OGH vom 26.04.2007, 2Ob59/07a
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith, Dr. Grohmann und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Silvia Z*****, vertreten durch Eisenberg & Herzog RechtsanwaltsGmbH in Graz, gegen die beklagte Partei H***** Versicherung AG, *****, vertreten durch BLS Rechtsanwälte Boller Langhammer Schubert KG in Wien, wegen EUR 40.965,98 sA und Leistung einer monatlichen Rente von EUR 2.068,94 über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse EUR 10.494,81 sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 181/06i-76, mit dem das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom , GZ 15 Cg 84/04g-63, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 686,88 (darin enthalten EUR 114,48 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin wurde am bei einem Verkehrsunfall, für dessen Folgen die Beklagte haftet, lebensgefährlich verletzt. Vor dem Unfall war die Klägerin als Buslenkerin beschäftigt gewesen. Diese Tätigkeit kann sie aufgrund der unfallbedingten Verletzungen nicht mehr ausüben. Nach Beendigung des Krankenstandes am stellte die Dienstgeberin der Klägerin einen geschützten Arbeitsplatz als Telefonistin zur Verfügung. Am ging die Klägerin in Mutterschutz. Am wurde ihr Sohn geboren, die Karenz dauerte bis . Am brachte die Klägerin ihr zweites Kind, eine Tochter zur Welt. Wäre sie beim Unfall nicht verletzt worden, hätte die Klägerin ihren Beruf als Busfahrerin weiter ausgeübt. Nach der Geburt des ersten Kindes wäre sie zwei Jahre in Karenz gegangen. Es steht nicht fest, dass ohne den Unfall das zweite Kind nicht geboren worden wäre. Aufgrund der Liebe zu ihrem Beruf und der familiären Situation (Betreuung der Kinder durch die mütterliche Großmutter) wäre die Klägerin beim zweiten Kind jedoch nur ein Jahr, also bis in Karenz gegangen. Ab hätte sie ihre Beschäftigung als Busfahrerin wieder aufgenommen.
Aufgrund ihres im April 2003 gestellten Antrages bezog die Klägerin eine bis befristete zuerkannte Invaliditätspension. Während des Bezugs der Invaliditätspension ruht das Dienstverhältnis. Darüber hinaus bezieht sie seit Pflegegeld. Aufgrund eines entsprechenden Antrages bezog die Klägerin für ihren Sohn von bis Kinderbetreuungsgeld von EUR 14,53 zzgl EUR 6,06 Zuschuss täglich. Es kann nicht festgestellt werden, wieso sie für ihren Sohn nicht weitere neun Monate Kinderbetreuungsgeld beantragte bzw bezog. Obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen für den Bezug von Kinderbetreuungsgeld gegeben waren und die Klägerin die Zuverdienstgrenze von EUR 14.600 (§§ 2, 8 KBGG) jährlich nicht überschritten hatte, beantragte sie für ihre Tochter kein Kinderbetreuungsgeld.
Die Klägerin begehrte zuletzt (ON 40) EUR 40.965,98 sA (ua Kosten für Haushaltshilfe, kapitalisierter Verdienstentgang bis ) sowie eine monatliche Rente von EUR 2.068,94 seit . Zu dem - im Revisionsverfahren ausschließlich strittigen - Bezug des Kinderbetreuungsgeldes brachte die Klägerin vor, einschließlich der bezogenen Invaliditätspension wäre sie in Verbindung mit der Auszahlung des hier geltend gemachten kongruenten Verdienstentganges verpflichtet gewesen, allenfalls bezogenes Kinderbetreuungsgeld zurückzuerstatten.
Die Beklagte beruft sich - soweit noch relevant - auf eine Verletzung der Schadensminderungspflicht wegen des Nichtbezuges von Kinderbetreuungsgeld, das zur Gänze auf den Verdienstentgang anzurechnen sei.
Das Erstgericht wertete diesen Einwand als gerechtfertigt und zog das Kinderbetreuungsgeld von dem für den Zeitraum von bis errechneten Verdienstentgang ab. Nach dem Zuflussprinzip wäre eine Rückzahlungsverpflichtung wegen Überschreitung der Zuverdienstgrenze nur anzunehmen, wenn die Klägerin zum Zeitpunkt des Zuflusses des Schadenersatzbetrages (aus dem Titel des Verdienstentganges) noch Kinderbetreuungsgeld bezogen hätte. Das Berufungsgericht hingegen lehnte diese Anrechnung auf den Zuspruch des Zahlungsbegehrens (Verdienstentgang) ab. Unabhängig von einer allfälligen Legalzession verletzte ein Geschädigter, der keine Sozialleistungen oder Leistungen der Sozialversicherung in Anspruch nehme, nicht die Schadensminderungspflicht. Ein Vorteilsausgleich sei nicht gerechtfertigt, weil durch das Kinderbetreuungsgeld nicht der Schädiger, sondern der Bezieher begünstigt werden solle. Den Zulässigkeitsausspruch begründete das Berufungsgericht mit der (zu RIS-Justiz RS0104093 dokumentierten) uneinheitlichen höchstgerichtlichen Judikatur zu der Frage, ob durch Unterlassen der Inanspruchnahme von Sozialleistungen die Schadensminderungspflicht verletzt wird.
