OGH vom 16.04.2013, 3Ob51/13s
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Univ. Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Ing. R*****, und 2. E*****, beide vertreten durch Dr. Wolfgang Rohringer, Rechtsanwalt in Tamsweg, gegen die beklagten Parteien 1. E*****, 2. R*****, und 3. E*****, alle vertreten durch Mag. Dieter Kocher, Rechtsanwalt in St. Michael, wegen Feststellung und Unterlassung, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom , GZ 22 R 285/12h 14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Tamsweg vom , GZ 2 C 429/11a 10, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagenden Parteien sind schuldig, den beklagten Parteien die mit 892,89 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten 148,82 EUR an USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Strittig ist der Bestand einer 1940 vereinbarten Grunddienstbarkeit, mit der den jeweiligen Eigentümern der beiden unterhalb liegenden Grundstücke 124 und . 31 (nunmehr den Beklagten) das Recht eingeräumt wurde, für Zwecke der erforderlichen Reparaturen „der Gebäulichkeiten“ auf Grundstück 124 mit Arbeitern das benachbarte, wegen eines Geländeabbruchs im Grenzbereich oberhalb liegende Grundstück 138/18 im damaligen Ausmaß von 218 m² (nunmehr) der Kläger „zu betreten, zu befahren und auch Material für die Reparatur abzulagern, wie überhaupt alles vorzukehren was für die Reparatur notwendig erscheint“.
Während die Kläger das Erlöschen der Servitut behaupten und dessen Feststellung sowie die Verpflichtung der Beklagten zur Unterlassung der Ausübung und Anmaßung begehren, weil wegen des Abrisses der bei Vertragsabschluss bestehenden Gebäude vor 1980 die Servitut mehr als 30 Jahre nicht mehr ausgeübt worden und ihr Zweck auch wegen einer aufgrund der Beklagten geschaffenen Zugangsmöglichkeit verloren gegangen sei, wenden die Beklagten ein, die Dienstbarkeit beziehe sich auf alle Gebäude auf ihren beiden Grundstücken und sei stets ausgeübt worden.
Die Vorinstanzen wiesen Haupt- und Eventualbegehren mangels Erlöschens der Dienstbarkeit ab, weil der Bestellungsvertrag dahin auszulegen sei, dass sich die Servitut nicht nur auf die bei Abschluss vorhandenen Gebäude beziehe, eine völlige Zwecklosigkeit durch den von den Beklagten geschaffenen Zugang nicht eingetreten und die Servitut stets ausgeübt worden sei.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Kläger ist ungeachtet des nicht bindenden Ausspruchs des Berufungsgerichts nicht zulässig , weil es den Klägern nicht gelingt, eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Das ist wie folgt kurz zu begründen (§ 510 Abs 3 ZPO):
1. Eine relevante Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor.
1.1. Der im Zusammenhang mit der Erledigung der Beweisrüge behauptete Verfahrensmangel läge nur vor, wenn sich das Berufungsgericht damit überhaupt nicht oder nur so mangelhaft befasst hätte, dass keine nachvollziehbaren Überlegungen über die Beweiswürdigung angestellt und im Urteil festgehalten sind (RIS-Justiz RS0043371 [T13]). Die Entscheidung des Berufungsgerichts über eine Beweisrüge ist hingegen mangelfrei, wenn es sich mit dieser befasst, die Beweiswürdigung des Erstgerichts überprüft und nachvollziehbare Überlegungen über die Beweiswürdigung anstellt und in seinem Urteil festhält (RIS-Justiz RS0043150; RS0043268 [T4]). Diesen Anforderungen hat das Berufungsgericht entsprochen, weil es die Beweiswürdigung des Erstgerichts sowohl einleitend generell als fehlerfrei und schlüssig erachtete und im weiteren zu einzelnen bekämpften Feststellungen auch eigene Erwägungen anstellte. Vom Revisionsgericht ist aber nicht zu überprüfen, ob eine vom Berufungsgericht gezogene Schlussfolgerung richtig oder fehlerhaft ist (RIS-Justiz RS0043150 [T5]), weil der Oberste Gerichtshof keine Tatsacheninstanz ist.
1.2. Das seinerzeitige Ausmaß des Grundstücks 138/18 von 218 m² ist ohnehin im Rahmen der Wiedergabe des Punktes I. des Vertragstextes festgestellt; das nunmehrige Ausmaß von 859 m² steht außer Streit.
1.3. Unklare, weil einander widersprechende Feststellungen des Erstgerichts liegen nicht vor, weil es unzweifelhaft klargestellt hat, dass der Steig einen Zugang zu den Dächern des Carports und der Garage ohne Betreten des Grundstücks der Kläger ermöglicht.
