Vorstellungen geäußert zu haben. Die Belehrungspflicht des Versicherers oder seines Agenten darf nicht überspannt werden und erstreckt sich nicht auf alle möglicherweise eintretende Fälle (Prölss-Martin aaO 275). Daher geht der Hauptanspruch, auch soweit er auf den Titel des Schadenersatzes wegen Unterlassung der erforderlichen Belehrung gestützt ist, ins Leere.

Der Kläger hat der Beklagten den Schaden zur Polizze Nr. 8,081.353 gemeldet (Beilage D). Mit ihrer Mitteilung, daß sie von einer Inanspruchnahme durch Dritte zum Zwecke der Abwehr von Schadenersatzansprüchen verständigt werden möge (Schreiben der Beklagten vom Beilage F), hat die Beklagte weder auf die bis zum bestehende höhere Versicherungssumme Bezug genommen noch irgendwie zum Ausdruck gebracht, daß sie eine Leistung in diesem Umfang erbringen werde. Nach den Umständen durfte der Kläger diese Erklärung nur so auffassen, daß die Beklagte im Rahmen eines bestehenden Versicherungsvertrages Deckung leisten werde. Ein ausdrückliches oder schlüssiges Anerkenntnis, Versicherungsschutz auf der Basis der bis bestehenden Deckungssumme gewähren zu wollen, liegt darin nicht.

Aus den dargelegten Gründen ist daher nur das auf Deckungsschutz im Umfang der mit Polizze Nr. 8,081.353 herabgesetzten Deckungssumme von S 100.000 gerichtete 2. Eventualbegehren berechtigt. Somit war sämtlichen Revisionen ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat Anspruch auf Ersatz der Kosten ihrer gegen die Revision des Klägers (und der Nebenintervenientin) erstattete Revisionsbeantwortung auf der Basis des ersiegten Streitwertes von S 900.000. Der Kläger und die Nebenintervenientin hingegen haben wegen ihrer erfolgreichen Abwehr der Revision der Beklagten jeweils Anspruch auf Ersatz der Kosten ihrer Revisionsbeantwortungen auf Basis des angenommenen Streitwertes von S 100.000. Vom Kostenverzeichnis der Nebenintervenientin war jedoch insoweit abzugehen, als ihr ein Anspruch auf einen Streitgenossenzuschlag gemäß § 15 RATG nicht zusteht.