Die Beklagte bekämpft in ihrer Revision das Berufungsurteil erkennbar nur insoweit, als durch die nicht erfolgte Anrechnung des Kindergeldes der Leistungszuspruch von EUR 30.471,17 sA auf EUR 40.965,98 sA erhöht wurde (in Stattgebung der Berufung der Klägerin) und beantragt die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils; hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.
Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, das gegnerische Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen, in eventu diesem nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der sachlichen Kongruenz des Kinderbetreuungsgeldes und zu dessen Berücksichtigung im Rahmen der Vorteilsausgleichung fehlt. Die Revision ist aber nicht berechtigt.
Zufolge der in § 332 Abs 1 ASVG normierten Legalzession gehen Schadenersatzansprüche des Geschädigten bereits mit dem Eintritt des Versicherungsfalles auf den Sozialversicherungsträger über, soferne er Leistungen aus dem Sozialversicherungsverhältnis zu erbringen hat (Neumayr in Schwimann³ VII § 332 ASVG Rz 8). Voraussetzung dieses Rechtsüberganges ist neben der persönlichen und zeitlichen Kongruenz, deren Feststellung hier keine besonderen Abgrenzungsschwierigkeiten bereitet, die sachliche Kongruenz. Diese ist gegeben, wenn der Ausgleichszweck des Sozialversicherungsanspruches mit jenem des Schadenersatzanspruches ident ist und beide Ansprüche daher darauf abzielen, denselben Schaden zu decken (RIS-Justiz RS0084987; RS0085343; Neumayr aaO Rz 41).
Die sachliche Kongruenz ist für den geltend gemachten Einwand der Verletzung der Schadensminderungspflicht insofern von Relevanz, als bei einer Legalzession der Anspruch des Geschädigten in voller Höhe bestehen bleibt und - ganz oder teilweise - auf den Sozialversicherungsträger übergeht und eine Minderung der Ersatzpflicht im Rahmen des Vorteilsausgleiches oder einer Verletzung der Schadensminderungspflicht von vornherein ausscheidet (RIS-Justiz RS0030384; 1 Ob 22/94 = SZ 67/135; 2 Ob 56/98v = SZ 71/3; Neumayr aaO Rz 9; Reischauer in Rummel² § 1312 ABGB Rz 13).
Das mit BGBl I 2001/103 vom eingeführte Kinderbetreuungsgeld löste ab das bisherige Karenzgeld ab. Im Unterschied zu der letztgenannten Leistung, die inklusive des Zuschusses zum Karenzgeld an eine vorangegangene versicherungspflichtige Beschäftigung gebunden war und damit für den österreichischen Rechtsbereich als Versicherungsleistung gesehen wurde (Ehmer/Lamplmayr/Mayr/Nöstlinger/ Reiter/Stummer, Kinderbetreuungsgeldgesetz, 42), ist das Kinderbetreuungsgeld nunmehr als Familienleistung ausgestaltet und gebührt unabhängig von einer früheren Erwerbstätigkeit des Anspruchsberechtigten (siehe die bei Rosenmayr/Rosenmayr, Kinderbetreuungsgeldgesetz Einleitung XIII und 2 sowie bei Ehmer ua, 43 und 45 auszugsweise wiedergegebenen ErlRV; Tomandl, Grundriss des österreichischen Sozialrechtes5 Rz 389). Mit dieser neuen familienpolitischen Leistung soll die Betreuungsleistung der Eltern anerkannt und teilweise abgegolten werden (Rosenmayr/Rosenmayr aaO XIII).
Anders als bei der Notstandshilfe wird in der höchstgerichtlichen
Judikatur seit der Entscheidung 2 Ob 380/69 (= SZ 43/130 = RIS-Justiz
RS0031373 = RS0031478 [T1]) in Übereinstimmung mit der Lehre
(Reischauer in Rummel ABGB² § 1312 Rz 13) beim Arbeitslosengeld die sachliche Kongruenz als Voraussetzung für die Legalzession bejaht. Für das vor dem Karenzgeldgesetz im Arbeitslosenversicherungsgesetz (AlVG) geregelte Karenzurlaubsgeld hat der Oberste Gerichtshof die sachliche Kongruenz mit Ansprüchen des Geschädigten auf Verdienstentgang bejaht (2 Ob 17/99k), weil das Karenzurlaubsgeld ebenso wie das Arbeitslosengeld Einkommenscharakter habe und als Leistung der Arbeitslosenversicherung den mit der Gewährung des Karenzurlaubes verbundenen Einkommensausfall teilweise abdecken solle. Das Argument des Einkommenscharakters einer vom Sozialversicherungsträger bei einem gesetzlichen Rechtsanspruch des Versicherten gewährten Leistung zog der Oberste Gerichtshof auch in der Entscheidung 2 Ob 183/04g heran und bejahte demnach die sachliche Kongruenz bei einem Kinderzuschuss zur Invaliditätspension. Beim Kinderbetreuungsgeld zieht die Revisionswerberin offensichtlich eine Parallele zum Karenzgeld. Das sich für eine Vergleichbarkeit dieser Sozialleistungen anbietende Argument, das Kinderbetreuungsgeld habe das Karenzgeld abgelöst und verfolge ebenso die Funktion eines Ausgleiches für entgangenen Verdienst, kann aber aufgrund der unterschiedlichen sozialpolitischen Ausgestaltung der Leistungen im Ergebnis nicht überzeugen: Eine an die versicherungspflichtige vorangegangene Beschäftigung gekoppelte Versicherungsleistung steht einer Familienleistung gegenüber, die an den Bezug der Familienbeihilfe anknüpft (§ 2 Abs 1 Z 1 KBGG) und in erster Linie die Betreuungsleistung der Eltern bzw die mit einer außerhäuslichen Betreuung von Kindern verbundene finanzielle Belastung teilweise abgelten soll.