1.4. Darauf, ob der Steig auch einen Zugang zum Dach des Magazins gewährt, kommt es wie noch zu zeigen sein wird aus rechtlichen Gründen nicht an.
2. Die Auslegung des Servitutsbestellungs vertrags durch die Vorinstanzen verwirklicht keine erhebliche Rechtsfrage.
2.1. Das Ausmaß der Dienstbarkeit, der Umfang der dem Inhaber zustehenden Befugnisse, richtet sich nach dem Inhalt des Titels. Bei der Auslegung eines Servitutsbestellungsvertrags, die nach den Regeln der §§ 914, 915 ABGB zu erfolgen hat, ist zunächst vom Wortlaut auszugehen; dem von den Parteien der Vertragsbestimmung beim Vertragsabschluss beigelegten Verständnis gebührt jedoch in jedem Fall der Vorrang, und zwar vor jedem anderen Auslegungskriterium. Lässt sich ein solches übereinstimmendes Verständnis nicht ermitteln, dann hat eine normative Interpretation unter besonderer Berücksichtigung des Zwecks der Servitutseinräumung stattzufinden (RIS Justiz RS0011720; RS0107851 [T1]). Die Auslegung des Umfangs der Dienstbarkeit ist eine Frage des Einzelfalls (RIS Justiz RS0011720 [T7]; 4 Ob 21/12k mwN). Eine erhebliche Rechtsfrage liegt nur dann vor, wenn infolge wesentlicher Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erreicht wird (RIS-Justiz RS0042936). Das ist hier nicht der Fall.
2.2. Dass sich die Dienstbarkeit jedenfalls auf jenes (landwirtschaftliche Neben-)Gebäude bezog, das sich bei Abschluss des Dienstbarkeitsvertrags 1940 am Grundstück . 31 im Grenzbereich zum Grundstück 138/18 befand, entspricht dem von den Beklagten unbestritten gebliebenen Vorbringen der Kläger und ist daher unstrittig. Ungeachtet der Textierung des Vertrags, der bei der Beschreibung des eingeräumten Rechts nur das Grundstück 124 als herrschendes erwähnt, erfasst die Dienstbarkeit daher Gebäude sowohl am Grundstück 124 als auch am Grundstück . 31. Das entspricht auch der Aufsandungserklärung und der grundbücherlichen Eintragung.
2.3. Die Vorinstanzen haben ua zutreffend darauf hingewiesen, dass im Bestellungsvertrag keine nähere Definition der Gebäude, deren bequemeren Reparatur die Servitut dienen soll, vorgenommen wurde. Tatsächlich fehlt im Vertragstext jede Einschränkung auf bestehende Gebäude und jede nähere Beschreibung der angesprochenen Gebäude, sei es zu ihrer Lage, zu ihrem Zweck oder zu ihrer Ausgestaltung. In der Auslegung der Vorinstanzen, die Dienstbarkeit gelte daher nicht nur für die bei Vertragsschluss am existierenden Gebäude, sondern auch für alle erst später errichteten, kann daher keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung erblickt werden. Sollte wie es die Kläger nach wie vor behaupten das Grundstück 124 bei Vertragsabschluss noch gar nicht bebaut gewesen sein, so ist eine derartige Interpretation sogar zwingend. Die Ausübung des Rechts auch für seinerzeit noch nicht bestehende Gebäude stellt dann aber keine unzulässige Ausweitung der Servitut dar, sondern hält sich im Rahmen der Vereinbarung.
Die gebotene Berücksichtigung des Zwecks der Servitut, der hier leicht erkennbar in der bequemeren Erreichbarkeit und Ausführung von Reparaturen an den Gebäuden auf den beiden Grundstücken der Beklagten ohne Verwendung von Leitern oder Gerüsten „von oben“ lag und nach wie vor liegt, verlangt die Einschränkung auf solche Gebäude auf den Grundstücken 124 und . 31, die vom Grundstück 138/18 leichter erreichbar sind, also nahe oder an der beidseitigen Grenze liegen. Das trifft auf die heute dort existierenden Gebäude Carport, Garage und Magazin zu, sodass die Rechtsansicht der Vorinstanzen, für deren Reparatur könne die Servitut am Grundstück 138/18 in der seinerzeitigen Konfiguration (noch immer) ausgeübt werden, nicht zu beanstanden ist.
Der den Klägern obliegende Nachweis des Nichtgebrauchs iSd § 1479 ABGB (im Zweifel) seit 1980 ist ihnen nicht gelungen.