Aus diesen Erwägungen ist eine sachliche Kongruenz zwischen Kinderbetreuungsgeld und Verdienstentgang abzulehnen. An diesem Ergebnis ändert auch die zum Unterhaltsrecht ergangene Judikatur des Obersten Gerichtshofes nichts, die das Kinderbetreuungsgeld als bei der Unterhaltsermittlung zu
berücksichtigendes Einkommen wertet (7 Ob 174/02t = RIS-Justiz
RS0047456 [T7 und 8]; 1 Ob 157/03z = RIS-Justiz RS0047456 [T10]) und
es daher in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einbezieht (7 Ob 167/02p; 7 Ob 170/04g). Unterhaltsrecht und Schadenersatzrecht sind nämlich völlig verschiedene Rechtsmaterien, weshalb die im Unterhaltsrecht befürwortete Einbeziehung öffentlich-rechtlicher Leistungen in die Unterhaltsbemessungsgrundlage (RIS-Justiz RS0047456) nicht zur Klärung der schadenersatzrechtlich relevanten Frage, ob eine Leistung durch den Sozialversicherungsträger den Schädiger entlasten soll, herangezogen werden kann (6 Ob 260/03h).
Was den Vorteilsausgleich betrifft, so ist nach Lehre und Judikatur
auf die besondere Art des erlangten Vorteiles und den Zweck der
Leistung des Dritten abzustellen. Die Anrechnung eines Vorteils muss
dem Zweck des Schadenersatzes entsprechen und soll nicht zu einer
unbilligen Entlastung des Schädigers führen (8 Ob 217/80 = ZVR
1982/29; 1 Ob 22/94 = SZ 67/135; RIS-Justiz RS0023600; vgl RS0019837;
vgl RS0031417; Koziol Haftpflichtrecht I³ Rz 10/33 ff; Karner in KBB § 1295 Rz 16; Reischauer aaO).
Nach der langjährigen ständigen Judikatur des Obersten Gerichtshofes sind die Notstandshilfe und vergleichbare Leistungen nicht auf den vom Schädiger zu ersetzenden Verdienstentgang anzurechnen (RIS-Justiz RS0031478; zuletzt 2 Ob 120/00m und 6 Ob 260/03h). Dieser Standpunkt deckt sich mit der in der Judikatur vertretenen Auffassung zur sachlichen Inkongruenz derartiger Sozialleistungen, was ein Indiz für die Verneinung einer Vorteilsanrechnung darstellen kann (vgl Pardey in Geigel, Haftpflichtprozess24, Kapitel 9 Rz 26 f).
In diesem Sinn verneint die bereits mehrfach zitierte Entscheidung SZ 67/135 (mit Nachweisen auch zur deutschen Rechtslage) bei Ausschluss einer Legalzession anders als noch die Entscheidung 2 Ob 283/64 = RIS-Justiz RS0104093 ganz generell einen Vorteilsausgleich, weil die Sozialversicherung eben nicht den Schädiger, sondern den versicherten Geschädigten begünstigen soll. Bei der Frage der Anrechnung des Kinderbetreuungsgeldes kommt daher der bereits bei der sachlichen Kongruenz behandelte Zweck dieser Sozialleistung ins Spiel. Die Abgeltung der Betreuungsleistungen eines Elternteiles, der aufgrund der Unfallsfolgen nicht bereits nach der Karenzzeit in den Beruf zurückkehrt, kann keinesfalls den Zweck verfolgen, den Schädiger zu entlasten. Fehlen die Voraussetzungen für die Anrechnung des Kinderbetreuungsgeldes, so kann die unterlassene Antragstellung keine Verletzung einer Schadensminderungspflicht darstellen. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich jedenfalls eine Überprüfung, ob die Rechtsauffassung der bezugsberechtigten Klägerin, durch den Zuspruch einer Schadenersatzrente wäre die jährliche Zuverdienstgrenze von EUR
14.600 (§ 2 Abs 1 Z 3 KBGG) überschritten worden, richtig bzw vertretbar war und keine schuldhafte Verletzung einer Schadensminderungspflicht bedeutete.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.