2.4. Ist aber davon auszugehen, dass sich die vereinbarte Dienstbarkeit nicht nur auf die bei Einräumung bestehenden Gebäude an der gemeinsamen Grenze bezog, sondern auf für erst in der Zukunft errichtete gelten sollte, bleibt kein Raum für das von den Klägern verlangte Abstellen auf den ursprünglichen Bestand. Denn die Auslegungsregel, wonach der jeweilige Bedarf des herrschenden Guts unter Bedacht auf den ursprünglichen Bestand und die ursprüngliche Bewirtschaftungsart entscheidend ist, gilt nur dann, soweit Maß und Umfang der Servitut im Bestellungsvertrag nicht ausreichend bestimmt, also ungemessen sind (vgl RIS-Justiz RS0011741; RS0097856; RS0016368; RS0016364). Hier erfolgte aber eine vertragliche Bestimmung zur Frage der von der Servitut erfassten (bestehenden und zukünftigen) Gebäude.
2.5. Nur der Vollständigkeit halber sei auch erwähnt, dass Dienstbarkeiten nach § 525 ABGB nur durch den dauernden Untergang der dienenden oder der herrschenden Sache erlöschen, nicht jedoch bei nur vorübergehender Zerstörung (RIS-Justiz RS0012150); diesfalls ruhen sie und leben mit der Wiederherstellung wieder auf (6 Ob 77/01v mwN; 7 Ob 730/88 mwN). Dem entsprechend geht bei einer Abtragung eines Bauwerks und dessen Ersatz durch ein anderes das damit verbundene Dienstbarkeitsrecht nicht unter (5 Ob 41/65 = RIS Justiz RS0015001). Das Wiederaufleben der Servitut setzt nicht die Wiederherstellung der Sache in völlig unveränderter Gestalt voraus; es genügt eine Erneuerung, welche die Ausübung der Dienstbarkeit wieder möglich erscheinen lässt (RIS-Justiz RS0012164; Koch in KBB³ § 525 Rz 2).
Der Abriss von im Jahr 1940 bestehenden Gebäuden und deren Wiederaufbau auf den Grundstücken 124 und . 31 im Grenzbereich zum Grundstück 138/18 als deren wenn auch nicht völlig unveränderter Ersatz, die die Ausübung der vereinbarten Servitut zulassen, führte daher nicht zum Erlöschen der Servitut. Das trifft auf die heute dort existierenden Gebäude Carport, Garage und Magazin zu.
3. Auch zur Bejahung des weiter bestehenden Utilitätserfordernisses bedarf die Rechtsansicht der Vorinstanzen keiner Korrektur.
3.1. Eine Dienstbarkeit kann nur bestehen, wenn sie für das herrschende Grundstück nützlich und bequem ist, und erlischt, wenn sie völlig zwecklos wird. Jeder auch nur einigermaßen ins Gewicht fallende Vorteil genügt für die Aufrechterhaltung des erworbenen Rechts (RIS-Justiz RS0011582; RS0011701; RS0011589 [T3]). Eine Grunddienstbarkeit erlischt nicht durch die Möglichkeit, die mit der Dienstbarkeit verbundenen Vorteile auch auf anderem Weg erreichen zu können (RIS-Justiz RS0011574). Eine Wegeservitut ist nur dann völlig zwecklos geworden, wenn eine vom Servitutsweg verschiedene Zugangsmöglichkeit und Zufahrtsmöglichkeit einen vollwertigen Ersatz bietet (RIS Justiz RS0011582 [T5]; RS0011699); ob dies der Fall ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls und wirft in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf (2 Ob 190/12y mwN).
3.2. Der von den Beklagten geschaffene Steig/Durchgang zu den Dächern des Carports und der Garage, der vom öffentlichen Grund aus ohne Betreten des Grundstücks 138/18 erreichbar ist, macht die Nutzung dieses Grundstücks der Kläger schon deshalb nicht völlig zwecklos, weil die Dienstbarkeit nicht nur ein Gehrecht umfasst, sondern auch das Recht zum Befahren und zur Ablagerung des Reparaturmaterials; dafür bietet aber ein Steig/Durchgang, der schon begrifflich nur ein Begehen ermöglicht, keinen vollwertigen Ersatz. Darauf, ob damit auch ein Zugang zum Dach des Magazins besteht, kommt es daher gar nicht an.
4. Der aufrechte Bestand der im Jahr 1940 vereinbarten Dienstbarkeit, die das Grundstück 138/18 der Kläger in der damaligen Konfiguration und Größe belastet, und der Reparatur der auf den Grundstücken 124 und . 31 der Beklagten im Grenzbereich errichteten Gebäude dient, wurde von den Vorinstanzen daher zu Recht bejaht. Eine darüber hinausgehende Anmaßung oder Ausübung dieser Dienstbarkeit auf jenem Teil des heutigen Grundstücks 138/18, der über den Bestand im Jahr 1940 hinausreicht, haben die Kläger weder konkret behauptet noch erwiesen, sodass sowohl beide Haupt als auch Eventualbegehren unberechtigt sind.
5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO, weil die Beklagten auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen haben (RIS-Justiz RS0035979).